Meinungsfreiheit und Koranverbrennungen: Audiokommentare von Andreas Kowatsch

Meinungsfreiheit

In seinem ersten Audiokommentar untersucht Andreas Kowatsch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Kontext der Demokratie. Die Gewährleistung dieses Rechts, ebenso wie anderer Grundrechte, ist nicht absolut. Insbesondere im Hinblick auf Verhetzung und Hassrede werden die Grenzen dieser Freiheit näher beleuchtet.

„Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gehört wohl zu den Kostbarkeiten einer freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung.“

—Andreas Kowatsch

Koranverbrennungen

In seinem zweiten Audiokommentar analysiert Andreas Kowatsch die jüngsten Vorfälle von Koranverbrennungen und die daraufhin erfolgten Reaktionen in Medien, Politik und der allgemeinen Öffentlichkeit. Dabei stellt er die hypothetische Frage, ob ähnliche Verbrennungen der Bibel vergleichbare Reaktionen hervorgerufen hätten.


Titelbild: Daniel Tibi

Der Wiener Religionsrat: Strukturierter Dialog im Sinne von Art. 17 AEUV

Rathaus Wien (Foto: Daniel Tibi)

Von Florian Pichler. ORCID logo

Vor wenigen Monaten informierten der ORF und weitere Medien darüber, dass in Wien ein Religionsrat gegründet wurde. Mit einem „Austausch auf Augenhöhe“ initiierte der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig ein regelmäßiges Zusammentreten der Vertreter:innen der „Religionsgruppen“. Darunter sind Vertreter:innen gesetzlich anerkannter, eingetragener Bekenntnisgemeinschaften und weiterer religiöser Vereinigungen zu finden.1

„Die aktuellen Konflikte beobachte Wiens Bürgermeister […] wie viele Teile der Wiener Bevölkerung mit großer Sorge. ‚Kriege können nie eine nachhaltige Lösung sein‘, sagte Ludwig. Auch Terror würde nur versuchen, die Friedensordnung zu destabilisieren. […] Wir ,wollen in Wien mit positivem Beispiel vorangehen und ein friedliches Miteinander erhalten‘, so der Bürgermeister“.2

Ausgangslage dafür waren Häufungen von Extremismus und Terrorwarnungen, die einer radikalisierten religiösen Gesinnung nahestanden. Der Terror geht nicht nur von religiös motivierten Täter:innen aus, sondern richtet sich auch gegen religiöse Gebäude und Institutionen anderer Religionen. Gerade um das Weihnachtsfest 2023 häufen sich diese Terrorwarnungen.3 Aufgabe der leitenden Vertreter:innen der jeweiligen Religionsgemeinschaft (iSv Art 9 EMRK) ist es, dazu in den Dialog zu treten, um Gefahren zu erkennen und sich in der pluralistischen Gesellschaft miteinander vertraut zu machen, um Vorurteile abzubauen und den gegenseitigen Respekt zu stärken. Dabei unterstützt sie der religiös neutrale Staat.4 Unionsrechtlich bildet Art 17 AEUV das Fundament für diesen „strukturierten Dialog“:

Art 17 (1) AEUV: Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.
(2) […]
(3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog. 5

Kein religiöses Stadtparlament – kein religionsübergreifendes internes Recht

Der Religionsrat ist jedoch kein Rat mit legislativer Entscheidungskompetenz. Weder staatliche Vertreter:innen noch religiöse Vertreter:innen fassen gemeinsam bindende Beschlüsse. Der Religionsrat ist kein religiöses Parlament oder Gremium mit Entscheidungsbefugnis. Der Staat bindet damit weder die einzelnen Religionsgemeinschaften, noch binden Entschlüsse die einzelnen Religionsgemeinschaften. Ein religionsübergreifendes inneres Recht existiert ebenso wenig. Jede Religionsgemeinschaft erledigt ihre inneren Angelegenheiten gem Art 15 StGG und Art 9 EMRK autonom.

Kurze Geschichte der religiösen Toleranz

Der Dialog wird nicht nur auf Unionsebene, sondern auch in Österreich seit langem gepflegt. Bürgermeister Ludwigs Religionsrat ist damit in die Kontinuität des strukturierten Dialogs einzubetten.

In der Geschichte, als der religiös neutrale Staat noch keine solchen strukturierten Dialoge kannte, war das Verhältnis von Staat und Kirche vom Cäsaropapismus oder Papocäsarismus geprägt.

Wenn sich die religiöse Institution dem Staat unterordnet, spricht man vom Cäsaropapismus und einer Staatskirche. Wenn sich die staatliche Macht der religiösen Autorität unterordnet, spricht man vom Papocäsarismus und dem Kirchenstaat.

Ein Meilenstein auf dem weiten und langen Weg zum religiös neutralen Staat war die Zwei-Schwerter-Theorie im frühen Mittelalter.6 Zwei Schwerter symbolisieren dabei die weltliche und die staatliche Macht, die getrennt an unterschiedliche Personen übergeben werden.

Die Glaubenskriege des 16. Jahrhunderts machten es notwendig, Konfessionen zu bilden. Die staatliche Obrigkeit sah sich mit Katholiken und Reformierten konfrontiert und musste mit beiden Gruppen den Ausgleich für ein friedvolles und gedeihliches Miteinander suchen. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 ist im vollen Titel ein Augsburger Reichs- und Religionsfrieden, was die politische Dimension zum Ausdruck bringt. Institutionalisierter Dialog wurde bereits auf dem Reichstag für notwendig erachtet.7 Religiöse Toleranz gegenüber Jüd:innen wurde per kaiserlichem Patent verordnet8; der Islam 1912 in der Donaumonarchie anerkannt und unter die gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften aufgenommen.9

Ziele von institutionalisiertem Dialog

Neben der Möglichkeit, sich in einem moderierten Gremium mit der staatlichen Autorität und den Nachbarreligionen auszutauschen, bildet der Religionsrat die Grundlage für eine Dialogkultur. Sich kennenzulernen fördert die Toleranz, unterschiedliche strukturelle Lösungen miteinander zu besprechen und stärkt die Synergien. Trotz theologischer Unterschiede finden sich in allen Religionen vergleichbare Strukturen, die den Aufbau der religiösen Gemeinschaft regeln10 und sich als verfasster Zusammenschluss nach österreichischem Recht bilden. Religiöse Vereine, eingetragene Bekenntnisgemeinschaften und gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaften finden sich unter diesen.11

Schwierigkeiten treten dort auf, wo sich Gesinnungsgruppen abspalten oder radikalisiert neu gründen. Diese sind schwer in den Dialog einzubinden bzw. mangels rechtlicher Verfasstheit für den Rechtsstaat schwer greifbar.

Letztlich fördert der Religionsrat auch das Verständnis für den religiös neutralen Staat, dessen Prinzipien der Neutralität12 und Parität13 erst den konfessionsungebundenen Staat in einer pluralistischen Gesellschaft des heutigen Europas ermöglichen. Ein strukturierter Dialog hält die Religionsfreiheit hoch, sodass der Gottesstaat oder eine Theokratie nicht das Ziel sind, sondern das Entfalten der eigenen Freiheit innerhalb der Schranken der Religionsfreiheit gem Art. 9 EMRK.

Der heutige österreichische Rechtsstaat ist in seinem Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften vom Prinzip der Neutralität und der Parität geprägt: Einerseits distanziert sich der Staat von jeglicher Staatsreligion oder Staatskirche, bietet aber andererseits von seiner neutralen Position Religionsgemeinschaften die Möglichkeit, sich im Rahmen der allgemeinen Staatsgesetze (Art 15 StGG) zu entfalten. Dort, wo es gemeinsame Angelegenheiten gibt, versucht die staatliche und die religiöse Autorität eine Regelung der Dialogmaterie. Durch die Parität wird eine Gleichbehandlung erwirkt. Sie umfasst daher „jene staatlichen Regelungen, die für alle“ Kirchen und Religionsgesellschaften „gleichermaßen gelten“.14

Religiöse Institutionen als Partner der staatlichen Autorität

Im Zuge der Trennung von Staat und Kirche wurden Kompetenzgrenzen gezogen: Zwischen inneren Angelegenheiten, die ausschließlich die religiöse Autorität für die eigene Religionsgemeinschaft besorgt und äußeren Rechtsverhältnissen, die der Staat als eine Dialogmaterie auf rechtliche Beine stellt und die Religions- und Bekenntnisgemeinschaften damit rechtlich verfasst, verläuft eine deutliche Trennlinie, die von der Auslegung der Grund- und Freiheitsrechten durch die öffentlich-rechtlichen Gerichte abhängig ist. In den Regelungstatbestand der inneren Angelegenheiten darf der Staat gem Art 15 StGG iVm Art 9 EMRK nur in bestimmten Situationen und mit einem vorgegebenen Zweck eingreifen.15

Zum Höchststand der Coronapandemie wusste der Staat – heute wie gestern – dass Kirchen, Synagogen und Moscheen nicht einfach wie Kinos, Supermärkte oder Opernhäuser zu schließen sind. Ein Eingriff in die inneren Angelegenheiten ist anders zu bewerkstelligen als ein Eingriff aufgrund einer Verordnung aufgrund des EpidemieG 195016 bzw. dem anlassbezogen erlassenen COVID-19-MG17. Explizit enthalten diese Rechtsmaterien auch Ausnahmen für Kirchen und Religionsgesellschaften.18

Dabei stellte sich heraus, dass der Staat sich einen institutionellen Rahmen und eine strukturelle Verfassung der Religionsgesellschaft erwartet, um die Regelung der inneren Angelegenheiten im eigenen Wirkungsbereich zu belassen. Nicht einzugreifen bedeutet, dass der Staat abschätzt, ob eine gleichwertige Regelung, welche zum Ziel führt, im eigenen Wirkungsbereich der Religionsgesellschaften durch die inneren Angelegenheiten zu erwarten ist. Strukturierter Dialog und ein Religionsrat können letztlich auch dazu beitragen, seitens der Religionsgemeinschaften aufzuzeigen, dass man weiterhin handlungsfähig im eigenen Wirkungsbereich ist.19 Neben einer Plattform, um sich mit staatlichen Expert:innen auszutauschen, kann er ebenso die Grundalge dafür sein, voneinander zu lernen und rechtliche Vorbilder20 adaptiert zu übernehmen.

Warten auf die Geschäftsordnung des Wiener Religionsrats

Der Wiener Religionsrat ist gerade in der Aufbauphase. Auf Rückfrage im Büro des Bürgermeisters erhielt der Autor die Information, dass er im Frühjahr 2024 fortgesetzt wird. Sollte es möglich sein, informieren wir hier auf Recht und Religion in gewohnter Weise über seine rechtlichen Ausformungen, Ziele und Erfolge.

Anmerkungen

1 Vgl. https://wien.orf.at/stories/3229022/ [Abruf: 27.12.2023]; vgl. weiters https://www.erzdioezese-wien.at/site/home/nachrichten/article/115517.html [Abruf: 27.12.2023]; vgl. weiters https://presse.wien.gv.at/presse/2023/10/19/buergermeister-ludwig-trifft-vertreter-innen-unterschiedlichster-religionsgruppen [Abruf: 27.12.2023].

2 https://presse.wien.gv.at/presse/2023/10/19/buergermeister-ludwig-trifft-vertreter-innen-unterschiedlichster-religionsgruppen [Abruf: 27.12.2023].

3 Vgl. https://wien.orf.at/stories/3238006/ [Abruf: 27.12.2023]; vgl. weiters https://www.diepresse.com/17943583/anschlagsgefahr-und-festnahmen-polizei-kontrolliert-kirchen-und-maerkte [Abruf: 27.12.2023].

4 Vgl. Hammer, Neutralität des Staates, religiös-weltanschauliche, in: Kowatsch/Pichler/Tibi/Tripp (Hgg.), 111 Begriffe des österreichischen Religionsrechts (2022), 235–239.

5 Art 17 AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, StF: BGBl. III Nr. 86/1999 idF BGBl. III Nr. 171/2013.

6 Vgl. Caspar, Geschichte des Papsttums. Von den Anfängen bis zur Höhe der Weltherrschaft. Bd 2, Das Papsttum unter byzantinischer Herrschaft (1933), 33ff, 62ff.

7 Vgl. Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg (2003), 17f; vgl. weiters Arndt, Der Dreißigjährige Krieg 1618–1648 (2009).

8 Vgl. für die Toleranz gegenüber Protestant:innen Joseph II., Patent vom 13. Oktober 1781 und in dessen Folge heute das Bundesgesetz vom 6. Juli 1961 über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche StF: BGBl. Nr. 182/1961 idF BGBl. I Nr. 166/2020; vgl. für die Toleranz gegenüber Jüd:innen Joseph II., Patent vom 2. Jänner 1782 und in dessen Folge heute das Gesetz vom 21. März 1890, betreffend die Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft StF: RGBl. Nr. 57/1890 idF BGBl. I Nr. 166/2020.

9 Vgl. das Gesetz vom 15. Juli 1912, betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams als Religionsgesellschaft StF: RGBl. Nr. 159/1912; vgl. heute Bundesgesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse islamischer Religionsgesellschaften – Islamgesetz 2015
StF: BGBl. I Nr. 39/2015 idF BGBl. I Nr. 146/2021.

10 Vgl. Leitner, Verfassungen von Religionsgesellschaften, in: Kowatsch/Pichler/Tibi/Tripp (Hgg.), 111 Begriffe des österreichischen Religionsrechts (2022), 334–337; vgl. weiters Berkmann, Internes Recht der Religionen (2018).

11 Vgl. Kowatsch, Anerkennung von Religionsgesellschaften, staatliche, in: Kowatsch/Pichler/Tibi/Tripp (Hgg.), 111 Begriffe des österreichischen Religionsrechts (2022), 32–38; vgl. weiters Hirnsperger, Bekenntnisgemeinschaft, staatlich eingetragene religiöse, in: in: Kowatsch/Pichler/Tibi/Tripp (Hgg.), 111 Begriffe des österreichischen Religionsrechts (2022), 60–63; vgl. weiters Kowatsch, Vereine, religiöse, in: Kowatsch/Pichler/Tibi/Tripp (Hgg.), 111 Begriffe des österreichischen Religionsrechts (2022), 331–334.

12 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (2003), 16; 22; 42–43.

13 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (2003), 62–64.

14 Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (2003), 62.

15 Vgl. Pabel, Grundrechtsschranken, in: Kowatsch/Pichler/Tibi/Tripp (Hgg.), 111 Begriffe des österreichischen Religionsrechts (2022), 156–158.

16 Epidemiegesetz 1950.StF: BGBl. Nr. 186/1950 idF BGBl. I Nr. 103/2020.

17 COVID-19-MG StF: BGBl. I Nr. 12/2020.

18 Vgl. beispielsweise die Ausnahme § 9 (1) Z 7 in 2. COVID-19-Basismaßnahmenverordnung StF: BGBl. II Nr. 156/2022.

19 Vgl. grundlegend Kowatsch, Die freie Religionsausübung in Zeiten der Pandemie – ein religionsrechtlicher und kanonistischer Zwischenbericht, in: ÖARR 61/2 (2022), 225–297.

20 Vgl. Schipka, Zwischen staatlicher Erwartungshaltung und Aufrechterhaltung kirchlicher Sendung: Institutionalisierte Kontakte zwischen Staat und Kirche in der Corona-Krise in der Republik Österreich, in: Mückl (Hg.), Religionsfreiheit in Seuchenzeiten (2021), 253–263.


Titelbild: Daniel Tibi

Tagung zum Thema „Neutraler Staat? Interdisziplinäre Perspektiven auf die Autonomie von Religion, Kunst und Wissenschaft“ – Ein Tagungsbericht

19.-20. Juni 2023 – Universität Wien

Von 19. bis 20. Juni fand im bereits hochsommerlich heißen Wien die vom Forschungscluster „Transformationen des Rechts in Religion und Gesellschaft“ des Forschungszentrums RaT veranstaltete Konferenz „Neutraler Staat? Interdisziplinäre Perspektiven auf die Autonomie von Religion, Kunst und Wissenschaft“ statt. Ziel der unter der Leitung von Prof. Stefan Hammer (Institut für Rechtsphilosophie) und Prof. Andreas Kowatsch (Institut für Kirchen- und Religionsrecht) organisierten Veranstaltung war es, Expert:innen aus den drei Bereichen miteinander ins Gespräch zu bringen und einen Einblick in aktuelle Debatten und Probleme zu bieten. Was alle miteinander verbindet, ist ihr Autonomieanspruch und das daraus resultierende, spannungsreiche Verhältnis zum Staat (ein besonders virulentes Beispiel hierfür bilden die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie der letzten Jahre).

Marcello Neri (Instituto Superiore di Scienze
dell’Educazione Modena) mit seinem Vortrag zum Thema „Theologische Anmerkungen zum Verhältnis von Recht und Religion“
(Foto: Daniel Tibi)

Durch diese Konstellation wird ein breiter Raum an Fragen eröffnet, dem sich die Beiträge zur Konferenz aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu nähern versuchten: Während sich manche Beiträge den Autonomieansprüchen und den sich daraus ergebenden alten und neuen Herausforderungen aus der Innenperspektive der jeweiligen Sphären widmeten (so etwa Jakob Deibl zur Kunst, Marie-Luisa Frick zum Bereich Wissenschaft und Marcello Neri aus der Sicht der katholischen Theologie), machten sich andere auf die Suche nach Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den unterschiedlichen Bereichen (so Reinhold Esterbauer aus theologisch-philosophischer, Stefan Hammer aus verfassungstheoretischer und Astrid Mattes aus politikwissenschaftlicher Perspektive und anhand von aktuellen Beispielen der österreichischen Debatte).

Vortrag von Marie-Luisa Frick (Universität Innsbruck) zum Thema „Ohne ideologisches Endziel, aber kein reiner Selbstzweck: Zur „Autonomie“ der Wissenschaften im „neutralen“ Staat“

(Foto: Daniel Tibi)

Einen weiteren Schwerpunkt der Konferenz bildete die juristische Sicht auf den titelgebenden Begriff der staatlichen Neutralität (so Markus Müller im Modus der kritischen Befragung, während Andreas Kowatschs Beitrag sich mit der rechtlichen Situation in Österreich sowie mit den vielen juristischen Facetten des Neutralitätsbegriffs befasste). Zum Abschluss diskutierten Vertreter:innen aus den unterschiedlichen Bereichen die aktuellen Herausforderungen und Probleme aus der Sicht der Alltagspraxis (Cornelia Offergeld aus dem Bereich der Kunst, Imet Mehmedi aus der Sicht der Frei-Alevitischen Glaubensgemeinschaft und Dieter Beck von der Evangelischen Kirche in Österreich; moderiert wurde die Diskussion von Katharina Limacher).

Vortrag von Markus Müller (Universität Bern) zum Thema „Staatliche Neutralität als Mittel der Autonomiegewährung? – Kritische Gedanken am Beispiel der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staats“

(Foto: Daniel Tibi)

Aus den vielen kenntnisreichen Beiträgen und der angeregt geführten Diskussion gingen vor allem zwei Punkte als entscheidend hervor: Erstens ist unter den aktuellen rechtlichen und sozialen Bedingungen Skepsis bezüglich der Möglichkeiten religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates angebracht. Zweitens ist eine Krise des Autonomieanspruchs der verschiedenen Bereiche, insbesondere jedoch der Wissenschaft, zu konstatieren: Die Selbstbestimmung gerät unter den zunehmenden ökonomisch-politischen Abhängigkeiten zusehends unter Druck. Dies führt vor Augen, wie wichtig es ist, die Begriffe der Autonomie und Neutralität stets von Neuem kritisch zu befragen.

Die Beiträge der Konferenz werden in einem Band der RaT-Printreihe erscheinen. Das Programm der Konferenz findet sich hier.

Titelbild: Vortrag von Prof. Andreas Kowatsch (Foto: Daniel Tibi)

Auf der Suche nach religiös-weltanschaulicher Neutralität

Von Sophia Witz.*

Die Tagung „Neutraler Staat? Interdisziplinäre Perspektiven auf die Autonomie von Religion, Kunst und Wissenschaft“ (19.–20.06.2023) behandelte das komplexe Wechselspiel dieser drei Bereiche sowohl zueinander als auch im Verhältnis zum Staat. Die interdisziplinäre Tagung beleuchtete diesen herausfordernden Themenkomplex sowohl aus theologischer als auch aus rechtswissenschaftlicher Perspektive. Hinzukamen philosophische und politikwissenschaftliche Betrachtungen sowie ein Blick in die Praxis.

Alle acht Vortragenden brachten inspirierende Perspektiven und Zugänge ein. An dieser Stelle sollen vorrangig der rechtswissenschaftliche Beitrag von Markus Müller (Universität Bern) zum Thema „Staatliche Neutralität als Mittel der Autonomiegewährung? – Kritische Gedanken am Beispiel der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staats“ sowie der (rechts-)philosophische Beitrag von Marie-Luisa Frick (Universität Innsbruck) zum Thema „Ohne ideologisches Endziel, aber kein reiner Selbstzweck: Zur ‚Autonomie‘ der Wissenschaften im ‚neutralen‘ Staat“ reflektiert werden.1

Markus Müller (Universität Bern) hielt einen Vortrag zum Thema „Staatliche Neutralität als Mittel der Autonomiegewährung? – Kritische Gedanken am Beispiel der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staats“.

Müller bricht in seinem Eröffnungsvortrag gekonnt mit dem Konzept der staatlichen weltanschaulich-religiösen Neutralität und seiner langen (auch rechtswissenschaftlichen) Tradition, insbesondere in der Schweiz.2 Seine Argumentationslinie basiert auf der Annahme, dass das Konzept der Neutralität hohe Erwartungen wecke, die es aufgrund religiöser Vorprägungen der handelnden Akteure nicht erfüllen könne.3 Dabei stützt er sich unter anderem auf Erkenntnisse aus der Psychologie und verneint sowohl Sphären-4 wie auch Rollentrennung.5 Er betrachtet den Staat als Produkt seiner Repräsentant:innen, die oft auch von ihrem Unbewussten gesteuert werden.6 Anders sieht dies bspw Charim, die von Repräsentant:innen der Allgemeinheit bzw des Staates verlangt, ihre private Person von ihrer öffentlichen Person zu unterscheiden, und dadurch die Neutralität des Staates zu gewährleisten.7

Müller hebt auch die große Bandbreite an unterschiedlichen Neutralitätskonzepten (zB Begründungsneutralität,8 teleologisch-reflektierte Neutralität9) hervor, die aus seiner Sicht mit dem strikten Alltagsverständnis von Neutralität nicht in Einklang zu bringen seien.10 Dieser Befund ist zweifelsohne nicht von der Hand zu weisen. Sein Lösungsvorschlag, das (auch rechtsdogmatisch) gut verankerte Konzept der Neutralität durch jenes des ebenso unbestimmten Toleranzbegriffs11 zu ersetzen, erscheint allerdings nicht weniger problematisch. Dies nicht zuletzt deshalb, weil der Toleranzbegriff eine negative Vorprägung aufweist (auch wenn Müller unter seinem Toleranzbegriff nicht bloß das gnädige Dulden durch die Mehrheit verstanden wissen will, wodurch er sich selbst ebenfalls vom Alltagsverständnis dieses Begriffs entfernt).

Marie-Luisa Frick (Universität Innsbruck) hielt einen Vortrag zum Thema „Ohne ideologisches Endziel, aber kein reiner Selbstzweck: Zur ‚Autonomie‘ der Wissenschaften im ‚neutralen‘ Staat“.

Frick untersucht demgegenüber, welchen Grenzen die Wissenschaft unterliegt und identifiziert eine wachsende Gefährdung der wissenschaftlichen Autonomie. Dabei geht sie von der Prämisse aus, kein Staat könne ethisch-weltanschaulich neutral sein, da bereits der Auftrag der Befriedung und Ordnung, wie auch die Grundrechte nicht neutral seien. Frick plädiert daher für ein teleologisch-reflektiertes Verständnis des Gebots zu weltanschaulicher staatlicher Neutralität.12

Die Grenzen der Wissenschaft entspringen laut Frick entweder dem Entstehungs-, dem Begründungs- oder dem Verwendungszusammenhang. Zu ersterem zählt sie die Finanzierung und Förderung der Wissenschaft,13 die arbeitsrechtliche Stellung der Wissenschafter:innen (beachte auch: Wissenschaftsprekariat), Anreize bzw Verpflichtungen, in Publikationsorganen zu veröffentlichen,14 sowie die Leistungs- und Zielvereinbarungen15 der Universitäten, die bereits durch ihre (nicht neutralen) Schwerpunktsetzungen der Wissenschaft Grenzen setzen würden.

Aus grundrechtlicher Perspektive können Zielvorgaben mit der in Art 17 StGG gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit der Universitätsangehörigen konfligieren, wenn sie zB festlegen, welche Forschungsmethoden einzusetzen sind.16 Ähnliche Probleme wie Frick sieht auch Pöschl, die vor der Gefahr von Autonomieverlusten durch die verstärkte Drittmittelabhängigkeit warnt (Ausrichtung der Forschung an Vergabekriterien).17 Eisenberger analysiert in diesem Zusammenhang Ethikklauseln bzw ethisch motivierte Förderungsverbote in Forschungsrahmenprogrammen wie Horizont 2020 und weist ua auf eine erhöhte Begründungspflicht des Gesetzgebers hin, wenn dieser einzelne Forschungsgebiete begünstigt oder benachteiligt.18

Im Rahmen des Begründungszusammenhangs sieht Frick Forschungsethik bzw die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis als Grenzen.19 Vorlagepflichten an Ethikkommissionen bspw werden aus rechtswissenschaftlicher Perspektive von Kopetzki als „spezifische“ Eingriffe qualifiziert, die einer Erforderlichkeitsprüfung zu unterziehen sind.20 Anreize, an der Third Mission der Universität mitzuwirken sowie Rückmeldungen und Druck aus der Gesellschaft (zB im Laufe der Pandemie) ordnet Frick schließlich dem Verwendungszusammenhang zu.

Die beiden hier besprochenen Vorträge sowie die Tagung insgesamt kann als sehr gelungen und bereichernd bezeichnet werden, der Publikation der Tagungsbeiträge wird mit großem Interesse entgegengeblickt.

Anmerkungen

* Sophia Witz, LL.M. ist Universitätsassistentin am Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht der Universität Wien.

1 Siehe für einen allgemeinen Tagungsüberblick Institut für Kirchenrecht und Religionsrecht, Tagung zum Thema „Neutraler Staat? Interdisziplinäre Perspektiven auf die Autonomie von Religion, Kunst und Wissenschaft“ – Ein Tagungsbericht, 26.06.2023 rechtundreligion.at, https://rechtundreligion.at/2023/06/26/tagung-zum-thema-neutraler-staat-interdisziplinare-perspektiven-auf-die-autonomie-von-religion-kunst-und-wissenschaft-ein-tagungsbericht/, abgerufen am 12.07.2023.

2 Siehe zur Bejahung der religiösen und ethischen Neutralität des Staates als Grundsatz in der Schweiz zB Engi, Die religiöse und ethische Neutralität des Staates (2017); zur Verankerung religiös-weltanschaulicher Neutralität in der österreichischen Rechtsordnung siehe zB Wagrandl, Die weltanschauliche Neutralität des Staates, JRP 2016, 309; Werni, Vom Nutzen und Nachteil verfassungsrechtlicher „Prinzipien“ für das Religionsrecht, ZÖR 2021, 995; für einen Überblick zur deutschen rechtswissenschaftlichen Diskussion siehe Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht2 (2018) § 10 Insbesondere: das Neutralitätsgebot.

3 Siehe dazu Müller, Religion im Rechtsstaat (2017) 29, 84 ff, 140.

4 Vertreten wird die Sphärentheorie unter anderem von Dreier, Staat ohne Gott: Religion in der säkularen Moderne (2018) 12 f, 165 f; siehe auch Spohn, Den säkularen Staat neu denken (2016) 27 ff, 133 kritisch zur Trennung der Sphären in nicht westlich-christlich geprägten Staaten.

5 Zur Rollentrennung siehe zB Schlink, Vergewisserungen (2005) 103 f; Engi, Neutralität 293.

6 Siehe Müller, Religion 48, 85.

7 Siehe Charim, Ich und die Anderen (2018) 75 ff.

8 Vertreten zB von Huster, Die ethische Neutralität des Staates2 (2017) 98 ff, 633 ff; kritisch zur Begründungsneutralität ua Frick, Ethische Neutralität des Staates, in Frick/Mbongo/Schallhart (Hrsg) PluralismusKonflikte (2010) 171 (177 ff).

9 Vertreten von Frick in Frick/Mbongo/Schallhart 182 ff.

10 Siehe Müller, Religiöse Neutralität des Staates?, ZBl 2022, 575 (580 ff).

11 So auch Huster, Neutralität2 222 ff; siehe zur deutschen Rechtslage zB Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht2 Rz 161 ff.

12 Siehe Frick in Frick/Mbongo/Schallhart 182 ff; zur politischen Struktur multikultureller Gesellschaften und deren Auswirkung auf die Neutralität des Staates siehe zB Parekh, Rethinking Multiculturalism (2000) 196 ff.

13 Siehe für einen Überblick der Finanzierer von Forschung Pöschl, Private Rechtsetzung – Begriff und verfassungsrechtlicher Rahmen, in WiR – Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg), Privatisierung der Rechtsetzung (2018) 195 (200 ff).

14 Siehe aus rechtswissenschaftlicher Perspektive VwSlg 18449 A/2012, in welcher der VwGH keine Verpflichtung eines Universitätsprofessors zur Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten erkennt.

15 Siehe § 20 Abs 5 UG 2002 der normiert, dass bei Abschluss der Zielvereinbarungen auf die Freiheit der Wissenschaft und einen entsprechenden Freiraum der einzelnen Wissenschafter:innen in der Forschung sowie in der Lehre Bedacht zu nehmen ist.

16 Siehe zu den oben angeführten Aspekten grundlegend aus rechtswissenschaftlicher Perspektive Pöschl, Von der Forschungsethik zum Forschungsrecht: Wie viel Regulierung verträgt die Forschungsfreiheit?, in Körtner/Kopetzki/Druml (Hrsg), Ethik und Recht in der Humanforschung (2010) 90; Kopetzki, Muss Forschung „ethisch vertretbar“ sein?, in FS Mayer (2011) 253; Pöschl, Wissenschaftliche Integrität, in GS Walter (2013) 609; Eisenberger, Innovation im Recht (2016) 184 ff, 217 ff, 268 ff; Pöschl, Normative Grenzen der Wissenschaftsfreiheit, in Neck/Schmidinger/Spiel (Hrsg), Grenzen in den Wissenschaften (2017) 159; Pöschl in WiR – Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht 195.

Siehe auch Kröll in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), B-VG Art 17 Abs 1 StGG Rz 33, 169 (13. Lfg 2014); Hammer in Korinek/Holoubek (Hrsg), B-VG Art 17 Abs 1 StGG Rz 19, 25, 56, 66 (12. Lfg 2016); Gamper in Kahl/Khakzadeh/Schmid (Hrsg), B-VG (2021) Art 17 StGG Rz 13; Unger, Eingriff durch Vereinbarung? Zum Spannungsverhältnis von staatlicher Steuerung durch Leistungsvereinbarungen und universitärer Autonomie, JRP 2022, 380 (389).

17 Siehe Pöschl in GS Walter 640 f.

18 Siehe Eisenberger, Innovation 168, 185 ff, 191, 244 ff.

19 Siehe dazu bereits Pöschl in Körtner/Kopetzki/Druml 90 ff, 99 ff; Kopetzki in FS Mayer 263 ff; Eisenberger, Innovation 217 ff, 235.

20 Siehe Kopetzki in FS Mayer 265.


Fotos: Daniel Tibi

Rezension zu: Tilman Schmeller, EuGH und Religionsfreiheit. Zu Grund und Grenzen eines konstitutionellen Momentums in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (= Untersuchungen über Recht und Religion 4), Tübingen: Mohr Siebeck 2023. XIV, 298 Seiten. ISBN 978-3-16-162201-4

Von Harald Tripp.

Tilman Schmeller nimmt sich in seinen Ausführungen – mehr als siebzig Jahre nach Errichtung des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg – vor, die Rechtsprechung dieses Gerichtshofes im Blick auf das Grundrecht der Religionsfreiheit auszuloten. Dabei geht er in drei einzelnen Untersuchungen vor, zeichnet in einem ersten Schritt den Hintergrund der Rechtsprechungslinie des Luxemburger Gerichtshofes auf und beschäftigt sich dabei intensiv mit dem Wesen und dem Selbstbild des Gerichts. Im zweiten Schritt analysiert er Urteile umfassend und leitet aus ihnen Muster ab, die eine Befassung des EuGH mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit prägen. In einer dritten Untersuchung vermisst Schmeller die allgemeinen Grenzen der EuGH-Judikatur neu und versteht das nationale Religionsrecht als Ausdruck soziokultureller Wahrnehmungen.

Konstitutionelles Momentum

Der Begriff des „konstitutionellen Momentums“ dient dem Autor bei seinen Ausführungen, auf einen wichtigen Umstand in der Entwicklung des EuGH im Blick auf die Religionsfreiheit hinzuweisen. Die Phase ab 2017 stellt dabei eine Bewegungskraft mit einer neuen dynamischen Dimension auf, die für den Autor den Beginn einer neuen Phase in der konstitutionellen Judikatur des EuGH einleitet. Für Schmeller sei in der Geschichte der Europäischen Union feststellbar, dass der europäische Kostitutionalismus in der Rechtsprechung des EuGH seit einigen Jahren in eine neue Phase eingetreten sei, die dadurch gekennzeichnet wäre, dass der Gerichtshof offensiv konstitutionell argumentiere, indem er die Werte des Art. 2 S.1 EUV als verfassungsrechtliche Leitprinzipien immer stärker durch seine Judikatur greifbar mache und dabei zudem eine deutlich wahrnehmbare Grundrechtsprechung ausbilde.

Wertekonstitution

Im ersten Kapitel untersucht Schmeller folglich die Grundrechtsprechung der letzten Jahre in der Judikatur des EuGH und befasst sich vornehmlich mit der Werteordnung der EU als Metaprinzipien ihrer Verfassung sowie der gegenwärtigen Krise der Rechtsstaatlichkeit, die dazu geführt habe, dass es in der Judikatur jüngst eine Zunahme an Werterechtsprechung gegeben hat. Hierbei differenziert der Autor zwischen staatsstrukturellen (Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, mitgliedstaatliche Gleichheit) und grundrechtlichen Werten (Menschenwürde, Menschenrechte, Freiheit, unionsbürgerliche Gleichheit). Nach Meinung des Autors erodiere die Rechtsstaatlichkeit in einigen Ländern der EU, wobei gerade die Werterechtsprechung des EuGH als Übersetzung von Werten in konkrete Ableitungen eine schützende Dimension erhalten würde. Wichtig sei dabei jedoch die Feststellung, dass erst wenn eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts nicht nur auf die, sondern auch in den Mitgliedsstaaten sichergestellt ist, von Gleichheit ausgegangen werden kann. Nach Meinung des Autors ginge mit den jüngsten Judikaten des EuGH eine Veränderung einher, wobei die Autonomie des Unionsrechts vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen von EuGH und anderen Gerichten diskutiert wird. An zwei Beispielen zeigt Schmeller auf, dass sich die Einheit und Autonomie des Unionsrechts in sich konsequent gegen verschiedenartig gestaltete Heteronomie von außen abschirme. Demokratiestaatlichkeit sei ein besonderer Wert der EU, daher befasse sich der EuGH bei der Ausgestaltung der Werte mit einzelnen Verfassungsnormen (Rechtsstaatlichkeit), verfassungstheorethischen Figuren (mitgliedstaatliche Gleichheit) sowie mit den Fragen nach den Grundrechten (Demokratie).

Modi der Grundrechtsprechung des EuGH

Im zweiten Kapitel befasst sich Schmeller zunächst mit der stärker als bisher wahrnehmbaren Grundrechtsprechung des EuGH, die nach dem verbindlichen Inkrafttreten der Charta der europäischen Grundrechte im Dezember 2009 erst und gerade in den letzten Jahren eine enorme Entwicklung genommen und einen deutlich höheren Raum in der Judikatur des EuGH eingenommen habe. Für unseren Autor zeige sich hier sehr deutlich, dass die Grundrechtsprechung des EuGH nicht von dem verfassungsrechtlichen Momentum der übrigen Werterechtsprechung losgelöst, sondern mit ihr vielmehr inhaltlich verwandt sei. Historisch habe sich der EuGH hier zu einem Akteur der proaktiven Ausgestaltung grundrechtlicher Dogmatik entwickelt.

Im Folgenden differenziert Schmeller die Grundrechtsprechung des Gerichtshofes anhand der beiden zentralen Modi unionaler Judikatur, der Charta der Grundrechte sowie dem Sekundärrecht bevor er thematische Felder der neueren Grundrechtsprechung sowie eine Bewertung der thematischen Schwerpunktsetzung der neuen unionalen Befassung mit Grundrechten vornimmt. Dabei betont unser Autor die Herausforderung des EuGH auf 27 Rechtssysteme einzugehen und für sich eine komplexe akkulturierende dogmatische Linie schaffen zu müssen. Anlehnen würde sich der EuGH dabei sehr stark an die deutsche Rechtsprechung und an die Tätigkeit des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog als vormaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, auch im Blick auf das Urteilsschema im Umgang mit den Garantien der Grundrechtecharta in die Prüfungspunkte „Schutzbereich“, „Einschränkung“ und „Rechtfertigung“, wobei dieser letzte Punkt sich wieder in die drei Schritte „Legitimer Zweck“, „Geeignetheit“, „Erforderlichkeit“ und „Verhältnismäßigkeit“ unterteilen lässt. Mit ihrem Sekundärrecht bestimme die EU laut Schmeller weltweite Rechtsstandards, die Ausgestaltung von grundrechtlichen Garantien über dieses Sekundärrecht führe zu einer Verwirklichung und erlebbaren Geltung der Grundrechte weltweit, die laut Feststellung unseres Autors mit der Auseinandersetzung nur über die Grundrechtecharta so nicht möglich wären. Schmeller lotet hier einzelne thematische Felder der EuGH-Judikatur aus, unter denen er vor allem den Bereichen Justizgrundrechte, Antidiskriminierung, Recht auf gute Verwaltung, Datenschutz sowie Berufs- und Unternehmensfreiheit als häufigste Grundrechtsfelder große Bedeutung beimisst und diese entsprechend umfassend analysiert. Im Blick auf das Religionsverfassungsrecht wäre dieses laut Schmeller mittelbar über das Antidiskriminierungs- und Datenschutzrecht sowie über den Zugang zu staatlichen Gerichten als Ausprägung der Justizgrundrechte berührt.

Religionsrechtliche Kompetenz des EuGH

Die wachsenden Spannungen im Verhältnis von Europa- und staatlichem Religionsgemeinschaftsrecht übersteige eine erhöhte Grundrechtsprechung, vielmehr könne laut unserem Autor in Bezugnahme auf Art. 10 Grundrechtecharta eine bemerkenswerte Entwicklung wahrgenommen werden: Von 2017 bis 2021 sind neun Urteile ergangen, in denen sich der EuGH mit Art. 10 Grundrechtecharta befasst, hinzu kommen noch weitere Urteile mit religiösem Hintergrund, die sich im Bereich des Sekundärrechts ohne Bezug auf die Grundrechtecharta entfalten. Somit diagnostiziert Schmeller einen spektakulären Anstieg während der letzten Jahre im Blick auf Urteile, die sich auf die Religionsfreiheit beziehen und er spricht deshalb von einer neuen Phase der EuGH-Grundrechtsprechung seit 2009. Die Religionsfreiheit ist ein komplexer Begriff, der durch die Religionsfreiheit als Individualrecht, einschließlich des forum internum und externum, geschützt wird. Darüber hinaus beinhaltet diese Religionsfreiheit auch eine kollektive Dimension, also ein Recht auf Selbstbestimmung für Religionsgemeinschaften. Dieses Recht ist auch in einigen nationalen Verfassungen ausdrücklich verankert. Und schließlich trägt auch das Antidiskriminierungsrecht zur Religionsfreiheit bei. Die Auslegung und Umsetzung bestehender Gesetze zu den Religionsfreiheiten wird stark von historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst, die in jedem Mitgliedstaat anders sind, ist die EU in dieser Hinsicht eine sehr heterogene Gemeinschaft.

EuGH als „Grundrechtegericht“

Der EuGH entwickle sich laut Darstellung unseres Autors immer mehr zum „Grundrechtegericht“ auf dem Weg von der Wirtschafts- zur Werteunion, vom Wirtschafts- zum Verfassungsgericht. Die Grundrechtsprechung des EuGH setze nach Schmöller Schwerpunkte, nach denen ein bestimmtes Kultur-, ein Wertesystem der EU auszumachen sei, das der Sinn des von dieser Verfassung konstituierten Staatslebens sein soll. Religionsfreiheit umfasse nach Schmeller die Freiheit der Religionsausübung individuell und in Gemeinschaft sowie der Zusammenschluss zu einer dauerhaften Gemeinschaft, die um die korporative Religionsfreiheit (Beschränkung und Förderung religionsrechtlicher Belange) erweitert werden. Das staatliche Religionsgemeinschaftsrecht behandle somit das Recht der korporativen Religionsfreiheit nach unserem Autor als einem von insgesamt vier Teilen des Grundrechts der Religionsfreiheit insgesamt und daraus resultiere, dass sich die Rechtsprechung des EuGH zur Religionsfreiheit als solche zum staatlichen Religionsgemeinschaftsrecht begreifen und analysieren lässt. Nach Schmeller werde die Materie des Religionsgemeinschaftsrechts damit sowohl über mitgliedstaatliche wie auch über unionale Normen als Substrat gebildet und laut unserem Autor über die hierzu ergehende mitgliedstaatliche wie unionale Rechtsprechung als weitere Form der Kompetenzwahrnehmung geprägt. Religionsfreiheit vereine damit rechtlich nicht hierarchisierbare, mithin parallele Kompetenzen, die sich nicht einseitig als national oder unional prägen ließen.

Vier religionsrechtliche Grundsätze der EU

Religionsrecht und Religionspolitik der EU lassen sich grundsätzlich auf vier Grundsätze zurückführen: Achtung mitgliedstaatlicher Systemgestaltung, Dialog mit den Religionsgemeinschaften, Garantie korporativer Religionsfreiheit und die Nichtdiskriminierung aus religiösen Gründen. Schmeller verweist hier in seiner gelungenen Analyse auf die Notwendigkeit der Ausübung unional-legislativer Kompetenz auf dem Gebiet des staatlichen Religionsrechts, dies insbesondere in den Bereichen des Steuerrechts, Baurechts sowie bei Markenschutzbestimmungen, Datenschutz und Wettbewerbsrecht und Antidiskriminierungsrecht (Kirchl. Arbeitsrecht). Diese Bereiche bilden hier wichtige Themenfelder der Reflexion unseres Autors, der sodann einzelne Urteile auf dem Gebiet der individuellen Religionsfreiheit und des staatlichen Religionsrechts durch den EuGH untersucht. Schmeller analysiert einige formale und methodische Zugänge zu den Urteilen und dem Stil der Argumentation sowie einer Gewichtung der Auslegungsmethoden durch den EuGH.

Individuelle Religionsfreiheit

Breiten Raum widmet die Darstellung unseres Autors den tierschutzrechtlichen, migrationsrechtlichen sowie antidiskriminierungsrechtlichen Themenfeldern, welche sich auf die individuelle Sphäre der Religionsgemeinschaft beziehen. Durch Analyse und Vergleich ordnet Schmeller die Materie praktisch, sodass dem Leser durch den Inhalt die einzelnen Urteile veranschaulicht dargestellt und kommentiert werden. Beim Tierschutzrecht sowie beim Migrationsrecht, dem Antidiskriminierungsrecht in den Bereichen Kopftuch am Arbeitsplatz sowie Wahrnehmung der religiösen Feiertage betont der EuGH den gesellschaftlichen Pluralismus und das Erfordernis, ein angemessenes Gleichgewicht und ein Ausgleich herzustellen, wenn die in mehreren Verträgen verankerte Grundrechte und Grundsätze betroffen sind. Hier ließen sich nach Schmeller eben Muster der Rechtsprechung des EuGH ausmachen, indem er der Position individueller Religionsfreiheit insgesamt ein sehr hohes Gewicht zuweist. Dies zeige sich vor allem dabei, dass der EuGH sich bisweilen über das einen schwächeren Schutz forcierende Vorbringen von Verfahrensbeteiligten, Mitgliedstaaten oder Generalanwälten hinwegsetze, nur scheinbar neutrale Regelungen sensibel als Ausstrahlung auf Gehalte individueller Religionsfreiheit reflektiere und das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers als Ausgangspunkt seiner Prüfung betonte. Insgesamt zeigt sich aus dem von Schmeller analysierten Material der Urteile neben dem kooperativen Umgang mit den mitgliedstaatlichen religionsrechtlichen Ordnungen und den Gerichten auch eine konsequente Einbindung der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

Korporative Religionsfreiheit

Schmeller setzt sich in einem weiteren Schritt nun nach der Befassung mit der individuellen Religionsfreiheit mit dem korporativen staatlichen Religionsgemeinschaftsrecht auseinander, wobei er sich in seinen Ausführungen im Detail vor allem auf die Bereiche Wettbewerbsrecht, Datenschutzrecht und Antidiskriminierungsrecht bezieht. Dabei wird Art. 10 Gundrechtecharta hier gar regelmäßig nicht in die Prüfung aufgenommen, es zeigt sich aber im Handeln des EuGH eine hohe Responsativität des Gerichtshofes gerade in den Argumentationen gegenüber den mitgliedsstaatlichen Gerichten und dem EGMR. Der EuGH erfülle damit nach Schmeller nicht nur seine Rolle im europäischen Rechtsprechungsverbund (vgl. Art. 52 Abs 3 Grundrechtecharta), sondern nehme auch auf mitgliedsstaatliche Besonderheiten und das dort individuell austarierte Niveau der korporativen Religionsgemeinschaft Rücksicht.

Grenzbestimmungen und Schranken

Im dritten großen Kapitel befasst sich unser Autor mit dem Verhältnis von mitgliedstaatlichem und Unionsrecht als „Mehrebenenrecht“, wobei unionalem Recht hier auch die Funktion von Grenzbestimmungen zukomme. Aus den Mustern der Urteilsanalysen ergibt sich darüber hinaus, dass der Gerichtshof den Wertungen durch die Mitgliedsstaaten im Rahmen seiner Verpflichtung auf Rechtseinheit, Vorrang und Autonomie des Unionsrechts materiell Rechnung trägt. Grundsätzlich gilt Art 17 Abs. 1 AEUV als Basis zur Achtung des Status, „den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.“ Der EuGH behandle diese Norm nach Schmeller kritikwürdig und undurchsichtig, wenngleich sein Umgang mit religionsgemeinschaftlichen Strukturen als Ausdruck mitgliedstaatlicher Eigenheit vor dem Hintergrund des umfassenden unionalen Kontextes verschiedener Positionen, in den jene eingebettet sind, beurteilt werden müsse. Die Schranken der Grundrechtecharta ließen sich dabei in Bezug auf die weitgehend sekundärrechtlich operierende Rechtsprechung des Gerichtshofs nach Meinung Schmöllers kaum aktivieren. In diesem Zusammenhang könne die Klausel des Art. 17 Abs 1. AEUV für sich im komplexen Unionsverfassungssystem keinen Primat beanspruchen und wirke heute bereits im Sinne einer Abwägung in der Rechtsprechung des EuGH.

Grenzen durch die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts

Es sei zweifellos eine Herausforderung, eine kohärente Rechtsprechung zu entwickeln, die kollidierende Rechte gerecht ausbalanciert und schützt und dabei die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Auffassungen der Mitgliedstaaten von Religionsfreiheit berücksichtigt. Da die Grundrechte von Einzelpersonen, Organisationen und Unternehmen miteinander kollidieren, gebe es zudem keine ideale, perfekte Lösung. Ziel der Arbeit Schmellers war es offensichtlich auch, herauszuarbeiten, wo Spannungen und Konflikte mit den nationalen Rechtsordnungen (hier besonders Deutschland und die Situation des Bundesverfassungsgerichts) grundlegend sind, wo also ein offener Verfassungskonflikt droht und wo umgekehrt nicht. Würde der EuGH dort einen Ermessensspielraum belassen, wo eine nationale Besonderheit einer einheitlichen Auslegung entgegensteht, würde die Stärke der europäischen Rechtsordnung erheblich untergraben. Dies würde nicht nur die Einheitlichkeit, sondern auch die Wirksamkeit der europäischen Rechtsordnung beeinträchtigen. Die Analyse hat gezeigt, dass bei religiösen Symbolen am Arbeitsplatz der margin of appreciation-Ansatz erfolgreich grundlegende Konflikte vermeidet. Aus der Perspektive der europäischen Verfassungsordnung hätte der EuGH sogar eine strengere Prüfung vornehmen können. Obwohl es an einem Konsens zwischen den Mitgliedstaaten mangelt, sei nicht erkennbar, dass ein etwas strengerer Ansatz zu grundlegenden Konflikten geführt hätte. Hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfung religiöser Arbeitgeber und ihrer beruflichen Anforderungen wurde deutlich, dass ein wesentlich liberalerer und zurückhaltenderer Ansatz aus Sicht der europäischen Verfassungsordnung wünschenswerter gewesen wäre. Mit seinen Egenberger- und IR/JQ-Urteilen habe der EuGH das Recht auf Rechtsschutz und die individuelle negative Religionsfreiheit gestärkt. Damit hat er jedoch die Verfassungswirklichkeit Deutschlands, Zyperns und letztlich der EU insgesamt verkannt, die nach wie vor auf dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung beruht.

Im Lichte dieser Feststellungen ist zu folgern, dass der EuGH in Fällen, in denen es um religiöse Symbole am Arbeitsplatz geht, eine strengere Kontrolle hätte vornehmen müssen, beispielsweise einen höheren Rechtfertigungsstandard für das Bedürfnis nach Neutralität oder das Bedürfnis des Einzelnen, ein bestimmtes Symbol aufgrund seiner religiösen Überzeugungen zu tragen. Dies würde zu mehr Religionsfreiheit in der EU führen, ohne dass es zu verfassungsrechtlichen Konflikten kommt. In Bezug auf berufliche Anforderungen durch religiöse Arbeitgeber hätte der EuGH mehr Selbstbeschränkung üben und der Justiz der Mitgliedstaaten mehr Spielraum lassen sollen, um einen Verfassungskonflikt zu vermeiden. Dies sei zwar im Hinblick auf die Einheitlichkeit des EU-Rechts und im Hinblick auf den Schutz der negativen Religionsfreiheit und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz nicht wünschenswert, trage aber der Komplexität einer supranationalen Rechtsordnung und der darin enthaltenen Rechtsprechung Rechnung.

Ausblick

Tilman Schmellers Untersuchung zeigt uns: Die Religionsfreiheit ist ein wesentliches Merkmal liberaler Demokratien und damit aller Mitgliedstaaten der EU. Einen aktuellen Überblick und eine Einordnung sowie Analyse durchzuführen gelingt dem Autor Tilman Schmeller bei aller gebotenen inhaltlichen Breite. Das Werk ist ansprechend gegliedert und besticht den Leser in den vielen Einzeldetails und Verknüpfungen der Materie und setzt sich damit zum Ziel dieser Monographie, eine jüngere neue dynamische Dimension der Judikatur ausführlich zu analysieren und einzuordnen . Ein umfassend aktualisiertes Literaturverzeichnis lädt den aufmerksamen Leser noch zusätzlich zur Vertiefung der Materie ein. Insgesamt gesehen ist diese Monographie ein sehr nützliches Hilfsmittel für Wissenschaft und Praxis, um das Verständnis der Judikatur und die Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH wahrzunehmen und einzuschätzen.

Die prägnante Analyse und sprachliche Raffinesse Schmellers hat jedoch herausgearbeitet, wie der Ausgleich zwischen diesen widerstreitenden Rechten aus der Perspektive der europäischen Verfassungsordnung gefunden werden kann. Die Sensibilität des Themas macht die Rechtsprechung zur Religionsfreiheit in einer supranationalen Gemeinschaft schwierig. Der EuGH sollte jedoch seine Rechtsprechung überdenken; er sollte das Risiko eines Verfassungskonflikts und seiner Folgen ernst nehmen und versuchen, den nationalen Lehrmeinungen entgegenzukommen. Einheitlichkeit ist kein Selbstzweck, vielmehr kann es sich die Europäische Union leisten, kulturelle und historische Unterschiede zu wahren und nationale Verfassungsidentitäten zu respektieren.

Thema: Islam und Alevitentum in Österreich

Mit dieser Veröffentlichung legen die Mitglieder des Instituts für Kirchenrecht und Religionsrecht Interessierten ein virtuelles Treffen von vier maßgeblichen Vertretern des Islam und Alevitentums vor: zwei Glaubensgemeinschaften (Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) und Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (ALEVI)) sowie zwei Bekenntnisgemeinschaften (Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft (AAGÖ) und Frei-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (FAGÖ)). Die Mitarbeiter des Instituts für Kirchenrecht und Religionsrecht hatten außerdem die Möglichkeit zu einem Austausch mit der Islamisch-Schiitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Von der Veröffentlichung wurde jedoch auf Bitte der Islamischen-Schiitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich abgesehen.

Nach einer überblicksmäßigen Einordnung in den Status quo laut geltender Rechtslage durch Prof. Dr. Andreas Kowatsch werden in den Kurzinterviews jeweils die Frage nach der Vertretung eines Teils der muslimischen bzw. alevitischen Gemeinschaft, Fragen der Verfassung, Anerkennung sowie die Bedeutung der einzelnen Gemeinschaften auf Hintergrund des Ausschließlichkeitsrechtes besprochen.

Die Interviews stellen die persönliche Meinung der einzelnen Interviewpartner dar. Intention der Mitarbeiter des Institutes war im Hinblick auf Information und Austausch die Möglichkeit zu bieten, an diesem virtuellen Round Table zwar einzeln, aber so doch für die eigene Glaubensgemeinschaft sprechend diese vorzustellen und aktuelle Herausforderungen anzusprechen.


Foto: Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich

Hüseyin Akmaz, Mürschid (Oberhaupt) der Alt-Aleviten in Österreich, kam 1978 nach Wien, hat Datentechnik studiert und wirkt seit 35 Jahren als IT-Techniker. Neben langjähriger Tätigkeit im Kurdischen Dachverband betreute er die Gründung der Alt-Alevitischen Glaubensgemeinschaft, die als Bekenntnisgemeinschaft staatlich 2013 eingerichtet wurde. Im Interview mit Univ.-Ass. Dr. Harald Tripp vertieft er die Charakteristik altalevitischen Glaubens im Unterschied zum Islam, erzählt von der Gründung der Bekenntnisgemeinschaft, von Organisation, Religionslehre sowie der erschwerten Situation der Religionsausübung in der Türkei, wobei eine Hauptforderung der Aleviten die Anerkennung der Cem-Häuser als Ort der Religionsausübung und damit eine Gleichstellung mit den Moscheen ist.


Foto: Frei-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich

Imet Mehmedi, albanisch-mazedonischer Abstammung, selbst für Jahre als Imam tätig und daher mit der islamischen Sichtweise vertraut, ist selbst kein Mitglied der Frei-Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (FAGÖ), war aber als Jurist von Anfang an in die wesentlichen Verhandlungen mit dem Kultusamt einbezogen. Auf Empfehlung der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FAGÖ, Frau Hatice Sahin Ilter, spricht er in seinen Ausführungen über die grundsätzlich drei Gruppierungen der Aleviten, den Anerkennungsprozess der FAGÖ als Bekenntnisgemeinschaft, die Lehre sowie die innere Verfassung der Frei-Aleviten.


Foto: Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich

Riza Sari, seit 47 Jahren in Österreich, ist stellvertretender Vorsitzender und Pressesprecher der Alevi. Er arbeitet als Beamter bei der Stadt Wien und ist ehrenamtlich in seiner Glaubensgemeinschaft seit 2013 tätig. Die Anerkennung in Österreich ist für Alevi einzigartig und stellt für die 60.000-80.000 Mitglieder in Österreich eine in der Welt rechtliche Besonderheit dar. In seinem Interview mit Univ.-Ass. Dr. Harald Tripp spricht Riza Sari über die Schwierigkeiten am Weg zur Anerkennung, die rechtlichen Schritte vor dem Verfassungsgerichtshof um aufzuzeigen, dass der Islam nicht eine Einheitsreligion sei, sondern verschiedene Facetten aufweise. Die Art und Weise der Anerkennung habe Vor-wie Nachteile, so könnten auch aus politischen Institutionen religiöse Institutionen entstehen, wie man es bei den Frei-Aleviten jüngst wahrnehmen könne. Anerkennung in Differenz kennzeichne hier aber das Religionsrecht in Österreich und Unterschiedlichkeit könne wohl auch ein Mehrwert sein. Weiters erklärt Riza Sari, wie eine Vereinsstruktur nach und nach auch in ihrer Verfassung und in ihren Ämtern entstanden und warum die EMRK in den Statuten erwähnt worden sei.


Foto: Taha Babadostu / IGGÖ

Ümit Vural ist Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, vertritt nicht nur die rund 500.000 Mitglieder der Islamischen Glaubensgemeinschaft, sondern ist selbst Jurist, seit Ende der Achtziger Jahre in Österreich. Er vertieft im Interview mit Univ. Ass. Dr. Harald Tripp den ursprünglich gesetzlichen Auftrag der IGGÖ nach dem Islamgesetz 1912, spricht von 2015 als einem Jahr großer Herausforderungen durch Migration aus Krisenländern wie Syrien, sowie der Angst vor Terrorismus und der Sorge um demographische Veränderung, die die Entstehung und Umsetzung des Islamgesetzes 2015 begleitet haben. Im Interview spricht er über gegenwärtige sowie über die vier Verfassungsänderungen innerhalb der IGGÖ seit 2015 und den gegenwärtigen Dialog mit den zuständigen Stellen. Er erklärt, warum die IGGÖ sich für das Kopftuch einsetzt und warum es den Religionsdialog braucht.


Islam und Alevitentum in Österreich

Ein religionsrechtlicher Überblick zur Interviewserie von rechtundreligion.at mit den Spitzenvertretern jener Religionsgemeinschaften, die nach dem österreichischen Recht dem Islam und/oder dem Alevitentum zugeordnet werden.

Die Annexion von Bosnien und Herzegowina durch Österreich im Jahr 1908 löste Bemühungen aus, eine gesetzliche Anerkennung der bosnischen Muslime zu finden und so eine materielle Gleichstellung mit den Angehörigen der anderen zum damaligen Zeitpunkt anerkannten Religionsgesellschaften herzustellen. 1912 wurde das Islamgesetz 1912 erlassen, das erst 103 Jahre später durch das Islamgesetz 2015 ersetzt wurde. Der Wortlaut des IslamG 1912 hatte die Anerkennung aufgrund der historischen Verbindung mit Bosnien-Herzegowina auf die Anhänger der hanafitischen Rechtsschule beschränkt. Im Zuge der Einwanderung tausender Muslime nach Österreich in den 1960er-Jahren verstärkten sich Bemühungen einer institutionellen Anerkennung des Islam. Erst 1979 wurde die erste Kultusgemeine aufgrund des IslamG 1912 errichtet und die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) durch die „genehmigende Kenntnisnahme“ ihrer Verfassung durch das staatliche Kultusamt – eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Besonderheit des österreichischen Religionsrechts – als Religionsgesellschaft anerkannt. Da das IslamG 1912 aber nach wie vor nur für die Anhänger der hanafitischen Rechtsschule galt, waren – neben internen Fragen und wohl auch aufgrund einer mittlerweile vielfältigen nationalen Herkunft der Muslime in Österreich – Konflikte vorprogrammiert.

In einem richtungsweisenden Erkenntnis hob der VfGH im Jahr 1987 (VfGH, 10.12.1987, G146/87, G147/87, VfSlg. 11574) die Wortfolge „nach hanafitischem Ritus“ als verfassungswidrig auf, sodass die bis dahin einzig bestehende Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich – durchaus in Übereinstimmung mit ihrem eigenen Selbstverständnis – die institutionelle Vertretung aller in Österreich lebenden Muslime übernahm. Für den Staat brachte das Vorhandensein eines einzigen Ansprechpartners durchaus auch pragmatische Vorteile mit sich. Solange Anspruch und Wirklichkeit nicht auseinanderfallen, ist dies auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht zu beeinspruchen. Sobald jedoch innerhalb einer religiösen Tradition einzelne Gruppierungen ihrem eigenen Selbstverständnis nach den Anspruch auf eine religiös-konfessionelle Eigenständigkeit innerhalb ihrer religiösen Großüberlieferung beanspruchen, obliegt es nicht dem religiös-weltanschaulich neutralen Staat zu entscheiden, ob es innerhalb einer Religion bloß eine oder mehrere „Konfessionen“ geben darf. Wie das Christentum ist auch der Islam in sich polyphon und vielgestaltig. Innerhalb der Großüberlieferungen der Sunniten und der Schiiten haben sich unterschiedliche Rechtsschulen entwickelt. Dazu kommen Phänomene am Rande der islamischen Tradition, die religionswissenschaftlich nur in Teilaspekten dem Islam zugeordnet werden können.

Die durch das Erkenntnis des VfGH 1987 resultierende Rechtslage bedingte Alleinvertretung durch die IGGÖ konnte nicht verhindern, dass neben nach außen getragenen internen Konflikten und unter dem Mantel der Religionszugehörigkeit nicht immer bewältigten sozio-ethnischen Spannungen die Diskussionen über die Möglichkeit einer rechtlichen Selbstständigkeit weiterer religiöser Gruppierungen innerhalb des Islam sukzessive lauter wurden.

(Islamisch-) Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich

Bemühungen des Kulturvereins der Aleviten in Wien auf staatliche. Eintragung nach dem Bekenntnisgemeinschaftengesetz (BekGG) im Jahr 2009 scheiterten mit dem Hinweis, dass das IslamG 1912 keine zusätzlichen islamischen Glaubensgemeinschaften zulasse. 2010 erklärte jedoch der VfGH im „Alevitenerkenntnis“ (VfGH 01.12.2010, B1214/09 VfSlg. 19240), dass diese Rechtsansicht verfassungswidrig sei. Nicht nur enthalte das IslamG kein Verbot der Anerkennung von mehr als bloß einer sich auf den Islam berufenen Glaubensgemeinschaft, eine solche Ansicht widerspreche zudem dem Recht auf freie Religionsausübung gem. Art. 9 EMRK.

Damit war die Grundlage gelegt, dass 2010 die Islamisch Alevitische Glaubensgemeinschaft als religiöse Bekenntnisgemeinschaft registriert werden konnte. Eine weitere Voraussetzung war die Übermittlung von Statuten und eine Darstellung der Lehre, um sicherzustellen, dass es sich um eine von der schon bestehenden Religionsgemeinschaft unterscheidbare Gruppierung handelt. Dies ist eine Konsequenz aus dem sog. „Ausschließlichkeitsrecht“, das den anerkannten Religionsgesellschaften verbürgt, gegenüber dem Staat und im staatlichen Recht die alleinige institutionelle Vertretung der Angehörigen eines bestimmten Religionsbekenntnisses zu sein. Auch wenn dieses institutionelle Recht in einer gewissen Spannung zur individuellen Religionsfreiheit steht, kommt in ihm der kooperative Charakter des österreichischen Religionsrechts zum Ausdruck.

2013 erreichte die Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft die Anerkennung als Religionsgesellschaft i.S.d. Art 15 StGG mit den damit verbundenen Rechten und Pflichten (u.a. Erteilung von Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen).

Der verschlungene Weg zur Eintragung der Frei-Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (FAGÖ)

§ 4 BekGG normiert eine Reihe von Voraussetzungen für die Statuten, um die staatliche Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft zu erlangen. Um die erwähnte Unterscheidbarkeit von bereits bestehenden Gemeinschaften zu gewährleisten, werden dort bestimmte Anforderungen an den Namen der Religionsgemeinschaft gestellt (Abs. 1 Z. 1.) Darüber hinaus muss die eigene Religionslehre dargestellt werden (Z. 2), um die staatliche Behörde, die selbst über keine Kompetenzen verfügt, religiöse Debatten zu entscheiden, beurteilen kann, ob es ich um eine von bereits bestehenden Religionsgemeinschaften unterscheidbare Gruppierung handelt. Mit dieser Genehmigungsvoraussetzung versetzt das BekGG den religiös-weltanschaulich neutralen Staat freilich trotz allem in die Rolle, religiöse Lehren inhaltlich bewerten zu müssen.

Um die Eintragung als Bekenntnisgemeinschaft zu erlangen, mussten unterschiedliche alevitische Gruppierungen Einigkeit über die alevitische Lehre erzielen. Dabei kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Föderation der Aleviten-Gemeinden in Österreich und dem Kulturverein der Aleviten in Wien. Diese betrafen vor allem die Frage, ob das Alevitentum eine – in aus dem christlichen Kontext stammender Terminologie ausgedrückt – „Konfession“ des Islam oder eine vom Islam unabhängige Religion sei.

Die Föderation der Aleviten-Gemeinden in Österreich machte sich für die Eintragung als eine vom Islam unabhängige Religionsgemeinschaft stark, während der Kulturverein der Aleviten in Wien sich dem Islam zugehörig verstand. Für Außenstehende kompliziert wurde die Angelegenheit dadurch, dass die Föderation eigentlich den Dachverband bildete, dem der Wiener Kulturverein angehörte.

Die Frage der Nähe und Distanz zum Islam kann eigentlich nur durch die Gläubigen selbst, nicht aber durch staatliche Hoheitsgewalt beantwortet werden. Durch die Anerkennung der Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft und ihrer späteren Anerkennung als Religionsgesellschaft wurden staatlicherseits aber Fakten geschaffen, mit denen die Anhänger der „nicht-islamischen“ Aleviten nicht leben konnten.

2015 trat das neue Islamgesetz in Kraft, welches das IslamG 1912 ersetzte. Das IslamG 2015 ist dadurch gekennzeichnet, dass es zugleich ein spezielles Anerkennungsgesetz für islamische Religionsgesellschaften bildet und die beiden bereits bestehenden Glaubensgemeinschaften (IGGÖ, Islamisch-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich) in einem besonderen Teil spezialgesetzlich anerkennt und religionsrechtliche Regelungen für diese trifft. Die Anerkennung weiterer Religionsgesellschaften, die nach dem eigenen Selbstverständnis islamisch sind, richtet sich daher in Zukunft nach dem IslamG, nicht nach dem AnerkennungsG 1874 (mit der zusätzlichen ins BekGG verirrten Norm des § 11 BekGG).

Islamische-Schiitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia)

Dies betrifft vor allem die 2013 staatlich eingetragene Islamische-Schiitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia), die nach eigenem Selbstverständnis zweifellos „islamisch“ ist und sich dennoch von der mehrheitlich sunnitisch geprägten IGGÖ nicht vertreten lassen wollte. Dass es auch innerhalb der IGGÖ schiitische Gruppen gibt, zeigt, wie komplex die islamische Vielfalt sich rechtlich darstellt. Mit der Eintragung der Schia jedenfalls erfolgte die zweite religionsrechtliche Anerkennung einer islamischen Glaubensgemeinschaft in der Logik des Alevitenerkentnisses des VfGH.

Nach der „neuerlichen“ Anerkennung überarbeiteten beide Islamischen Religionsgesellschaften ihre Verfassung. Die Islamisch-Alevitisch Glaubensgemeinschaft änderte ihren Namen, indem der Zusatz „Islamisch“ gestrichen wurde und nunmehr lautet: „Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich – ALEVI“. Auch wenn dadurch nach außen ein zusätzlicher Grad der Komplexität erreicht wurde, erfolgte keine Beeinspruchung seitens des Kultusamtes.

Ein erster Antrag der Föderation der Aleviten-Gemeinden in Österreich auf Eintragung als eine (nicht-islamische) alevitische Bekenntnisgemeinschaft war kurz nach mit dem Antrag des Kulturvereins gestellt worden. Zeitgleich mit der Eintragung der Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft wurde der Antrag der Föderation abgewiesen, da dieser sich inhaltlich nicht vom stattgegebenen Antrag des Kulturvereins unterschieden habe. Eine Beschwerde an den VwGH wurde eingestellt. Auch nach der Anerkennung der ALEVI als Religionsgesellschaft scheiterte die Föderation mit ihrem Begehren, als Bekenntnisgemeinschaft eingetragen zu werden, da die Statuten nicht ausreichend die Unterschiede der Lehre im Vergleich zur Lehre der ALEVI zum Ausdruck brächten (vgl. die beiden Entscheidungen VwGH, 05.11.2014, 2012/10/0005 und BVwG, 11.03.2016, W213 2113447-1). Die Föderation versuchte die Namensänderung der ALEVI zu beeinspruchen, was zu komplexen Fragen um die Parteistellung im Verwaltungsverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie über die Zuständigkeit des BVwG führte (vgl. ausführlich dazu: Stefan Hammer, Die Aleviten im österreichischen Religionsrecht – ein Kampf um Anerkennung. Der schwere Abschied vom Ausschließlichkeitsgrundsatz, in: öarr 2018, 1).

Noch im Jahr 2019 wies der VwGH in einem erneut angestrengten Verfahren die Revision der Föderation gegen eine Entscheidung des VwG Wien zurück (VwGH, 28.05.2019, Ra 2019/10/0049). Im selben Jahr ging die Föderation den Weg nach Strasbourg und brachte eine Beschwerde beim EGMR ein. 2020 stellte die Föderation einen neuerlichen Antrag auf Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft. Nach einer weiteren Modifizierung sollte die Eintragung als „Freie-Alevitische Bekenntnisgemeinschaft in Österreich“ erfolgen. Bevor der EGMR über Beschwerde urteilen konnte, gab das Kultusamt im März 2022 (GZ 2021-0.338.029, rechtskräftig mit 15.04.2022) den Anträgen schlussendlich statt, sodass die Frei-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (FAGÖ) als bislang letzte Bekenntnisgemeinschaft staatlich anerkannt wurde.

Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ)

Das Alevitentum kennt, anders als etwa Judentum, Christentum und Islam, keinen unvordenklichen schriftlichen „Kanon“ und ist mehr als viele andere religiöse Bewegungen durch eine vielfältige und anhaltende mündliche Überlieferung geprägt. Unterschiedliche „Alevitentümer“ sind daher auch mit der Vielfalt unterschiedlicher mündlicher Erzähltraditionen verbunden. Ethnische und politische Faktoren spielen ebenso eine Rolle. Die politischen Verhältnisse in der Türkei, dem Stammland der meisten Aleviten bzw. ihrer Vorfahren und im Einwanderungsland spielen ebenfalls eine Rolle für die Herausbildung unterschiedlicher Gruppierungen. Die Entwicklung unterschiedlicher Identitäten scheint in den Einwanderungsländern verstärkt stattzufinden (so Friedmann Eißler „Was wäre in der Türkei aus uns geworden?“ Wie sich die Gemeinschaft der Aleviten in der europäischen Diaspora neu erfindet, in: HK 10/2020, 30-33),

Die „Alt-Aleviten“ grenzen sich bewusst vom Islam ab und sehen islamische Elemente in der eigenen Religion sehr kritisch. Eine gesetzliche Anerkennung würde sich daher nicht im Rahmen des IslamG 2015 bewegen. Die meisten Mitglieder sind kurdischer Abstammung. Da die Verbindung zur ALEVI eine ganz andere ist, als sie es zumindest ursprünglich bei den Frei-Aleviten war, war der Weg zur staatlichen Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft für die Alt-Aleviten wesentlich weniger steinig. Die Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ) erlangte am 23. August 2013 die Rechtspersönlichkeit.

Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Andreas Kowatsch zum Thema „Religionsfreiheit in Zeiten der Pandemie? Anmerkungen aus der Sicht des Religionsrechts und des Kirchenrechts“

am Mittwoch, den 12. Oktober 2022 im Großen Festsaal der Universität Wien

In seiner Antrittsvorlesung widmete sich Univ.-Prof. Andreas Kowatsch zuerst den gemeinsamen Anstrengungen von Staat und Kirche in der Pandemiebekämpfung und ging dann auf das Erkenntnis des  österreichischen Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 2022 ein. Hier ortet Andreas Kowatsch einen „eindimensionalen Verlgeich“ zwischen Kunst, Kultur und Religion. Der VfGH maß in seinem Erkenntnis dem Art. 15 StGG keinerlei eigenständigen Wert bei. Das Erkenntnis suggeriert, dass die Religionsgesellschaften keine Coronaschutzmaßnahmen ergreifen mussten. In Wirklichkeit war auch die öffentliche Religionsausübung massiven Einschränkungen unterworfen.

„Die Religionsgesellschaften dürfen kritisch hinterfragen, ob sie tatsächlich immer bereit waren, die staatliche Erwartung, die Einhaltung der eigenen Maßnahmen konsequent auch gegenüber ihren Mitarbeitenden durchzusetzen, erfüllt haben. Der Verordnungsgeber darf sich fragen, ob die Bereichsausnahme für die Zusammenkünfte zur Religionsausübung nicht besser begründet hätte werden müssen. Der Normtext selbst hätte ausdrücken können, dass die Ausnahme nur gilt, wenn die Religionsgesellschaften auf der Grundlage von mit den zuständigen Staatsorganen erzielten Vereinbarungen eigenständige Maßnahme ergreifen. Insgesamt hat der österreichische Rechtsstaat die Belastungsprobe der Pandemie bislang gut bestanden.“

(c) Joseph Krpelan – der Knopfdrücker
Andreas Kowatschs Schlussworte bei seiner Antrittsvorlesung am 12. Oktober 2022

Die Antrittsvorlesung können Sie auf unserer Institutshomepage nachsehen.

Thema: Kategoriale Seelsorge

Nach coronabedingten Verschiebungen konnte das Seggauer Gespräch zu Staat und Kirche am 21. und 22. April 2022 auf Schloss Seggau in der Steiermark mittlerweile schon zum achten Mal stattfinden. Das Team des Instituts für Kirchenrecht und Religionsrecht hat das Thema der Tagung als Einladung verstanden, auf rechtundreligion.at ebenfalls zu einigen wichtigen Fragen zur „kategorialen Seelsorge“ aus religions- und kirchenrechtlicher Sicht Beiträge zu leisten und so in den Dialog zu treten. Diese thematische Andockung erfolgte in Absprache mit den Veranstaltern des Seggauer Gesprächs, denen wir dankbar sind, dass wir rechtundreligion.at im Rahmen der Tagung auch kurz vorstellen konnten. Zeitgleich mit dem Seggauer Gespräch erfolgte die Freischaltung unserer Beiträge über die (kategoriale) Seelsorge im Allgemeinen, die Krankenhaus- und die Militärseelsorge. Besonders freuen wir uns, dass Militärseelsorger aus vier verschiedenen Religionsgemeinschaften bereit waren, in Form von kurzen Videos ins Gespräch mit uns zu treten. In Vertretung des österreichischen Militärbischofs konnte Dr. Harald Tripp als Kanzler des Militärordinariates zudem selbst einen Vortrag auf Schloss Seggau halten. Aus seiner Feder stammt auch der hier veröffentlichte Tagungsbericht.

Unsere Beiträge zum Thema „Kategoriale Seelsorge“:


Titelbild: Pixabay

Tagungsbericht: Seggauer Gespräch zu Staat und Kirche (21.-22.04.2022) zum Thema „Kategoriale Seelsorge“

Die verschiedenen Formen kategorialer Seelsorger standen im Fokus der achten Seggauer Gespräche von 21. bis 22. April 2022 im südsteirischen Schloss Seggau. 2006 wurden die Seggauer Gespräche vom damaligen Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari initiiert und bieten ein Forum zum interdisziplinären Gespräch und zum Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis. Theologische, kirchenrechtliche und religionsrechtliche Probleme sowie Fragen aus der Praxis werden dabei fächerübergreifend behandelt. Träger dieser Kooperationsveranstaltung sind die Diözese Graz-Seckau, die Erzdiözese Salzburg, die Evangelische Superintendentur A.B. Steiermark, das Institut für Philosophie an der Grazer Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz sowie das Institut für Europarecht und Internationales Recht der Wirtschaftsuniversität Wien.

Bei dem zweitägigen Symposium unter der wissenschaftlichen Leitung von Verfassungsgerichtshofpräsident Univ.-Prof. Christoph Grabenwarter, Univ.-Prof. Reinhold Esterbauer (Institut für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät) sowie Univ.-Prof.in Katharina Pabel (Institut für Europarecht und Internationales Recht WU Wien) stand demnach insbesondere die Seelsorge für Soldaten, Kranke, Studierende und Gefangene im Zentrum der Vorträge. Unter den etwa 70 Teilnehmenden waren u.a. der Salzburger Erzbischof Franz Lackner und der Grazer Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl. Krautwaschl dankte den kategorialen Seelsorgenden für ihr Engagement. Sie hätten in Zeiten der Corona-Krise und des Kriegs in der Ukraine besondere Leistungen vollbracht.

Durch Seelsorge im Österreichischen Bundesheer solle, so der Ordinariatskanzler des Österreichischen Militärordinariats, Militärerzdekan Harald Tripp, der das Eröffnungsreferat in Vertretung des österreichischen Militärbischofs Dr. Werner Freistetter hielt, die Religionsausübung auch unter Umständen sichergestellt werden, die dem einzelnen die Grundrechtsausübung unmöglich machen oder doch wesentlich erschweren, so Tripp. Wichtig sei, so Tripp, dass der Militärseelsorger selbst nie die Spannung vergessen dürfe, in der er stehe: „Er repräsentiert eine Kirche, deren Sendung universal ist und für die Menschen unabhängig ihrer ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit gleich sind.“ Für die konkrete Seelsorge ergebe sich im Blick auf den Datenschutz ein Problem hinsichtlich des Charakters der Normierung, da eigentlich nicht die Erhebung selbst, sondern die Art der Einwilligung hinsichtlich der Erfassung und Bearbeitung einschließlich der Weitergabe an die Militärseelsorge für die Erfassung ihrer tatsächlichen Zahl der religiös zu betreuenden Personen im Blick auf eine Pastoral „im Ereignis“ hinderlich oder nachteilig sein könnte. Letztlich blieben auch einige offene Fragen hinsichtlich der Weitergabe der Daten an Dritte und gewisser Rechtsfolgen im Blick auf die Religionsausübung (z.B. Karfreitag). Das Österreichische Bundesheer biete „einen spannungsreichen Raum, um darin sein Christsein, sein Seelsorgersein zu verwirklichen“, so der Kanzler des Militärordinariats. Weitere religionsrechtliche Aspekte vertiefte Tripp im Blick auf die Bereiche der Entlohnung der griechisch-orientalischen, der muslimischen und jüdischen Militärseelsorger. Diese erhielten den hierfür erforderlichen Aufwand vom Bundesministerium für Landesverteidigung pauschal abgegolten. Für Tripp entspreche dieses „Outsourcing“ gerade im Bereich der Kirchen und Religionsgesellschaften sehr klar der Idee eines deutlich säkularen Staates.

Die Seelsorge in Krankenhäusern ist durch die Corona-Pandemie in den vergangenen Jahren vor Herausforderungen gestellt worden. „Bei uns geht es oft um die Grenzen des Lebens; um Therapieänderungen, um Therapieabbrüche, um vorgeburtliche Sterbefälle“, berichteten Detlev Schwarz, Koordinator der Krankenhausseelsorge der Erzdiözese Salzburg und Maria Berghofer, die diözesane Koordinatorin für die Krankenhausseelsorge in Graz. Waren die Krankenhausseelsorger früher noch für den sakramentalen Dienst zuständig wie die Taufe, Beichte, Krankensalbung oder das „Viaticum“, die letzte Kommunion, so sei man heute Berater und Gesprächspartner. Die Kirche erlebe hier immer mehr die Schnelllebigkeit der Zeit als Gemeinschaft an den Rändern des Lebens. In Zukunft ginge es darum, die „ethische Kompetenz in den Bereichen der Grenzen des Lebens“ zu schärfen, den „freien Zutritt der geistlichen Amtsträger zu ermöglichen“ und im Blick auf die neueren Herausforderungen durch den Datenschutz den „Modus im Blick auf den uneingeschränkten Zugang zu Patientenlisten bei Patientenanfragen“ neu zu denken sowie die Ehrenamtlichkeit in diesem kategorialen Bereich besser einzubinden und abzusichern.

Die deutsche evangelische Pfarrerin Christine Ostrick berichtete über ihre Tätigkeit in der größten Haftanstalt Deutschlands – jener in Berlin-Tegel mit 800 Insassen. Dort, wo die Behörde Straftäter sehe, sehe sie geliebte Kinder Gottes und versuche, „durch einen respektvollen Umgang einen positiven Blick zu bewahren und hilfreich zu sein, ohne jemanden auszuschließen oder sich mit jemandem zu verbrüdern“. Als Gefängnisseelsorgerin fühle sie sich erwünscht und verschmäht zugleich, aber „wenn man zwischen den Stühlen sitze“ wäre man da genau richtig. Wichtig wäre ihr „die Betonung und deutlichere Absicherung eines uneingeschränkten Rechts auf Seelsorge in den Haftanstalten“ auch in Zukunft.

Der Hochschulseelsorger und Dominikanerpater Max Cappabianca aus Berlin verwies auf drei Grundlagen, die allen Bereichen der kategorialen Seelsorge gemein sind: die Persönlichkeit der SeelsorgerInnen, die Präsenz bei den Menschen und die gute Beziehung zu ihnen. Damit stehe und falle die gelungene Seelsorge. Wenn diese gelinge, dann komme es „zum Kollateralnutzen für die Gesellschaft“, denn die Betreuten sind zufriedener, zuversichtlicher, werden schneller gesund und fühlten sich wohler.

Am zweiten Studientag standen die rechtlichen Rahmenbedingungen der kategorialen Seelsorge in Deutschland und in Österreich im Blickpunkt der Tagung. Prof. Jörg Ennuschat aus Bochum sprach über die Grundlagen in der Weimarer Reichsverfassung, um danach die kirchenvertraglichen und staatlichen Rechtsgrundlagen sowie Fragen der Organisation und Finanzierung sowie verfassungsrechtliche, politische und kirchliche Kritik besonders im Blick auf die Militärseelsorge aufzuwerfen. Es bestünde gegenwärtig in Deutschland vor allem der Vorwurf, die gegenwärtige Situation der Militärseelsorge sei ein Verstoß gegen die Trennung von Staat und Kirche und gegen das Gebot der Nichtidentifikation. Zwar stelle Art. 141 Weimarer Reichsverfassung mit Blick auf das Trennungsgebot „eine Ausnahmenorm dar, die eng auszulegen sei und nur den Zutritt des Seelsorgepersonals gewähre“, nicht aber die aktive staatliche Förderung, Organisation und Finanzierung der Militärseelsorge. Laut Ennuschat enthalte das Grundgesetz „kein striktes Trennungsverbot, es belasse dem Staat vielmehr Gestaltungsspielräume“. Neu ist in Deutschland sei Errichtung der jüdischen Militärseelsorge und die Diskussion einer muslimischen Militärseelsorge, wobei es derzeit eine zentrale Ansprechstelle für den Umgang mit Vielfalt als Zwischenlösung gäbe, vielleicht auch in Zukunft muslimische Seelsorger auf Honorarbasis anzustellen. In seinen Ausführungen befasste sich Ennuschat weiters mit den Rechtsgrundlagen, der Organisation und mit der Finanzierung der Bundespolizeiseelsorge, der Gefängnis-, Krankenhaus- , und Hochschulseelsorge. In der Regel gäbe es bewährte rechtliche Rahmenbedingungen für die kategoriale Seelsorge in Deutschland, offene Fragen bestünden hinsichtlich der muslimischen Seelsorge insbesondere bei Bundeswehr und im Strafvollzug. Im deutschen Religionsverfassungsrecht bestünden im Blick auf die kategoriale Seelsorge häufig Verträge bzw. Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche, teils detailliert wie bei Militär oder Bundespolizei, in den anderen Bereichen existierten diese eher rudimentär, selten würden nähere bundes- oder landesgesetzliche Regelungen durch ein Gesetz bestehen, zudem wohl selten in der kategorialen Seelsorge auch innerkirchliche Regelungen.

Stephan Hinghofer-Szalkay vom Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen in Graz und Mitarbeiter des Kultusamtes im Bundeskanzleramt beleuchtete in seinen Ausführungen den verfassungs- und kultusrechtlichen Rahmen der kategorialen Seelsorge in Österreich. Während in Deutschland Art. 141 Weimarer Reichsverfassung in das „neue verfassungsrechtliche Biotop“ des Grundgesetzes transplantiert worden wäre, fand die kategoriale Seelsorge in der Verfassungsgesetzgebung der frühen Zweiten Republik kein entsprechendes Echo. Noch deutlicher würde dies an Hand des Österreich-Konvents: Der Ausschussbericht über einen Grundrechtskatalog weise, laut Hinghofer „keine Spuren einer möglichen Verankerung“ auf. Auch ohne eine derartige Verankerung sei kategoriale Seelsorge Ausdruck verfassungsrechtlicher Garantien der Religionsfreiheit. Im Bereich der Militärseelsorge erfolge eine „starke symbolische Dimension bei der Verschränkung staatlicher und kirchlich/ religionsgesellschaftlicher Symbole und Normen“. Sonderprobleme ergäben sich durch die Bezeichnung „Strenggläubige“ vor allem im islamischen und israelitischen Bereich hinsichtlich der Feststellung und des Entzugs und Mitgliedschaft bei Religionsgesellschaften. Hinghofer verwies darauf, dass „das Recht der kategorialen Seelsorge keine explizite Verankerung im österreichischen Verfassungsrecht“ finden würde, jedoch Ausdruck verfassungsrechtlich geschützter subjektiver Rechte sowie der Kooperation mit anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften sei. Die korporative und die individuelle Dimension der Seelsorge wären dabei untrennbar verbunden. Insbesondere in der Militärseelsorge spiegle sich zudem von jeher die Verfasstheit des politischen Gemeinwesens im Verhältnis zur Religion wider. Neuere Entwicklungen würden in Richtung einer „abnehmenden institutionellen Unterstützung des Staates gehen“, was in Paritätsverzerrungen resultiere. Auffallend sei das Abweichen vom Modell der Finanzierung der Militärseelsorge durch staatlich besoldetes Personal.

Zu erwähnen sei nach österreichischem Religionsrecht, dass sowohl in der Gefangenen- als auch der Militärseelsorge im Zweifel auf das konkrete Bedürfnis nach Seelsorge abgestellt würde, welches sich an der höchstpersönlichen Einstellung orientierte, nicht jedoch an der Mitgliedschaft nach staatlichem Recht. Umgekehrt würde nach Meinung Hinghofers aus der Entscheidung für die Mitgliedschaft zu einer Kirche oder Religionsgesellschaft nicht zwingend die Zustimmung zur Übermittlung jener Daten abgeleitet, welche diese für ein aktives Seelsorgeangebot benötigte.

Grundsätzlich bleibe das Recht kategorialer Seelsorge Gradmesser für das Verhältnis von Staat und Religion. Das Recht reagiere überall dort mit Bestimmungen zur kategorialen Seelsorge, wo „die Freiheit des autonomen individuellen Zugangs zur Seelsorge eingeschränkt ist – sei es durch Einschränkungen durch den Staat selbst etwa für Soldaten und Gefangene, sei es durch faktische Einschränkungen durch Krankheit oder Alter.“ Das Modell inklusiver Kooperation erlaube es daher in Österreich, den für freie Religionsausübung erforderlichen Raum zu schaffen, ohne dabei die Autonomie von Religionsgemeinschaften oder andere legitime Interessen unverhältnismäßig zu beeinträchtigen.

Sehr zu danken gilt allen OrganisatorInnen und ReferentInnen der Tagung sowie den TeilnehmerInnen für die anregenden und wertvollen sowie inspirierenden Gespräche und Diskussionen in den Pausen. Zu danken sei auch einigen AutorInnen für die Zusendung Ihrer Referate zur Abfassung dieses Tagungsberichtes. Es hat sich auch diesmal gezeigt: Wenn der Staat also die Ausübung religiöser Praxis durch organisatorische Maßnahmen oder finanzielle Mittel unterstützt, darf er dabei zweifellos nicht privilegieren oder diskriminieren, vielmehr fördert jedoch eine gesunde Kooperation „den Kollateralnutzen“ in gemeinsamen Bereichen von Staat und Kirche. Die Religionsfreiheit wird damit in diesen besonderen Bereichen bürgerlichen Lebens durch staatliches Recht verankert und als Freiheit allen BürgerInnen gewährleistet.


Fotos: Gerd Neuhold / Sonntagsblatt für Steiermark