Thema: Islam und Alevitentum in Österreich

Mit dieser Veröffentlichung legen die Mitglieder des Instituts für Kirchenrecht und Religionsrecht Interessierten ein virtuelles Treffen von vier maßgeblichen Vertretern des Islam und Alevitentums vor: zwei Glaubensgemeinschaften (Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) und Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (ALEVI)) sowie zwei Bekenntnisgemeinschaften (Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft (AAGÖ) und Frei-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (FAGÖ)). Die Mitarbeiter des Instituts für Kirchenrecht und Religionsrecht hatten außerdem die Möglichkeit zu einem Austausch mit der Islamisch-Schiitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Von der Veröffentlichung wurde jedoch auf Bitte der Islamischen-Schiitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich abgesehen.

Nach einer überblicksmäßigen Einordnung in den Status quo laut geltender Rechtslage durch Prof. Dr. Andreas Kowatsch werden in den Kurzinterviews jeweils die Frage nach der Vertretung eines Teils der muslimischen bzw. alevitischen Gemeinschaft, Fragen der Verfassung, Anerkennung sowie die Bedeutung der einzelnen Gemeinschaften auf Hintergrund des Ausschließlichkeitsrechtes besprochen.

Die Interviews stellen die persönliche Meinung der einzelnen Interviewpartner dar. Intention der Mitarbeiter des Institutes war im Hinblick auf Information und Austausch die Möglichkeit zu bieten, an diesem virtuellen Round Table zwar einzeln, aber so doch für die eigene Glaubensgemeinschaft sprechend diese vorzustellen und aktuelle Herausforderungen anzusprechen.


Foto: Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich

Hüseyin Akmaz, Mürschid (Oberhaupt) der Alt-Aleviten in Österreich, kam 1978 nach Wien, hat Datentechnik studiert und wirkt seit 35 Jahren als IT-Techniker. Neben langjähriger Tätigkeit im Kurdischen Dachverband betreute er die Gründung der Alt-Alevitischen Glaubensgemeinschaft, die als Bekenntnisgemeinschaft staatlich 2013 eingerichtet wurde. Im Interview mit Univ.-Ass. Dr. Harald Tripp vertieft er die Charakteristik altalevitischen Glaubens im Unterschied zum Islam, erzählt von der Gründung der Bekenntnisgemeinschaft, von Organisation, Religionslehre sowie der erschwerten Situation der Religionsausübung in der Türkei, wobei eine Hauptforderung der Aleviten die Anerkennung der Cem-Häuser als Ort der Religionsausübung und damit eine Gleichstellung mit den Moscheen ist.


Foto: Frei-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich

Imet Mehmedi, albanisch-mazedonischer Abstammung, selbst für Jahre als Imam tätig und daher mit der islamischen Sichtweise vertraut, ist selbst kein Mitglied der Frei-Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (FAGÖ), war aber als Jurist von Anfang an in die wesentlichen Verhandlungen mit dem Kultusamt einbezogen. Auf Empfehlung der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FAGÖ, Frau Hatice Sahin Ilter, spricht er in seinen Ausführungen über die grundsätzlich drei Gruppierungen der Aleviten, den Anerkennungsprozess der FAGÖ als Bekenntnisgemeinschaft, die Lehre sowie die innere Verfassung der Frei-Aleviten.


Foto: Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich

Riza Sari, seit 47 Jahren in Österreich, ist stellvertretender Vorsitzender und Pressesprecher der Alevi. Er arbeitet als Beamter bei der Stadt Wien und ist ehrenamtlich in seiner Glaubensgemeinschaft seit 2013 tätig. Die Anerkennung in Österreich ist für Alevi einzigartig und stellt für die 60.000-80.000 Mitglieder in Österreich eine in der Welt rechtliche Besonderheit dar. In seinem Interview mit Univ.-Ass. Dr. Harald Tripp spricht Riza Sari über die Schwierigkeiten am Weg zur Anerkennung, die rechtlichen Schritte vor dem Verfassungsgerichtshof um aufzuzeigen, dass der Islam nicht eine Einheitsreligion sei, sondern verschiedene Facetten aufweise. Die Art und Weise der Anerkennung habe Vor-wie Nachteile, so könnten auch aus politischen Institutionen religiöse Institutionen entstehen, wie man es bei den Frei-Aleviten jüngst wahrnehmen könne. Anerkennung in Differenz kennzeichne hier aber das Religionsrecht in Österreich und Unterschiedlichkeit könne wohl auch ein Mehrwert sein. Weiters erklärt Riza Sari, wie eine Vereinsstruktur nach und nach auch in ihrer Verfassung und in ihren Ämtern entstanden und warum die EMRK in den Statuten erwähnt worden sei.


Foto: Taha Babadostu / IGGÖ

Ümit Vural ist Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, vertritt nicht nur die rund 500.000 Mitglieder der Islamischen Glaubensgemeinschaft, sondern ist selbst Jurist, seit Ende der Achtziger Jahre in Österreich. Er vertieft im Interview mit Univ. Ass. Dr. Harald Tripp den ursprünglich gesetzlichen Auftrag der IGGÖ nach dem Islamgesetz 1912, spricht von 2015 als einem Jahr großer Herausforderungen durch Migration aus Krisenländern wie Syrien, sowie der Angst vor Terrorismus und der Sorge um demographische Veränderung, die die Entstehung und Umsetzung des Islamgesetzes 2015 begleitet haben. Im Interview spricht er über gegenwärtige sowie über die vier Verfassungsänderungen innerhalb der IGGÖ seit 2015 und den gegenwärtigen Dialog mit den zuständigen Stellen. Er erklärt, warum die IGGÖ sich für das Kopftuch einsetzt und warum es den Religionsdialog braucht.


Islam und Alevitentum in Österreich

Ein religionsrechtlicher Überblick zur Interviewserie von rechtundreligion.at mit den Spitzenvertretern jener Religionsgemeinschaften, die nach dem österreichischen Recht dem Islam und/oder dem Alevitentum zugeordnet werden.

Die Annexion von Bosnien und Herzegowina durch Österreich im Jahr 1908 löste Bemühungen aus, eine gesetzliche Anerkennung der bosnischen Muslime zu finden und so eine materielle Gleichstellung mit den Angehörigen der anderen zum damaligen Zeitpunkt anerkannten Religionsgesellschaften herzustellen. 1912 wurde das Islamgesetz 1912 erlassen, das erst 103 Jahre später durch das Islamgesetz 2015 ersetzt wurde. Der Wortlaut des IslamG 1912 hatte die Anerkennung aufgrund der historischen Verbindung mit Bosnien-Herzegowina auf die Anhänger der hanafitischen Rechtsschule beschränkt. Im Zuge der Einwanderung tausender Muslime nach Österreich in den 1960er-Jahren verstärkten sich Bemühungen einer institutionellen Anerkennung des Islam. Erst 1979 wurde die erste Kultusgemeine aufgrund des IslamG 1912 errichtet und die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) durch die „genehmigende Kenntnisnahme“ ihrer Verfassung durch das staatliche Kultusamt – eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Besonderheit des österreichischen Religionsrechts – als Religionsgesellschaft anerkannt. Da das IslamG 1912 aber nach wie vor nur für die Anhänger der hanafitischen Rechtsschule galt, waren – neben internen Fragen und wohl auch aufgrund einer mittlerweile vielfältigen nationalen Herkunft der Muslime in Österreich – Konflikte vorprogrammiert.

In einem richtungsweisenden Erkenntnis hob der VfGH im Jahr 1987 (VfGH, 10.12.1987, G146/87, G147/87, VfSlg. 11574) die Wortfolge „nach hanafitischem Ritus“ als verfassungswidrig auf, sodass die bis dahin einzig bestehende Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich – durchaus in Übereinstimmung mit ihrem eigenen Selbstverständnis – die institutionelle Vertretung aller in Österreich lebenden Muslime übernahm. Für den Staat brachte das Vorhandensein eines einzigen Ansprechpartners durchaus auch pragmatische Vorteile mit sich. Solange Anspruch und Wirklichkeit nicht auseinanderfallen, ist dies auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht zu beeinspruchen. Sobald jedoch innerhalb einer religiösen Tradition einzelne Gruppierungen ihrem eigenen Selbstverständnis nach den Anspruch auf eine religiös-konfessionelle Eigenständigkeit innerhalb ihrer religiösen Großüberlieferung beanspruchen, obliegt es nicht dem religiös-weltanschaulich neutralen Staat zu entscheiden, ob es innerhalb einer Religion bloß eine oder mehrere „Konfessionen“ geben darf. Wie das Christentum ist auch der Islam in sich polyphon und vielgestaltig. Innerhalb der Großüberlieferungen der Sunniten und der Schiiten haben sich unterschiedliche Rechtsschulen entwickelt. Dazu kommen Phänomene am Rande der islamischen Tradition, die religionswissenschaftlich nur in Teilaspekten dem Islam zugeordnet werden können.

Die durch das Erkenntnis des VfGH 1987 resultierende Rechtslage bedingte Alleinvertretung durch die IGGÖ konnte nicht verhindern, dass neben nach außen getragenen internen Konflikten und unter dem Mantel der Religionszugehörigkeit nicht immer bewältigten sozio-ethnischen Spannungen die Diskussionen über die Möglichkeit einer rechtlichen Selbstständigkeit weiterer religiöser Gruppierungen innerhalb des Islam sukzessive lauter wurden.

(Islamisch-) Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich

Bemühungen des Kulturvereins der Aleviten in Wien auf staatliche. Eintragung nach dem Bekenntnisgemeinschaftengesetz (BekGG) im Jahr 2009 scheiterten mit dem Hinweis, dass das IslamG 1912 keine zusätzlichen islamischen Glaubensgemeinschaften zulasse. 2010 erklärte jedoch der VfGH im „Alevitenerkenntnis“ (VfGH 01.12.2010, B1214/09 VfSlg. 19240), dass diese Rechtsansicht verfassungswidrig sei. Nicht nur enthalte das IslamG kein Verbot der Anerkennung von mehr als bloß einer sich auf den Islam berufenen Glaubensgemeinschaft, eine solche Ansicht widerspreche zudem dem Recht auf freie Religionsausübung gem. Art. 9 EMRK.

Damit war die Grundlage gelegt, dass 2010 die Islamisch Alevitische Glaubensgemeinschaft als religiöse Bekenntnisgemeinschaft registriert werden konnte. Eine weitere Voraussetzung war die Übermittlung von Statuten und eine Darstellung der Lehre, um sicherzustellen, dass es sich um eine von der schon bestehenden Religionsgemeinschaft unterscheidbare Gruppierung handelt. Dies ist eine Konsequenz aus dem sog. „Ausschließlichkeitsrecht“, das den anerkannten Religionsgesellschaften verbürgt, gegenüber dem Staat und im staatlichen Recht die alleinige institutionelle Vertretung der Angehörigen eines bestimmten Religionsbekenntnisses zu sein. Auch wenn dieses institutionelle Recht in einer gewissen Spannung zur individuellen Religionsfreiheit steht, kommt in ihm der kooperative Charakter des österreichischen Religionsrechts zum Ausdruck.

2013 erreichte die Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft die Anerkennung als Religionsgesellschaft i.S.d. Art 15 StGG mit den damit verbundenen Rechten und Pflichten (u.a. Erteilung von Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen).

Der verschlungene Weg zur Eintragung der Frei-Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (FAGÖ)

§ 4 BekGG normiert eine Reihe von Voraussetzungen für die Statuten, um die staatliche Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft zu erlangen. Um die erwähnte Unterscheidbarkeit von bereits bestehenden Gemeinschaften zu gewährleisten, werden dort bestimmte Anforderungen an den Namen der Religionsgemeinschaft gestellt (Abs. 1 Z. 1.) Darüber hinaus muss die eigene Religionslehre dargestellt werden (Z. 2), um die staatliche Behörde, die selbst über keine Kompetenzen verfügt, religiöse Debatten zu entscheiden, beurteilen kann, ob es ich um eine von bereits bestehenden Religionsgemeinschaften unterscheidbare Gruppierung handelt. Mit dieser Genehmigungsvoraussetzung versetzt das BekGG den religiös-weltanschaulich neutralen Staat freilich trotz allem in die Rolle, religiöse Lehren inhaltlich bewerten zu müssen.

Um die Eintragung als Bekenntnisgemeinschaft zu erlangen, mussten unterschiedliche alevitische Gruppierungen Einigkeit über die alevitische Lehre erzielen. Dabei kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Föderation der Aleviten-Gemeinden in Österreich und dem Kulturverein der Aleviten in Wien. Diese betrafen vor allem die Frage, ob das Alevitentum eine – in aus dem christlichen Kontext stammender Terminologie ausgedrückt – „Konfession“ des Islam oder eine vom Islam unabhängige Religion sei.

Die Föderation der Aleviten-Gemeinden in Österreich machte sich für die Eintragung als eine vom Islam unabhängige Religionsgemeinschaft stark, während der Kulturverein der Aleviten in Wien sich dem Islam zugehörig verstand. Für Außenstehende kompliziert wurde die Angelegenheit dadurch, dass die Föderation eigentlich den Dachverband bildete, dem der Wiener Kulturverein angehörte.

Die Frage der Nähe und Distanz zum Islam kann eigentlich nur durch die Gläubigen selbst, nicht aber durch staatliche Hoheitsgewalt beantwortet werden. Durch die Anerkennung der Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft und ihrer späteren Anerkennung als Religionsgesellschaft wurden staatlicherseits aber Fakten geschaffen, mit denen die Anhänger der „nicht-islamischen“ Aleviten nicht leben konnten.

2015 trat das neue Islamgesetz in Kraft, welches das IslamG 1912 ersetzte. Das IslamG 2015 ist dadurch gekennzeichnet, dass es zugleich ein spezielles Anerkennungsgesetz für islamische Religionsgesellschaften bildet und die beiden bereits bestehenden Glaubensgemeinschaften (IGGÖ, Islamisch-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich) in einem besonderen Teil spezialgesetzlich anerkennt und religionsrechtliche Regelungen für diese trifft. Die Anerkennung weiterer Religionsgesellschaften, die nach dem eigenen Selbstverständnis islamisch sind, richtet sich daher in Zukunft nach dem IslamG, nicht nach dem AnerkennungsG 1874 (mit der zusätzlichen ins BekGG verirrten Norm des § 11 BekGG).

Islamische-Schiitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia)

Dies betrifft vor allem die 2013 staatlich eingetragene Islamische-Schiitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia), die nach eigenem Selbstverständnis zweifellos „islamisch“ ist und sich dennoch von der mehrheitlich sunnitisch geprägten IGGÖ nicht vertreten lassen wollte. Dass es auch innerhalb der IGGÖ schiitische Gruppen gibt, zeigt, wie komplex die islamische Vielfalt sich rechtlich darstellt. Mit der Eintragung der Schia jedenfalls erfolgte die zweite religionsrechtliche Anerkennung einer islamischen Glaubensgemeinschaft in der Logik des Alevitenerkentnisses des VfGH.

Nach der „neuerlichen“ Anerkennung überarbeiteten beide Islamischen Religionsgesellschaften ihre Verfassung. Die Islamisch-Alevitisch Glaubensgemeinschaft änderte ihren Namen, indem der Zusatz „Islamisch“ gestrichen wurde und nunmehr lautet: „Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich – ALEVI“. Auch wenn dadurch nach außen ein zusätzlicher Grad der Komplexität erreicht wurde, erfolgte keine Beeinspruchung seitens des Kultusamtes.

Ein erster Antrag der Föderation der Aleviten-Gemeinden in Österreich auf Eintragung als eine (nicht-islamische) alevitische Bekenntnisgemeinschaft war kurz nach mit dem Antrag des Kulturvereins gestellt worden. Zeitgleich mit der Eintragung der Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft wurde der Antrag der Föderation abgewiesen, da dieser sich inhaltlich nicht vom stattgegebenen Antrag des Kulturvereins unterschieden habe. Eine Beschwerde an den VwGH wurde eingestellt. Auch nach der Anerkennung der ALEVI als Religionsgesellschaft scheiterte die Föderation mit ihrem Begehren, als Bekenntnisgemeinschaft eingetragen zu werden, da die Statuten nicht ausreichend die Unterschiede der Lehre im Vergleich zur Lehre der ALEVI zum Ausdruck brächten (vgl. die beiden Entscheidungen VwGH, 05.11.2014, 2012/10/0005 und BVwG, 11.03.2016, W213 2113447-1). Die Föderation versuchte die Namensänderung der ALEVI zu beeinspruchen, was zu komplexen Fragen um die Parteistellung im Verwaltungsverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie über die Zuständigkeit des BVwG führte (vgl. ausführlich dazu: Stefan Hammer, Die Aleviten im österreichischen Religionsrecht – ein Kampf um Anerkennung. Der schwere Abschied vom Ausschließlichkeitsgrundsatz, in: öarr 2018, 1).

Noch im Jahr 2019 wies der VwGH in einem erneut angestrengten Verfahren die Revision der Föderation gegen eine Entscheidung des VwG Wien zurück (VwGH, 28.05.2019, Ra 2019/10/0049). Im selben Jahr ging die Föderation den Weg nach Strasbourg und brachte eine Beschwerde beim EGMR ein. 2020 stellte die Föderation einen neuerlichen Antrag auf Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft. Nach einer weiteren Modifizierung sollte die Eintragung als „Freie-Alevitische Bekenntnisgemeinschaft in Österreich“ erfolgen. Bevor der EGMR über Beschwerde urteilen konnte, gab das Kultusamt im März 2022 (GZ 2021-0.338.029, rechtskräftig mit 15.04.2022) den Anträgen schlussendlich statt, sodass die Frei-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (FAGÖ) als bislang letzte Bekenntnisgemeinschaft staatlich anerkannt wurde.

Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ)

Das Alevitentum kennt, anders als etwa Judentum, Christentum und Islam, keinen unvordenklichen schriftlichen „Kanon“ und ist mehr als viele andere religiöse Bewegungen durch eine vielfältige und anhaltende mündliche Überlieferung geprägt. Unterschiedliche „Alevitentümer“ sind daher auch mit der Vielfalt unterschiedlicher mündlicher Erzähltraditionen verbunden. Ethnische und politische Faktoren spielen ebenso eine Rolle. Die politischen Verhältnisse in der Türkei, dem Stammland der meisten Aleviten bzw. ihrer Vorfahren und im Einwanderungsland spielen ebenfalls eine Rolle für die Herausbildung unterschiedlicher Gruppierungen. Die Entwicklung unterschiedlicher Identitäten scheint in den Einwanderungsländern verstärkt stattzufinden (so Friedmann Eißler „Was wäre in der Türkei aus uns geworden?“ Wie sich die Gemeinschaft der Aleviten in der europäischen Diaspora neu erfindet, in: HK 10/2020, 30-33),

Die „Alt-Aleviten“ grenzen sich bewusst vom Islam ab und sehen islamische Elemente in der eigenen Religion sehr kritisch. Eine gesetzliche Anerkennung würde sich daher nicht im Rahmen des IslamG 2015 bewegen. Die meisten Mitglieder sind kurdischer Abstammung. Da die Verbindung zur ALEVI eine ganz andere ist, als sie es zumindest ursprünglich bei den Frei-Aleviten war, war der Weg zur staatlichen Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft für die Alt-Aleviten wesentlich weniger steinig. Die Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ) erlangte am 23. August 2013 die Rechtspersönlichkeit.

Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Andreas Kowatsch zum Thema „Religionsfreiheit in Zeiten der Pandemie? Anmerkungen aus der Sicht des Religionsrechts und des Kirchenrechts“

am Mittwoch, den 12. Oktober 2022 im Großen Festsaal der Universität Wien

In seiner Antrittsvorlesung widmete sich Univ.-Prof. Andreas Kowatsch zuerst den gemeinsamen Anstrengungen von Staat und Kirche in der Pandemiebekämpfung und ging dann auf das Erkenntnis des  österreichischen Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 2022 ein. Hier ortet Andreas Kowatsch einen „eindimensionalen Verlgeich“ zwischen Kunst, Kultur und Religion. Der VfGH maß in seinem Erkenntnis dem Art. 15 StGG keinerlei eigenständigen Wert bei. Das Erkenntnis suggeriert, dass die Religionsgesellschaften keine Coronaschutzmaßnahmen ergreifen mussten. In Wirklichkeit war auch die öffentliche Religionsausübung massiven Einschränkungen unterworfen.

„Die Religionsgesellschaften dürfen kritisch hinterfragen, ob sie tatsächlich immer bereit waren, die staatliche Erwartung, die Einhaltung der eigenen Maßnahmen konsequent auch gegenüber ihren Mitarbeitenden durchzusetzen, erfüllt haben. Der Verordnungsgeber darf sich fragen, ob die Bereichsausnahme für die Zusammenkünfte zur Religionsausübung nicht besser begründet hätte werden müssen. Der Normtext selbst hätte ausdrücken können, dass die Ausnahme nur gilt, wenn die Religionsgesellschaften auf der Grundlage von mit den zuständigen Staatsorganen erzielten Vereinbarungen eigenständige Maßnahme ergreifen. Insgesamt hat der österreichische Rechtsstaat die Belastungsprobe der Pandemie bislang gut bestanden.“

(c) Joseph Krpelan – der Knopfdrücker
Andreas Kowatschs Schlussworte bei seiner Antrittsvorlesung am 12. Oktober 2022

Die Antrittsvorlesung können Sie auf unserer Institutshomepage nachsehen.

Sommerlektüre: Kirchenfinanzierung in Österreich und in Deutschland

Zur Kirchenfinanzierung werden oftmals übereilt zwei Aussagen getätigt. Die Erste ist das geflügelte Wort bzw. der Stehsatz „Die Kirche und das liebe Geld …“ und beschreibt ein ambivalentes Verhältnis, dass eine verschleierte Finanzgebarung andeuten mag. Die zweite Aussage ist ein Ausschnitt aus dem Münzlogion mit dem viel zitierten Wort Jesu „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gott ist!“ (Mt 22,21)1. Aber was und wie viel ist eigentlich das, was Gott geschuldet wird? Die finanziellen Mittel der kirchlichen Organisation, ihre Beschaffung, ihr Einsatz und die Botschaft des Evangeliums werden oftmals in ein Spannungsverhältnis gebracht, was auf den ersten Blick die Kirche und das Geld radikal spaltet. Zusätzlich ist dieses Thema eines, welches im modernen Zusammenspiel von Staat und Kirche Emotionen erregt und für Diskussionsbedarf sorgt. Angelehnt an den Ausspruch Jesu kann provokativ nicht nur die Frage gestellt werden, was Gott gegeben werden muss oder was dem Kaiser gegeben werden muss, sondern schuldet auch der Kaiser (also staatliche Macht) etwas Gott?

Im folgenden Interview befassen sich Prof. Matthias Pulte aus Mainz und Univ.-Prof. Andreas Kowatsch aus Wien mit der Thematik der Finanzierung von Kirchen und Religionsgesellschaften und gehen besonders auf die innerkirchlichen Regelungen der katholischen Kirche ein. Das Interview führte Univ.-Ass. Florian Pichler.


Foto: Sebastian Holzbrecher

Foto: Armin Hubner
Matthias Pulte lehrt seit 2010 Kanonisches Recht an der Johannes Gutenberg Universität Mainz.
2014 erschien sein Werk: Hense / Pulte (Hgg.), Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Staat und Katholischer Kirche in Deutschland (Kirchen- und Staatskirchenrecht Bd. 17). ISBN 978-3-506-77882-6
Andreas Kowatsch ist seit 2019 Universitätsprofessor für Kirchenrecht und Religionsrecht an der Universität Wien. 2020 publizierte er als Herausgeber: Kowatsch (Hg.), Vom Ererbten und Anvertrauten Die kirchliche Vermögensverwaltung auf dem Prüfstand. ISBN: 978-3-8306-8126-7

Schuldet der Kaiser etwas Gott? Was beide Staaten historisch trennt und eint

Staatsleistungen2 an Kirchen werden in Deutschland heftiger kritisiert als in Österreich. Trotzdem lohnt es sich, den Blick in die BRD zu lenken und anschließend den Vergleich zu Österreich zu ziehen. Dabei wird sich herausstellen, dass dies gar nicht so einfach zu vergleichen ist. Wie so oft sind Finanzierungsmodelle historisch gewachsen …

Finanzierungssysteme mit Geschichte

Interviewpartner Matthias Pulte betont dabei die Subsistenzwirtschaft der mittelalterlichen Kirche in Mitteleuropa. Große Spenden und Schenkungen begründeten seit der Antike ein kirchliches Vermögen, das kirchlicher- und staatlicherseits mit einem Alienationsverbot belegt war. Amortisationsgesetze folgten auf diese im 14. Jahrhundert. Eine entscheidende Wende brachte § 68 des Reichsdeputationshauptschlusses3 von 1803, der zu einer Enteignung kirchlicher Güter führte. Es fehlte ab diesem Zeitpunkt an finanziellen Mitteln, um „die Kernbereiche von Caritas und Verkündigung abzudecken“, meint Matthias Pulte. Staatlicherseits wird anschließend die Initiative ergriffen, Steuerleistungen für diese Zwecke der Kirchen einzuheben. 1827 ist das erste dieser Steuergesetze im Lippischen nachzuweisen. Dieses und weitere Gesetze sind Folgen der zwei großen Enteignungen kirchlichen Besitzes in der Reformation und 1804. Der Staat schloss Rückübereignungen aus, sodass Entschädigungsleistungen festgesetzt und ausgezahlt wurden. Der bis heute übergeleitete Art. 138 (1) der Weimarer Reichsverfassung bestätigt diese historisch begründeten Staatsleistungen an Kirchen und Religionsgemeinschaften und verweist sie an die Landesgesetzgeber. Gegenwärtig stehen verschiedene Ablösevorschläge zur Debatte.

Das Alienationsverbot beschreibt das Verbot der Verweltlichung.
Kirchenvermögen durfte nicht an weltliche Autorität veräußert werden.
Kirchliches Vermögen wird deswegen auch als „Vermögen zur toten Hand“ bezeichnet.

Auch wenn sich die mittelalterliche Kirchenfinanzierung auf den Gebieten des heutigen Österreichs und Deutschlands deckt, gibt es zentrale historische Unterschiede: Zwar flossen Güter ebenso an die Manus morphoi (Tote Hand) und wurden dadurch dauerhaft Teil des Kirchenvermögens; eine entscheidende Wende für Österreich bedeutete aber das Jahr 1782 und seine Josephinistische Reform: Joseph II. (1765–1790 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, 1780–1790 Alleinregent in den österreichischen Erblanden) griff durch seine kirchlichen Reformen stark in die Kirchenfinanzierung ein. Durch die vorrangige Enteignung von Klostervermögen stellte er kirchliches Gut zweckgebunden unter staatliche Aufsicht. Daraus sollten Pfarren und Priester finanziert werden. Unklar blieb, ob es nun staatliches oder kirchliches Vermögen sei, meint Andreas Kowatsch. Bis in die Zeit des Neoabsolutismus (1850er) verwalten staatliche Organe dieses kirchlich zweckgebundene Vermögen und ermöglichten dem Benefizialsystem ein Fortbestehen. Juristisch gesprochen „überlebte“ der Religionsfond das Ende der Habsburgermonarchie und finanzierte die katholische Kirche weiter. Andere Religionsgesellschaften (wie z.B. die Evangelische Kirche, die Altkatholische Kirche, oder die jüdische Kultusgemeinde) erwirtschafteten zu dieser Zeit ihre finanziellen Mittel über ein Umlagesystem. Dieses Umlagesystem wurde staatlicherseits den Religionsgesellschaften zugesichert und durch den Staat verwaltet. Damit hob der Staat für die übrigen Religionsgesellschaften einen Beitrag ein, weil sie nicht aus dem Religionsfond gespeist wurden. Dieses Recht wurde später auch der katholischen Kirche zugesprochen. Das war notwendig geworden, weil die Mittel des Religionsfonds zur Erfüllung seiner Zwecke nicht mehr ausreichten. Zusätzlich stützen Congrua-Ergänzungen mit staatlichem Geld jene zu kleinen Erträge aus dem Religionsfond. 1939 brachte der Einzug des Religionsfonds die „echte Säkularisation“ (Andreas Kowatsch) mit sich. Durch das Kirchenbeitragsgesetz 1938 soll eine Austrittswelle losgetreten werden. Unerwartet trat jedoch eine Solidarisierungswelle der Gläubigen mit ihrer Kirche auf. Gläubige bezahlten freiwillig ihren Beitrag. Trotz der Frage, ob nicht das Kirchenbeitragsgesetz nationalsozialistisches Gedankengut enthält, wurde es 1945 in das Rechtssystem der jungen zweiten Republik übergeleitet. Entscheidende Weichen stellte Art. 26 des Staatsvertrages4 1955. Er verpflichtete die Republik Österreich zur Restitution des enteigneten Vermögens. Im Vermögensvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich wurde 1960 von Wiedergutmachungszahlungen in diesem Zusammenhang gesprochen. Teil dieser Rechtsmaterie ist eine Verpflichtung zur Valorisierung, sodass 2020 der siebente Zusatzvertrag zum vermögensrechtlichen Teil des Konkordats in Kraft trat.

Der Vermögensvertrag ist ein Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen (StF: BGBL. Nr. 195/1960 idF BGBl. III Nr. 36/2021) und ein völkerrechtlicher Vertrag. Sieben Zusatzverträge (BGBl. III Nr. 36/2021; der Letzte 2021) ergänzen diese Rechtsmaterie.

Als entscheidenden Unterschied zur bundesdeutschen Rechtslage merkt Andreas Kowatsch an, dass die Geldleistungen des Staates an die Kirchen und Religionsgesellschaften in Österreich im Bundesfinanzgesetz als Subventionen des Staates geführt werden. Dieser Wortwechsel lässt politische Diskussionen zu, wenn man der misslichen Formulierung der Subventionen folgt, die jedoch Entschädigungsleistungen aufgrund des Art. 26 des Staatsvertrags von Wien sind.

Kirchenbeitrag / Kirchensteuer

Umgangssprachlich betiteln Katholik:innen in Österreich ihre religiösen Solidaritätsbeiträge an die Katholische Kirche gerne als „Kirchensteuer“. Dies ist aber nicht korrekt, denn Steuern hebt nur der Staat ein. „Die Rechtsnatur dieses Kirchenbeitrages ist (im Unterschied zu Deutschland) keine Kirchensteuer. Der Kirchenbeitrag ist kein rein zivilrechtlicher Beitrag und trotzdem keine Steuer. Seine Höhe wird in der Kirchenbeitragsordnung als eine innere Angelegenheit festgelegt. Er ist eine zivilrechtlich einklagbare Umlage; aber mit der Besonderheit, dass er – anders als Vereinsbeiträge – erst dann einklagbar ist, wenn der Staat die Kirchenbeitragsordnung genehmigt hat. Dies ist ein staatskirchenrechtliches Hoheitselement unserer Rechtsordnung. Vereinsbeiträge müssten niemals vom Staat genehmigt werden.“ (Andreas Kowatsch) Er kann in Österreich bis zu einer Höchstsumme von 400,- Euro steuerlich berücksichtigt werden.

In der Bundesrepublik Deutschland hingegen sind die Geldleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften staatlich eingehoben und werden von diesem an die religiösen Autoritäten abgeführt. Der Staat behält sich 3–4% davon zurück, um den Verwaltungsaufwand zu decken. Matthias Pulte hält dies aber für unangemessen. „Was früher Mitarbeiter:innen händisch berechneten, erledigen heute digitale Systeme. Allerdings fiele der Personalaufwand für Kirchen und Religiosngemeinschaften höher als 3–4% der Steuereinnahmen aus, müssten sie selbst das Personal und Infrastruktur dafür bezahlen“ (Matthias Pulte).

Im Unterschied zu Österreich erhalten Kirchen und Religionsgemeinschaften in Deutschland
das Besteuerrungsrecht. Diese sind steuertechnisch vollabzugsfähig“
(Matthias Pulte)

In Österreich wird der Kirchenbeitrag der Katholischen Kirche von der diözesanen Kirchenbeitragsorganisation eingehoben. Die Höhe des Beitrags pro Katholik:in wird entweder durch Berechnung aufgrund eines Einkommensnachweises (Lohnzettel) oder durch Selbsteinschätzung der Gläubigen geleistet. Seriösen Schätzungen zur Folge würde eine Finanzierung durch eine staatliche Steuer mittels Nachweispflicht und Berechnung auf dieser Grundlage zu um 40 % höhere Gesamtsummen führen. Zusammen mit den 9 % der derzeitigen Ausgaben für Werbe-, Sach- und Personalkosten der diözesanen (kirchlichen) Kirchenbeitragsstellen für die Organisation des Beitragswesens ist dieser Differenzbetrag nicht unerheblich. Seriöse Pläne, den Kirchenbeitrag staatlich einheben zulassen gab es auch in Österreich, betont Andreas Kowatsch. Die Diözesanbischöfe stimmten jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg dagegen.

Wer in Österreich oder Deutschland nachweislich für religiöse Zwecke spendet,
kann dies steuerlich berücksichtigen.

Zusätzlich sind weitere Spenden an Kirchen oder Religionsgesellschaften von steuerlicher Relevanz: Wer in Deutschland an Kirchen oder Religionsgemeinschaften spendet, ist dort steuerlich voll abzugsberechtigt. Spendenprojekte außerhalb der Kirchensteuer sind dadurch ebenso staatlicherseits steuerlich begünstigt. In Österreich besteht für Kirchen und Religionsgesellschaften die Möglichkeit, Spendenaktionen durch eine Meldung an das Finanzministerium ebenso steuerlich begünstigen zu lassen. Dies geschah beispielsweise bei der Restaurierung der Riesenorgel im Stephansdom.

Verpflichtendes Erbe und Auftrag: Verwendung der Mittel

Berechtigt fragen heute katholische Gläubige und Beitragszahler:innen / Steuerzahler:innen nach den Verwendungszwecken ihrer Gelder. Ein Blick ins Kirchenrecht lässt aber klar durchblicken, dass es Zweckbindungen gibt. „Dreh- und Angelpunkt ihrer Finanzierung sind für die Katholische Kirche c. 222 und c. 1254 CIC. Der eine verpflichtet die Gläubigen, einen angemessenen Beitrag zu leisten, der andere beansprucht „Vermögen zur Verwirklichung der eigenen Zwecke zu erwerben, zu besitzen, zu verwalten und zu veräußern“ (Matthias Pulte). Einerseits werden damit seit der Urkirche drei Bereiche finanziert: die Feier des Gottesdienstes, der Unterhalt der Kleriker und die Unterstützung der Armen. (Vgl. dazu die Rezension zum Buch: Pulte, Das Vermögensrecht der katholischen Kirche (2019) in Recht und Religion.) Die Kleriker sind heute um jene Menschen zu erweitern, die Mitarbeiter:innen der Pastoral und der kirchlichen Verwaltung sind. Auch Pastoralassistent:innen oder seelsorgliche Mitarbeiter:innen erhalten somit ein kirchliches Gehalt.

O-Ton: Andreas Kowatsch zur Zweckbindung kirchlichen Vermögens

Mit der Feier des Gottesdienstes ist auch die Baulast verbunden. Die Baulast (Erhaltungskosten) für historische Kirchenbauten ist nicht zu unterschätzen. In Deutschland ist der Staat noch öfter als in Österreich verpflichtet, sich an diesen baulichen Erhaltungen / Restaurierungen zu beteiligen. Dies betrifft vor allem die negativen Staatsleistungen.

Positive und negative Staatsleistungen

Gelder, die aus dem Staatshaushalt an Kirchen und Religionsgemeinschaften fließen, sind in zwei Gruppen zu teilen, erklärt Matthias Pulte. Die positiven Staatsleistungen sind Geldleistungen des Staates, die aufgrund von Verpflichtungen des Staates gegenüber den Kirchen und Religionsgesellschaften gezahlt werden. Dazu zählen in Deutschland die Dotationen der Bischöfe und selten noch der Pfarrer. Diese Gelder werden pauschaliert und zweckgebunden als Fixum an die kirchliche Autorität gezahlt. Kritisch muss dorthin geblickt werden, wo die kirchliche Autorität diesen Zweck nicht mehr vollumfänglich ausführt. Andererseits sind negative Staatsleistungen für die Kirchen- und Religionsgesellschaften von Bedeutung: Die Befreiung von Grund- oder Grunderwerbssteuer sind nicht unerwähnt zu lassen. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich sind für den Gottesdienst gewidmete Räume von der Grundsteuer befreit. Für Gebäude in zentraler Stadtlage – wie Stephansdom und Kölner Dom – ist dies nicht unerheblich.

Spende, Abgabe und Steuer

Immer wieder werden Meinungen laut, dass große Geldsummen über kirchliche Wege ins Ausland fließen. Prinzipiell ist nach dem universalen Kirchenrecht keine globale Umverteilung vorgesehen. Vermögen kommt demjenigen zu, der es aufbringt, dem es gehört und dort soll es auch verwendet werden. Das bedeutet, dass die jeweiligen Teilkirchen (Ortskirchen / Diözesen) aufgerufen sind, sich selbst zu erhalten. Dabei darf jedoch der appellative Charakter des Subsidiaritätsprinzips nicht vernachlässigt werden. Solidarisch helfen Bistümer einander, wie auch die diözesan organisierte Caritas oder einzelne Diakonien anderernorts als im eigenen Gebiet helfen. Der Papst hat diesbezüglich jedoch kein Mitbestimmungsrecht. Dies ist den jeweiligen Diözesen überlassen. Ebenso gibt es keine römische Aufsicht über die einzelnen diözesanen Organisationen. Letztverantwortlicher ist der Diözesanbischof.

C. 222 §§ 1–2 CIC: „Die Gläubigen sind verpflichtet, für die Erfordernisse der Kirche Beiträge zu leisten, damit ihr die Mittel zur Verfügung stehen, die für den Gottesdienst, die Werke des Apostolats und der Caritas sowie für einen angemessenen Unterhalt der in ihrem Dienst Stehenden notwendig sind. Sie sind auch verpflichtet, die soziale Gerechtigkeit zu fördern und, des Gebotes des Herrn eingedenk, aus ihren eigenen Einkünften die Armen zu unterstützen.“

Spenden, die beispielsweise sonntags bei der Kollekte zusammengetragen werden, können von den Pfarren frei verwendet werden, betont Matthias Pulte. „Wenn keine bischöfliche oder päpstliche Zweckbindung vorgesehen ist, darf damit jedes Ziel verfolgt werden mit Ausnahme der Besoldung von Pfarrern und Mitarbeiter:innen “.

Schnittstelle Religionsunterricht: Staatliches Gehalt für die Lehrer:innen von kirchlichem Inhalt

Für viele erscheint es alltäglich, dass in Österreich und in Deutschland Religion an Schulen unterrichtet wird. Dieses Fach rückte in letzter Zeit dann in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, wenn es in Zusammenhang mit der Frage nach dem neuen Pflichtfach Ethik diskutiert wurde. Durch die Bezahlung von Religionslehrer:innen leistet der Staat Personalsubventionen für inhaltlich kirchliche Zwecke, die formalrechtlich staatliche Aufgabe sind. Er finanziert damit auch indirekt die religionsunterrichtleistenden Kirchen und Religionsgesellschaften, darunter auch den Islam.

Der Religionsunterricht ist in Österreich – wie jedes andere Schulfach – Angelegenheit des Staates. Er lässt ihn aber von den Vertreter:innen der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften frei besorgen. Unterschiedslos der Konfession oder Religion erhalten Lehrer:innen des Schulunterrichtsfaches ein staatliches Gehalt. Es spielt dabei ebenso keine Rolle, ob sie an einer kirchlichen Privatschule oder an einer öffentlichen staatlichen Schule unterrichten. Religionslehrer:innen erhalten wie alle übrigen Lehrer:innen für ihre Tätigkeit ein staatliches Gehalt.

Art. 7 GG: (1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates. (2) (…) (3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.

In Deutschland findet der Religionsunterricht als einziges Unterrichtsfach in Art. 7 (3) GG ausdrückliche Erwähnung im Grundgesetz. „Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“ Lehrer öffentlicher Schulen werden damit unabhängig ihres unterrichteten Faches vom Staat besoldet; Lehrer privater Schulen werden unabhängig von ihrem Fach nicht staatlich bezahlt.

Sollte die kirchliche Autorität einzelnen Religions:lehrerinnen die Missio canonica (c. 805 CIC) entziehen, unterrichten sie nur noch ihr zweites (säkulares) Schulfach und erhalten weiterhin ein staatliches Gehalt. Das gilt auch für Österreich, solange ein zweites Fach unterrichtet werden darf.

Kooperationsrechtliche System haben einen höheren Output

Wenn eingangs von Überlegungen zur Ablöse von Staatsleistungen oder der Umwandlung von kooperativen rechtlichen Modellen der Zusammenarbeit von Staat und Religionsgemeinschaften in ein laizistischen Staat und Religionsgemeinschaften trennendes System für Deutschland gesprochen wurde, muss mitbedacht werden, was Kirchen und Religionsgemeinschaften tagtäglich an Unterstützung für Menschen in Not leisten. Caritas oder Diakonie beispielsweise könnten ohne Zuschüsse kaum ein solides Fundament bilden, um weitere Spenden zu rekurrieren und damit schlussendlich Menschen in Not zu helfen. Religionslehrer:innen tragen einen wichtigen Beitrag dazu bei, dass Menschen für ein soziales Miteinander sensibilisiert werden und sich solidarisieren.

Der kirchliche Output darf mit dem Böckenförde-Dilemma in Bezug gebracht werden:
„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen,
die er selbst nicht garantieren kann“

Zuletzt bieten Kirchen und Sakralbauten Räume, die dem Menschen Platz für Gottesdienste oder Platz für Gebete bieten, die unter einer holistischen Sichtweise Teil seiner Existenz und seiner Gesundheit sind. Sie zu erhalten dient in erster Linie dem religiösen Menschen, erst danach der Sicherung eines Kulturdenkmals. Laizistische Trennung würde zwar dem Staat Geld sparen, aber würde wesentlich mehr zerstören, was dem Menschen „lieb und heilig“ ist, als es möchte. Ein engmaschiges soziales Netz der Fürsorge und des Miteinanders würde spröde auseinanderbrechen und durchlässig werden. Den Output aus diesen kooperationsrechtlichen Systemen könnte der laizistische Staat, der Religion und Staat strikt voneinander trennt, allein nicht finanzieren. Es würde schlussendlich größere Probleme und Finanzierungsfragen in sozialen Fragen mit sich bringen. Matthias Pulte und Andreas Kowatsch sind sich dabei einig: Damit verbunden bleibt die Mahnung an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, transparent und nachvollziehbar mit dem Geld der Gläubigen umzugehen und kritisch zu prüfen, wofür es verwendet wird.

Anmerkungen

1 „ἀπόδοτε οὖν τὰ Καίσαρος Καίσαρι καὶ τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ.“ aus Mt 22, 15–22: „Damals kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. (…) Sag uns also: Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht? Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum stellt ihr mir eine Falle? Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin. Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten: Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört! Als sie das hörten, waren sie sehr überrascht (…).“

2 Kritik bzw. die Forderung nach einem Ende der Staatsleistungen (in der BRD) erheben beispielsweise: Bundestagswahlprogramm DIE GRÜNE Bundestagswahlprogramm 2017, S. 121.

3 Text § 68 des Reichsdeputationshauptschlusses, online unter: http://www.documentarchiv.de/nzjh/rdhs1803.html [Abruf: 20.06.2022]: „Bei denjenigen geistlichen Ländern, welche nicht ganz oder größtentheils mit ihren Residenzen an einen weltlichen Herrn kommen, sondern unter mehrere vertheilt werden (…) , sind sowohl in Ansehung der standesmäßigen Unterhaltung der unter der gegenwärtigen Veränderung leidenden Personen, als wegen der Sicherstellung der Dienerschaften des Landes, auch kirchlichen, religiösen Verfassung und dergleichen, alle diejenigen Grundsätze in Anwendung zu bringen (…). Nur erfordert die Vertheilung der Sustentationssumme, und der Fonds (…) in diesen Landen nothwendig näher Bestimmung. Diesemnach fallen die (…) einzelnen (…) Lasten, z.B. die Unterhaltung eines mittelbaren Klosters, die Uebernahme der Beamten und Diener eines einzelnen Amtes (…), denjenigen neuen Herren allein zur Last, die solche erhalten (…). Zur Vertheilung unter sämmtliche neue Theilhaber eines solchen Landes bleiben also nur die auf das Ganze sich beziehenden Lasten übrig, wohin denn vorzüglich die Sustentationssumme des von der Regierung abtretenden geistlichen Landesherrn gehört. (…).

4 Art. 26 Staatsvertrag von Wien (= Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich StF: BGBl. Nr. 152/1955 idF BGBl. III Nr. 179/2002 idgF BGBl. I Nr. 2/2008.): „1. Soweit solche Maßnahmen noch nicht getroffen worden sind, verpflichtet sich Österreich in allen Fällen, in denen Vermögenschaften, gesetzliche Rechte oder Interessen in Österreich seit dem 13. März 1938 wegen der rassischen Abstammung oder der Religion des Eigentümers Gegenstand gewaltsamer Übertragung oder von Maßnahmen der Sequestrierung, Konfiskation oder Kontrolle gewesen sind, das angeführte Vermögen zurückzugeben und diese gesetzlichen Rechte und Interessen mit allem Zubehör wiederherzustellen. Wo eine Rückgabe oder Wiederherstellung nicht möglich ist, wird für auf Grund solcher Maßnahmen erlittene Verluste eine Entschädigung (…) gewährt (…). Siehe auch Bundesgesetz vom 20. Dezember 1955, womit Bestimmungen zur Durchführung des Artikels 26 des Staatsvertrages, BGBl. Nr. 152/1955, hinsichtlich kirchlicher Vermögensrechte getroffen werden. StF: BGBl. Nr. 269/1955 idF BGBl. Nr. 98/1988.

DOI: 10.25365/phaidra.348

Thema: Kategoriale Seelsorge

Nach coronabedingten Verschiebungen konnte das Seggauer Gespräch zu Staat und Kirche am 21. und 22. April 2022 auf Schloss Seggau in der Steiermark mittlerweile schon zum achten Mal stattfinden. Das Team des Instituts für Kirchenrecht und Religionsrecht hat das Thema der Tagung als Einladung verstanden, auf rechtundreligion.at ebenfalls zu einigen wichtigen Fragen zur „kategorialen Seelsorge“ aus religions- und kirchenrechtlicher Sicht Beiträge zu leisten und so in den Dialog zu treten. Diese thematische Andockung erfolgte in Absprache mit den Veranstaltern des Seggauer Gesprächs, denen wir dankbar sind, dass wir rechtundreligion.at im Rahmen der Tagung auch kurz vorstellen konnten. Zeitgleich mit dem Seggauer Gespräch erfolgte die Freischaltung unserer Beiträge über die (kategoriale) Seelsorge im Allgemeinen, die Krankenhaus- und die Militärseelsorge. Besonders freuen wir uns, dass Militärseelsorger aus vier verschiedenen Religionsgemeinschaften bereit waren, in Form von kurzen Videos ins Gespräch mit uns zu treten. In Vertretung des österreichischen Militärbischofs konnte Dr. Harald Tripp als Kanzler des Militärordinariates zudem selbst einen Vortrag auf Schloss Seggau halten. Aus seiner Feder stammt auch der hier veröffentlichte Tagungsbericht.

Unsere Beiträge zum Thema „Kategoriale Seelsorge“:


Titelbild: Pixabay

Tagungsbericht: Seggauer Gespräch zu Staat und Kirche (21.-22.04.2022) zum Thema „Kategoriale Seelsorge“

Die verschiedenen Formen kategorialer Seelsorger standen im Fokus der achten Seggauer Gespräche von 21. bis 22. April 2022 im südsteirischen Schloss Seggau. 2006 wurden die Seggauer Gespräche vom damaligen Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari initiiert und bieten ein Forum zum interdisziplinären Gespräch und zum Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis. Theologische, kirchenrechtliche und religionsrechtliche Probleme sowie Fragen aus der Praxis werden dabei fächerübergreifend behandelt. Träger dieser Kooperationsveranstaltung sind die Diözese Graz-Seckau, die Erzdiözese Salzburg, die Evangelische Superintendentur A.B. Steiermark, das Institut für Philosophie an der Grazer Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz sowie das Institut für Europarecht und Internationales Recht der Wirtschaftsuniversität Wien.

Bei dem zweitägigen Symposium unter der wissenschaftlichen Leitung von Verfassungsgerichtshofpräsident Univ.-Prof. Christoph Grabenwarter, Univ.-Prof. Reinhold Esterbauer (Institut für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät) sowie Univ.-Prof.in Katharina Pabel (Institut für Europarecht und Internationales Recht WU Wien) stand demnach insbesondere die Seelsorge für Soldaten, Kranke, Studierende und Gefangene im Zentrum der Vorträge. Unter den etwa 70 Teilnehmenden waren u.a. der Salzburger Erzbischof Franz Lackner und der Grazer Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl. Krautwaschl dankte den kategorialen Seelsorgenden für ihr Engagement. Sie hätten in Zeiten der Corona-Krise und des Kriegs in der Ukraine besondere Leistungen vollbracht.

Durch Seelsorge im Österreichischen Bundesheer solle, so der Ordinariatskanzler des Österreichischen Militärordinariats, Militärerzdekan Harald Tripp, der das Eröffnungsreferat in Vertretung des österreichischen Militärbischofs Dr. Werner Freistetter hielt, die Religionsausübung auch unter Umständen sichergestellt werden, die dem einzelnen die Grundrechtsausübung unmöglich machen oder doch wesentlich erschweren, so Tripp. Wichtig sei, so Tripp, dass der Militärseelsorger selbst nie die Spannung vergessen dürfe, in der er stehe: „Er repräsentiert eine Kirche, deren Sendung universal ist und für die Menschen unabhängig ihrer ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit gleich sind.“ Für die konkrete Seelsorge ergebe sich im Blick auf den Datenschutz ein Problem hinsichtlich des Charakters der Normierung, da eigentlich nicht die Erhebung selbst, sondern die Art der Einwilligung hinsichtlich der Erfassung und Bearbeitung einschließlich der Weitergabe an die Militärseelsorge für die Erfassung ihrer tatsächlichen Zahl der religiös zu betreuenden Personen im Blick auf eine Pastoral „im Ereignis“ hinderlich oder nachteilig sein könnte. Letztlich blieben auch einige offene Fragen hinsichtlich der Weitergabe der Daten an Dritte und gewisser Rechtsfolgen im Blick auf die Religionsausübung (z.B. Karfreitag). Das Österreichische Bundesheer biete „einen spannungsreichen Raum, um darin sein Christsein, sein Seelsorgersein zu verwirklichen“, so der Kanzler des Militärordinariats. Weitere religionsrechtliche Aspekte vertiefte Tripp im Blick auf die Bereiche der Entlohnung der griechisch-orientalischen, der muslimischen und jüdischen Militärseelsorger. Diese erhielten den hierfür erforderlichen Aufwand vom Bundesministerium für Landesverteidigung pauschal abgegolten. Für Tripp entspreche dieses „Outsourcing“ gerade im Bereich der Kirchen und Religionsgesellschaften sehr klar der Idee eines deutlich säkularen Staates.

Die Seelsorge in Krankenhäusern ist durch die Corona-Pandemie in den vergangenen Jahren vor Herausforderungen gestellt worden. „Bei uns geht es oft um die Grenzen des Lebens; um Therapieänderungen, um Therapieabbrüche, um vorgeburtliche Sterbefälle“, berichteten Detlev Schwarz, Koordinator der Krankenhausseelsorge der Erzdiözese Salzburg und Maria Berghofer, die diözesane Koordinatorin für die Krankenhausseelsorge in Graz. Waren die Krankenhausseelsorger früher noch für den sakramentalen Dienst zuständig wie die Taufe, Beichte, Krankensalbung oder das „Viaticum“, die letzte Kommunion, so sei man heute Berater und Gesprächspartner. Die Kirche erlebe hier immer mehr die Schnelllebigkeit der Zeit als Gemeinschaft an den Rändern des Lebens. In Zukunft ginge es darum, die „ethische Kompetenz in den Bereichen der Grenzen des Lebens“ zu schärfen, den „freien Zutritt der geistlichen Amtsträger zu ermöglichen“ und im Blick auf die neueren Herausforderungen durch den Datenschutz den „Modus im Blick auf den uneingeschränkten Zugang zu Patientenlisten bei Patientenanfragen“ neu zu denken sowie die Ehrenamtlichkeit in diesem kategorialen Bereich besser einzubinden und abzusichern.

Die deutsche evangelische Pfarrerin Christine Ostrick berichtete über ihre Tätigkeit in der größten Haftanstalt Deutschlands – jener in Berlin-Tegel mit 800 Insassen. Dort, wo die Behörde Straftäter sehe, sehe sie geliebte Kinder Gottes und versuche, „durch einen respektvollen Umgang einen positiven Blick zu bewahren und hilfreich zu sein, ohne jemanden auszuschließen oder sich mit jemandem zu verbrüdern“. Als Gefängnisseelsorgerin fühle sie sich erwünscht und verschmäht zugleich, aber „wenn man zwischen den Stühlen sitze“ wäre man da genau richtig. Wichtig wäre ihr „die Betonung und deutlichere Absicherung eines uneingeschränkten Rechts auf Seelsorge in den Haftanstalten“ auch in Zukunft.

Der Hochschulseelsorger und Dominikanerpater Max Cappabianca aus Berlin verwies auf drei Grundlagen, die allen Bereichen der kategorialen Seelsorge gemein sind: die Persönlichkeit der SeelsorgerInnen, die Präsenz bei den Menschen und die gute Beziehung zu ihnen. Damit stehe und falle die gelungene Seelsorge. Wenn diese gelinge, dann komme es „zum Kollateralnutzen für die Gesellschaft“, denn die Betreuten sind zufriedener, zuversichtlicher, werden schneller gesund und fühlten sich wohler.

Am zweiten Studientag standen die rechtlichen Rahmenbedingungen der kategorialen Seelsorge in Deutschland und in Österreich im Blickpunkt der Tagung. Prof. Jörg Ennuschat aus Bochum sprach über die Grundlagen in der Weimarer Reichsverfassung, um danach die kirchenvertraglichen und staatlichen Rechtsgrundlagen sowie Fragen der Organisation und Finanzierung sowie verfassungsrechtliche, politische und kirchliche Kritik besonders im Blick auf die Militärseelsorge aufzuwerfen. Es bestünde gegenwärtig in Deutschland vor allem der Vorwurf, die gegenwärtige Situation der Militärseelsorge sei ein Verstoß gegen die Trennung von Staat und Kirche und gegen das Gebot der Nichtidentifikation. Zwar stelle Art. 141 Weimarer Reichsverfassung mit Blick auf das Trennungsgebot „eine Ausnahmenorm dar, die eng auszulegen sei und nur den Zutritt des Seelsorgepersonals gewähre“, nicht aber die aktive staatliche Förderung, Organisation und Finanzierung der Militärseelsorge. Laut Ennuschat enthalte das Grundgesetz „kein striktes Trennungsverbot, es belasse dem Staat vielmehr Gestaltungsspielräume“. Neu ist in Deutschland sei Errichtung der jüdischen Militärseelsorge und die Diskussion einer muslimischen Militärseelsorge, wobei es derzeit eine zentrale Ansprechstelle für den Umgang mit Vielfalt als Zwischenlösung gäbe, vielleicht auch in Zukunft muslimische Seelsorger auf Honorarbasis anzustellen. In seinen Ausführungen befasste sich Ennuschat weiters mit den Rechtsgrundlagen, der Organisation und mit der Finanzierung der Bundespolizeiseelsorge, der Gefängnis-, Krankenhaus- , und Hochschulseelsorge. In der Regel gäbe es bewährte rechtliche Rahmenbedingungen für die kategoriale Seelsorge in Deutschland, offene Fragen bestünden hinsichtlich der muslimischen Seelsorge insbesondere bei Bundeswehr und im Strafvollzug. Im deutschen Religionsverfassungsrecht bestünden im Blick auf die kategoriale Seelsorge häufig Verträge bzw. Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche, teils detailliert wie bei Militär oder Bundespolizei, in den anderen Bereichen existierten diese eher rudimentär, selten würden nähere bundes- oder landesgesetzliche Regelungen durch ein Gesetz bestehen, zudem wohl selten in der kategorialen Seelsorge auch innerkirchliche Regelungen.

Stephan Hinghofer-Szalkay vom Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen in Graz und Mitarbeiter des Kultusamtes im Bundeskanzleramt beleuchtete in seinen Ausführungen den verfassungs- und kultusrechtlichen Rahmen der kategorialen Seelsorge in Österreich. Während in Deutschland Art. 141 Weimarer Reichsverfassung in das „neue verfassungsrechtliche Biotop“ des Grundgesetzes transplantiert worden wäre, fand die kategoriale Seelsorge in der Verfassungsgesetzgebung der frühen Zweiten Republik kein entsprechendes Echo. Noch deutlicher würde dies an Hand des Österreich-Konvents: Der Ausschussbericht über einen Grundrechtskatalog weise, laut Hinghofer „keine Spuren einer möglichen Verankerung“ auf. Auch ohne eine derartige Verankerung sei kategoriale Seelsorge Ausdruck verfassungsrechtlicher Garantien der Religionsfreiheit. Im Bereich der Militärseelsorge erfolge eine „starke symbolische Dimension bei der Verschränkung staatlicher und kirchlich/ religionsgesellschaftlicher Symbole und Normen“. Sonderprobleme ergäben sich durch die Bezeichnung „Strenggläubige“ vor allem im islamischen und israelitischen Bereich hinsichtlich der Feststellung und des Entzugs und Mitgliedschaft bei Religionsgesellschaften. Hinghofer verwies darauf, dass „das Recht der kategorialen Seelsorge keine explizite Verankerung im österreichischen Verfassungsrecht“ finden würde, jedoch Ausdruck verfassungsrechtlich geschützter subjektiver Rechte sowie der Kooperation mit anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften sei. Die korporative und die individuelle Dimension der Seelsorge wären dabei untrennbar verbunden. Insbesondere in der Militärseelsorge spiegle sich zudem von jeher die Verfasstheit des politischen Gemeinwesens im Verhältnis zur Religion wider. Neuere Entwicklungen würden in Richtung einer „abnehmenden institutionellen Unterstützung des Staates gehen“, was in Paritätsverzerrungen resultiere. Auffallend sei das Abweichen vom Modell der Finanzierung der Militärseelsorge durch staatlich besoldetes Personal.

Zu erwähnen sei nach österreichischem Religionsrecht, dass sowohl in der Gefangenen- als auch der Militärseelsorge im Zweifel auf das konkrete Bedürfnis nach Seelsorge abgestellt würde, welches sich an der höchstpersönlichen Einstellung orientierte, nicht jedoch an der Mitgliedschaft nach staatlichem Recht. Umgekehrt würde nach Meinung Hinghofers aus der Entscheidung für die Mitgliedschaft zu einer Kirche oder Religionsgesellschaft nicht zwingend die Zustimmung zur Übermittlung jener Daten abgeleitet, welche diese für ein aktives Seelsorgeangebot benötigte.

Grundsätzlich bleibe das Recht kategorialer Seelsorge Gradmesser für das Verhältnis von Staat und Religion. Das Recht reagiere überall dort mit Bestimmungen zur kategorialen Seelsorge, wo „die Freiheit des autonomen individuellen Zugangs zur Seelsorge eingeschränkt ist – sei es durch Einschränkungen durch den Staat selbst etwa für Soldaten und Gefangene, sei es durch faktische Einschränkungen durch Krankheit oder Alter.“ Das Modell inklusiver Kooperation erlaube es daher in Österreich, den für freie Religionsausübung erforderlichen Raum zu schaffen, ohne dabei die Autonomie von Religionsgemeinschaften oder andere legitime Interessen unverhältnismäßig zu beeinträchtigen.

Sehr zu danken gilt allen OrganisatorInnen und ReferentInnen der Tagung sowie den TeilnehmerInnen für die anregenden und wertvollen sowie inspirierenden Gespräche und Diskussionen in den Pausen. Zu danken sei auch einigen AutorInnen für die Zusendung Ihrer Referate zur Abfassung dieses Tagungsberichtes. Es hat sich auch diesmal gezeigt: Wenn der Staat also die Ausübung religiöser Praxis durch organisatorische Maßnahmen oder finanzielle Mittel unterstützt, darf er dabei zweifellos nicht privilegieren oder diskriminieren, vielmehr fördert jedoch eine gesunde Kooperation „den Kollateralnutzen“ in gemeinsamen Bereichen von Staat und Kirche. Die Religionsfreiheit wird damit in diesen besonderen Bereichen bürgerlichen Lebens durch staatliches Recht verankert und als Freiheit allen BürgerInnen gewährleistet.


Fotos: Gerd Neuhold / Sonntagsblatt für Steiermark

Kategoriale Seelsorge in öffentlichen Institutionen: Ein Blick ins österreichische Religionsrecht

In vielen europäischen Staaten enthalten Rechtsordnungen einige besondere Bestimmungen im Blick auf die Ausübung der Religionsfreiheit von Personen, die sich in öffentlichen Einrichtungen befinden, die ihre Bewegungsfreiheit gesetzlich einschränken. Dazu gehören vor allem die Bereiche des Militärs, der Polizei, die Gefängnisse sowie Krankenhäuser und Pflegeheime. Man kann in diesen Bereichen also von funktionaler oder auch kategorialer Seelsorge sprechen, da es sich um Realisationsformen von Kirchen und Religionsgemeinschaften handelt, die sich deutlich von der durch ein Territorium bestimmten Glaubensgemeinschaft abheben. Kirchen und Religionsgemeinschaften sind also einem bestimmten Bereich des gesellschaftlichen Lebens zugeordnet.

Gewährleistung der Religionsausübung

Unabhängig von der persönlichen und gesellschaftlichen Relevanz der religiösen Haltung oder Praxis einer Person, muss nach Potz „die Gewährleistung der Religionsausübung […] gerade auch unter Umständen gegeben sein, die dem Einzelnen die Grundrechtsausübung wesentlich erschweren“ (vgl. dazu R. Potz, Recht auf seelsorgliche Betreuung aus der Sicht der Patienten und der Religionsgemeinschaften, in: U. Körtner/S. Müller/M. Kletečka-Pulker/J. Inthorn(Hrsg), Spiritualität, Religion und Kultur am Krankenbett (2009) 115).

Potz argumentiert, dass positive staatliche Maßnahmen daher in besonders prekären Lebensbereichen bzw. -situationen vorgesehen sein können oder sogar müssen. Wenn der Staat also die Ausübung religiöser Praxis durch organisatorische Maßnahmen oder finanzielle Mittel unterstützt, darf er dabei zweifellos nicht privilegieren oder diskriminieren, dies tut aber auch der strikten institutionellen Trennung von Staat und Kirche keinen Abbruch. In diesem Zusammenhang wird von „hereinnehmender Neutralität“ gesprochen: die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates zeigt sich gerade darin, dass sie Religion nicht ausgrenzt.

Dem religiös neutralen Staat ist es zwar verwehrt, sich religiös zu betätigen; durch die hereinnehmende Neutralität und seinem Bekenntnis dazu, wird er daher mit den Religionsgesellschaften zusammenarbeiten. Somit werden zu den gemeinsamen Angelegenheiten (res mixtae) von Staat und Kirche in der Lehre solche Angelegenheiten gezählt, bei denen ein Zusammenwirken von Staat und Kirche rechtlich notwendig ist, um von beiden Seiten verfolgte Zwecke durchzusetzen.

Militärseelsorge

Gemäß Art. 10 Abs. 1 BV-G liegt die Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenz zur Umsetzung der Militärseelsorge bei der Republik Österreich. Das WG 2001 bestimmt in § 10, 38 und 38a die Grundlagen für das Fachpersonal der Militärseelsorger sowie deren Einstellung, Einzelheiten darüber werden in ausführenden Bestimmungen in Erlässen des Bundesministeriums für Landesverteidigung geregelt. Neben der pastoralen Betreuung haben die Seelsorger aller im Österreichischen Bundesheer vertretenen Religionsgesellschaften den Auftrag, Soldaten aller Dienstgrade und Funktionen im lebenskundlichen Unterricht (LKU) in den Grundlagen militärischer Ethik zu unterweisen. Das BMLV unterhält derzeit eine organisierte Militärseelsorge in hauptamtlicher und nebenamtlicher Gestalt für folgende Religionsgesellschaften: hauptamtlich für katholisch und evangelisch (seit 1955), nebenamtlich für orthodox (seit 2011), muslimisch (seit 2015), islamisch-alevitisch (seit 2016) und jüdisch (seit 2017). Die katholische und die evangelische Militärseelsorge wurden mit der Wiederrichtung des Österreichischen Bundesheeres institutionalisiert. (Vgl. dazu H. Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (=MK CIC, Beiheft 6), Essen 1992, 580 ff.)

Für die katholische und evangelische Kirche kann in diesem Zusammenhang festgehalten werden, dass nach der kirchlichen Bestellung der Militärkapläne durch den Militärordinarius bzw. Militärsuperintendenten (vgl. Art. VIII ÖK Abs. 1-3 und § 17 Abs. 3 ProtestantenG) die staatliche Ernennung nach den staatsgesetzlichen Vorschriften, mithin die Ernennung bzw. Beförderung zu Offizieren des Militärseelsorgedienstes durch den Bundespräsidenten bzw. den gemäß Art 66 Abs 1 B-VG hierzu ermächtigten BMLV erfolgt. Die orthodoxen, muslimischen, islamisch-alevitischen und jüdischen Seelsorger gehören hingegen nicht zum Österreichischen Bundesheer im Sinne eines Anstellungsverhältnisses und werden auf einem sehr niedrigen Niveau für ihre pastorale Betreuung vergütet. Es wurde dazu bereits angemerkt, dass es sich dabei wohl um einen Verstoß gegen die Gleichbehandlung anderer Religionsgesellschaften im Sinne der Parität gemäß Art. 15 StGG 1867 handelt. (Vgl. dazu K. Trauner, Wandel von Staat und Kirche am Fallbeispiel Militärseelsorge, in: Österreichisches Archiv für Recht & Religion 59 (2012), 174–198, hier 191.)

Polizeiseelsorge

Lange Zeit betrafen Regelungen und Normierungen der kategorialen Seelsorge nicht auf den Bereich der Polizeiseelsorge zu. Weder das ÖK 1933 noch das ProtestantenG 1961 widmeten sich inhaltlich dem Thema der seelsorglichen Betreuung des Polizeipersonals. Mit einem Dekret des Innenministers wurde am 17. November 1995 für die katholische Kirche eine Polizeiseelsorge errichtet Am 12. Dezember 2002 wurde durch den Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz Christoph Kardinal Schönborn und dem Innenministerium eine Vereinbarung über die Polizeiseelsorge abgeschlossen. Darin wird auf die spezielle Situation von PolizeibeamtInnen eingegangen, die mit Gewalt, Aggression, Tod, Unfällen, Schwerverletzten, Opfern und Tätern sowie Menschen in Ausnahmesituationen belastet sind. (Vgl. dazu besonders K. Schwarz, Polizeiseelsorge—berufsfeldbezogene Supervision vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit. Kultusrechtliche Anmerkungen aus österreichischer Perspektive, in: Österreichisches Archiv für Recht & Religion 55 (2008), 30–46, hier 30.)

Analog dazu unterzeichnete der Bischof der Evangelischen Kirche am 16. September 2006 einen ähnlichen Vertrag. Religionsrechtlich in Österreich von Bedeutung gerade deshalb, weil, wie Schwarz anmerken konnte, anerkannte Religionsgesellschaften neben dem Konkordat und seinen Ergänzungen erstmals (wenn auch nur privatrechtliche) Verträge über ihre Außenbeziehungen mit der Republik Österreich schließen können was zudem von den Vorschlägen des Verfassungskonvents 2004 angeregt wurde. Ein Organisationserlass des Innenministers vom 2. Jänner 2007 regelte aufgrund der fehlenden gesetzlichen Ermächtigung zum Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge in der Folge öffentlich-rechtliche Aspekte wie z. B. den Zugang zu den Liegenschaften oder die Uniformierung sowie den Personenkreis der Polizeiseelsorge, Legitimation und Uniformtrageberechtigung der Polizeiseelsorger, die Schwerpunkt ihrer Tätigkeit sowie eine mögliche Unterstützung von der Polizeiseelsorge insbesondere bei Dienstunfällen und Todesfällen.

Die SeelsorgerInnen der Polizei sind keine Beamten und die Kirchen werden nicht vergütet. In personeller Hinsicht ist die Polizeiseelsorge einerseits dadurch mit der Militärseelsorge verbunden, da der jeweilige Militärordinarius gleichzeitig auch Bereichsbischof für die Militärseelsorge ist, und die Innehabung der Vorstehung aber durch den Bundeskoordinator der Polizeiseelsorge Österreich wahrgenommen wird.

Krankenhausseelsorge

Das Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten (KAKuG) als Grundsatzbestimmung nach Art. 12 Abs 1 Z 2 BV-G ordnet den jeweiligen Landesgesetzgebern an, die Träger der Krankenanstalten zu verpflichten, „dass auf Wunsch des Pfleglings eine seelsorgerische Betreuung möglich ist“ (§ 5a Abs 1 Z 5 KAuKG). Die Länder haben demnach die seelsorgliche Betreuung neben anderen taxativ genannten Patientenrechten zu garantieren. Die einzelnen Bundesländer haben diese Bestimmung in ihre entsprechenden Gesetze umgesetzt.

Zum Schutz der seelsorglichen Tätigkeit und der pastoralen Vertraulichkeit ist sowohl in Art. XVIII ÖK 1933 als auch in § 11 Abs 1 ProtestantenG und § 7 Abs 1 OrthodoxenG sowie in § 3 Abs 1 OrientKG die sog. geistliche Amtsverschwiegenheit verankert, die weiter als das Beichtgeheimnis zu fassen ist. Die Begleitung von Kranken gehört nicht unmittelbar zur Kernaufgabe des Imams, da diese Aufgabe nach islamischer Tradition allen Gläubigen und besonders den Familienangehörigen aufgetragen ist. (vgl. Elsabagh/Elgendy, Spiritualität im Krankenhaus aus der Sicht der islamischen Seelsorge, in: U. Körtner/S. Müller/M. Kletečka-Pulker/J. Inthorn (Hrsg), Spiritualität, Religion und Kultur am Krankenbett (2009) 41.)

Für muslimische Gläubige ermöglicht der Krankenbesuch religiöse und traditionelle Identität. Der Imam seinerseits versteht sich als Vorbeter, Prediger und mahnt die Einhaltung der Gebote ein, ist aber nicht Gesprächspartner und Seelsorger, wie es von der (ökumenisch geprägten) christlichen Anstaltsseelsorge erwartet wird.

Im Gegensatz zu anderen Formen kategorialer Seelsorge in öffentlichen Institutionen werden in der Krankenhausseelsorge die Kosten von den Religionsgesellschaften selbst getragen, gelegentlich erhalten sie öffentliche Subventionen oder es wird ihnen die notwendige Infrastruktur zur Verfügung gestellt.

Gefangenenseelsorge

Die Kompetenz zur Gesetzgebung und Vollziehung des Strafvollzugs ist gem. Art. 10 Abs 1 Z 6 BV-G dem Bund zugewiesen. Dabei wird die Seelsorge in § 85 Strafvollzugsgesetz verankert, wobei nach Abs. 1 jeder Häftling das Recht besitzt, an den Gottesdiensten und anderen gemeinsamen religiösen Handlungen in seiner Justizanstalt teilzunehmen und vom dort zugelassenen Seelsorger betreut zu werden.

Die auf Grundlage eines Arbeitsvertrages angestellten SeelsorgerInnen werden vom Staat bezahlt und unterstehen der doppelten Aufsicht durch den Staat und ihre jeweiligen kirchlichen Behörden. Der Seelsorger ist zudem dem Bundesministerium für Justiz bzw. dem Präsidenten des zuständigen Gerichtshofes oder dem Leiter der Justizanstalt unterstellt, nebenamtlich bestellte Gefangenenseelsorger werden mittels eines Sondervertrages des BMJ mit der zuständigen religionsgemeinschaftlichen Autorität bestellt. Weitere praktische Fragen, die teils noch nicht entsprechend durch den Gesetzgeber normiert worden sind, betreffen das eingeschränkte Angebot für Häftlinge weiblichen Geschlechts, die Problematik einer Vielzahl von Sprachen und nicht zuletzt den Umgang mit nichtreligiösen Häftlingen.

Art. XVI ÖK gewährt den lokalen SeelsorgerInnen freien Zugang zu den Gefängnissen dort, wo keine eigene Anstaltsseelsorge auf Dauer errichtet worden ist. Dieses Außenrechtsverhältnis anerkannter Religionsgesellschaften findet sich nunmehr im österreichischen Religionsrecht im Hinblick auf die Garantie durch den Staat verwirklicht, die Seelsorge in Gefängnissen ausüben zu können, wie z.B. in § 19 Abs 1 des ProtestantenG, in § 8 Abs 1 Satz 2 des IsraelitenG sowie in § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 18 Abs. 1 Satz 2 des IslamG 2015. § 7 Abs. 1 OrientalenG und § 3 Abs 1 OrthodoxenG fordern eine analoge Anwendung des § 19 ProtestantenG. (Siehe dazu E. Synek,Die „österreichische“ Orthodoxie: rechtliche Entwicklungen seit der Errichtung der Bischofskonferenz, in: Österreichisches Archiv für Recht & Religion 61 (2014), 310–338, hier 326.)

Aktuelle Herausforderungen im Datenschutz

Durch das Inkrafttreten der unmittelbar in allen Mitgliedstaaten anwendbaren Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Jahr 2018 wurde im Raum der Europäischen Union schließlich ein einheitliches Datenschutzniveau geschaffen. Vor dem Hintergrund der veränderten Bedeutung des Datenschutzes wurde die jahrelang geübte Praxis der Weitergabe von Daten in mehreren Bereichen der kategorialen Seelsorge (Krankenhaus, Militär) in Frage gestellt.

In den Bereichen der Kranken- und Militärseelsorge wie auch in anderen kategorialen Bereichen öffentlicher Institutionen gilt es daher mit Sorgfalt in Zukunft zu untersuchen, ob das Grundrecht auf Datenschutz, sowie das Grundrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit von Personen, die in öffentlichen Institutionen kategorial seelsorglich betreut werden sowohl in seiner korporativen als auch in seiner individuellen Ausprägung geschützt ist. Vom religionsrechtlichen Standpunkt aus wäre daher näher zu analysieren, in welcher Form die Erhebung und Weitergabe von sensiblen Daten an Seelsorger unter Berücksichtigung und Abwägung des Grundrechtes auf Datenschutz mit dem Grundrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit einen größtmöglichen Schutz beider Grundrechte ermöglicht.

Sicherung der Religionsausübung

Die rechtliche Normierung der kategorialen Seelsorge in öffentlichen Institutionen lässt sich für das österreichische Religionsrecht in einigen abschließenden Bemerkungen festmachen. Die verfassungsrechtlichen Bestimmungen enthalten in der Regel keine spezifischen Regelungen zur besonderen Seelsorge. Die Existenz der kategorialen Seelsorge lässt sich jedoch aus den verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Religionsfreiheit im Allgemeinen ableiten. Die Seelsorge in den öffentlichen Institutionen wird häufig durch religionsrechtliche Vereinbarungen (Konkordat, Protestantengesetz etc..) in verschiedenen Rechtskreisen (Völkerrecht, Öffentliches Recht, Privatrecht) geregelt. Sie werden geschlossen zwischen dem Staat oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen auf der einen Seite und anerkannten Religionsgemeinschaften oder juristischen Personen auf der anderen Seite. Die Organisation der Seelsorge in öffentlichen Institutionen wird zudem je nach Sachbereich häufig in Ministerialerlässen und Rundschreiben der zuständigen Regierungsstelle festgelegt. Die Rechtsstellung der kategorialen Seelsorgeeinheiten wird letztlich auch durch die inneren Gesetze der Religionsgemeinschaften geregelt. Darin sind etwa die Rechte der Religionsgemeinschaften in Bezug auf die Ernennung oder Entlassung einer Person, die als Seelsorger dient, festgesetzt.

Durch Seelsorge in öffentlichen Institutionen soll die Religionsausübung auch unter Umständen sichergestellt werden, die dem einzelnen die Grundrechtsausübung unmöglich machen oder doch wesentlich erschweren. Sie ist daher auch im Sinne eines materialen Grundrechtsverständnisses unter dem Aspekt „staatlicher Schutzplichten“ zu sehen. (Vgl. dazu H. Kalb/R. Potz/B. Schinkele, Religionsrecht, Wien 2003, 265 ff.). Die Religionsfreiheit wird damit in diesen besonderen Bereichen bürgerlichen Lebens durch staatliches Recht verankert und als Freiheit allen BürgerInnen gewährleistet.


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Militärseelsorge im Österreichischen Bundesheer

Seelsorge ist auf „Verörtlichung“ angewiesen, um Menschen vor Ort – unabhängig von persönlicher Neigung, von Stand und Stellung – erreichen zu können und sie in den Glauben und das Leben der Kirche einzuführen. Hierin liegt der tiefere Sinn der Pfarrstruktur … Andererseits ist auch eine „Entörtlichung“ notwendig, wenn es darum geht, Menschen in besonderen Lebenssituationen zu erreichen und Projekte gemeinsam in Angriff zu nehmen, die die einzelne Pfarrei überschreiten oder auch überfordern würden. (vgl. dazu Peter KRÄMER, Krise und Kritik der Pfarrstruktur. Kirchenrechtliche Überlegungen zur Notwendigkeit einer Reform, in: AfkKR 175 (2006), S. 531 ff.)

Eine große Zahl von Menschen, vor allem Menschen am Beginn des Erwachsenenalters, haben heute, trotz des Empfangs der Taufe, keine Bindung mehr an ihre Pfarrei. Im Bundesheer finden sich getaufte und ungetaufte Menschen unter besonderen Umständen zusammen, sei es in den einzelnen Standorten, sei es vor allem bei Einsätzen im Ausland oder in Krisensituationen und Katastrophen (Notfallseelsorge). In diesen Situationen können tiefergehende, d. h. religiöse und ethische Fragen relevant und aktuell werden und kann sich ein (neuer) Zugang zu Religion und Glaube eröffnen. Diese Chance gilt es zu nutzen. Anbei hören Sie dazu die Meinungen von Militärseelsorgern aus verschiedenen Kirchen und Religionsgesellschaften zu ihren Aufgaben und aktuellen Fragestellungen.

Militärbischof Werner FREISTETTER studierte in Wien und Rom Theologie und promovierte in Sozialethik. Priesterweihe 1979 in Rom, danach Seelsorger in Pfarren der Erzdiözese Wien sowie Assistent an der Universität Wien am Institut für Ethik und Sozialwissenschaften. Nach Jahren am Päpstlichen Rat für die Kultur an der Römischen Kurie, übernahm er 1997 mit der Leitung des in Wien gegründeten Instituts für Religion und Frieden beim Militärbischofsamt. Ab 2006 Bischofsvikar für Wissenschaft und Forschung, theologische Grundsatzfragen und internationale Beziehungen war Freistetter war Mitglied der Ständigen Vertretung des Heiligen Stuhls bei den Internationalen Organisationen in Wien und geistlicher Assistent der internationalen katholischen Soldatenorganisation Apostolat Militaire International. 2015 erfolgte die Ernennung zum Militärbischof für Österreich. Im Interview spricht er über das umfassende Aufgabenspektrum der Militärseelsorge, über die rechtlichen Grundlagen sowie die Bedeutung der Religionsfreiheit und die besonderen Herausforderungen der prophetischen Verkündigung über den Frieden von Papst Franziskus im Verhältnis zur Lehre über den gerechten Krieg.

Erzpriester Alexander LAPIN ist Chemiker, Mediziner, Theologe, Universitätsdozent und seit 2011 der erste orthodoxe Militärseelsorger des Österreichischen Bundesheeres. 1992 habilitierte er auf dem Gebiet der Proteindiagnostik in der klinischen Nephrologie und übernahm 1994 die Leitung des chemischen Labors der Semmelweis-Frauenklinik. 1998 wurde er schließlich zum Leiter des Labors im Sozialmedizinischen Zentrum Sophienspital bestellt. Lapin unterrichtete unter anderem an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems die angehenden orthodoxen Religionslehrer. Er berichtet von seinen Unterrichten über Migration und Transkulturalität, die Vereinbarung über die Militärseelsorge mit dem Bundesministerium für Landesverteidigung und formuliert Wünsche für die Zukunft insbesondere im Blick auf eine Ermöglichung der Seelsorge in den Bundesländern und die ökumenische und interreligiöse Kooperation.

Militärsuperintendent Karl Reinhart TRAUNER, seit 1995 Militärseelsorger, 2003 neben der Tätigkeit als Lehrbeauftragter an der Theresianischen Militärakademie (Wiener Neustadt) auch Leiter des Instituts für Militärethische Studien (IMS) der Evangelischen Militärsuperintendentur, 2013 Bestellung zum Militärsuperintendenten, 2016 Habilitation und Ernennung zum Privatdozenten für das Fach Kirchengeschichte an der Universität Wien spricht über die Struktur der Evangelischen Militärseelsorge, die drei Grundlagenbereiche der seelsorglichen Tätigkeit sowie über die Rechtsgrundlagen in § 17 Protestantengesetz 1961 und worin Chancen und Möglichkeiten bei geänderten Rahmenbedingungen bestehen.

Militärimam Kenan CORBIC seit Dezember 2021 islamischer Militärseelsorger im Osten Österreichs spricht über seine vielfältigen Aufgaben, die historische Entwicklung der Feldseelsorge seit 1882 in Österreich und die Neuordnung in § 11 Islamgesetz 2015 sowie die Priorität der ökumenischen und multireligiösen Situation sowie das Desiderat im Blick auf einen ebenbürtigen Status der islamischen Militärseelsorge.

Oberrabbiner Schlomo HOFMEISTER, seit 2008 der Gemeinderabbiner von Wien, ab 2016 bekleidet er zudem das Amt des Landesrabbiners von Niederösterreich, dem Burgenland, der Steiermark und Kärnten sowie ab 2017 die Aufgabe als jüdischer Militärseelsorger im Österreichischen Bundesheer. Hofmeister studierte in München und in England. 2004 zog er von London nach Jerusalem, um seine Rabbinatsstudien fortzusetzen. Im Interview betont er die religiösen Bedürfnisse jüdischer Gläubigen, die Speisevorschriften im Dienstbetrieb sowie über die Seelsorge als Katalysator beim Abbau von Spannungen und Konfliktpotenzial im Blick auf das Gemeinsame am Gemeinwohl der Gesellschaft.


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Die Seelsorge an Kranken und Sterbenden

Kategoriale Seelsorge richtet sich unter anderem an Menschen, die an der regulären Seelsorge in territorialen Strukturen nicht teilnehmen können. Dazu zählen beispielsweise Patienten in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Aus religionsrechtlicher Sicht haben Patienten das Recht, auch während ihres Aufenthalts in einem Krankenhaus oder Pflegeheim ihre Religion auszuüben, und Religionsgemeinschaften kommt das Recht zu, sich dieser Patienten seelsorgerisch anzunehmen. Der vorliegende Beitrag beleuchtet das Thema der Krankenhausseelsorge aus rechtlicher Sicht im Kontext der Religionsfreiheit, im Kontext des Konkordats und den religionsrechtlichen Anerkennungsgesetzen sowie im Kontext des Krankenanstaltenrechts. Von besonderer Bedeutung ist die Thematik im Zusammenhang mit der Coronapandemie, während der die Krankenhausseelsorge sich so weit wie möglich den jeweils geltenden Infektionsschutzmaßnahmen anpassen muss.

Den ganzen Artikel können Sie hier als PDF-Datei herunterladen:
Andreas Kowatsch, Die Seelsorge an Kranken und Sterbenden, in: Recht und Religion (19.04.2022), DOI: 10.25365/phaidra.333.


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Sexualisierte Gewalt in kirchlichen Einrichtungen. Erläuterungen zum Verhältnis von staatlichem Strafrecht und den innerkirchlichen Verfahren

Am 21. Jänner 2022 stellte die Münchener Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl/Spilker/Wastl ein mehr als 1.800 Seiten umfassendes Privatgutachten zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker sowie hauptamtlich Bedienstete im Bereich der Erzdiözese München und Freising von 1945 bis 2019 vor. Weit über das, was ein juristisches Fachgutachten erwarten lässt, fragt dieses schon im Titel nach Verantwortlichkeiten und systemischen Ursachen und zieht nicht nur juristische Schlussfolgerungen, sondern theologische Konsequenzen und Empfehlungen. Andere deutsche Diözesen hatten in den vergangenen Monaten ebenfalls Gutachten präsentiert, deren Ergebnisse die Katholische Kirche in Deutschland ebenso von innen wie aus der säkularen Öffentlichkeit her erschüttern. Auch für die nähere Zukunft ist die Veröffentlichung von Gutachten anderer Diözesen angekündigt. Die Chance einer deutschlandweit synchronen Aufarbeitung des Unrechts wurde vertan.

So erschreckend die vorgestellten Fälle sind, kann angesichts der langen Beobachtungszeiträume der bloße Befund, dass es auch in einer sich auf ein hohes gemeinsames Ethos berufenden Glaubensgemeinschaft jede Form von Verbrechen gibt, rein statistisch nicht wirklich überraschen. Zum persönlichen Versagen der Täter kommt aber in allen untersuchten Diözesen hinzu, dass die zuständigen kirchlichen Verantwortungsträger über Jahrzehnte hindurch in einer Vielzahl von Fällen mehr vom Wunsch beseelt waren, das Ansehen ihrer Kirche nach außen zu schützen, als das jeweils ganz individuelle und unvertretbare Leid der Opfer in den Mittelpunkt ihres Leitungshandelns zu stellen. Das an sich vorhandene kircheneigene Strafrecht blieb weitgehend unangewendet. Täter wurden zwar in den meisten Fällen kurzfristig dienstfrei gestellt und in nicht wenigen Fällen auch zu therapeutischen Maßnahmen gedrängt, allzu oft konnten diese aber an anderen Orten wieder in einer Weise ihren Dienst ausüben, die Gelegenheiten für erneute sexuellen Übergriffe bot. Aus der Kombination von individueller Schuld und systemischem Versagen resultiert nun eine Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise der Katholischen Kirche historischen Ausmaßes. Auf dem „Synodalen Weg“, den die Deutsche Bischofskonferenz mit ausgesuchten Vertreterinnen und Vertretern der kirchlichen Laienorganisationen und einiger anderer Verbände geht, ist daher nicht zufällig die Frage nach Reformen in der Katholischen Kirche innerlich mit der Frage der Aufarbeitung und der Prävention von sexuellem Missbrauch verbunden.

(Foto: „Alone in the dark“ von Mitta_Hand, piqs.de, CC-Lizenz)

Sexueller Missbrauch als Verbrechen im kirchlichen Recht

Im kirchlichen Gesetzbuch (CIC) von 1983 war der sexuelle Missbrauch Minderjähriger nur im Kontext spezieller Straftaten, die im Zuge der Beichte geschehen, sowie als gravierender Verstoß gegen die Zölibatsverpflichtung von Klerikern als Verbrechen normiert. Mit dem Motu proprio, einem päpstlichen Gesetz, „Sacramentorum Sanctitatis Tutela“ erließ Papst Johannes Paul II. im Jahr 2001 ein spezielles Strafgesetz, das die Verfolgung besonders schwerer Straftaten in die Kompetenz der römischen Glaubenskongregation stellt. Diese Zentralisierung sollte verhindern, dass Fälle sexuellen Missbrauchs in den einzelnen Ortskirchen vertuscht würden. Die entsprechenden Normen wurden in den beiden nachfolgenden Pontifikaten mehrmals und zum Teil drastisch verschärft. Für Bischöfe, die eine Meldung nach Rom unterlassen, drohen spätestens seit einem weiteren Gesetz von Papst Franziskus („Vos estis lux mundi“ 2019) Sanktionen bis hin zum Amtsverlust. Am 8. Dezember 2021 trat schließlich ein neues Strafrecht in Kraft, das den sexuellen Missbrauch Minderjähriger und Schutzbefohlener nicht mehr nur als Klerikerstraftat sanktioniert. In Zukunft unterliegt jeder und jede, die eine kirchlichen Dienst ausüben, der kanonischen Strafgewalt. Der Missbrauch ist nicht mehr (bloß) ein Zölibatsverstoß, sondern ein Verbrechen gegen die Würde der menschlichen Person und damit gegen die sexuelle Selbstbestimmung des Menschen.

Am 8. Dezember 2021 trat die Reform des strafrechtlichen Teils des Codex Iuris Canonici in Kraft. (Foto: Daniel Tibi)

Indem das Kirchenrecht ein eigenes Strafrecht vorsieht, wird dem Staat nicht dessen ureigene Strafgewalt abgesprochen. Als Staatsbürger unterliegen auch die Gläubigen und selbstverständlich auch die kirchlichen Amtsträger dem staatlichen Strafrecht. Staatsanwaltschaftliche Verfolgungshandlungen dürfen an den Türen religiöser Einrichtungen nicht Halt machen. Wie alle anderen Institutionen sind auch die Kirchen- und Religionsgemeinschaften und ihre Organe im Rahmen der staatlichen und nicht etwa der kirchlichen Gesetze zur Zusammenarbeit mit den Behörden verpflichtet. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften trifft aber im Umkehrschluss auch keine spezielle Verpflichtung, die sie von anderen Institutionen im Staat unterscheiden könnte. Das kirchliche Strafrecht kann das staatliche nur ergänzen und es muss dieses auch ergänzen. Nur innerhalb der Religionsgemeinschaft können religiöse Sanktionen gesetzt werden. Einen Priester aus dem Klerikerstand zu entlassen, steht dem säkularen Staat nicht zu. Die Sanktionierung von Zölibatsvergehen durch den Staat wäre eine krasse Grenzüberschreitung des in religiös-weltanschaulichen Dingen neutralen Staates und stünde mit mehreren Verfassungsnormen (Art. 15 StGG, Art. 8 EMRK, Art. 9 EMRK) in Widerspruch.

Das kirchliche Strafverfahren beginnt mit einer diözesanen Voruntersuchung, sobald nicht völlig unglaubhafte Beschuldigungen gegen einen Kleriker erhoben werden. Erhärtet sich der Verdacht, besteht die strenge Pflicht, die römische Kongregation für die Glaubenslehre zu informieren, die die weiteren Schritte anordnet.

Im Gegensatz zum staatlichen Strafrecht bietet das Kirchenrecht die Möglichkeit, schwere Straftaten selbst dann zu verfolgen, wenn die Tat verjährt ist. Als schwerste Sanktion für Diakone, Priester und Bischöfe droht die Entlassung aus dem Klerikerstand. Mit dieser verliert der Betroffene nicht nur alle Rechte, sein geistliches Amt auszuüben, sondern auch die Grundlage seiner materiellen Versorgung. Die kirchliche Autorität setzt zwar ein markantes Zeichen der Abgrenzung, begibt sich aber auch weiterer Möglichkeiten, den Täter sozial zu kontrollieren. Aus diesem Grund werden oftmals andere Strafen verhängt, die nach außen hin milder erscheinen. Ob als Sanktion oder aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage, es muss in jedem Fall verhindert werden, dass ein überführter Täter wieder Gelegenheit erhält, weitere Verbrechen zu begehen.

Rechtlicher Umgang mit dem sexuellen Missbrauch in Katholischen Kirche
in Österreich

Welchen Weg geht in diesem Zusammenhang die Katholische Kirche in Österreich? Seit Juni 2010 enthält die zwischenzeitlich zweimal überarbeitete und an neue Herausforderungen des staatlichen wie des kirchlichen Rechts angepasste Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen“ Maßnahmen, Regelungen und Orientierungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt [so im Titel; vgl. Amtsblatt Österr. BIKO, 85 (2021)].

Parallel zu einem kirchlichen Strafverfahren und auch unabhängig von Fragen zivilrechtlicher Schadenersatzansprüche gegen die Täter enthält die erwähnte Rahmenordnung ein Verfahren, das nicht die juristische Wahrheitsfrage, sondern eine möglichst rasche Hilfestellung für die Opfer sexualisierter Gewalt ermöglichen soll. Bewusst wird in Kauf genommen, dass die bloße Plausibilisierung von Vorwürfen unter Umständen ausreicht, um die Finanzierung von Therapien und die Zahlung von finanziellen Anerkennungsleistungen zu übernehmen.

In den einzelnen Diözesen sind Ombudsstellen als Anlaufstellen für Betroffene eingerichtet. Diese bestehen hauptsächlich aus Personen, die Erfahrungen in den Bereichen Psychologie, Psychotherapie oder Psychiatrie, der Sozialarbeit oder verwandten Arbeitsfeldern mitbringen. Die Mitglieder stehen in keinem kirchlichen Dienstverhältnis (vgl. § 12 RahmenO). Kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind verpflichtet, Verdachtsfälle, Beobachtungen und Missbrauchsfälle im kirchlichen Bereich der Ombudsstelle zu melden (vgl. Art. 17b RahmenO). Priester können sich dieser Verpflichtung nur entziehen, wenn sie ihr Wissen aus der Beichte hätten, was in der Praxis entgegen einer weit verbreiteten Ansicht kaum jemals der Fall ist. Sollte sich herausstellen, dass Gefahr im Verzug ist, so muss die Ombudsstelle sofort den kirchliche Oberen oder, im Bereich der weiblichen Ordensgemeinschaften, die Oberin und die Leitung der kirchlichen Einrichtung oder Gemeinschaft verständigen, damit die erforderlichen Maßnahmen ohne Verzögerung gesetzt werden. Die Ombudsstelle bietet den Betroffenen erste Hilfestellungen an.

Sollte sich der Verdacht erhärten, wird der Fall an die in den einzelnen Diözesen eingerichtete „Diözesane Kommission“ weitergeleitet. Diese führt das Verfahren weiter und bezieht dabei den Beschuldigten ein. Menschenrechtlichen Standards entsprechend, gilt die Unschuldsvermutung und das Recht auf den guten Ruf. Die Kommission setzt sich aus Personen zusammen, die über eine juristische oder pädagogische Expertise verfügen, bzw. die aus der Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen kommen. Zusätzlich gehört ein Priester und ein Mitglied einer Ordensgemeinschaft der jeweiligen Diözesanen Kommission an. § 33 RahmenO normiert die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Kommissionen. Sämtliche kirchliche Stellen sind zur Zusammenarbeit und zur Auskunft gegenüber der Kommission verpflichtet.

Wenn es nach der Zusammenschau aller Fakten und vorliegenden Informationen keine ausreichenden Gründe gibt, die an der Plausibilität der Beschuldigung zweifeln lassen, und der Wunsch nach einer finanziellen und/oder therapeutischen Hilfestellung besteht, übersendet die Kommission den Akt an die Unabhängige Opferschutzkommission zur Entscheidung (vgl. § 42a RahmenO). Diese ist gem. § 52 RahmenO ein von der römisch-katholischen Kirche unabhängiges zivilgesellschaftliches Personenkomitee. Ihre Aufgabe ist es, eine Entscheidung zu treffen und der Stiftung Opferschutz Empfehlungen für Hilfestellungen an Betroffene zu geben. Aus den Mitteln dieser Stiftung erfolgen finanzielle Zahlungen, die unabhängig sind vom Bestehen eines rechtlichen Anspruchs, etwa als Schadenersatz in Form von Schmerzensgeld.

(Foto: „Skyggen“ von JL, piqs.de, CC-Lizenz)

Kirchliche Verfahren und staatliche Strafverfolgung

Gem. § 80 Abs. 1 StPO ist jedermann, der von der Begehung einer strafbaren Handlung Kenntnis erlangt, zur Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft berechtigt. Eine allgemeine Verpflichtung, strafbare Handlungen bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft zur Anzeige zu bringen, kennt die österreichische Rechtsordnung hingegen nicht. § 78 StPO verpflichtet allerdings Behörden oder öffentliche Dienststellen zur Anzeige, wenn diesen der Verdacht einer Straftat bekannt wird, die ihren gesetzmäßigen Wirkungsbereich betrifft. Diese behördliche Anzeigepflicht besteht aber nicht, wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf (vgl. § 78 Abs. 2 StPO). Zwar bedarf auch die Betreuung von Opfern sexualisierter Gewalt ein solches Vertrauensverhältnis, die in den verschiedenen Verfahren beteiligten Personen handeln aber nicht für staatliche Behörden. Die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften genießen in Österreich zwar die rechtliche Stellung von Körperschaften des öffentlichen Rechts. Diese sind aber im Gegensatz zu anderen öffentlich-rechtlichen Korporationen keine Einrichtungen, die dem hoheitlichen Handeln des Staates zuzurechnen sind.

Für eine ganze Reihe von Berufen ist die Anzeigeberechtigung durch besondere Verschwiegenheitspflichten eingeschränkt. Neben dem Beichtgeheimnis und der geistlichen Amtsverschwiegenheit der Seelsorger, die durch ein Vernehmungsverbot im Strafprozess geschützt sind, dürfen beispielsweise auch Rechtsanwälte über das, was ihnen im Zusammenhang mit ihrem Beruf anvertraut worden ist, nichts preisgeben (vgl. § 9 Abs. 2 RAO, § 37 NO, § 80 WTBG 2017). Im Bereich des Gesundheitswesens bestehen eine Reihe von Verschwiegenheitspflichten, die in den unterschiedlichen beruflichen Spezialgesetzen normiert sind. Am bekanntesten dürfte die Schweigepflicht der Ärzte sein (vgl. § 54 Abs. 1 ÄrzteG).

Unter Umständen können freilich auch berufliche Verschwiegenheitspflichten durchbrochen werden, wenn im Einzelfall dadurch eine unmittelbar drohende schwere Gefahr für Leib und Leben eines Menschen verhindert werden kann [vgl. Schwaighofer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 80, Rn. 16 (Stand 01.12.2020)]. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren eine Reihe von Durchbrechungen der Verschwiegenheitspflichten normiert. Das GewaltschutzG 2019 (BGBl. I 2019/105) vereinheitlichte teilweise schon bestehende Anzeigepflichten und bezog weitere Berufsgruppen in diese Regelung ein. Sollte sich anlässlich der beruflichen Tätigkeit der (begründete) Verdacht ergeben, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod, eine schwere Körperverletzung oder eine Vergewaltigung herbeigeführt wurde, Kinder oder Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind oder nicht handlungs- oder entscheidungsfähige oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlose Volljährige misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind, muss Anzeige erstattet werden [vgl. Schwaighofer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 78, Rn. 37/2 (Stand 01.12.2020]. Diese Pflicht entfällt u. a. allerdings dann, wenn die Anzeige dem ausdrücklichen Willen des volljährigen handlungs- oder entscheidungsfähigen Patienten widersprechen würde, sofern keine unmittelbare Gefahr für diesen oder eine andere Person besteht und die klinisch-forensischen Spuren ärztlich gesichert sind, oder die Anzeige im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf, sofern nicht eine unmittelbare Gefahr für diese oder eine andere Person besteht. M. a. W.: gegen den ausdrücklichen Wunsch des (volljährigen) Opfers von Gewalt darf keine Anzeige erstattet werden. Das dadurch ausgelöste Ermittlungsverfahren und ein anschließendes Strafverfahren sollen nur dann gegen den Willen eine Opfers geführt werden, wenn sonst andere Personen unmittelbar gefährdet werden. Angesichts der neuerlichen Konfrontation mit dem zugefügten Leid und der in den meisten Fällen unvermeidlichen Konfrontation mit dem Täter droht einem Opfer eine Vertiefung der Traumatisierung.

Einige besondere Einrichtungen sind zu einer Meldung an das „Jugendamt“ (den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger) verpflichtet, wenn im Rahmen der beruflichen Tätigkeit der begründete Verdacht, dass Kinder oder Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind oder ihr Wohl in anderer Weise erheblich gefährdet ist, auftaucht (vgl. § 37 Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz – B-KJHG 2013, i. d. F. BGBl I 105/2019). Das Gesetz zählt u. a. auch Einrichtungen zur Betreuung oder zum Unterricht von Kindern und Jugendlichen, Einrichtungen zur psychosozialen Beratung und private Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu den Verpflichteten. Eine Berufung auf berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten ist in diesem Fall nicht möglich (vgl. Abs. 5 leg. cit.).

Aufbauend auf diesen Voraussetzungen des staatlichen Rechts enthält die RahmenO „Die Wahrheit wird auch freimachen“ eine Reihe von Bestimmungen, die die Meldung von Missbrauchsvorwürfen an die Staatsanwaltschaft betreffen. Grundsätzlich unterliegen die Mitglieder der Ombudsstellen einer strengen Verschwiegenheitspflicht im Sinn des Opfer- und Persönlichkeitsschutzes. Betroffene sollen einen geschützten und diskreter Rahmen vorfinden. Staatliche Behörden werden daher nicht gegen den Willen einer betroffenen Person informiert (§ 18 RahmenO). § 20 RahmenO sieht allerdings vor, dass bei Gefahr im Verzug gegebenenfalls eine Meldung an die staatlichen Behörden zu erfolgen hat. Wie in den staatlichen Vorschriften tritt im Fall unmittelbar drohender Gefahr der Respekt vor dem Willen des mutmaßlichen Opfers, kein behördliches Verfahren auszulösen, zugunsten der Gefahrenabwehr zurück.

Abgesehen von diesem Fall ist die Ombudsstelle zur Respektierung der Selbstbestimmung der Betroffenen verpflichtet. Informationen werden daher grundsätzlich nur mit dem ausdrücklichen schriftlichen Einverständnis der Hilfesuchenden an die staatlichen Strafverfolgungsbehörden weitergegeben. Auch die Weitergabe an den Ordinarius sowie die Diözesane Kommission hängt an dieser schriftlichen Zustimmung. Im Sinn der universalkirchlichen Normen (vgl. Art. 24 Normae SST 2010) ist dabei abzuklären, ob der Name von Betroffenen den Beschuldigten bekannt gegeben werden darf. Ausdrücklich werden die Ombudsstellen verpflichtet, die Betroffenen zur Anzeige bei staatlichen Behörden zu raten. Für den Kontakt zur staatlichen Behörde muss eine Begleitung oder Unterstützung angeboten werden (vgl. § 21 RahmenO). Unklar bleibt in diesem Zusammenhang aber die Bestimmung des § 27b RahmenO, der das Unterlassen einer Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft von einer schriftlichen Untersagung durch den Hilfesuchenden abhängig macht. Zugleich die Zustimmung für die Weiterleitung zu fordern und diese vom Fehlen einer schriftlichen Untersagung abhängig zu machen, ist nicht möglich.

Erhärtet sich der Verdacht des sexuellen Missbrauchs auch vor der Diözesanen Kommission, so gibt diese eine schriftliche Handlungsempfehlung zum Beschuldigten an den Diözesanbischof und gegebenenfalls an die höhere Obere bzw. den höheren Oberen der betreffenden religiösen Gemeinschaft ab. Insbesondere werden auch Sofortmaßnahmen empfohlen, die auch eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft umfassen können (vgl. § 42 RahmenO).

Während die Ombudsstelle dazu raten soll, dass eine Strafanzeige durch das mutmaßliche Opfer erhoben wird, wird im Verfahren vor der Diözesanen Kommission einem Beschuldigten, der die Tat eingesteht, die Selbstanzeige bei den staatlichen Strafverfolgungsbehörden empfohlen (vgl. § 44 RahmenO). In diesem Stadium des Verfahrens geht die RahmenO weit über § 78 StPO. Sollten ausreichend Anhaltspunkte vorhanden sind, die auf eine strafbare Tat hinweisen, soll die Diözesane Kommission der zuständigen kirchlichen Autorität eine Sachverhaltsdarstellung an die zuständige Staatsanwaltschaft empfehlen. Staatsanwaltliche Ermittlungen genießen nun den Vorrang. Die Tätigkeit der Diözesanen Kommission kann während eines gerichtlichen bzw. behördlichen Verfahrens für den konkreten Fall sistiert werden. Eine Weiterleitung an die Unabhängige Opferschutzkommission erfolgt erst nach einer gerichtlichen bzw. behördlichen Entscheidung.

Sollte bereits außerhalb der kirchlichen Verfahren ein staatliches Strafverfahren gegen einen katholischen Geistlichen oder eine(n) Ordensangehörige(n) laufen, sieht Art. XX Abs. 1 des Österreichischen Konkordats mit dem Heiligen Stuhl eine Verständigungspflicht des staatlichen Gerichts vor. Dieses hat den Diözesanordinarius zu informieren und ihm raschestens die Ergebnisse der Voruntersuchung und gegebenenfalls das Endurteil des Gerichtes sowohl in der ersten als in der Berufungsinstanz zu übermitteln. Andere religionsrechtliche Spezialgesetze gehen noch weiter (z. B. § 20 ProtestantenG). Im Hintergrund dieser Regelungen steht eine ursprünglich enge institutionelle Verflechtung der als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften mit hoheitlichen Aufgaben des Staates in einem System der Staatskirchenhoheit. Diese Form der verpflichtenden Kooperation ist nicht nur unter datenschutzrechtlichen Aspekten, sondern auch aus grundrechtlichen Überlegungen angreifbar. In § 12 AnerkennungsG 1874 und § 14 IslamG kommt zum Ausdruck, dass der Staat verhindern möchte, dass verurteilte Straftäter in den anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Seelsorge eingesetzt werden. Im Einzelnen stehen zwar auch diese Vorschriften teilweise auf verfassungsrechtlich dünnem Eis, in einem religionsrechtlichen System vielfältiger Kooperation zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften ist die Vorstellung, dass ein wegen eines Delikts gegen Leib und Leben verurteilter Straftäter weiter in der Seelsorge eingesetzt wird, jedoch schwer vorstellbar.

(Foto: „Handschellen“ von Lisa Spreckelmeyer, piqs.de, CC-Lizenz)

Resümee

Ob die eingeschlagenen Wege, das verbrecherische Unrecht des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener beim Namen zu nennen, ausreichend sind, um den Missbrauch Schutzbefohlener in Zukunft zu vermeiden, darf bezweifelt werden. Erst recht nicht werden aller Voraussicht nach Gutachten zur Heilung der Wunden führen, unter denen Opfer sexueller Gewalt oftmals lebenslang leiden. Die Fakten auf den Tisch zu legen und sich dadurch angreifbarer als andere gesellschaftliche Institutionen zu machen, die keine systematischen Wege gehen, vielleicht auch in ihren Reihen nicht bloß als Verbrechen von Einzelnen geschehenen Missbrauchs aufzuarbeiten, darf aber anerkannt werden, ohne in den Verdacht zu geraten, von der individuellen Schuld und dem systemischen Versagen in der Katholischen Kirche abzulenken.

Weiterführende Literatur

  • Th. Flörl / C. Lisowska, Die Neuregelung der Anzeigepflichten für Gesundheitsberufe durch das Gewaltschutzgesetz 2019, in: ZfG 2019, 111.
  • B. J. Berkmann, Verfahrensordnung bei Beschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs und Gewalt Die Regelungen der österreichischen Bischöfe von 2016, München 2017 (DOI: 10.5282/ubm/epub.40552).
  • G. Hochmayr / K. Schmoller, Zur Reichweite der Verschwiegenheitspflicht von Ärzten, Psychologen und Psychotherapeuten beim Verdacht des sexuellen Kindesmissbrauchs, in: K. Schmoller / A. Holz-Dahrenstaedt (Hrsg.), Sexueller Missbrauch von Kindern, Wien 2000, 15.
  • F. Wallner, Neuregelung der Meldepflichten für die Gesundheitsberufe, in: RdM 2020/277 (= Sonderheft Gmundner Medizinrechtskongress 2020), 225.

DOI: 10.25365/phaidra.322

Titelbild: „Zurückgelassen“ von Lisa Spreckelmeyer, piqs.de, CC-Lizenz (BY 2.0)