Synodalität lernen heißt: aufeinander hören. – Perspektiven des Kirchenrechts

Der Begriff „Synodalität“ ist zu einem Leitbegriff im Pontifikat von Papst Franziskus geworden. Seit dem programmatischen Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ vom 24. November 2013 werden Gewohnheiten, Stile, Zeitpläne und Sprachgebrauch einer ernsthaften Prüfung unterzogen, ob sie wirklich der Evangelisierung in der heutigen Welt dienen oder nur Selbstbewahrung sind. Das Institut für Kirchenrecht und Religionsrecht hat sich in den letzten Semestern von verschiedenen Seiten mit „Synodalität“ befasst und möchte dabei in drei unterschiedlichen Beiträgen interessierten LeserInnen einen Zugang zu diesem Leitbegriff vom Blickpunkt des Kirchenrechts bieten.

Studierende des Kirchenrechts haben sich im WS 2022 in einer Lehrveranstaltung unter dem Titel: „Synodalität im Kirchenrecht – Seminar zum synodalen Prozess der Weltkirche“ ausgiebig mit dem Prozess der Synodalisierung befasst. Themen waren dabei: Begriff und historische Entwicklung von Synodalität, die historische Entwicklung der päpstlichen Unfehlbarkeit und ihr Verhältnis zur Synodalität, sowie Synodalität auf Ebene des Bistums und der Pfarrei, in den katholischen Ostkirchen und in den Religioseninstituten. Da aktuell, wurde eben auch auf die Entwicklungen des synodalen Weges in Deutschland sowie auf die Weltsynode 2021–2024 eingegangen. Abschließend hielt im Rahmen dieser Lehrveranstaltung Prof. Dr. Myriam Wijlens, Inhaberin des Lehrstuhls für Kirchenrecht der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Erfurt, am 12. Dezember 2022 an der Universität Wien einen Gastvortrag zum Thema „Zuhören und Unterscheiden. Katholizität in der weltweiten Synode 2021–2024“.

Ein Bericht von Sr. Romana-Maria Paleček fasst diesen Vortrag treffend zusammen, wobei vor allem auf die nationalen Synthesen der diözesanen Phase eingegangen wird, die laut Prof. Wijlens überraschend eine einzigartige Übereinstimmung sowohl bezüglich der Hoffnungen und positi­ven Erfahrungen als auch angesichts der zur Sprache gebrachten Fragen und offenen Probleme der Kirche weltweit zeigen würden.
Zum Beitrag …

Harald Tripp zeigt in seinem Beitrag unter dem Titel „Kirchenrecht zwischen Bischofsamt und Synodalität“ auf, dass sich die Konzentration auf die Beziehung zwischen Kollegialität und Primat unter anderem dazu geführt hätte, dass Syn­odalität vorwiegend mit der Tätigkeit der im Konzil versammelten Bischöfe identifiziert wird. Dies sei aber heu­te teilkirchlich zu bestimmen, worauf im Artikel näher eingegangen wird. Zudem unterstreicht der Autor die regionale Ebene durch die Subsidiarität im Verträgen, die schon unter Papst Johannes Paul II. auf der Ebene der Konkordatspolitik konkret umgesetzt wurde, indem er verschiedenen Bischofskonferenzen die Aufgabe zugewiesen hatte, Regelungen zur Umsetzung der festge­legten Konkordate zu erlassen und sogar weitere Vereinbarungen mit dem Staat auf lokalkirchlicher Ebene zu treffen. Auf Ebene der Gesamtkirche wäre nach einer stärkeren Beteiligung der Partikularkirche bei den Bischofsernennungen sowie des Einsatzes von Laien in den Aufgaben und Diensten der Kirche, wie durch die jüngste Kurienreform angeregt, zu setzen. Der Verfasser regt einen Gedanken nach einer neuen Grundrechtsordnung in der Kirche an, die Rechtsordnung der katholischen Ostkirchen, sollten dabei vertieft werden, da sie dem Kanonisten und Theologen eine bereichernde Perspektive öffnen, die die Kodifizierung nicht zweier, sondern sogar mehrerer lokaler Codices garantieren könnte, die notwendig wären, um die synodale Dimension der Organisation in der Vielfalt der Partikularkirchen zu unterstreichen.
Zum Beitrag …

Im dritten Beitrag befasst sich Felix Ouedraogou befasst sich in seiner Dissertation am Institut für Kirchenrecht und Religionsrecht u. a. mit dem Thema der Mitwirkungsrechte in der Kirche. Unter dem Titel „Die Mitwirkung in der Kirche als Form der Partizipation nach dem CIC: Die Mitwirkungsrechte“ Überlegt er eine spezifische Form der Kooperation, nämlich die Mitwirkungsrechte im Rahmen der Partizipation im geltenden Kirchenrecht zu stärken. Im CIC gibt es etwa 250 Vorschriften verschiedener Art von Mitwirkungsrechten. Dies zeigt Oedraogou im Blick auf die Umsetzung der Mitwirkung im geltenden Gesetzbuch der Kirche in folgenden Bereichen auf: Vereinigungsrecht (c. 216 CIC), Schulrecht (c. 803 § 3 CIC), im Blick auf Publikationen (c. 831 § 1 CIC) und hinsichtlich Heiliger Orte (c. 1210 CIC), sowie auf die rechtsgültige Veräußerung kirchlicher Güter (c. 1291 CIC).
Zum Beitrag…

Alle drei Beiträge zeigen auf ihre Art auf, dass das Ziel des Gesetzgebers das Wohl der kirchlichen Gemeinschaft (vgl. c. 1752 CIC) garantieren müsse. Die Sendung der Kirche könne auch im Blick auf den Leitbegriff „Synodalität“ nur fruchtbar sein, wenn es eine echte Gemeinschaft unter den Gläubigen gibt, die berufen und gesandt sind, den Auftrag Christi zu erfüllen. Jeder Getaufte ist ein Glied des Volkes Gottes und berufen, seiner Lebenssituation entsprechend daran mitzuwirken, die kirchliche Gemeinschaft (Communio) zu verwirklichen. Dazu will Synodalität in der Kirche beitragen und so verstanden ist sie unverzichtbar.

Der Themenblock über Synodalität und Perspektiven vom Blickpunkt des Kirchenrechts versteht sich als kleine Stimme zu einer sich stets rasch entwickelnden kirchlichen Wirklichkeit, die die Kirche durch das Zuhören als eine vom Geist Gottes geführte Weggemeinschaft versteht. Mögen diese Beiträge auch für einen breiteren interessierten Leserkreis dabei hilfreich sein, Synodalität zu reflektieren und für die Praxis und die Verbesserung der Rechtsordnung der Kirche fruchtbar zu machen!

Harald Tripp

Titelbild: pixabay.com

Zur wahrheitspolitischen Heteronomie des „sensus fidei fidelium“ im Kontext des Synodalen Weges

Von Christian Faber.

DOI: 10.25365/phaidra.393

1. Einleitung

In den synodalen Bestrebungen der Weltkirche und dem Synodalen Weg in Deutschland stellt sich so prominent wie lange nicht mehr die Frage nach dem Verhältnis der Kirche zu ihren Gläubigen. Als Reaktion auf die sogenannte Missbrauchsstudie von 2018 und die hohe Anzahl an Kirchenaustritten, schickt sich das von der DBK und dem ZDK initiierte Forum an, den Gläubigen einen institutionalisierten Raum zu geben, damit die Partikularkirche den Glaubenssinn ihrer Gläubigen vernehmen kann, und so zu einer hörenden Kirche wird.
Schließlich sind die dogmatischen Voraussetzungen für eine breite Partizipation der Laien, durch die Feststellung des unbeirrbaren Glaubenssinn aller Gläubigen durch das 2. Vatikanische Konzil, schon längst gegeben. Doch wie so viele lehramtliche Texte und Schriften, die sich auf das vermittelte Wort Gottes berufen, sind auch die Verlautbarungen des Konzils hinsichtlich der Rolle der Laien interpretationsoffen. Dies führt zu einem Problem, das Sabine Demel prägnant zusammenfasst: „Seit jeher behaupten die einen, dass es eine Communio-Ekklesiologie ist, die anderen dagegen, dass es eine Hierarchie Ekklesiologie ist und beide Richtungen meinen, auf entsprechende Konzilsbelege verweisen können“ (Demel 2012: 15). Die bestimmte Ekklesiologie hat zentrale Konsequenzen für die Frage nach den Kompetenzen, die dem sensus fidei fidelium zugestanden werden. Jene, die das aktuelle Verhältnis zwischen Laien und Klerus kritisieren, tun dies explizit mit dem Verweis auf die verlautbarte Dogmatik des 2. Vatikanischen Konzils. Für sie bleibt der proklamierte übernatürliche Glaubenssinn aller Gläubigen zugunsten der gottgewollten Hierarchie wahrheitspolitisch auf der Strecke; sie fragen: „Wie läßt sich die eingetretene Schwerhörigkeit der Kirche als Institution heilen und in einen guten Dialog überführen“ (Wiederkehrer 1993: 79)? Doch kann eine solche Form der Zusammenkunft, wie die des Synodalen Weges, den jahrzehntelang gepflegten epistemologischen Graben zwischen Laien und Klerus überwinden? Handelt es sich dabei nicht viel eher um eine „Partizipationsattrappe“ (Lüdecke 2021: 12)? Oder gibt es vielleicht überhaupt keinen Grund die tradierte Hierarchie in der Kirche zu egalisieren? Die These, die diese Arbeit zu untermauern versucht, lautet: Obwohl das Konzil dem sensus fidei fidelium historisch unvergleichliche Autorität beimisst, haben es Lehramt und Kirchenrecht versäumt, diese Einsichten geistlich in die wahrheitspolitischen Prozesse zu integrieren. Der Synodale Weg in Deutschland stellt in diesem Kontext einen ersten Versuch dar, dieses Missverhältnis zu begradigen. Ob das gelingt, bzw. überhaupt so gelingen kann, soll hier versucht werden zu beantworten.
So erfolgt zunächst im 2. Kapitel die Erörterung des Glaubenssinns aller Gläubigen vor dem Hintergrund des II. Vatikanischen Konzils, um die daraus gewonnen Erkenntnis dem Lehramt gegenüberzustellen. Nach einem kurzen Resümee über das Verhältnis zwischen diesen beiden Quellen der Glaubenswahrheiten folgt eine Erläuterung über die kirchenrechtlichen Konsequenzen. In den Rechtsnormen über das Verhältnis von Laien und Klerikern zeigt sich, wie sich die dogmatischen Verlautbarungen des Konzils nach seinem Ende einseitig zugunsten der Kleriker im kanonischen Recht materialisiert haben. Schließlich wird die Einbeziehung des sensus fidei in die communio hierarchica am Beispiel des Synodalen Weges in Deutschland diskutiert. Das Fazit fasst letztlich die Ergebnisse zusammen und gibt einen kurzen Ausblick auf künftige Reformpotentiale.

2. Zum Verhältnis vom Glaubenssinn aller Gläubigen und dem Lehramt der katholischen Kirche


Die Frage nach den Grenzen und Potentialen der Partizipation von Laien in den aktuellen Synodalen Bestrebungen, sowohl im deutschen Synodalen Weg wie auch in der laufenden Weltsynode, fundiert sich in der grundsätzlichen Beziehung zwischen Klerikern und Laien, sowie der Frage nach dem Wesen und der Konstitution der Kirche selbst. Im Folgenden sollen deshalb mit dem sensus fidei fidelium und dem Lehramt zwei Elemente innerhalb der Kirche gegenübergestellt werden, die jeweils auf ihre Art und Weise fundamentale Einsichten in eben jenes Wesen der Kirche und die Praxis des Glaubens geben. Dieses Kapitel wird durch die Rekonstruktion dieser Opposition zu dem Ergebnis kommen, dass der sensus fidei fidelium ein zugunsten der Hierarchie und der Tradition vernachlässigtes Element innerhalb der Wahrheitspolitik der Kirche darstellt. Im dritten Teil werden die hier gewonnen Einsichten dann im Kontext der kirchenrechtlichen Dimension hinsichtlich der Laienpartizipation eingeordnet.

2.1 Heteronomie und Autonomie des sensus fidei fidelium

Das II. Vatikanum hob den „supernaturalis sensus fidei“ (LG 12) durch Ihre lehramtliche Gewalt aus einer verlorenen gegangen Tradition in eine prädestinierte Stellung, die sich im Dokument Lumen Gentium (LG) niederschlägt. Diese privilegierte Stellung erwächst zunächst aus der epistemologischen Autorität: „Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), kann im Glauben nicht irren“ (LG 12). Der sensus fidei fidelium stellt eine „Gabe an das ganze Volk Gottes dar, die den einzelnen Gläubigen durch die Geistesgabe in Taufe und Firmung zugesprochen wird“ (Ohly 1999: 319). Im Idealfall äußert sich der sensus fidei fidelium dort, wo das Gottesvolk, vom Laien bis zum Bischof, „ihren universalen Konsens in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert bzw. hervorbringt“ (Burghardt 2002: 23). Dieser Konsens ist „eine Manifestation der Beteiligung Gottes am Entscheidungsprozess“ (Wijlens 2022: 449). Das gesamte Gottesvolk schließt so eben jene mit ein, die nicht durch das Weihesakrament einen höheren Geistesbeistand genießen und bindet die Hirten an die Erkenntnisfähigkeit ihrer Herde, der Laien1. So wird gleich zu Beginn von LG 12 betont, dass das gesamte Gottesvolk (also auch die Laien) am dreifachen Priesteramt Jesu Christi teilhaben. Das dreifache Amt umschließt hierbei neben der priesterlichen und königlichen Würde auch das prophetische Amt, also das lehramtliche Amt. Eine eklektische Interpretation dieser Stelle im LG könnte nun annehmen, dass das amtliche Lehramt und das allgemeine Lehramt aller Gläubigen mindestens ein reziprokes Verhältnis zueinander pflegen. Das Laienapostolat ist Teil der Sendung der Kirche selbst und nicht ontologisch abhängig von der Hierarchie. Hier zeigt sich die relative Autonomie und die geistlich Subjektwerdung der Laien durch das II. Vatikanische Konzil (vgl. Neuner 2015: 121). LG 31 präzisiert dieses Postulat, wenn es im Abschnitt über die Laien heißt, dass sie „auf ihre Weise teilhaftig“ sind. Diese Partikularität wird durch nachfolgende Äußerungen über den bestimmten „Weltcharakter“ (LG 31) der Laien verdeutlicht. Peter Neuner verweist jedoch darauf, dass diese Äußerungen keine Wesensdifferenz zwischen Klerikern und Laien konstituieren und so nicht als „Einschränkung des Laienapostolats“ (Neuner 2015: 243) zu verstehen seien. Dieser Umstand wird dann für das Wesen der Kirche virulent, wenn es darum geht, wie Entscheidungen über die Wahrheit des rechten Glaubens getroffen werden. Thomas Schüller zitiert hierzu Papst Franziskus: „Der sensus fidei verbietet, starr zwischen Ecclesia docens [der lehrenden Kirche] und Ecclesia discens [der lernenden Kirche] zu unterscheiden, weil auch die Herde einen eigenen ‚Spürsinn‘ besitzt, um neue Wege zu erkennen, die der Herr für die Kirche erschließt“ (Papst Franziskus 2015, zitiert nach Schüller 2022: 347).
Dabei wirkt der Glaubenssinn nicht ausschließend auf der individuellen oder auf der kollektiven Ebene. Christoph Ohly betont die doppelte Seite des sensus; einerseits dient der sensus als sensus fidei zur persönlichen Vertiefung in die Glaubenseinsicht und andererseits als sensus fidei fidelium zur intersubjektiv geteilten Einheit mit anderen Gläubigen (vgl. Ohly 1999: 319). Durch die Wirksamkeit auf beiden Ebenen ist der Gläubige zum Erkennen und zur Annahme von Gottes Wort, zum Festhalten am Glauben selbst und zum tieferen Eindringen in den Glauben fähig. So gelingt es den christfidelis als Gemeinschaft, mit den Worten von Wijlens, „[to] arrive at an insight about what is a value for it“(Wijlens 1995: 25).

Doch ist nicht jede (vermeintliche) Einsicht eines Gläubigen über den Glauben und seine Praxis gleichsam vom Heiligen Geist getragen, der den Gläubigen ihren Glaubenssinn spendet. Immer wieder warnen Hierarchen davor, dass der Zeitgeist der öffentlichen Meinung oder der „Ungeist“ den Glaubenssinn korrumpieren. Denn es muss festgestellt werden: weil jemand gläubiger Christ ist und die Initiationssakramente empfangen hat, ist nicht jede seiner Aussagen und Handlungen vom Heiligen Geist beseelt. Peter Brauchart führt in seiner Dissertation (1983) die latente Anfälligkeit der Laien für solche Verirrungen auf die Erbsünde zurück, von der sie durch ihren Weltcharakter besonders betroffen seien; das falsche Erkennen sei „in der Schwäche des christlichen Volkes zu suchen, das aufgrund seiner sündigen Verfaßtheit das Wirken des Geistes behindert, der allen Kirchen zur Ausnahme der einen Wahrheit und zur Einheit treiben möchte“ (133). Im Gegensatz zu den Laien kommt den Geweihten qua ihrer göttlichen Berufung ein höherer Geistesbeistand zu. Schließlich sind Kleriker nicht durch machtpolitische Manöver und harten Fleiß in Amt und Würden gekommen, sondern weil sie von Gott auserwählt wurden, um das Hirtenamt für die Gemeinde resp. die Diözese auszuführen. Norbert Lüdecke spricht in diesem Kontext von der ontologischen Scheidung. Für ihn sind Kleriker und Laien bezüglich der spirituellen Epistemologie eben doch grundsätzlich dem Wesen nach verschieden. Deswegen trifft der Verdacht des Zeitgeistes oder Ungeistes weniger auf die Geweihten zu.
Um nun zu erkennen, welche Einsichten der Laien vom Heiligen Geist getragen sind, bedarf es einer „Unterscheidung der Geister“. Die Internationale Theologische Kommission gibt in Ihrer Verlautbarung „SENSUS FIDEI und SENSUS FIDELIUM im Leben der Kirche“ (2014) eine Übersicht darüber, wie sichergestellt werden kann, dass es sich um eine authentische geistliche Einsicht in die Glaubenswahrheiten handelt. Dort werden Charakteristika identifiziert, die die Gläubigen zu wahrhaftigen Subjekten des sensus fidei machen sollen. Diese Merkmale bündeln sich letztlich unter dem Begriff der Partizipation in der Kirche. Konkret muss der Laie folgende Aktivitäten wahrnehmen:

„[…] ständiges Gebet (vgl. 1 Thess 5,17), aktive Teilnahme an der Liturgie, besonders an der Eucharistie, regelmäßiger Empfang des Bußsakraments, Wahrnehmung und Anwendung der Gaben und Charismen, die man vom Heiligen Geist empfängt, aktives Engagement in der Mission der Kirche und in der diakonia.“ Hinzu kommt „das Akzeptieren der kirchlichen Lehre in Fragen des Glaubens und der Sitten […], die Bereitschaft, Gottes Gebote zu befolgen und den Mut, seine Brüder und Schwestern zu korrigieren, wie auch selbst Zurechtweisungen anzunehmen“ (89). Das bedeutet auf emotionaler-spiritueller Ebene „in Harmonie mit der Kirche fühlen, empfinden und wahrnehmen“ (90).

So stellt die Kommission bei jenen Gläubigen einen authentischen Glaubenssinn sicher, die bereits aktiv in die hierarchische Kirche eingebunden sind. An dieser Stelle leitet der Passus über das Akzeptieren der „kirchlichen Lehre in Fragen des Glaubens und der Sitten“ zum Teil über das Verhältnis zum Lehramt über.

Nun handelt sich bei Lumen Gentium selbst um einen lehramtlichen Text höchster Autorität. Peter Neuner verweist darauf, dass das Konzil den Text auch aus pragmatischen Gründen bewusst interpretationsoffen formulierte, um eine höchstmögliche Einmütigkeit zu erzielen (vgl. 2015: 130f.). Bezüglich der Rolle der Laien und des sensus fidei fidelium treten dadurch ambivalente Äußerungen auf. Im vorherigen Teil wurde der sensus fidei fidelium weitestgehend als egalitäres Moment in der Kirche erörtert, der die Subjekt-Werdung des einzelnen Gläubigen innerhalb der Hierarchie stärkt und somit den sensus fidei als autonome Quelle der Erkenntnis über die Glaubenswahrheit in den Mittelpunkt stellt. Doch wie bereits in der Erklärung der Internationalen Theologischen Kommission zitierten Verlautbarung, lässt Lumen Gentium auch eine Interpretation zu, die den Glaubenssinn aller Gläubigen unter die Fittiche des Glaubenssinns des Klerus nimmt. Deswegen sollen hier kurz die Argumente vorgebracht werden, die in der nachkonziliaren Rezeption die Heteronomie des sensus fidei feststellen und das wahrheitspolitische Missverhältnis zwischen Klerikern und Laien erhalten wollen. In LG 12 wird nämlich nicht nur die Unfehlbarkeit festgestellt, sondern auch die Abhängigkeit des Glaubenssinns vom Lehramt: „Durch jenen Glaubenssinn nämlich […] hält das Gottesvolk unter der Leitung des heiligen Lehramtes […] den einmal den Heiligen übergebenen Glauben (vgl. Jud 3) unverlierbar fest“; und weiter: „Das Urteil über ihre Echtheit [die Gaben des Heiligen Geistes] und ihren geordneten Gebrauch steht bei jenen, die in der Kirche die Leitung haben und denen es in besonderer Weise zukommt, den Geist nicht auszulöschen, sondern alles zu prüfen und das Gute zu behalten (vgl. 1 Thess 5,12.19-21) (LG 12)“. Die hervorgehobenen Stellen verdeutlichen die Heteronomie des Glaubenssinns vom Lehramt2. Exemplarisch für eine solche kleruszentrierte Wahrheitspolitik der ecclesia hierarchia dient dieses Zitat von Peter Brauchart: „Das sichere Fundament für die Wahrheitserkenntnis in der Kirche ist die Übereinstimmung des gesamten Gottesvolkes, wobei den Aussagen des Lehramtes auf Grund seiner qualifizierten Verantwortung und der leichteren Greifbarkeit ein besonderes Gewicht zukommt“ (Brauchart 1982: 129). Myriam Wijlens hingegen betont in abwägender Manier, dass das Urteil in Glaubensfragen „nicht allein unter der Leitung des Lehramtes ausgeübt [wird], sondern es besteht eine Zirkularität zwischen dem sensus fidelium und dem Lehramt“ (2022: 442).
Unfehlbarkeit kommt nicht nur der Gesamtheit der Gläubigen zu, wo sie einen Konsens erzielen, sondern auch dem Lehramt (vgl. c. 748 §2). Dies stellt für Dietrich Wiederkehrer ein Problem dar. Er negiert den universell-göttlichen Wahrheitsanspruch zugunsten der Feststellung, dass auch lehramtliche Einsichten und Entscheidungen nie frei von Umwelteinflüssen und zeitgeistlichen Entwicklungen sein können (vgl. Wiederkehrer 1994: 189). Der Verdacht des Lehramtes am bloß relativen Wahrheitsgehalt des sensus fidei fidelium, der in vielen verschiedenen Wahrheitsgestalten auftritt, müsse sich auch in produktiver Weise auf sich selbst beziehen:

„Diese Partikularisierung auch der lehramtlichen Entscheidungen und Formulierungen wird erst und meist mit Widerwillen zugestanden, wenn ihre eigene schlechte Unzeitgemäßheit und ihre bewußten oder unbewußten Verblendungszusammenhänge nicht mehr zuzudecken sind“ (190).

Mit Walter Benjamin kann man hier von einem „Zeitkern“ (Benjamin 1982: 578) der Wahrheit sprechen. Neben den selbstevidenten Anspruch der Universalität der Wahrheit in der Verkündung lehramtlicher Einsichten, tritt der unbedingte Wille nach Konsens und Harmonie. Auch hier sei eine Relativierung dieser beiden Ansprüche produktiv für das Lehramt, um den latenten Zweifel gegenüber dem sensus fidei fidelium vermindern. Nur dort, wo Dissens über Glaubensfragen zugelassen wird, ohne schismatische Vorwürfe geltend zu machen, könne die Wahrheitspolitik eine egalitäre und produktive Wendung erfahren.

2.2 Resümee: Konkurrenten oder Partner?

An dieser Stelle lässt sich resümieren, dass zwischen Lehramt und Glaubenssinn, je nach Interpretation, ein zumindest ambivalentes Verhältnis erwächst. Wie beschrieben holte erst das II. Vatikanische Konzil den übernatürlichen Glaubenssinn aller Gläubigen aus der historischen Versenkung, wobei die expliziten Äußerungen im Lumen Gentium interpretationsoffen bleiben. Gleichzeitig wurde der Glaubenssinn hierbei unter die epistemologischen Fittiche des Lehramts gestellt, wodurch seine Kompetenz und seine Autonomie stark beschnitten wurde. In der nachkonziliaren lehramtlichen Rezeption des sensus fidei wird immer wieder das reziproke Verhältnis dieser beiden Quellen der Glaubenswahrheit betont. Jedoch muss eindeutig festgestellt werden, dass in der Wahrheitspolitik der Kirche das Primat des amtlichen Lehramtes unangetastet bleibt. Dies ist nur folgerichtig, wenn man die Notwendigkeit der Unterscheidung der Geister akzeptiert. Während die Laien gewissermaßen zu Gehorsam in Glaubensfragen durch das Lehramt gezwungen werden, gibt es keinerlei Obligationen gegenüber dem Klerus den sensus fidei fidelium anzuhören. Das Verhältnis ist auf vielen Ebene eine Einbahnstraße, obwohl es genügend Gründe und dogmatisch ermöglichte Reformen gebe, um die Laien und Ihren Glaubenssinn stärker in die Wahrheitspolitik der Kirche einzubinden (vgl. Wijlens 2022: 439). Wie geht nun der Gesetzgeber mit dieser Ambivalenz um?

2.3 Zur Rolle des kanonischen Rechts

Weil sich im Kirchenrecht das Kirchenverständnis materialisiert, ist die Beantwortung nach der Frage der Konstitution der Kirche nicht von der Betrachtung der Rechtsrealität zu lösen. Das kanonische Recht von 1983 ist die (vermittelte) Konsequenz aus dem II. Vatikanum3 und in seiner Entstehung und in der Interpretation der einzelnen Normen auf die Ekklesiologie der Konzilsväter angewiesen: „Das konziliare Kirchenbild ist der Kontext der kirchlichen Gesetze des CIC, der bei allen kirchlichen Gesetzen heranzuziehen ist“ (Demel 2012: 17). Gleichzeitig, so Christoph Ohly, warne die Kanonistik vor der Überbewertung des sensus fidei fidelium (vgl. Ohly 1999: 5). An dieser Stelle soll gezeigt werden, wie sich diese Warnung, bzw. das Misstrauen, in den Rechtsnormen des CIC niederschlägt.
Doch zunächst zu einigen ausgewählten Rechtsnormen. In den vier Katalogen über die Rechte und Pflichten der Gläubigen im Buch Zwei des CIC schlägt sich „das Kirchenverständnis, das sich im Kirchenrecht konkretisiert“ (Boeckenförde 1994: 207) nieder und somit auch das Verhältnis zwischen Laien und Klerikern. Zunächst ist festzustellen, dass die Laien im Gesetzbeuch ex negativo definiert werden: „Kraft göttlicher Weisung gibt es in der Kirche unter den Gläubigen geistliche Amtsträger, die im Recht auch Kleriker genannt werden, die übrigen dagegen heißen auch Laien“ (c. 207 §1). Wo sich für manche Kirchenrechtler hier die vom II. Vatikanum vermeintlich überwundene societas inaequalis nahtlos fortschreibt (vgl. Konrad 2010: 19), stellt der Katalog über die Rechte und Pflichten der Laien, durch seine voran gestellte Position innerhalb des CIC, eine Würdigung der Gläubigen mit Weltcharakter dar (vgl. Ahlers 2015: 299; Riedl 2015: 303f.). Jedoch gesteht Ahlers ein, dass das CIC die Gleichheit unmittelbar wieder „verdunkelt“ (ebd. 299), wenn im Gesetzbuch die Abschnitte über Rechte und Pflicht wiederum in „Laien“ und „Kleriker“ geteilt sind. Aber nicht nur die Position der Kanones über die Laien, sondern auch c. 208 stärkt das Argument der fundamentalen Gleichheit, wenn der Gesetzgeber verlauten lässt, dass unter allen Gläubigen „eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit [besteht], kraft der alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken“ (c. 208). Analog zur Uneinigkeit bei der Frage, ob Lumen Gentium eine egalitäre oder eine hierarchische Ekklesia konstituiert, lässt c. 212 offen, ob die zuvor postulierte Gleichheit aller Gläubigen durch das lehramtliche Primat in Glaubensfragen zur Disposition gestellt oder zumindest eingeschränkt wird. Dort heißt es in §1: „Was die geistlichen Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer des Glaubens erklären oder als Leiter der Kirche bestimmen, haben die Gläubigen im Bewußtsein ihrer eigenen Verantwortung in christlichem Gehorsam zu befolgen“ (c. 212 §1). Diese Stelle kann zweifelslos als nahtlose Übersetzung der konziliaren Ekklesiologie hinsichtlich des Primats des Lehramtes des Klerus festgestellt werden. Doch wie verhält es sich mit der Anerkennung des sensus fidei fidelium und dem Laienapostolat? Im dritten Kapitel des Zweiten Buches über die Rechte und Pflichten der Kleriker, zeigt sich, wie die Kleriker das Laienapostolat anzuerkennen und zu fördern haben (vgl. c. 275 §2). Gerda Riedl lobt hier die Anerkennung des Sendungsauftrag der Laien, doch schwächt sie ihr Argument fundamental, wenn sie daraufhin schreibt: „Laien können auf verschiedene Weise auch zur unmittelbaren Mitarbeit in der Kirche herangezogen werden“ (Riedl 2015: 305f.). Die Betonung soll hier auf das „können“, die „Mitarbeit“ und die passivierende Form des „herangezogen werden“ liegen. Darin ist, zumindest für viele Gläubige, eine gesetzlich verankerte (bzw. eben nicht verankerte) Herabwürdigung impliziert. Einzig den Geweihten kommen alle Entscheidungen zu,

„obwohl doch der Geist seine Gaben an alle aus- und jedem nach seinem Maß zuteilt. Theologisch gesprochen wird diese einschränkende Formulierung dem Sensus Fidei Fidelium nicht gerecht, diesem »Spürsinn der Herde«, um »neue Wege zu finden« (vgl. EG 31; vgl. LG 12a: in credendo falli nequit)“ (Borras 2021: 6).

Das Zitat von Riedl macht klar, dass abseits der Partizipationsmöglichkeiten (nicht: Partizipationsrechte) auf der Ebene der Pfarrei (vgl. c. 529 §2), die Anhörung und Aufnahme des geistgeleiteten sensus fidei fidelium einzig von der Gunst des Hierarchen abhängt. Wenn Riedl bezüglich der Heilssendung auf die „konstruktiv-komplementäre Verwiesenheit“ (306) von Klerus und Laien verweist, so negiert sie die offensichtliche Einseitigkeit dieses vermeintlich reziproken Verhältnisses. Wollte man diesen Idealtypus der Verwiesenheit auch in die ekklesiologische Wirklichkeit übersetzen, kommt man nicht um eine Anhörungspflicht der Laien, wie sie Böckenförde vorschlägt (vgl. 1994: 207), umhin. Im Zeichen der Weltsynode und der ausgerufenen Synodalität als Grundlage der Kirche überhaupt, kann man mit Sabin Demel fragen, ob es „neue theologische Erkenntnisse [gibt], die rechtserheblich sind und deshalb eine entsprechende kirchenrechtliche Umsetzung verlangen“ (Demel 2009: 15). Burghardt geht in seiner Analyse so weit zu schreiben, dass eine „Vernachlässigung des sensus fidei im CIC“ bestehe, die einen „Mangel in Bezug auf die Rezeption des II. Vaticanums durch den CIC“ (Burghardt 2002: 99) darstelle. Somit falle das Kirchenrecht von 1983 hinter die Einsichten des II. Vatikanischen Konzils zurück. Ähnlich resümiert Michael Böhnke, wenn er von der „Geistvergessenheit des kirchlichen Gesetzbuches“ spricht, das „den Begriff des Glaubenssinn der Gläubigen unterschlagen hat“ (Böhnke 2017: 121f.). Ob der Synodale Weg in Deutschland Produkt einer solchen theologischen Erkenntnis ist und ob er ein solches Forum bieten kann, oder ob der sensus fidei fidelium nicht viel eher dezentral und ohne ein Repräsentationssystem erlebt und erhoben werden sollte, soll im nächsten Kapitel diskutiert werden.

3. Diskussion am Gegenstand des Synodalen Weges in Deutschland

In der Synodalversammlung des Synodalen Weges formiert sich der Anspruch einer synodalen Kirche durch gemeinsame Anwesenheit von Laien und Klerikern. Dabei stellt der Synodale Weg in Deutschland eine sehr breite Themenpalette zur Abstimmung, die fast durchweg in den Kompetenzbereich der Weltkirche und des Universalrechts fallen. Diese fehlende Rechtssetzungskompetenz war im Vorfeld klar. Zudem handelt es sich nicht um eine ordentliche Synode, da eine ordentliche Synode „der Zustimmung durch den Heiligen Stuhl [bedarf], die oft erst nach einem längerfristigen Verfahren erteilt werden kann“ (https://www.synodalerweg.de/faq).
An dieser Stelle soll es weniger um die Inhalte des Synodalen Weges gehen. Stattdessen soll der Synodale Weg an seinem Anspruch und seinem Verfahren betrachtet werden. Das Verfahren soll hier auf das gemeinsame Anhören und Abstimmen reduziert werden, da diese deliberative Form dem päpstlichen Ideal einer hörenden Kirche entspricht, wie es im Vorfeld der Weltsynode verlautbart wurde. Dieser Prozess wird der zuvor genannten idealtypischen Reziprozität hinsichtlich der lehramtlichen Verlautbarungen zwischen Klerikern und Laien, abseits der Abwesenheit rechtssetzender Kompetenzen, durch die gemeinsame Anhörung und die Abstimmung gerecht. Einschränkend erwähnt sei an dieser Stelle die in der Satzung festgelegt Sperrminorität der Bischöfe, welche die Anerkennung der Hierarchie und des klerikalen Primats ernst nehmen soll. Zur Annahme einer Beschlussfassung benötigt es neben der 2/3 Mehrheit der restlichen Synodalversammlung, die Zustimmung von 2/3 der anwesenden Bischöfe. Somit können 24 Bischöfe eine Entscheidung blockieren (vgl. Lüdecke 2021: 166). Deswegen spricht Lüdecke in diesem Zusammenhang auch von einem „kontrollierten Gleichheitsgefühl“ (ebd. 180).
Wie Alphonse Borras (2021) feststellt, herrscht auf allen Ebenen ein geregeltes Maß an Laienbeteiligung, das, wie im Teil über die kirchenrechtlichen Konsequenzen ausgeführt, so minimal und unverbindlich wie möglich gehalten ist. Wo die Gunst des Pfarrers es erlaubt, ist diese Partizipation auf die Beratungsfunktion der Laien begrenzt, zumal die Einrichtung eines Diözesanrates nicht durch das CIC garantiert ist, sondern auf die Empfehlung des II. Vatikanums zurückgeht (vgl. Borras 2021: 5f.). Beim Synodalen Weg ist den Laien nun nicht nur das Recht zur Beratung gegeben, sondern auch das zur Entscheidung in Form von Abstimmung über die Beschlusstexte. Dadurch geht das Forum in seiner Konstitution über bisherige Formen der Laienpartizipation hinaus. Auch die vorangehende Anhörung beider Seiten zielt bereits über das alltägliche Maß an Deliberation hinaus.
Synodalität, so Papst Franziskus, „setzt die Einwirkung des Heiligen Geistes voraus und bedarf ihrer“ (Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland). Doch analog zur Unterscheidung der Geister abseits von Synoden ist auch hier das Erkennen der authentischen Anwesenheit keine eindeutige Angelegenheit. In polemischer und doch pointierter Weise fasst Norbert Lüdecke das Problem zusammen, wie es auch auf dem Synodalen Weg auftritt:

„Geistererfüllte Synodalität bedeutet also: Wenn in der Kirche, auf einer Synode oder einem synodalen Weg etwas weht, entscheiden darüber, ob es der Heilige Geist oder doch nur Durchzug war, jene Männer, denen Gott in der Bischofsweihe besonderen Geistesbeistand verliehen hat. Ausschlaggebend sind jene Männer, die Gott in so spezieller Weise Christus gleichförmig gemacht hat, dass sie, wenngleich cum et sub Petro, seinen Willen verlässlich erkennen und für die übrigen Gläubigen verbindlich erklären“ (Lüdecke 2022: 174f.).

Ein weiterer Kritikpunkt, der für die Frage nach den Möglichkeiten der Realisierung des sensus fidei fidelium relevant erscheint, ist die Frage nach der Struktur des Synodalen Weges mittels des Repräsentationsprinzips4. Genauso wie die Kirche kein Parlament sei, so wenig lässt sich der sensus fidei fidelum mittels Repräsentation (abseits der Fragen nach deskriptiver und substanzieller Repräsentation) in ein solches Forum übertragen. Diesem Argument folgend eignet sich überhaupt keine Form der Synodalität für die Erhebung und Verwirklichung des sensus fidei, da die Anwesenheit der zu vertretenden Gläubigen notwendig ist, damit sich der Glaubenssinn intersubjektiv verwirklichen kann. Dem schafft vor allem die geplante Einrichtung eines Synodalen Rates keine Abhilfe.
Stattdessen soll an dieser Stelle auf die prädestinierte Institution verwiesen werden, die es bereits in der Struktur der Kirche gibt, die aber durch eine Anhörungspflicht der Laien und einen Abbau der Barrieren gestärkt werden muss: die Ebene der Pfarrei. Um den sensus fidei fidelium konstruktiv und wahrhaftig als Quelle für Erkenntnisse über die Glaubenswahrheit anzurufen, braucht es eine unvermittelte und rechtlich garantierte Form der Einbindung und Anhörung der Laien auf der Ebene der Pfarrei. Nirgendwo sonst ist der Hirte so nah an seiner Herde und nirgendwo sonst kommt das Volk Gottes in solcher Intersubjektivität und institutionalisierter Form zusammen. Dabei gibt es bereits rechtliche Möglichkeiten um die Laien beratend anzuhören. Genau wie Wiederkehrer es betont, müsse hierfür die Angst vor Uneinigkeit und Dissens überwunden werden. Diese Form könnte eine rechtlich einklagbare Norm sein, bei der die Laien auch Entscheidungsbefugnisse haben. Die daraus gewonnen Erkenntnisse für den Pfarrer sollten sich infolgedessen in graswurzelartiger Manier die Stufen der Hierarchie hinaufranken. So könnte sich das Laienapostolat und der sensus fidei fidelium in produktiver Weise verwirklichen und ein ausgeglicheneres Verhältnis zwischen Lehramt und sensus fidei realisieren, wenn denn die Erkenntnisse der Laien ernstgenommen werden.

4. Fazit

Durch den Glaubenssinn aller Gläubigen und das durch das II. Vatikanum proklamierte Laienapostolat wurden schlüssige Argumente für die spirituell-epistemologische Kompetenz der Laien geliefert, die eine egalitäre Kirchenverfassung und eine breite Partizipation der Laien, die auch kanonisch geregelt werden könnte, garantieren können. Zu dieser Interpretation gesellen sich die die aufgezählten Kanones, die die Laien geradezu zur Partizipation an der Sendung verpflichten und den Pfarrer dazu anhalten das dreifache Priesteramt der Laien anzuerkennen und zu fördern. Doch der Ekklesiologie des II. Vatikanums wir der Kodex nur sehr bedingt gerecht. Kirchenrecht und Lehramt verfügen in Gänze über die Hoheit der Wahrheitspolitik in der Kirche. Um ein tatsächliches reziprokes Verhältnis zwischen Lehramt und Glaubenssinn herzustellen, gilt es den konstruktiven Charakter des sensus fidei fidelium für das Lehramt zu betonen. Das täte auch der Ekklesiologie der Konzilsväter genüge, wenn man den Dogmatikern und Kirchenrechtlern folgt, die im CIC eine einseitige Rezeption der Konzilsbeschlüsse hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Laien und Klerus bemängeln, die sich zugunsten der Hierarchie gestaltet. So schlägt Boeckenförde eine rechtsbindende Anhörungspflicht vor, siedelt sie aber nicht auf einer bestimmten Verwaltungsebene an: „Es fehlt bisher ein kirchenrechtlich garantierter Rahmen, in dem sich der sensus fidelium artikulieren kann, um mit den Charismen der Amtsträger zum consensus Ecclesiae zusammenzuwachsen“ (Boeckenförde 1994: 210). Diese Anhörung findet nun auf dem Synodalen Weg statt. „Eine solche Forderung erkennt die Autorität des Amtsträgers an und kann deshalb nicht als revolutionär denunziert werden“ (ebd.: 211). Dieses Prozedere kann zudem, solange er nicht das Universalrecht berührt, bereits in den Diözesen angewandt werden. Kardinal Marx Äußerungen stellen hierfür ein produktives Beispiel dar, wenn er mithilfe des Priesterrates und des Diözesanrates Beschlüsse des Synodalen Weges umsetzen will.5 Der Synodale Weg stellt eine wichtige Erprobung von Laienpartizipation mit Entscheidungsbefugnissen und Anhörungspflichten dar. Doch scheitert er bezüglich der Realisierung des sensus fidei fidelium an seinem Repräsentationssystem und der fehlenden Rechtssetzungskompetenz. Stattdessen wurde in der Diskussion vorgeschlagen, die Ebene der Pfarrei, auf der die Gläubigen unmittelbar im Glauben zusammenkommen, als prädestinierten Ort der Verwirklichung des sensus fidei fidelium und das dreifache Priesteramt in den Fokus zu nehmen. Neben der Förderung einer solchen Kultur der Partizipation, dem Setzen von Anreizen und dem Abbau von Barrieren, müssten die bereits existierenden rechtlichen Möglichkeiten ausgebaut werden. Denn wenn „einmal alle Glaubenden als das Subjekt „Volk Gottes“ eingesetzt sind, muß dies über kurz oder lang die bisherige Autoritäts- und auch Machtverteilung verändern, dies gilt auch für die bei der Wahrheitsverantwortung ausgeübte Macht“ (Wiederkehrer 1994: 183). Diese Einsetzung liegt nun über 50 Jahre zurück. Die genannten Vorschläge könnten einer adäquaten Rückwirkung des sensus fidei fidelium auf das feierliche Lehramt den Weg ebnen.

Anmerkungen

1 Ulrich Rhode stellt fest, dass es im Lumen Gentium keine einheitliche Verwendung des Begriffs der Laien gibt. Im Folgenden sind mit Laien Christen katholischen Glaubens gemeint, die keine Kleriker sind (vgl. Rhode 2015: 80f.).

2 Das Lehramt meint an dieser Stelle das amtliche Lehramt im Gegensatz zur Allgemeinen Lehraufgabe (vgl. Ohly 1999: 313), die jedem Christgläubigen gesetzlich gebilligt ist, bzw. durch den Pfarrer gefördert werden soll.

3 Der Codex „kann gewissermaßen als ein großes Bemühen aufgefasst werden […] die konziliare Ekklesiologie in die kanonistische Sprache zu übersetzen“ (Johannes Paul II 1983, zitiert nach Demel 2009: 46).

4 Eine Form des Repräsentationssystem findet innerhalb der Hierarchie für das Gottesvolk statt, was, wie bereits argumentiert wurde, keine adäquate Lösung für das Problem der Laienpartizipation bietet. Die Amtspriester würden lediglich das Priestertum der Gläubigen repräsentieren, und keine privilegierte Position innehaben; „somit [sei das Amtspriestertum] für das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen da und nicht umgekehrt, ohne das gemeinsame Priestertum gäbe es auch kein Amtspriestertum“ (Konrad 2010: 18).

5 Vgl. dazu: Vatican News vom 11.09.2022: Marx will Beschlüsse auf synodale Weise Umsetzen. Zuletzt abgerufen am 10.03.2023, unter https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2022-09/marx-reform-synodaler-weg-kardinal-muenchen-frauen-laien-kirche.html.

Literaturverzeichnis

Ahlers, Reinhild (2015): Die rechtliche Grundstellung der Christgläubigen. In: Stephan Haering, Wilhelm Rees und Heribert Schmitz (Hg.): Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Dritte, vollständig neubearbeitete Auflage. Regensburg: Friedrich Pustet, S. 289–301.

Benjamin, Walter (1982): Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften. Band V/1. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Bertolino, Rinaldo (1994): Sensus Fidei, Charismen und Recht im Volk Gottes. In: Archiv für katholisches Kirchenrecht 163 (1), S. 28–74.

Böckenförde, Werner (1994): Statement aus der Sicht eines Kirchenrechtlers. In: Dietrich Wiederkehr (Hg.): Der Glaubenssinn des Gottesvolkes – Konkurrent oder Partner des Lehramts? Freiburg im Breisgau, Basel, Wien: Herder, S. 207–213.

Böhnke, Michael (2017): Gottes Geist im Handeln der Menschen. Praktische Pneumatologie. Freiburg, Basel, Wien: Herder.

Borras, Alphonse (2021): Die formelle Synodalität in actu. Jenseits der Kluft zwischen beratend und entscheidend. In: concilium (Internationale Zeitschrift für Theologie) 57 (2), S. 184–192.

Brauchart, Peter (1982): Die Lehre vom „Glaubenssinn“ (sensus fidei) in ihrer Bedeutung für die gegenwärtige Ekklesiologie. Dissertation. Graz: dbv-Verlag für die Technische Universität Graz.

Burghardt, Dominik (2002): Institution Glaubenssinn. Die Bedeutung des sensus fidei im kirchlichen Verfassungsrecht und für die Interpretation kanonischer Gesetze. Paderborn: Bonifatius.

Demel, Sabine (2009): Spiritualität des Kirchenrechts. Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag.

Demel, Sabine (2012): Wer interpretiert wen? Der Codex Iuris Canonici als „Krönung“ des Konzils. In: Herder Korrespondenz Spezial (2), S. 13–18.

Demel, Sabine (2017): Das Recht fließe wie Wasser… Wie funktioniert und wem nützt Kirchenrecht? Regensburg: Verlag Friedrich Pustet.

Internationale Theologische Kommission (2014): SENSUS FIDEI und SENSUS FIDELIUM im Leben der Kirche. Hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn: Libreria Editrice Vaticana.

Konrad, Dietmar (2010): Der Rang und die grundlegende Bedeutung des Kirchenrechts im Verständnis der evangelischen und katholischen Kirche. Tübingen: Mohr Siebeck.

Lüdecke, Norbert (2021): Die Täuschung. Haben Katholiken die Kirche, die sie verdienen? Darmstadt: wbg Theiss.

Marx, Reinhard Kardinal (2020): Das Ganze des Glaubens in den Blick nehmen. In: Michaela Labudda und Marcus C. Leitschuh (Hg.): Synodaler Weg – Letzte Chance? Standpunkte zur Zukunft der katholischen Kirche. Paderborn: Bonifatius, S. 37–43.

Neuner, Peter (2015): Abschied von der Ständekirche. Plädoyer für eine Theologie des Gottesvolkes. Freiburg i. B., Basel, Wien: Herder.

Ohly, Christoph (1999): Sensus fidei fidelium. Zur Einordnung des Glaubenssinnes aller Gläubigen in die Communio-Struktur der Kirche im geschichtlichen Spiegel dogmatisch-kanonistischer Erkenntnisse und der Aussagen des II. Vaticanum. St. Ottilien: EOS-Verl.

Rhode, Ulrich (2015): Kirchenrecht. 1. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer.

Schüller, Thomas (2022): Kirchenrechtliche Spielräume und Begrenzungen synodaler Prozesse am Beispiel des „SynodalenWeges“ in Deutschland. In: Theologisch-praktische Quartalschrift 170, S. 347–355.

Wiederkehr, Dietrich (1993): Glaubenssinn des Gottesvolkes: Einbahnstraße oder Gegenverkehr. In: Günter Koch (Hg.): Mitsprache im Glauben? Vom Glaubenssinn der Gläubigen. Würzburg: Echter, S. 99–114.

Wiederkehr, Dietrich (1994): Sensus vor Consensus: auf dem Weg zu einem partizipativen Glauben – Reflexionen einer Wahrheitspolitik. In: Dietrich Wiederkehr (Hg.): Der Glaubenssinn des Gottesvolkes – Konkurrent oder Partner des Lehramts? Freiburg im Breisgau, Basel, Wien: Herder, S. 182–206.

Wiederkehr, Dietrich (1994): Vorwort: „Glaubenssinn des Gottesvolkes“: Aufarbeitung von Realitätsdefiziten. In: Dietrich Wiederkehr (Hg.): Der Glaubenssinn des Gottesvolkes – Konkurrent oder Partner des Lehramts? Freiburg im Breisgau, Basel, Wien: Herder, S. 9–19.

Wijlens, Myriam (1995): The Church Knowing and Acting. The Relationship between Theology and Canon Law. In: Louvain Studies 20, S. 21–40.

Wijlens, Myriam (2022): „Die Kirche Gottes ist zu einer Synode einberufen“. Theologische und kirchenrechtliche Herausforderungen zur Synode 2021-2023. In: Paul Zulehner, Peter Neuner und Anna Hennersperger (Hg.): Synodalisierung. Eine Zerreißprobe für die katholische Weltkirche? : Expertinnen und Experten aus aller Welt beziehen Stellung. Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag, S. 433–461.


Titelbild: pixabay.com

Bericht über den Gastvortrag von Prof. Dr. Myriam Wijlens: „Zuhören und Unterscheiden. Katholizität in der weltweiten Synode 2021–2024“

Von Sr. Romana-Maria Paleček.

Im Rahmen des Seminars „Synodalität im Kirchenrecht – Seminar zum synodalen Prozess der Weltkirche“ hielt Prof. Dr. Myriam Wijlens, Inhaberin des Lehrstuhls für Kirchenrecht der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Erfurt, am 12. Dezember 2022 an der Universität Wien einen Gastvortrag zum Thema „Zuhören und Unterscheiden. Katholizität in der weltweiten Synode 2021–2024“.

In einer Atmosphäre von Herzlichkeit und Freude präsentierte Wijlens Lehrenden und Studierenden der Universität Wien sowie zahlreichen Gästen Intention und Struktur der Weltsynode und stellte das im Oktober 2022 vom Synodensekretariat veröffentlichte Dokument für die kontinentale Etappe (DKE) vor. Als Mitglied der Steuerungskommission der Synode und als Konsultorin der Bischofssynode hat die renommierte Kirchenrechtlerin den Finger am Puls der Synode und gestaltet die synodale Dynamik einer Zirkularität zwischen den verschiedenen Ebenen der Kirche wesentlich mit. Sie brachte ihre Begeisterung zum Ausdruck, dass das Synodendokument mit dem bezeichnenden Titel „Mach den Raum deines Zeltes weit!“ (Jes 54,2) als Ergebnis des Zuhörens auf der Ebene der Ortskirchen „einen vortrefflichen theologischen Schatz in sich birgt, nämlich die Erfahrung, wie das Volk Gottes auf die Stimme des Heiligen Geistes gehört hat und dadurch sein sensus fidei zum Tragen kommen kann“ (DKE, 8). Die Beiträge in den nationalen Synthesen der diözesanen Phase zeigen überraschend eine einzigartige Übereinstimmung sowohl bezüglich der Hoffnungen und positiven Erfahrungen als auch angesichts der zur Sprache gebrachten Fragen und offenen Probleme der Kirche weltweit. Im Besonderen hat der Skandal der Missbrauchsfälle in der Kirche „viele Synodengruppen dazu veranlasst, einen kulturellen Wandel der Kirche zu fordern, hin zu mehr Transparenz, Rechenschaft und Mitverantwortung“ (DKE, 20).


Hören Sie hier einen Ausschnitt aus dem Vortrag:


„Die Berichte der Konferenzen lassen erahnen, welch ein Reichtum an Glauben und Hoffnung sowie Energie und an Nächtenliebe im Volk Gottes vorhanden ist.“
—Myriam Wijlens

Das DKE beginnt mit den Worten: „Die Synode ist voll im Gange.“ (DKE, 1). Und das Neue ist, dass sie ekklesial konzipiert ist, und nicht rein episkopal, wie Prof. Wijlens betont. Sie lädt ein, uns überraschen zu lassen – in einer Haltung der Offenheit und im Vertrauen auf den Heiligen Geist, denn „der Heilige Geist bittet uns nun, noch synodaler zu sein“ (DKE, 3).

Synodalität und die Ebenen der Kirchenverfassung. Theologische und kanonistische Blicke auf das Bischofsamt

Von Harald Tripp.

Einführung: Das Kirchenrecht zwischen Bischofsamt und Synodalität

Meine Thematik lässt sich insbesondere im zweiten Buch des CIC 1983 verorten. Heute sind wiederum im theologischen Diskurs Fragen zwischen Ekklesiologie und Kirchenrecht relevant, wenn diese Beziehung auch schwerfällig erscheinen mag.

Ekklesiologische Grundlagen

Communio und Synodalität

Aus Anlass des 50- jährigen Jubiläums der Bischofssynode betonte Papst Franziskus am 17. Oktober 2015, dass die Synodalität eine „grundlegende Dimension“ der Kirche wäre, und einen „Interpretationsrahmen zum richtigen Verstehen des hierarchisch strukturierten Dienstamtes in der Kirche“ böte. Diese Worte weisen eine beachtliche Analogie mit dem Denken einiger Theologen und Kanonisten auf, besonders mit dem Zugang des Schweizer Theologen und Kanonisten Eugenio Corecco (1931-1995)1. In Coreccos Überlegungen sind Communio und Synodalität nicht nur zwei Schlüsselbegriffe der Ekklesiologie, sondern zwei Dimensionen von „ontologischer Bedeutung“, die eng miteinander verwoben sind. Wechselseitige Immanenz von Gesamt- und Teilkirche nach LG 23 ist der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Ekklesiologie Coreccos.

Bei Corecco geht sein Verständnis auf die Theologie von Hans Urs von Balthasar zurück, dessen Theologie auch seine kanonistische Sichtweise wesentlich beeinflusst hatte. Der Christ erhalte seinen Stand vor Gott, im Sinne eines gnadenhaften gottgeschenkten Zustandes. Schon jeder Getaufter ist ein Gerufener, denn durch die Taufe tritt er ein in die neue Seinsform des Christus Standes.2Die „zirkuläre Beziehung“ zwischen den verschiedenen Ständen bedeutet bei Balthasar wie bei Corecco, dass jeder Stand insofern ein solcher ist, als er „ein Abbild von etwas ist, das auch in den anderen Ständen des Lebens vorhanden ist“, so dass keiner von ihnen ohne den anderen existieren kann, sondern jeder die anderen ergänzt, um den Leib Christi wachsen zu lassen3.

Im Lichte dieser Prämissen kann man verstehen, dass die große Einschränkung des Zweiten Vatikanischen Konzils für Corecco darin bestand, sich auf die Beziehung zwischen Kollegialität und Primat zu konzentrieren, d.h. dem Verständnis von Synodalität mit der als Tätigkeit der am Konzil versammelten Bischöfe.

Das Bischofsamt

Die offensichtlich bedingte Dynamik des Konzils führte zur Bekräftigung der Sakramentalität des Bischofsamtes, die in Verbindung mit der Kollegialität die Probleme verschärfte. Die Konzentration auf die Beziehung zwischen Kollegialität und Primat hat unter anderem dazu geführt, dass die Synodalität mit der Tätigkeit der im Konzil versammelten Bischöfe identifiziert wird. Dies ist aber heute teilkirchlich zu bestimmen: Der künftige Bischof kommt aus einer Kirche, die apostolisch ist, weil sie in eine Communio ecclesiarum eingegliedert ist, und die daher in der Lage ist, den Hirten auszuwählen und vorzustellen, der mit dem vorgesehenen liturgischen Ritus ein solcher wird, ein Bischof, der in und aus der Gemeinschaft der Ortskirchen geboren ist.

Die Synodalität

Synodalität als Mitverantwortung

In der Wiederaufnahme des klassischen „quod omnes tangit debet ab omnibus approbari“ durch Papst Franziskus kann man die Aufforderung erkennen, die Logik der klerikalen Potestas endgültig zu überwinden, die sich falscher Ängste vor subsidiären Strömungen bedient und die Entwicklung des kirchlichen „Propriums“ torpediert, das mit der Taufe die Gläubigen in einen Status grundlegender Gleichheit versetzt.

Inzwischen ist in der 10. Auflage des CIC1983/Deutsche Ausgabe der Begriff „viri laici“ des c. 230 CIC, das so sehr dazu beigetragen hat, Frauen aus den kirchlichen Funktionen des Gottesdienstes und der Leitung zu verdrängen, gestrichen worden.

Synodalität als Repräsentation

Der Begriff „Repräsentation“ scheint rechtshistorisch komplex zu sein, eine wesentliche Bedeutung versteht Repräsentation als eine Art von Delegation, wie sie auch staatstheoretisch in der Gegenwart verstanden wird4. In der Kirche kann die Repräsentation von einer verfassungsgemäßen Voraussetzung nicht absehen, nämlich dem Wirken des Geistes, wonach jede Person oder Versammlung, die glaubhaft den Anspruch erhebt, die Kirche zu vertreten, in einer Weise handeln muss, die mit der Leitung des Geistes übereinstimmt .

Die Repräsentationsfähigkeit erwächst dem Bischof nicht aufgrund einer besonderen Gnade, sondern aus der Tatsache, dass er das sichtbare Prinzip und Fundament der Einheit in seiner Teilkirche ist (LG 23). Deshalb liegt der Ursprung der bischöflichen Befähigung in der Eignung des Bischofs, ein wahrer Dreh- und Angelpunkt der „Synodalität von und in der ihm anvertrauten Kirche“ zu sein, eine Befähigung, die sich im Zuhören dem Glaubenssinn (sensus fidei fidelium) der Gläubigen öffnet, ihn wahrnimmt und ihn fördert.

Blättert man im Inhaltsverzeichnis des aktuellen CIC 1983 nach den Wörtern „Repräsentation“ und „Mitverantwortung“, findet man wenig.

Die Ebenen der Synodalität

Lokale Ebene

Von der lokalen Ebene auszugehen, ist eine logische Konsequenz der in quibus et ex quibus definierten und zusammengefassten Ekklesiologie; sie ist die erste und grundlegende Ebene, auf der das „gemeinsame Priestertum“ aufgerufen ist, seinen ganzen Reichtum zum Ausdruck zu bringen5.

Strukturen von Synodalität in der Beziehung Bischofsamt-Priestertum

Priesterrat und das Konsultorenkollegium stehen hier im Blickpunkt.

Hinsichtlich des ausschließlich beratenden Charakters des Priesterrates wird der Inhalt von c. 500 § 2 CIC herangezogen, um den Rat auf den spezifischen Raum konsultativer Beratung zu verweisen: „Consilium presbyterale gaudet voto tantum consultivo; Episcopus dioecesanus illud audiat in negotiis maioris momenti, eius autem consensu eget solummodo in casibus iure expresse definitis“. Mit dem Begriff audiat drückt man nicht einen bloßen Wunsch, eine Aufforderung, sondern eine Verpflichtung mit rechtlicher Bedeutung aus.

Was ist heute zu tun?

Erstens scheint die Beibehaltung zweifacher Strukturen nicht mehr angemessen. Die Probleme mit dem Priesterrat haben zu einer missbräuchlichen Stärkung des Konsultorenkollegiums als Gremium geführt, das faktisch an die Stelle des Priesterrates trat, jedoch mit der Folge, dass ein Gremium eingesetzt wurde, das kein presbyterium repraesentans ist. Ein neuer Ansatz böte eine bessere Lösung: Man findet ihn in der jüngeren Gesetzgebung in einem Dekret der Bischofskongregation der zu gründenden Apostolischen Personaladministration zum Hl. Johannes Maria Vianney Animarum bonum vom 18 Jänner 2002, welcher dann in der von Papst Benedikt XVI. veröffentlichten Apostolischen Konstitution Anglicanorum coetibus im Jahre 2009 übernommen wurde. Andreas Kowatsch hat in seiner Habilitationsschrift darauf verwiesen6, dass das Personalordinariat stärker als andere Teilkirchen des lateinischen Rechtskreises von synodalen Elementen geprägt“ sei. Gemäß Art. X § 1 AC wurde ein einziges Gremium für die Zusammenarbeit bei der Leitung einiger neu eingerichteter Strukturen geschaffen: der Leitungsrat, consilium regiminis, in dem die Zuständigkeiten des Priesterrates und des Konsultorenkollegiums zusammengefasst sind.

Seine Rechtsnatur ist durch die drei Kennzeichen festgemacht, an denen die theologische Reflexion über die Mitverantwortung, zum Ausdruck kommen soll: Konsens, Beratung und entscheidendes Stimmrecht. Die Einzigartigkeit dieses Gremiums könnte die Lösung für die chronische Unzufriedenheit sein, die in der Kirche in Bezug auf die Beteiligungsstrukturen und Mitverantwortung weit verbreitet ist.

Ausdrucksformen von Synodalität und gemeinsamer Mitverantwortung

Das Beispiel, das wir hier im Rahmen unserer Ausführungen kurz ansprechen, betrifft natürlich das Organ der Mitverantwortung auf der Grundlage der Taufe, sowohl auf Gemeinde- als auch auf Diözesanebene: den Pastoralrat. Die Gesetzgebung im geltenden CIC 1983, getreu dem konziliaren Diktat, legte keine Verbindlichkeit fest und war zweifellos dürftig und wenig einflussreich. Auch hier könnte die rezente Gesetzgebung für die Anglikaner Hilfestellung bieten: Der für die Diözese lediglich fakultativ vorgesehene Pastoralrat (vgl. cc. 511-514 CIC) ist im Personalordinariat verpflichtend vorgesehen. Mit der Rücksichtnahme auf das anglikanische Erbe werden Wirklichkeiten behutsam neu bestimmt und im Lichte der katholischen Tradition interpretiert und ausgerichtet, worauf Christoph Ohly in einem Beitrag verwiesen hat7.

Es ist notwendig, der repräsentativen und nicht bloß rein beratenden Funktion eine neue Bedeutung und einen neuen Wert zuzuweisen, indem Verfahren eingeführt werden, die eine Teilhabe fördern und dabei eine Haltung des Hörens entwickeln und danach suchen, was der Geist der Kirche in der Phase der Entscheidungsfindung sagt.8.

Regionale Ebene

Bischofskonferenz als „Instanz der Zwischenebene“ von Gesamt- und Teilkirchen

Die in der Regel nationalen Bischofskonferenzen sind Einrichtungen zwischen der Universalkirche und den Partikularkirchen. Viele sehen die Bischofskonferenzen durch das Konzil „zu kollegialen hierarchischen Mittelinstanzen auf der Ebene zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Einzelbistum“ ausgebaut. Papst Franziskus hat nun aber in Evangelii gaudium angekündigt, über eine Neuausrichtung des Papsttums nachzudenken, weil eine übertriebene Zentralisierung der Kirche nicht helfe, sondern ihr Leben und ihre missionarische Dynamik verkompliziere (EG 32). Das Vorwort Nr. 7 in Praedicate Evangelium sagt:

„Die Entstehung der Bischofskonferenzen in der lateinischen Kirche stellt eine der jüngsten Formen dar, in denen die communio Episcoporum im Dienste der communio Ecclesiarum, die auf der communio fidelium gründet, zum Ausdruck gekommen ist. Unbeschadet der Gewalt, die dem Bischof als Hirten der ihm anvertrauten Teilkirche zukommt, sind daher die Bischofskonferenzen, einschließlich ihrer regionalen und kontinentalen Zusammenschlüsse, zusammen mit den jeweiligen orientalischen hierarchischen Strukturen gegenwärtig eine der bedeutendsten Modalitäten, um der kirchlichen Gemeinschaft in den verschiedenen Gebieten zusammen mit dem Papst, dem Garanten der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft, Ausdruck zu verleihen und zu dienen“.

Daher werden sie nicht, worauf Gianfranco Ghirlanda verwiesen hatte, als „zwischengeschaltete hierarchische Strukturen betrachtet, sondern als Einrichtungen der Subsidiarität9“.

Heilsame Dezentralisierung I: Umsetzung der Konkordatspolitik im Blick auf die Bischofskonferenzen unter Papst Johannes Paul II.

Johannes Paul II. setzte Subsidiarität auf der Ebene der Konkordatspolitik konkret um, indem er verschiedenen Bischofskonferenzen die Aufgabe zuweist, Regelungen zur Umsetzung der festgelegten Konkordate zu erlassen und sogar weitere Vereinbarungen mit dem Staat zu treffen10.

Auf diese Weise ist eine neue Art von Konkordat entstanden, das als Rahmenkonkordat bezeichnet werden kann, da es sich darauf beschränkt, die wesentlichen Grundsätze festzulegen, und alle weiteren und notwendigen Spezifizierungen späteren Vereinbarungen überlässt, für die das kirchliche Gremium, das am besten geeignet ist, mit den staatlichen Behörden zu verhandeln, häufig die nationale Bischofskonferenz ist.

An der Erteilung der Approbation im Sinne einer Recognitio ist zuerst das Staatssekretariat beteiligt. Es handelt sich nämlich nicht um die Zuweisung einer Vertretungsfunktion (Bischofskonferenz als verlängerter Arm des Hl Stuhls), sondern um die Übertragung einer spezifischen Befugnis, die die Konferenzen in eigener und voller Verantwortung ausüben können und müssen. Ein säkularer Jurist könnte von Devolution sprechen11. Peter Szabo hatte 2019 die Streichung bzw. einen Ersatz für die recognitio angeregt mit dem Verweis auf die Rechtslage in den katholischen Ostkirchen, wo, „die übergeordnete Gesetzgebungstätigkeit der östlichen Bischofssynoden völlig frei von höherer Kontrolle“ sei12.

Wenn man bei der Übersetzung liturgischer Texte in die Muttersprache die Approbation nunmehr mit Magnum Principium in die Hände der Bischofskonferenzen gelegt hat, so scheint dies bei der Umsetzung eines Konkordates in Teilverträgen jedoch immer noch sinnvoll, das Staatssekretariat, Zweite Sektion Beziehung zu den Staaten aufgrund der Einheitlichkeit der Vereinbarung und des Konkordates und damit der Rechtssicherheit einzubinden13. Dennoch tragen Vereinbarungen durch Bischöfe zur Dezentralisierung im Sinne einer gelebten Subsidiarität bei.

Heilsame Dezentralisierung II: Bischofskonferenzen bei Papst Franziskus

Astrid Kaptijn hat in der Zeitschrift Communio jüngst vorgeschlagen, dass die Bischofskonferenzen als „partielle Verwirklichungen des Bischofskollegiums mit diözesanen und überdiözesanen Aufgaben betrachtet werden, die in der Bischofsweihe wurzeln14“. .Die Überlegungen von Papst Franziskus zeigten nach Kaptijn die Bedeutung von drei Dimensionen in der Kirche: Primat, bischöfliche Kollegialität und Synodalität. Es bedarf einer Integration aller spezifischen Zuschreibungen15. Auch ein Blick in die Apostolische Konstitution Praedicate Evangelium legt diesen Zusammenhang nahe. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der c. 447 CIC, auf den in Nr. 9 der Präambel AK Praedicate Evangelium inhaltlich Bezug genommen wird, ausdrücklich besagt, dass die Bischöfe in der Bischofskonferenz „gemeinsam“ (coniunctim und nicht collegialiter) nur „einige pastorale Funktionen“ (munera quaedam pastoralia) ausüben, also nicht alle. Gianfranco Ghirlanda betonte dazu bei der Präsentation des Dokuments, dass „gemeinsam“ gesagt würde, um den Eindruck zu vermeiden, dass die kollegiale Gewalt der Bischöfe in den Konferenzen ausgeübt wird, die nur von ihnen ausgeübt werden kann, wenn das gesamte Kollegium einberufen ist.

Gesamtkirchliche Ebene

Unter gesamtkirchlicher Ebene verstehen wir hier die Formen der Synodalität auf der Ebene höchsten Autorität. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten in ihrer Entwicklung gehen auf die Erfahrungen zurück, die auf dem Konzil bei der Suche nach der schwierigen Harmonisierung von Primat und Bischofsamt gemacht wurden, ja sie sind die Fortsetzung dieser Schwierigkeiten, die sich nie beruhigt haben16.

Das Ökumenische Konzil

Die Option, die Gesetzgebung über das Ökumenische Konzil in das Kapitel De Collegio Episcoporum des CIC aufzunehmen, scheint das Ergebnis einer theologischen Reflexion zu sein, die noch nicht ausgereift war und stark von den auf dem Konzil entstandenen Spaltungen beeinflusst wurde. Die Grenzen waren offenkundig, und ein großer Teil der Theologen zögerte nicht, seine Vorbehalte zum Ausdruck zu bringen, und zwar sowohl gegenüber der typisch universalistischen und hierarchischen Grundstruktur als auch gegenüber der spezifischen Formulierung des Kanons, bei der anstelle des Kollegiums die Sorge um die Wahrung der Vorrechte des „Oberhaupts“ in den Vordergrund trat. Die neue Kodifizierung hat das Ökumenische Konzil als feierlichen Ausdruck der bischöflichen Kollegialität betrachtet und nicht dazu beigetragen, die konziliare Dimension, die zur Kirche gehört und in der Kirche ist, hervorzuheben.

Die Bischofsernennung

Historische Daten zeigen, dass der Vorbehalt und die Bestätigung des Grundsatzes der freien Ernennung von Bischöfen durch den Papst erst Ende des 18. Jahrhunderts erfolgt ist. Tatsächlich wäre eine stärkere Beteiligung der Ortskirche zweifellos im Sinne der Tradition und wäre alles andere als die Einführung einer neuen Praxis, sondern die Wiedereinführung einer traditionellen Praxis in einer der veränderten Situation angemessenen Weise17.

In Wirklichkeit stärkt c. 377/CIC die absolute Freiheit des Papstes hinsichtlich der Bischofsernennungen. Der allgegenwärtigen Forderung nach einer stärkeren Beteiligung der Partikularkirche, die auch einige zaghafte positive Antworten findet, steht jedoch die Praxis des „Aufdrückens „, wie Walter Kasper es formuliert hat gegenüber oder sogar die paradoxe Praxis, die weltlichen Instanzen außerhalb der Kirche ein Ernennungsrecht bei Bischöfen zusichert (vgl. China).

Was könnte sich ändern? Der Bischof von Rom könnte bei der Bischofsernennung auf ein Vorrecht verzichten, das nicht zu seinem Amt gehört, und es zum Beispiel den Bischofskonferenzen oder der Kirchenprovinz anvertrauen, wobei er sich Formen der Approbation und der Gemeinschaft in Analogie zu den Ostkirchen vorbehält. Hier wären de lege ferenda neue Wege zu beschreiten.

Im Sommer 2022 gab es in einigen Kreisen beträchtliche Aufregung, als Papst Franziskus drei Frauen zu Mitgliedern des vatikanischen Dikasteriums für Bischöfe ernannte, das dem Papst Empfehlungen für Bischofsernennungen in weiten Teilen des lateinischen Katholizismus gibt. Ob diese Neuerung in der letzten Phase eines langen, komplexen Prozesses einen signifikanten Unterschied machen wird, bleibt abzuwarten; angesichts der kurialen Vorsicht und Zurückhaltung habe ich meine Zweifel. Aber wir werden sehen.

Katholische Laien können hilfreich sein, wenn es darum geht, potenzielle Bischöfe mit diesem apostolischen Eifer und mit den persönlichen Qualitäten und Fähigkeiten zu finden, die für eine Führungspersönlichkeit erforderlich sind, der andere gerne folgen. Eine ernsthafte Konsultation mit engagierten (und diskreten) Laien auf lokaler Ebene trägt also dazu bei, zu verhindern, dass der Episkopat zu einem sich selbst erhaltenden Club wird – oder schlimmer noch, zu einer höheren klerikalen Kaste. Apostolische Nuntien sollten auch gut genug informiert sein, um katholische Laien zu kennen, denen man zutrauen kann, die Eignung eines Priesters für das Bischofsamt ehrlich, unideologisch und unpolitisch zu beurteilen.

Die Römische Kurie

Papst Franziskus Änderungen, die er in seiner apostolischen Konstitution Praedicate Evangelium („Verkündet das Evangelium“) vom 19. März 2022 dargelegt hat, sind die einschneidendsten Veränderungen in der Kirchenleitung seit Papst Paul VI., worauf jüngst der Jesuit Thomas Reese im National Catholic Reporter verwiesen hatte (15. Juli 2022).

Er hat fast alle vatikanischen Ämter für Laien geöffnet, einschließlich der Leiter der Dikasterien (früher Kongregationen genannt). Das bedeutet, dass sogar das Dikasterium für die Bischöfe, das Kandidaten für das Bischofsamt in aller Welt vorschlägt, nun von einer Nonne geleitet werden kann. Die Leiterin des Dikasteriums für die Glaubenslehre könnte eine Theologin sein. Sogar der Staatssekretär, der höchste vatikanische Beamte unter dem Papst, könnte eine Laienperson sein. Mit anderen Worten: Die Kurie ist Personal, nicht Teil der Befehlskette. Sie ist eher ein öffentlicher Dienst als eine Regierungselite. Sie erfolgt kraft der vom Papst empfangenen Vollmacht, der gewöhnlichen stellvertretenden Vollmacht; in diesem Sinne sind die Grundsätze und Kriterien, Nr. 5, und Art. 15 der Apostolischen Konstitution Praedicate Evangelium zu verstehen. Sie kommen, um die Frage der Möglichkeit der Laien zu regeln, Ämter zu empfangen, die mit der Ausübung der Leitungsgewalt in der Kirche verbunden sind, sofern sie nicht den Empfang der heiligen Weihen voraussetzen, und bekräftigen indirekt, dass die Leitungsgewalt in der Kirche nicht aus dem Sakrament der heiligen Weihen, sondern aus der kanonischen Sendung stammt, da sonst nicht möglich wäre, was in der Apostolischen Konstitution selbst vorgesehen ist.

Dies wird von manchen gegenwärtig als revolutionär gesehen, jedenfalls kann ein Paradigmenwechsel vermutet werden. Dieser bewegt das Papsttum weg von seinem monarchischen Modell, in dem der Papst König ist und die Kardinäle und Bischöfe Quasi-Fürsten sind, hin zu einem kollegialen Modell, das vom Zweiten Vatikanischen Konzil entwickelt wurde. Franziskus will so das Potenzial der Bischofskonferenzen stärken und stärker vertiefen, als es Johannes Paul und Benedikt taten.

Die Bischofssynode

Die gewählte Art des Gesetzgebungsaktes, die Apostolische Konstitution Episcopalis communio vom 15. September 2018, brachte bedeutende Neuerungen mit sich, aber strukturell hat sich nichts geändert hat.

Autoren sind der Meinung, dass vorher geklärt werden muss, welcher Weg eingeschlagen werden soll, ob man mit dem spezifischen Charakter eines bischöflichen Organs (Bischofssynode) fortfahren will oder ob man im Gegenteil einen neuen Weg mit der Gestaltung einer Art „Kirchensynode“ gehen will18. Die jüngsten Synodenereignisse im Blick auf die Weltsynode 2021-2024 scheinen sich eher dieser zweiten Perspektive zuzuwenden19. Gemäß c. 337 § 3 CIC ergibt sich die Legitimation aus dem stets kollegialen Charakter des Rechtsakts, an dem die Gesamtheit durch ein repräsentatives Benennungsverfahren teilnimmt, das in seinen verschiedenen Phasen sowohl in Bezug auf die Themen als auch auf den Inhalt darauf achten muss, keinen der anspruchsberechtigten teilnehmenden Bischöfe auszuschließen.

Die Synodalität im kirchlichen Recht: Bräuchte es ein erneuertes „Grundgesetz“?

Ich komme zum Schluss: Das Bischofsamt ist in Diskussion, ist angefragt, nicht zuletzt im deutschen Diskussionszusammenhang, wo es bei der Bündelung der Macht im Bischofsamt und die mangelnde Transparenz und Kontrolle der Machtausübung als Problem gesehen werden und man beim synodalen Weg in Deutschland in deutlicher Abweichung vom Konzil und auch vom Kirchenrecht die Denkfigur der „freiwilligen Selbstbindung“ eingeführt hat. Schnell ist man heute, wie Kardinal Schönborn treffend im Juni 2022 in einem Interview mit der Zeitschrift Communio festgehalten hat, „vom Missbrauchsthema bei den Kirchenverfassungsfragen20“, Wohin geht nun die Reise?

Die Forderungen nach einer Dezentralisierung der Gesetzgebung in einer Zeit, die durch eine „Ent-kodifizierung“ gekennzeichnet ist, werden im kirchlichen Bereich zunehmend wahrgenommen, wobei die Tendenz besteht, eine Vervielfältigung der Codices unter Wahrung der Besonderheiten der kirchlichen Traditionen in einzelnen größeren Regionen und Gebieten anzudenken. (so z.B. der Erzbischof von Görz und ausgewiesene Kanonist Roberto M. Raedelli21). Es handelt sich um eine Anwendung von Gesetzgebungstechniken, in deren Rahmen sich auch das Subsidiaritätsprinzip, das in der kanonischen Ordnung richtig angewandt wird, entfalten würde22.

Die ekklesiologische Reflexion steht offenbar vor dem Ende der hierarchisch-pyramidalen Ekklesiologie. Die wiederentdeckte und sich neu etablierte Pneumatologie verlangt nach Michael Böhnke in seinem fundamentalen Wurf „Kirche in der Glaubenskrise. Eine pneumatologische Ekklesiologie“ von der Kanonistik das Wirken des Heiligen Geistes, der am Ursprung der Strukturierung des Volkes Gottes steht, mit juristischer Bedeutung zu gestalten. Die Institution bzw. die institutionelle Dimension der Kirche verweist auf das Wirken des Heiligen Geistes, der sie immer wieder „einrichtet“23.

Die Synodalität war auch von Corecco als „ontologische Dimension der kirchlichen Verfassung“ betrachtet und definiert worden, aber diese lehrmäßige Position verwies diese Dimension in die Sphäre des Weihesakramentes. Heute wird durch Papst Franziskus „die Synodalität als konstitutive Dimension der Kirche bekräftigt“, ja sie „bezeichnet in erster Linie den besonderen Stil, der das Leben und die Sendung der Kirche kennzeichnet24. Damit die Synodalität in angemessener Weise in besonderen Normen entwickelt werden kann, die den verschiedenen Bedürfnissen der lokalen Kontexte der Kirchen entsprechen, ist es notwendig, der konstitutiven Dimension der Synodalität ihren „juristischen Platz im Leben“ zu geben, der auch an die Gesetzgebungstechnik der Zeit angepasst ist.

Die juristische Übersetzung der oben genannten ekklesiologischen Elemente würde daher in einer „Grundrechtsordnung“ ihre heute am besten geeignete Formalisierung im Rahmen der üblicherweise verwendeten juristischen Sprache und Instrumente finden.

Der Vergleich mit der Rechtsordnung der katholischen Ostkirchen, sollten dabei vertieft werden, da sie dem Kanonisten und Theologen eine bereichernde Perspektive öffnen, die die Kodifizierung nicht zweier, sondern all jener lokaler Codices ermöglicht und garantiert, die notwendig sind, um die synodale Dimension der Organisation in der Vielfalt der Partikularkirchen zu unterstützen.

Harald Tripp
Referat beim Studientag „Synodalität aus der Perspektive theologischer Disziplin“ der österr. Sektion der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie (ET) in Salzburg am 19. September 2022

DOI: 10.25365/phaidra.384

Titelbild: pixabay.com


1Vgl. dazu Eugenio CORECCO, Das Wesen der Synodalität, in: Ordinatio fidei. Schriften zum kanonischen Recht, Paderborn, 1994, 380-401.

2Siehe dazu Karl WALLNER, Exemplarisches Laientum. Zur Theologie des Laien-Standes nach Hans Urs von Balthasar, in:Wolfgang BUCHMÜLLER OCist / P. Johannes Paul CHAVANNE OCist (Hg.), Cor ad Cor loquitur-Das Herz spricht zum Herzen, Festschrift für Abt Maximilian Heim OCist, 326. Für diesen Teil besonders H. U. VON BALTHASAR, Christlicher Stand, Einsiedeln 1977.

3Nach Balthasar nimmt der Laie auf verschiedenen Ebenen an derselben Amtlichkeit teil wie der Kleriker. Nicht insofern, als er gleiche Autorität genießt, sondern „in dem Sinne, dass er innerhalb des Verwaltungsbereichs der Hierarchie bestimmte Rechte ausüben und bestimmte Handlungen vornehmen kann, die ihm entweder von Rechts wegen als Christ zustehen oder ihm von der Hierarchie ordnungsgemäß übertragen werden“.

4H. HOFFMANN, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Berlin 1974.

5Vgl. dazu auch Wilhelm REES, Gemeinsam auf dem Weg. Geschichte, Bestimmungen der römisch-katholischen Kirche und Überlegungen zur Weiterentwicklung von Synodalität, in: Liborius LUMMA, Wilhelm REES, Andreas VONACH (Hg.), Religiöse Autoritäten, Innsbruck 2022, 201-240.

6Andreas KOWATSCH, Personale teilkirchliche Gemeinschaften, St. Ottilien 2019, besonders 417 u. 453.

7Christoph OHLY, Personaladministration und Personalordinariat: Neue verfassungsrechtliche Strukturen im Hinblick auf die Entwicklung eines ökumenischen Kirchenrechts, in: Wilhelm REES (Hg.), Ökumene: Kirchenrechtliche Aspekte, Wien 2014, 105-120.

8INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION, Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche, Rom 2018, Nr. 67-68.

9Gianfranco GHIRLANDA, La Cost. Ap. Praedicte Evangelium sulla Curia Romana, in: Periodica 111 (2022) 355-420, 377 f.

10Siehe insbesondere die Abkommen mit Spanien im Jahr 1979 über Bildung, Kultur und Wirtschaft sowie 1980 über Steuern7, mit Italien im Jahr 1984, mit Malta zwischen 1989 und 1998, mit Polen im Jahr 1993, mit Ungarn im Jahr 1994 und 1997, und mit Kroatien ab 1996, Slowakei und Slowenien. Vgl. dazu Giuseppe DALLA TORRE, Die Konkordatstätigkeit Johannes Pauls II., in: Ludger MÜLLER/Libero GEROSA (Hg.), Johannes Paul II.-Gesetzgeber der Kirche, Paderborn 2017, 71-89, hier74 ff.

11Devolution meint in der Staatsrechtslehre die Übertragung administrativer Funktionen in einem Einheitsstaat an regionale Körperschaften.

12Siehe dazu Peter SZABO, Episcopal Conferences, Particular Councils, and the Renewal of Inter-Diocesan „Deliberative Synodality, in: Studia canonica 53, 2019, 265-296, hier 279 ff.

13In der Praxis handelt es sich um die Erteilung eines Nulla osta, die es dem Heiligen Stuhl ermöglicht, im Voraus zu überprüfen, dass sie nichts enthalten, was dem Wohl der Kirche und insbesondere der Einheit des Glaubens, der Gemeinschaft und der Rechtskultur zuwiderläuft oder widerspricht.

14 Siehe dazu Astrid KAPTIJN, Bischofskonferenzen in einer synodalen Kirche, in: IKaZ 51 (2022) 419-430, 423.

15 Der päpstliche Primat ist ein aktiver Teil der bischöflichen Kollegialität, jedoch mit einer besonderen Rolle. Die bischöfliche Kollegialität drückt sich in einer synodalen Kirche aus und bedarf ihrer Vervollständigung, an der alle Gläubigen aktiv teilnehmen.

16 Vgl. dazu Wilhelm REES, Gemeinsam auf dem Weg, 215 f.

17 Siehe dazu Richard POTZ, Bischofsernennungen, in: Gisbert GRESHAKE, Zur Frage der Bischofsernennungen in der römisch-katholischen Kirche, Freiburg 1991, 17-50, hier 37f.

18 Vgl. dazu etwa Wilhelm REES, Gemeinsam auf dem Weg, 228 ff.

19 Vgl. dazu besonders Myriam WIJLENS, „Die Kirche Gottes ist zu einer Synode einberufen“-Theologische und kirchenrechtliche Herausforderungen zur Synode 2021-2023, in: Paul M. ZULEHNER u.a., Synodalisierung, Ostfildern 2022, 433-461, hier 443 f.

20 Siehe dazu Christoph Kardinal Schönborn über theologische Grundlagen, Chancen und Risiken von Synodalität. Ein Gespräch mit Jan-Heiner Tück, in: IKaZ 51 (2022) 317-330, hier 323.

21 Siehe dazu Carlo Maria REDAELLI, Il Codice e la Chiesa. Attualità e futuro di una relazione, in: QDE XXX (2017), 207.

22 Die Technik der Kodifizierung selbst sollte nicht aufgegeben werden, wohl aber der Wert, der dem Instrument des Kodex beigemessen wird, wie dies bei den beiden derzeit in der Kirche geltenden Kodizes der Fall ist. Es wird immer dringlicher, auf die Bequemlichkeit einer Vielzahl möglicher Kodifizierungen zu reagieren, die die Besonderheiten der einzelnen Ortskirchen getreuer und kohärenter umsetzen. Aber gerade diese bewundernswerte Vielfalt verlangt nach einer gemeinsamen Grundlage, die in ihren juristischen Elementen das Minimum und damit die grundlegenden Elemente des Kircheseins zum Ausdruck bringt. All dies wird als Ergebnis einer schwierigen Arbeit betrachtet, einer Anstrengung, den theologischen Reichtum in die juristische Sprache zu übersetzen, wobei das Konzil im Zweifelsfall der Interpretationsschlüssel bleibt.

23 Siehe dazu Michael BÖHNKE, Kirche in der Glaubenskrise. Eine pneumatologische Ekklesiologie, Freiburg 2013, 250 f.

24 Siehe dazu Wilhelm REES, Synodalität. Möglichkeiten der Weiterentwicklung aus katholisch-kirchenrechtlicher Perspektive, in: Paul M. ZULEHNER u.a., Synodalisierung, Ostfildern 2022, 413-430, 416 f.

Die Mitwirkung in der Kirche als Form der Partizipation nach dem CIC: Die Mitwirkungsrechte

CIC (Foto: Daniel Tibi)

Von Felix Ouedraogou.

Der Autor verfasst derzeit eine Dissertation am Institut für Kirchenrecht und Religionsrecht, die der Frage nach der höchstpersönlichen Leitungsverantwortung des Bischofs im Kontext der Synodalität nachgeht. 

1. Einführung

Wenngleich die römisch-katholische Kirche keine Verfassung im Sinne der modernen Demokratien aufweist, so bedeutet die hierarchische Verfasstheit nicht, dass die kirchliche Autorität ohne Rücksicht auf die Rechte der Gläubigen agieren kann. Diesbezüglichen Sorgen steht die Tatsache gegenüber, dass die Kirche über ein Gesetzbuch[1] verfügt. Im Verfassungsrecht der Kirche, das im Buch II (cc. 204–746) des CIC mit dem Titel „Volk Gottes“ verortet ist, sind unter anderen Themen die Rechte und Pflichten der Gläubigen und die hierarchische Verfassung der Kirche enthalten. Zwischen der Hierarchie und den anderen Gläubigen besteht eine kooperative Beziehung, die unter dem Oberbegriff „Partizipation“ zusammengefasst werden kann.

Gegenstand der vorliegenden Überlegung ist eine spezifische Form der Kooperation, nämlich die Mitwirkungsrechte im Rahmen der Partizipation im geltenden Kirchenrecht. Der Begriff „Mitwirkungsrechte“ wird in CIC/1983 zwar nicht wörtlich erwähnt. Das Feld der Partizipationsmöglichkeiten in der katholischen Kirche, das der CIC bietet, ermöglicht es jedoch, diese Rechte zu erkennen, die entweder vor der Handlung oder nach der Handlung im Rahmen einer Mitwirkung ausgeübt werden können. Im CIC gibt es etwa 250 Vorschriften verschiedener Art von Mitwirkungsrechten.[2]

2. Die Mitwirkung [3]

Mitwirkung bedeutet, dass man sich auf eine bestimmte Art und Weise an der Handlung eines anderen beteiligt. Dies lässt bereits erkennen, dass man nicht Akteur der sogenannten Handlung ist. Man nimmt also an einer Handlung eines anderen teil, der die volle Verantwortung für die Handlung trägt. Dieses Verständnis von Mitwirkung bezieht sich nur auf den Bereich der Mitwirkungsrechte und nicht auf die anderen Rechtsbereiche der Mitwirkung, in denen man sich durch die Mitwirkung an einer Straftat gemäß c. 1329 CIC strafbar machen kann, weil man ein Mittäter ist. Da auf rechtlicher Ebene die Mitwirkung oft für die Wirksamkeit von Rechtsakten vorgeschrieben wird, wird diese Mitwirkung auch rechtlich durch Normen gerahmt.[4]

3. Mitwirkungsrechte

3.1. Begriffsbestimmung

Konkret besteht ein Mitwirkungsrecht, wenn aus rechtlicher Sicht der Handelnde darauf angewiesen ist, dass sein Vorgesetzter oder jemand anderes, der mit demselben Rang ausgestattet ist, durch einen formellen Akt der Stellungnahme eingreift. Z.B.: Ein Mönch, der auf Urlaub fahren möchte, muss vorher seinen Abt informieren, um die Erlaubnis zu erhalten: Hier handelt es sich um einen Handelnden gegenüber seinem Vorgesetzten. Der Abt hat Mitwirkungsrechte gegenüber seinen Mönchen. Oder ein anderes Beispiel: Ein Diözesanbischof konsultiert den Metropoliten[5], weil er den Priesterrat seiner Diözese auflösen will, der seine Aufgabe in schwerwiegender Weise missbraucht hat: Hier handelt es sich um eine Mitwirkung zwischen Gleichgestellten (beide sind Bischöfe). Der Metropolit hat Mitwirkungsrechte gegenüber dem Suffraganbischof[6] in bestimmten Fällen. Inhaber des Rechts ist somit derjenige, der an der Handlung mitwirkt, denn ohne diese Mitwirkung hat die Handlung des mitwirkungsbedürftigen Handelnden keine Rechtsgültigkeit. Daraus folgt, dass der Mitwirkungsbedürftige nicht handeln darf, ohne zuvor den Beitrag desjenigen zu verlangen, der über das Mitwirkungsrecht verfügt, falls ein rechtlich relevantes Ziel ohne die Mitwirkung des Mitwirkungsberechtigten nicht erreicht werden kann. Die Mitwirkungsrechte sind also „Vorschriften über Erlaubnisse, Approbationen und andere ähnliche Weisen der Beteiligung kirchlicher Autoritäten an Handlungen Dritter.“[7]

Klaus Mörsdorf, der den Begriff „Mitwirkungsrechte“ in die Kanonistik eingeführt hat[8], verwendet den Begriff „Mitwirkungsrechte des kirchlichen Oberen“, „um eine Mitwirkung kirchlicher Autoritäten bei Handlungen neben- oder untergeordneter Personen oder Organe“[9] zu bezeichnen. Mit dieser Unterscheidung will Mörsdorf zeigen, dass es auch weitere Mitwirkungsrechte gibt, nämlich die Beispruchsrechte, welche Mitwirkungsrechte sind, die sich auf die Mitwirkung untergeordneter Organe oder Personen in Form der Anhörung durch eine übergeordnete Autorität oder der Zustimmung zu Handlungen dieser Autorität beziehen (vgl. c. 127 CIC). Um den Unterschied zwischen Mitwirkungsrechten und Beispruchsrechten auszudrücken, würde ich mit Mörsdorf sagen:

Während Beispruchsrechte Dritter die Handlungsfreiheit eines Oberen einschränken, handelt es sich bei den Mitwirkungsrechten von Oberen darum, dass ein oder mehrere Obere (z.B. Papst und Diözesanbischof) zu irgendwelchen Handlungen Untergebener oder nebengeordneter Personen oder Organe mitzuwirken berufen sind. Die Mitwirkung kann entweder vor oder nach der Handlung rechtlich vorgesehen sein.[10]

Unter „kirchlicher Autorität“, um deren Mitspracherechte es hier geht, sind die „kirchlichen Oberen“ zu verstehen, nämlich die in C. 134 § 1 CIC erwähnten Ordinarien: der Papst, die Diözesanbischöfe, die Vorsteher einer Teilkirche, die Generalvikare, die Bischofsvikare, die höheren Oberen klerikaler Ordensinstitute päpstlichen Rechtes und klerikaler Gesellschaften des apostolischen Lebens päpstlichen Rechtes mit wenigstens einer ordentlichen ausführenden Gewalt, etc.  

3.2. Die Mitwirkungsrechte kirchlicher Autoritäten

Für die Rechtswirksamkeit bestimmter Rechtshandlungen sieht das Recht eine Form vor, die gewissenhaft eingehalten werden muss, oder wo die Befreiung davon durch Ausnahmen nachzuweisen ist (vgl. cc. 127, 474, 1108 CIC), wie zum Beispiel zur Eheschließungsassistenz durch delegierte Laien.[11] Im Allgemeinen beziehen sich die Mitwirkungsrechte auf die kirchliche Autorität, wie schon oben gesagt wurde, weil sie Fälle begrenzen, „in denen einer kirchlichen Autorität Mitwirkungsrechte bei Handlungen neben- oder untergeordneter Personen oder Organe zukommen.“[12] Die kirchliche Autorität ist der Mitwirkungsberechtigte, der immer gegenüber einem oder mehreren Mitwirkungsbedürftigen steht (Bischof[13], Priester, Ordensmitglieder, eine kirchliche Vereinigung, usw.).

Wenn für bestimmte Handlungen das Recht eine Erlaubnis oder eine Bestätigung von einer kirchlichen Autorität oder die Beteiligung der kirchlichen Autorität in einer anderen Form (z.B. eine Zulassung) verlangt, spricht man von Mitwirkungsrechten kirchlicher Autorität. Anders gesagt, „nimmt der Begriff ‚Mitwirkungsrechte kirchlicher Autoritäten‘ auf Vorschriften des kanonischen Rechts Bezug, die für bestimmte Handlungen eine Erlaubnis, Approbation, Bestätigung oder eine andere, ähnliche Weise der Beteiligung einer Autorität verlangen.“[14] Der Mitwirkende muss über den Handelnden oder neben den Handelnden stehen. 

Je nach dem Zeitpunkt der Mitwirkung ist zwischen vorausgehender, gleichzeitiger Mitwirkung und nachfolgender Mitwirkung zu unterscheiden. Man spricht von einer vorausgehenden und gleichzeitigen Mitwirkung, wenn untergeordnete oder nebengeordnete Personen bzw. Organe „den zuständigen Oberen um dessen Zustimmung oder Erlaubnis zu irgendeinem Handeln angehen müssen, oder wenn der Obere das Recht hat, vor der Handlung eines Dritten informiert zu werden, um dazu Stellung nehmen zu können.“[15] Laut Ulrich Rhode „kann die vorausgehende und gleichzeitige Mitwirkung daraufhin untersucht werden, ob sie zur Gültigkeit der mitwirkungsbedürftigen Handlung erforderlich ist oder nicht.“[16] Wenn sie zur Gültigkeit der mitwirkungsbedürftigen Handlung erforderlich ist, muss sie unter Androhung der Nichtigkeit vor der getroffenen Handlung erfolgen. Die nachfolgende Mitwirkung ist diejenige, die eintritt, nachdem eine Handlung bereits durchgeführt wurde. Bei einer nachfolgenden Mitwirkung geht es um die Prüfung eines bereits getätigten Rechtsgeschäftes oder eines tatsächlichen Sachverhalts (z.B. Wahl auf ein Kirchenamt, Gründung eines Vereins, Schaffung einer Satzung, Echtheit einer Urkunde).[17] Es handelt sich um eine nachträgliche Aufsicht.

4. Umsetzung der Mitwirkungsrechte im Codex Iuris Canonici (CIC)

Einige ausgewählte Kanones regeln die Mitwirkungsrechte; die hier ausgewählten Kanones werden zitiert und kommentiert, um zu zeigen, welcher Aspekt des Mitwirkungsrechts gemeint ist.

C. 216 CIC: „Da alle Gläubigen an der Sendung der Kirche teilhaben, haben sie das Recht, auch durch eigene Unternehmungen je nach ihrem Stand und ihrer Stellung eine apostolische Tätigkeit in Gang zu setzen oder zu unterhalten; keine Unternehmung darf sich jedoch ohne Zustimmung der zuständigen kirchlichen Autorität katholisch nennen.“

In der Kirche wurde das Vereinigungsrecht (vgl. c. 215 CIC) für alle Gläubigen anerkannt und zugelassen. Eine Variante dieses Vereinigungsrechts ist die Förderung apostolischer Unternehmungen: z.B. Verlage, Krankenstationen, Bildungszentren, Radio- oder Fernsehsender etc. Dieses Recht umfasst das Recht einzelner Gläubiger oder derjenigen in einer Vereinigung, die genannten Unternehmungen zu gründen, sich am Betrieb bereits bestehender Unternehmungen zu beteiligen oder die Leitungsfunktion zu übernehmen. Die Tatsache, dass Unternehmen von Gläubigen gegründet und geleitet werden, verleiht diesen Unternehmen jedoch nicht die Kennzeichnung „katholische Unternehmen“. Sie benötigen eine offizielle Anerkennung der kirchlichen Autorität, um sich als „katholisch“ bezeichnen zu dürfen. Die gläubigen Unternehmer müssen um die Erlaubnis der zuständigen kirchlichen Autorität ansuchen. Das Mitwirkungsrecht der kirchlichen Autorität bezieht sich hier auf die Zustimmung (consensus).

Die gleiche Rechtslage bzw. Rechtsfigur findet sich in c. 803 § 3 CIC in Bezug auf katholische Schulen: „Keine Schule, selbst wenn sie tatsächlich katholisch ist, darf die Bezeichnung Katholische Schule führen, es sei denn mit Zustimmung der zuständigen kirchlichen Autorität.“ Schulen, die von juristischen öffentlichen Personen (z.B. eine Ordensgemeinschaft) oder von Privatpersonen gegründet werden, sind keine „katholischen Schulen“, auch wenn diese Personen Christgläubige sind und auch wenn sie sich in ihrem Unterricht an die katholische Lehre anpassen. Es liegt bei der zuständigen kirchlichen Autorität, ihren Konsens durch ein Dekret zu erteilen, damit diese Schulen als „katholisch“ bezeichnet werden können. Das Mitwirkungsrecht der kirchlichen Autorität im c. 803 § 3 CIC bezieht sich auch auf die Zustimmung (consensus) für eine Benennungszuweisung.

C. 831 § 1 CIC: „In Tageszeitungen, Zeitschriften oder anderen periodischen Veröffentlichungen, welche die katholische Religion oder die guten Sitten offenkundig anzugreifen pflegen, dürfen Gläubige nichts schreiben, es sei denn, es läge ein gerechter und vernünftiger Grund vor; Kleriker aber und Mitglieder von Ordensinstituten dürfen das nur mit Erlaubnis des Ortsordinarius tun.“

Hier geht es nicht um die Erlaubnis in Form einer Genehmigung zur Veröffentlichung eines konkreten Artikels, Gegenstand der Erlaubnis ist nicht der Inhalt dessen, was veröffentlicht werden soll. Die Erlaubnis bezieht sich vielmehr auf die Zusammenarbeit überhaupt mit denen, die die katholische Religion oder die guten Sitten offenkundig anzugreifen pflegen; deshalb müssen Kleriker und Mitglieder von Ordensinstituten ihren zuständigen Oberen um Erlaubnis bitten, auch wenn es bei der spezifischen Zusammenarbeit nicht um den Glauben oder die Sitten geht. Das Mitwirkungsrecht der kirchlichen Autorität (hier ausdrücklich Diözesanbischof oder Ordensoberer bzw. Oberin) in diesem Fall betrifft die Erlaubnis (licentia), ohne die der Handelnde illegal handelt.

C. 1210 CIC: „An einem heiligen Ort darf nur das zugelassen werden, was der Ausübung oder Förderung von Gottesdienst, Frömmigkeit und Gottesverehrung dient, und ist das verboten, was mit der Heiligkeit des Ortes unvereinbar ist. Der Ordinarius kann aber im Einzelfall einen anderen, der Heiligkeit des Ortes jedoch nicht entgegenstehenden Gebrauch gestatten.“

Die Widmung eines heiligen Ortes für den Kult ist an sich exklusiv, denn die Heiligkeit, mit der er bekleidet ist, erlaubt nicht, dass er gleichzeitig gewöhnlich für nichtreligiöse Zwecke genutzt wird, was zur Entweihung des Ortes führen würde (vgl. c. 1212 CIC). Gelegentlich, d.h. für jeden einzelnen Fall, kann der Bischof bzw. der zuständige Obere jedoch erlauben, dass er zu Zwecken verwendet wird, die der Heiligkeit des Ortes nicht widersprechen. Nach diesem Kanon gibt es also drei Kategorien von Nutzungen: 1) Nutzungen, die der Ausübung des Kultes, der Frömmigkeit oder der Religion (Gottesdienst) dienen oder sie fördern; 2) profane Nutzungen, die der Heiligkeit des Ortes nicht widersprechen und die der Ordinarius gelegentlich zulassen kann (z.B. ein Konzert); 3) profane Nutzungen, die der Heiligkeit des Ortes widersprechen und die niemals zugelassen werden dürfen (z.B. als rein kommerzieller Weihnachtsmarkt oder als Bar). Hier spricht man von „zulassen“ (permittere). Das Mitwirkungsrecht der kirchlichen Autorität betrifft in diesem c. 1210 CIC die Zulassung.

C. 1291 CIC: „Zur gültigen Veräußerung von Vermögensstücken, die durch rechtmäßige Zuweisung das Stammvermögen einer öffentlichen juristischen Person bilden und deren Wert eine rechtlich festgesetzte Summe überschreitet, wird die Erlaubnis der nach Maßgabe des Rechts zuständigen Autorität verlangt.“

Das System präventiver kirchenrechtlicher Kontrollen für die rechtsgültige Veräußerung kirchlicher Güter soll sicherstellen, dass die Gründe für die Veräußerung gerecht und vernünftig sind; gleichzeitig ermöglicht es, dass eine gute Koordinierung der Vermögen im kirchlichen Interesse sichergestellt wird. Die Kontrolle wird im CIC/83 durch das Erfordernis der Genehmigung der zuständigen kirchliche Autorität aufrechterhalten. Diese Erlaubnis ist erforderlich, wenn man Güter veräußern will, die zum Stammvermögen einer öffentlichen Rechtsperson (z.B. eine Pfarre oder ein Kloster) gehören und deren Wert eine gesetzlich festgelegte Summe übersteigt. Grundsätzlich legt die Österreichische Bischofskonferenz für ihren Bereich eine Untergrenze und eine Obergrenze fest (c. 1292 § 1, 1. Teilsatz CIC). Dies ist derzeit als Untergrenze € 80.000 und als Obergrenze € 3 Mio.[18] Sobald die geplante Veräußerung die festgesetzte Untergrenze überschreitet, sind zusätzlich weitere Bedingungen nach c. 1293 § 1, 1° und 2° CIC[19] zu erfüllen.

Die Definition von „Stammvermögen“ zeigt die extreme Schwere, die die Veräußerung von Vermögenswerten aus einem solchen Vermögen annehmen kann, da sie den Lebensunterhalt der juristischen Person gefährden kann, sofern die Veräußerungshandlung riskant ist und den finanziellen Untergang der Institution zur Folge haben könnte. Die Einstufung von Gütern, die zum stabilen Vermögen gehören, wird in diesem Kanon durch Bezugnahme auf ihre rechtmäßige Zuordnung bestimmt. Zu dieser Kategorie gehören daher alle Vermögenswerte, die in Übereinstimmung mit den in den Satzungen oder im Partikularrecht festgelegten Regeln dem stabilen Vermögensfonds zugewiesen wurden, nachdem alle diese Vermögenswerte durch einen Beschluss der zuständigen Organe festgelegt wurden. Hier bezieht sich das Mitwirkungsrecht der kirchlichen Autorität auf die Erlaubnis (licentia) für die Vermögensveräußerung.

5. Schluss

Zusammenfassend lässt sich hilfreich darauf hinweisen, dass die meisten Vorschriften über Mitwirkungsrechte kirchlicher Autoritäten das Ziel verfolgen, Aufsicht auszuüben. Dies führt in der Praxis allerdings nicht selten zu auch Problemen – ein Umstand, der sich sowohl aus der Aufnahmebereitschaft des Handelnden als auch aus der Feinfühligkeit oder dem Taktgefühl des Mitwirkenden bei der Umsetzung der Vorschriften verstehen lässt. Denn „aus der Sicht des Handelnden stellen sie häufig vor allem eine Einschränkung seiner Handlungsfreiheit dar. Aus der Sicht des Mitwirkenden können sie leicht als bloßer Verwaltungsaufwand oder als unnötiges Konfliktpotential wahrgenommen werden.“[20]

Alles in allem ist das Ziel des Gesetzgebers das Wohl der kirchlichen Gemeinschaft (vgl. c. 1752 CIC). Die Sendung der Kirche kann nur fruchtbar sein, wenn es eine echte Gemeinschaft unter den Gläubigen gibt, die berufen und gesandt sind, den Auftrag Christi zu erfüllen. Jeder Getaufte ist ein Glied des Volkes Gottes und berufen, seiner Lebenssituation entsprechend daran mitzuwirken, die kirchliche Gemeinschaft (Communio) zu verwirklichen. Dazu wollen die Mitwirkungsrechte beitragen und so verstanden, wären sie unverzichtbar.


[1] Latein: Codex Iuris Canonici (CIC).

[2] Siehe Rhode, Ulrich, Mitwirkungsrechte kirchlicher Autoritäten im Codex Iuris Canonici. Teil I: Die Rechtsfigur des Mitwirkungsrechts, St. Ottilien 2001, 379–387.

[3] Es handelt sich hier nur um Mitwirkung im Hinblick auf die Mitwirkungsrechte.

[4] Vgl. c. 166 CIC.

[5] Ein Metropolit ist der Erzbischof, der einem Verband von mehreren benachbarten Diözesen vorsteht. Dieser Verband heißt Kirchenprovinz.

[6] Ein Suffraganbischof ist ein Bischof einer Diözese, der einem Metropoliten unterstellt ist. 

[7] Rhode, Ulrich, ebd., 377.

[8] Vgl. ebd., 17.

[9] Ebd., 18.

[10] Aymans, Winfried/Mörsdorf Klaus, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici. Band I: Einleitende Grundfragen und Allgemeine Normen, Paderborn u.a. 1991, 375.

[11] C. 1112 § 1 CIC: „Wo Priester und Diakone fehlen, kann der Diözesanbischof, aufgrund einer vorgängigen empfehlenden Stellungnahme der Bischofskonferenz und nach Erhalt der Erlaubnis des Heiligen Stuhles, Laien zur Eheschließungsassistenz delegieren.“

[12] Rhode, Ulrich, Mitwirkungsrechte kirchlicher Autoritäten, ebd., 19.

[13] Konkretes Beispiel im c. 501 § 3 CIC (der Mitwirkende ist dem Handelnden nebengeordnet): „Wenn der Priesterrat die ihm zum Wohl der Diözese übertragene Aufgabe nicht erfüllt oder in schwerwiegender Weise missbraucht, kann der Diözesanbischof ihn nach Rücksprache mit dem Metropoliten oder, wenn es sich um den Metropolitansitz selbst handelt, mit dem dienstältesten Suffraganbischof auflösen, muss ihn aber innerhalb eines Jahres neu bilden.“

[14] Rhode, Ulrich, Mitwirkungsrechte kirchlicher Autoritäten, ebd., VII.

[15] Aymans–Mörsdorf, KanR I, ebd., 376.

[16] Rhode, Ulrich, ebd., 377.

[17] Vgl. Aymans–Mörsdorf, KanR I, 379.

[18] Vgl. Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz Nr. 45, 1. Mai 2008, Nr. 4. 

[19] CIC 1293 § 1, „1° ein gerechter Grund, wie z. B. dringende Notwendigkeit, offenbarer Nutzen, Frömmigkeit, Caritas oder ein anderer gewichtiger pastoralem Grund;

2° eine von Sachverständigen schriftlich vorgenommene Schätzung der zu veräußernden Sache.“

[20] Rhode, Ulrich, ebd., 377.


[1] Latein: Codex Iuris Canonici (CIC).

[2] Siehe Rhode, Ulrich, Mitwirkungsrechte kirchlicher Autoritäten im Codex Iuris Canonici. Teil I: Die Rechtsfigur des Mitwirkungsrechts, St. Ottilien 2001, 379–387.

Univ. Prof. Andreas Kowatsch im Gespräch „Flucht, Asyl und der Faktor Religion: Wo der weltanschaulich neutrale Rechtsstaat an seine Grenzen kommt“

Podcast „Diesseits von Eden“ vom 27. Juli 2022  

Initiiert durch unser Symposium zum Thema Den Glauben glaubhaft machen. Religiöse Konversion im Asylverfahren“ sprach Dr. Henning Klingen mit Univ. Prof. Andreas Kowatsch sowie Frau Professor Sabina Konrad, Leiterin des Grazer Instituts für Kanonisches Recht und dem Innsbrucker Dogmatiker Professor Willibald Sandler über die komplexe Frage, wie man mit Konversionen im Asylverfahren umzugehen hat. Denn religiöse Verfolgung zählt zu den zentralen Flucht- und Asylgründen. Doch wie soll, wie kann der weltanschaulich neutrale Rechtsstaat über religiöse Überzeugungen urteilen?

Unsere Tagung hat sich jetzt mit der Frage befasst: Wie gehe ich mit Menschen um, die am Weg ins neue Land, ins Flucht- oder auch erst im Fluchtland eine Transformation ihrer religiösen Identität erleben und konvertieren, sich von einer Religion, der Herkunftsregion, einer neuen Religion zuwenden und dadurch erst eben befürchten müssen, in ihrem Herkunftsland verfolgt zu werden.“

Andreas Kowatsch im Podcast „Diesseits von Eden“ (27. Juli 2022)

© Daniel Tibi

Sie können den Podcast hier in voller Länge nachhören!

Sexualisierte Gewalt in kirchlichen Einrichtungen. Erläuterungen zum Verhältnis von staatlichem Strafrecht und den innerkirchlichen Verfahren

Am 21. Jänner 2022 stellte die Münchener Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl/Spilker/Wastl ein mehr als 1.800 Seiten umfassendes Privatgutachten zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker sowie hauptamtlich Bedienstete im Bereich der Erzdiözese München und Freising von 1945 bis 2019 vor. Weit über das, was ein juristisches Fachgutachten erwarten lässt, fragt dieses schon im Titel nach Verantwortlichkeiten und systemischen Ursachen und zieht nicht nur juristische Schlussfolgerungen, sondern theologische Konsequenzen und Empfehlungen. Andere deutsche Diözesen hatten in den vergangenen Monaten ebenfalls Gutachten präsentiert, deren Ergebnisse die Katholische Kirche in Deutschland ebenso von innen wie aus der säkularen Öffentlichkeit her erschüttern. Auch für die nähere Zukunft ist die Veröffentlichung von Gutachten anderer Diözesen angekündigt. Die Chance einer deutschlandweit synchronen Aufarbeitung des Unrechts wurde vertan.

So erschreckend die vorgestellten Fälle sind, kann angesichts der langen Beobachtungszeiträume der bloße Befund, dass es auch in einer sich auf ein hohes gemeinsames Ethos berufenden Glaubensgemeinschaft jede Form von Verbrechen gibt, rein statistisch nicht wirklich überraschen. Zum persönlichen Versagen der Täter kommt aber in allen untersuchten Diözesen hinzu, dass die zuständigen kirchlichen Verantwortungsträger über Jahrzehnte hindurch in einer Vielzahl von Fällen mehr vom Wunsch beseelt waren, das Ansehen ihrer Kirche nach außen zu schützen, als das jeweils ganz individuelle und unvertretbare Leid der Opfer in den Mittelpunkt ihres Leitungshandelns zu stellen. Das an sich vorhandene kircheneigene Strafrecht blieb weitgehend unangewendet. Täter wurden zwar in den meisten Fällen kurzfristig dienstfrei gestellt und in nicht wenigen Fällen auch zu therapeutischen Maßnahmen gedrängt, allzu oft konnten diese aber an anderen Orten wieder in einer Weise ihren Dienst ausüben, die Gelegenheiten für erneute sexuellen Übergriffe bot. Aus der Kombination von individueller Schuld und systemischem Versagen resultiert nun eine Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise der Katholischen Kirche historischen Ausmaßes. Auf dem „Synodalen Weg“, den die Deutsche Bischofskonferenz mit ausgesuchten Vertreterinnen und Vertretern der kirchlichen Laienorganisationen und einiger anderer Verbände geht, ist daher nicht zufällig die Frage nach Reformen in der Katholischen Kirche innerlich mit der Frage der Aufarbeitung und der Prävention von sexuellem Missbrauch verbunden.

(Foto: „Alone in the dark“ von Mitta_Hand, piqs.de, CC-Lizenz)

Sexueller Missbrauch als Verbrechen im kirchlichen Recht

Im kirchlichen Gesetzbuch (CIC) von 1983 war der sexuelle Missbrauch Minderjähriger nur im Kontext spezieller Straftaten, die im Zuge der Beichte geschehen, sowie als gravierender Verstoß gegen die Zölibatsverpflichtung von Klerikern als Verbrechen normiert. Mit dem Motu proprio, einem päpstlichen Gesetz, „Sacramentorum Sanctitatis Tutela“ erließ Papst Johannes Paul II. im Jahr 2001 ein spezielles Strafgesetz, das die Verfolgung besonders schwerer Straftaten in die Kompetenz der römischen Glaubenskongregation stellt. Diese Zentralisierung sollte verhindern, dass Fälle sexuellen Missbrauchs in den einzelnen Ortskirchen vertuscht würden. Die entsprechenden Normen wurden in den beiden nachfolgenden Pontifikaten mehrmals und zum Teil drastisch verschärft. Für Bischöfe, die eine Meldung nach Rom unterlassen, drohen spätestens seit einem weiteren Gesetz von Papst Franziskus („Vos estis lux mundi“ 2019) Sanktionen bis hin zum Amtsverlust. Am 8. Dezember 2021 trat schließlich ein neues Strafrecht in Kraft, das den sexuellen Missbrauch Minderjähriger und Schutzbefohlener nicht mehr nur als Klerikerstraftat sanktioniert. In Zukunft unterliegt jeder und jede, die eine kirchlichen Dienst ausüben, der kanonischen Strafgewalt. Der Missbrauch ist nicht mehr (bloß) ein Zölibatsverstoß, sondern ein Verbrechen gegen die Würde der menschlichen Person und damit gegen die sexuelle Selbstbestimmung des Menschen.

Am 8. Dezember 2021 trat die Reform des strafrechtlichen Teils des Codex Iuris Canonici in Kraft. (Foto: Daniel Tibi)

Indem das Kirchenrecht ein eigenes Strafrecht vorsieht, wird dem Staat nicht dessen ureigene Strafgewalt abgesprochen. Als Staatsbürger unterliegen auch die Gläubigen und selbstverständlich auch die kirchlichen Amtsträger dem staatlichen Strafrecht. Staatsanwaltschaftliche Verfolgungshandlungen dürfen an den Türen religiöser Einrichtungen nicht Halt machen. Wie alle anderen Institutionen sind auch die Kirchen- und Religionsgemeinschaften und ihre Organe im Rahmen der staatlichen und nicht etwa der kirchlichen Gesetze zur Zusammenarbeit mit den Behörden verpflichtet. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften trifft aber im Umkehrschluss auch keine spezielle Verpflichtung, die sie von anderen Institutionen im Staat unterscheiden könnte. Das kirchliche Strafrecht kann das staatliche nur ergänzen und es muss dieses auch ergänzen. Nur innerhalb der Religionsgemeinschaft können religiöse Sanktionen gesetzt werden. Einen Priester aus dem Klerikerstand zu entlassen, steht dem säkularen Staat nicht zu. Die Sanktionierung von Zölibatsvergehen durch den Staat wäre eine krasse Grenzüberschreitung des in religiös-weltanschaulichen Dingen neutralen Staates und stünde mit mehreren Verfassungsnormen (Art. 15 StGG, Art. 8 EMRK, Art. 9 EMRK) in Widerspruch.

Das kirchliche Strafverfahren beginnt mit einer diözesanen Voruntersuchung, sobald nicht völlig unglaubhafte Beschuldigungen gegen einen Kleriker erhoben werden. Erhärtet sich der Verdacht, besteht die strenge Pflicht, die römische Kongregation für die Glaubenslehre zu informieren, die die weiteren Schritte anordnet.

Im Gegensatz zum staatlichen Strafrecht bietet das Kirchenrecht die Möglichkeit, schwere Straftaten selbst dann zu verfolgen, wenn die Tat verjährt ist. Als schwerste Sanktion für Diakone, Priester und Bischöfe droht die Entlassung aus dem Klerikerstand. Mit dieser verliert der Betroffene nicht nur alle Rechte, sein geistliches Amt auszuüben, sondern auch die Grundlage seiner materiellen Versorgung. Die kirchliche Autorität setzt zwar ein markantes Zeichen der Abgrenzung, begibt sich aber auch weiterer Möglichkeiten, den Täter sozial zu kontrollieren. Aus diesem Grund werden oftmals andere Strafen verhängt, die nach außen hin milder erscheinen. Ob als Sanktion oder aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage, es muss in jedem Fall verhindert werden, dass ein überführter Täter wieder Gelegenheit erhält, weitere Verbrechen zu begehen.

Rechtlicher Umgang mit dem sexuellen Missbrauch in Katholischen Kirche
in Österreich

Welchen Weg geht in diesem Zusammenhang die Katholische Kirche in Österreich? Seit Juni 2010 enthält die zwischenzeitlich zweimal überarbeitete und an neue Herausforderungen des staatlichen wie des kirchlichen Rechts angepasste Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen“ Maßnahmen, Regelungen und Orientierungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt [so im Titel; vgl. Amtsblatt Österr. BIKO, 85 (2021)].

Parallel zu einem kirchlichen Strafverfahren und auch unabhängig von Fragen zivilrechtlicher Schadenersatzansprüche gegen die Täter enthält die erwähnte Rahmenordnung ein Verfahren, das nicht die juristische Wahrheitsfrage, sondern eine möglichst rasche Hilfestellung für die Opfer sexualisierter Gewalt ermöglichen soll. Bewusst wird in Kauf genommen, dass die bloße Plausibilisierung von Vorwürfen unter Umständen ausreicht, um die Finanzierung von Therapien und die Zahlung von finanziellen Anerkennungsleistungen zu übernehmen.

In den einzelnen Diözesen sind Ombudsstellen als Anlaufstellen für Betroffene eingerichtet. Diese bestehen hauptsächlich aus Personen, die Erfahrungen in den Bereichen Psychologie, Psychotherapie oder Psychiatrie, der Sozialarbeit oder verwandten Arbeitsfeldern mitbringen. Die Mitglieder stehen in keinem kirchlichen Dienstverhältnis (vgl. § 12 RahmenO). Kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind verpflichtet, Verdachtsfälle, Beobachtungen und Missbrauchsfälle im kirchlichen Bereich der Ombudsstelle zu melden (vgl. Art. 17b RahmenO). Priester können sich dieser Verpflichtung nur entziehen, wenn sie ihr Wissen aus der Beichte hätten, was in der Praxis entgegen einer weit verbreiteten Ansicht kaum jemals der Fall ist. Sollte sich herausstellen, dass Gefahr im Verzug ist, so muss die Ombudsstelle sofort den kirchliche Oberen oder, im Bereich der weiblichen Ordensgemeinschaften, die Oberin und die Leitung der kirchlichen Einrichtung oder Gemeinschaft verständigen, damit die erforderlichen Maßnahmen ohne Verzögerung gesetzt werden. Die Ombudsstelle bietet den Betroffenen erste Hilfestellungen an.

Sollte sich der Verdacht erhärten, wird der Fall an die in den einzelnen Diözesen eingerichtete „Diözesane Kommission“ weitergeleitet. Diese führt das Verfahren weiter und bezieht dabei den Beschuldigten ein. Menschenrechtlichen Standards entsprechend, gilt die Unschuldsvermutung und das Recht auf den guten Ruf. Die Kommission setzt sich aus Personen zusammen, die über eine juristische oder pädagogische Expertise verfügen, bzw. die aus der Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen kommen. Zusätzlich gehört ein Priester und ein Mitglied einer Ordensgemeinschaft der jeweiligen Diözesanen Kommission an. § 33 RahmenO normiert die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Kommissionen. Sämtliche kirchliche Stellen sind zur Zusammenarbeit und zur Auskunft gegenüber der Kommission verpflichtet.

Wenn es nach der Zusammenschau aller Fakten und vorliegenden Informationen keine ausreichenden Gründe gibt, die an der Plausibilität der Beschuldigung zweifeln lassen, und der Wunsch nach einer finanziellen und/oder therapeutischen Hilfestellung besteht, übersendet die Kommission den Akt an die Unabhängige Opferschutzkommission zur Entscheidung (vgl. § 42a RahmenO). Diese ist gem. § 52 RahmenO ein von der römisch-katholischen Kirche unabhängiges zivilgesellschaftliches Personenkomitee. Ihre Aufgabe ist es, eine Entscheidung zu treffen und der Stiftung Opferschutz Empfehlungen für Hilfestellungen an Betroffene zu geben. Aus den Mitteln dieser Stiftung erfolgen finanzielle Zahlungen, die unabhängig sind vom Bestehen eines rechtlichen Anspruchs, etwa als Schadenersatz in Form von Schmerzensgeld.

(Foto: „Skyggen“ von JL, piqs.de, CC-Lizenz)

Kirchliche Verfahren und staatliche Strafverfolgung

Gem. § 80 Abs. 1 StPO ist jedermann, der von der Begehung einer strafbaren Handlung Kenntnis erlangt, zur Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft berechtigt. Eine allgemeine Verpflichtung, strafbare Handlungen bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft zur Anzeige zu bringen, kennt die österreichische Rechtsordnung hingegen nicht. § 78 StPO verpflichtet allerdings Behörden oder öffentliche Dienststellen zur Anzeige, wenn diesen der Verdacht einer Straftat bekannt wird, die ihren gesetzmäßigen Wirkungsbereich betrifft. Diese behördliche Anzeigepflicht besteht aber nicht, wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf (vgl. § 78 Abs. 2 StPO). Zwar bedarf auch die Betreuung von Opfern sexualisierter Gewalt ein solches Vertrauensverhältnis, die in den verschiedenen Verfahren beteiligten Personen handeln aber nicht für staatliche Behörden. Die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften genießen in Österreich zwar die rechtliche Stellung von Körperschaften des öffentlichen Rechts. Diese sind aber im Gegensatz zu anderen öffentlich-rechtlichen Korporationen keine Einrichtungen, die dem hoheitlichen Handeln des Staates zuzurechnen sind.

Für eine ganze Reihe von Berufen ist die Anzeigeberechtigung durch besondere Verschwiegenheitspflichten eingeschränkt. Neben dem Beichtgeheimnis und der geistlichen Amtsverschwiegenheit der Seelsorger, die durch ein Vernehmungsverbot im Strafprozess geschützt sind, dürfen beispielsweise auch Rechtsanwälte über das, was ihnen im Zusammenhang mit ihrem Beruf anvertraut worden ist, nichts preisgeben (vgl. § 9 Abs. 2 RAO, § 37 NO, § 80 WTBG 2017). Im Bereich des Gesundheitswesens bestehen eine Reihe von Verschwiegenheitspflichten, die in den unterschiedlichen beruflichen Spezialgesetzen normiert sind. Am bekanntesten dürfte die Schweigepflicht der Ärzte sein (vgl. § 54 Abs. 1 ÄrzteG).

Unter Umständen können freilich auch berufliche Verschwiegenheitspflichten durchbrochen werden, wenn im Einzelfall dadurch eine unmittelbar drohende schwere Gefahr für Leib und Leben eines Menschen verhindert werden kann [vgl. Schwaighofer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 80, Rn. 16 (Stand 01.12.2020)]. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren eine Reihe von Durchbrechungen der Verschwiegenheitspflichten normiert. Das GewaltschutzG 2019 (BGBl. I 2019/105) vereinheitlichte teilweise schon bestehende Anzeigepflichten und bezog weitere Berufsgruppen in diese Regelung ein. Sollte sich anlässlich der beruflichen Tätigkeit der (begründete) Verdacht ergeben, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod, eine schwere Körperverletzung oder eine Vergewaltigung herbeigeführt wurde, Kinder oder Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind oder nicht handlungs- oder entscheidungsfähige oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlose Volljährige misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind, muss Anzeige erstattet werden [vgl. Schwaighofer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 78, Rn. 37/2 (Stand 01.12.2020]. Diese Pflicht entfällt u. a. allerdings dann, wenn die Anzeige dem ausdrücklichen Willen des volljährigen handlungs- oder entscheidungsfähigen Patienten widersprechen würde, sofern keine unmittelbare Gefahr für diesen oder eine andere Person besteht und die klinisch-forensischen Spuren ärztlich gesichert sind, oder die Anzeige im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf, sofern nicht eine unmittelbare Gefahr für diese oder eine andere Person besteht. M. a. W.: gegen den ausdrücklichen Wunsch des (volljährigen) Opfers von Gewalt darf keine Anzeige erstattet werden. Das dadurch ausgelöste Ermittlungsverfahren und ein anschließendes Strafverfahren sollen nur dann gegen den Willen eine Opfers geführt werden, wenn sonst andere Personen unmittelbar gefährdet werden. Angesichts der neuerlichen Konfrontation mit dem zugefügten Leid und der in den meisten Fällen unvermeidlichen Konfrontation mit dem Täter droht einem Opfer eine Vertiefung der Traumatisierung.

Einige besondere Einrichtungen sind zu einer Meldung an das „Jugendamt“ (den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger) verpflichtet, wenn im Rahmen der beruflichen Tätigkeit der begründete Verdacht, dass Kinder oder Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind oder ihr Wohl in anderer Weise erheblich gefährdet ist, auftaucht (vgl. § 37 Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz – B-KJHG 2013, i. d. F. BGBl I 105/2019). Das Gesetz zählt u. a. auch Einrichtungen zur Betreuung oder zum Unterricht von Kindern und Jugendlichen, Einrichtungen zur psychosozialen Beratung und private Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu den Verpflichteten. Eine Berufung auf berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten ist in diesem Fall nicht möglich (vgl. Abs. 5 leg. cit.).

Aufbauend auf diesen Voraussetzungen des staatlichen Rechts enthält die RahmenO „Die Wahrheit wird auch freimachen“ eine Reihe von Bestimmungen, die die Meldung von Missbrauchsvorwürfen an die Staatsanwaltschaft betreffen. Grundsätzlich unterliegen die Mitglieder der Ombudsstellen einer strengen Verschwiegenheitspflicht im Sinn des Opfer- und Persönlichkeitsschutzes. Betroffene sollen einen geschützten und diskreter Rahmen vorfinden. Staatliche Behörden werden daher nicht gegen den Willen einer betroffenen Person informiert (§ 18 RahmenO). § 20 RahmenO sieht allerdings vor, dass bei Gefahr im Verzug gegebenenfalls eine Meldung an die staatlichen Behörden zu erfolgen hat. Wie in den staatlichen Vorschriften tritt im Fall unmittelbar drohender Gefahr der Respekt vor dem Willen des mutmaßlichen Opfers, kein behördliches Verfahren auszulösen, zugunsten der Gefahrenabwehr zurück.

Abgesehen von diesem Fall ist die Ombudsstelle zur Respektierung der Selbstbestimmung der Betroffenen verpflichtet. Informationen werden daher grundsätzlich nur mit dem ausdrücklichen schriftlichen Einverständnis der Hilfesuchenden an die staatlichen Strafverfolgungsbehörden weitergegeben. Auch die Weitergabe an den Ordinarius sowie die Diözesane Kommission hängt an dieser schriftlichen Zustimmung. Im Sinn der universalkirchlichen Normen (vgl. Art. 24 Normae SST 2010) ist dabei abzuklären, ob der Name von Betroffenen den Beschuldigten bekannt gegeben werden darf. Ausdrücklich werden die Ombudsstellen verpflichtet, die Betroffenen zur Anzeige bei staatlichen Behörden zu raten. Für den Kontakt zur staatlichen Behörde muss eine Begleitung oder Unterstützung angeboten werden (vgl. § 21 RahmenO). Unklar bleibt in diesem Zusammenhang aber die Bestimmung des § 27b RahmenO, der das Unterlassen einer Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft von einer schriftlichen Untersagung durch den Hilfesuchenden abhängig macht. Zugleich die Zustimmung für die Weiterleitung zu fordern und diese vom Fehlen einer schriftlichen Untersagung abhängig zu machen, ist nicht möglich.

Erhärtet sich der Verdacht des sexuellen Missbrauchs auch vor der Diözesanen Kommission, so gibt diese eine schriftliche Handlungsempfehlung zum Beschuldigten an den Diözesanbischof und gegebenenfalls an die höhere Obere bzw. den höheren Oberen der betreffenden religiösen Gemeinschaft ab. Insbesondere werden auch Sofortmaßnahmen empfohlen, die auch eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft umfassen können (vgl. § 42 RahmenO).

Während die Ombudsstelle dazu raten soll, dass eine Strafanzeige durch das mutmaßliche Opfer erhoben wird, wird im Verfahren vor der Diözesanen Kommission einem Beschuldigten, der die Tat eingesteht, die Selbstanzeige bei den staatlichen Strafverfolgungsbehörden empfohlen (vgl. § 44 RahmenO). In diesem Stadium des Verfahrens geht die RahmenO weit über § 78 StPO. Sollten ausreichend Anhaltspunkte vorhanden sind, die auf eine strafbare Tat hinweisen, soll die Diözesane Kommission der zuständigen kirchlichen Autorität eine Sachverhaltsdarstellung an die zuständige Staatsanwaltschaft empfehlen. Staatsanwaltliche Ermittlungen genießen nun den Vorrang. Die Tätigkeit der Diözesanen Kommission kann während eines gerichtlichen bzw. behördlichen Verfahrens für den konkreten Fall sistiert werden. Eine Weiterleitung an die Unabhängige Opferschutzkommission erfolgt erst nach einer gerichtlichen bzw. behördlichen Entscheidung.

Sollte bereits außerhalb der kirchlichen Verfahren ein staatliches Strafverfahren gegen einen katholischen Geistlichen oder eine(n) Ordensangehörige(n) laufen, sieht Art. XX Abs. 1 des Österreichischen Konkordats mit dem Heiligen Stuhl eine Verständigungspflicht des staatlichen Gerichts vor. Dieses hat den Diözesanordinarius zu informieren und ihm raschestens die Ergebnisse der Voruntersuchung und gegebenenfalls das Endurteil des Gerichtes sowohl in der ersten als in der Berufungsinstanz zu übermitteln. Andere religionsrechtliche Spezialgesetze gehen noch weiter (z. B. § 20 ProtestantenG). Im Hintergrund dieser Regelungen steht eine ursprünglich enge institutionelle Verflechtung der als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften mit hoheitlichen Aufgaben des Staates in einem System der Staatskirchenhoheit. Diese Form der verpflichtenden Kooperation ist nicht nur unter datenschutzrechtlichen Aspekten, sondern auch aus grundrechtlichen Überlegungen angreifbar. In § 12 AnerkennungsG 1874 und § 14 IslamG kommt zum Ausdruck, dass der Staat verhindern möchte, dass verurteilte Straftäter in den anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Seelsorge eingesetzt werden. Im Einzelnen stehen zwar auch diese Vorschriften teilweise auf verfassungsrechtlich dünnem Eis, in einem religionsrechtlichen System vielfältiger Kooperation zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften ist die Vorstellung, dass ein wegen eines Delikts gegen Leib und Leben verurteilter Straftäter weiter in der Seelsorge eingesetzt wird, jedoch schwer vorstellbar.

(Foto: „Handschellen“ von Lisa Spreckelmeyer, piqs.de, CC-Lizenz)

Resümee

Ob die eingeschlagenen Wege, das verbrecherische Unrecht des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener beim Namen zu nennen, ausreichend sind, um den Missbrauch Schutzbefohlener in Zukunft zu vermeiden, darf bezweifelt werden. Erst recht nicht werden aller Voraussicht nach Gutachten zur Heilung der Wunden führen, unter denen Opfer sexueller Gewalt oftmals lebenslang leiden. Die Fakten auf den Tisch zu legen und sich dadurch angreifbarer als andere gesellschaftliche Institutionen zu machen, die keine systematischen Wege gehen, vielleicht auch in ihren Reihen nicht bloß als Verbrechen von Einzelnen geschehenen Missbrauchs aufzuarbeiten, darf aber anerkannt werden, ohne in den Verdacht zu geraten, von der individuellen Schuld und dem systemischen Versagen in der Katholischen Kirche abzulenken.

Weiterführende Literatur

  • Th. Flörl / C. Lisowska, Die Neuregelung der Anzeigepflichten für Gesundheitsberufe durch das Gewaltschutzgesetz 2019, in: ZfG 2019, 111.
  • B. J. Berkmann, Verfahrensordnung bei Beschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs und Gewalt Die Regelungen der österreichischen Bischöfe von 2016, München 2017 (DOI: 10.5282/ubm/epub.40552).
  • G. Hochmayr / K. Schmoller, Zur Reichweite der Verschwiegenheitspflicht von Ärzten, Psychologen und Psychotherapeuten beim Verdacht des sexuellen Kindesmissbrauchs, in: K. Schmoller / A. Holz-Dahrenstaedt (Hrsg.), Sexueller Missbrauch von Kindern, Wien 2000, 15.
  • F. Wallner, Neuregelung der Meldepflichten für die Gesundheitsberufe, in: RdM 2020/277 (= Sonderheft Gmundner Medizinrechtskongress 2020), 225.

DOI: 10.25365/phaidra.322

Titelbild: „Zurückgelassen“ von Lisa Spreckelmeyer, piqs.de, CC-Lizenz (BY 2.0)

Das kanonistische Buch

Rezension zu: Helmuth Pree / Noach Heckel, Das kirchliche Vermögen, seine Verwaltung und Vertretung. Handreichung für die Praxis, Wien: Verlag Österreich 3. Aufl. 2021. ISBN 978-3-7046-8855-2

Dass die dritte Auflage Neues zu bieten hat, ist bereits auf den ersten Blick zu erkennen: Sie ist deutlich dicker als die zweite Auflage. Von 224 Seiten in der zweiten Auflage ist das Werk auf 436 Seiten in der dritten Auflage gewachsen. Auch bei den Autoren gibt es eine Veränderung. Während Helmuth Pree wie schon in den beiden vorherigen Auflagen auch in der dritten Auflage Mitautor ist, konnte der im Jahr 2014 verstorbene Bruno Primetshofer an der dritten Auflage nicht mehr mitarbeiten. An seine Stelle hätte P. Stephan Haering OSB treten sollen, der jedoch im Jahr 2020 völlig überraschend verstorben ist. Mitautor der dritten Auflage ist nunmehr P. Noach Heckel OSB, der sowohl promovierter staatlicher wie auch promovierter kirchlicher Jurist ist und damit als Mitautor für ein Werk zu einem Thema, das an der Schnittstelle zwischen diesen beiden Rechtssphären steht, bestens geeignet ist. Inhaltlich baut das Werk, das sich wie schon die zweite Auflage als Handreichung für Rechtspraktiker versteht, auf Bewährtem auf, das aktualisiert wurde, ergänzt aber auch Neues.

Das erste Kapitel widmet sich den Grundfragen kirchlichen Vermögensrecht und geht auf die Arten von Vermögen kirchlicher Träger, die Quellen kirchlichen Vermögensrechts, die Rechtsträger kirchlichen Vermögens sowie die Grundbegriffe und Grundsätze kirchlicher Vermögensverwaltung ein.

Das zweite Kapitel thematisiert die Gebarung mit kirchlichem Vermögen. Behandelt werden in diesem umfangreichen Kapitel das Haushalts- und Rechnungswesen, der Vermögensverwalter, die hierarchische Aufsicht, Rechtsgeschäfte über das Kirchenvermögen, Haftungsfragen sowie die Ausgründungen in staatlicher Rechtsform.

Die meisten Neuerungen bietet das dritte Kapitel, das sich mit Spezialproblemen beschäftigt. Wie auch in der vorherigen Auflage wendet sich dieses Kapitel als erstes den vermögensrechtlichen Implikationen bei Inkorporationen zu, wobei speziell für Österreich relevante Ausführungen zur Pfarrkirche einer inkorporierten Pfarrei sowie zur Beendigung des Inkorporationsverhältnisses ergänzt wurden. Die folgenden beiden Abschnitte des dritten Kapitels thematisieren, wie auch in der zweiten Auflage, die vermögensrechtlichen Aspekte des Patronatsrechts sowie die vermögensrechtlichen Aspekte der Vereinigung von Pfarreien. Der vierte Abschnitt geht auf die Rechtsnachfolge nach Ordensinstituten und Klöstern ein. Dieser Abschnitt wurde im Vergleich zur vorherigen Auflage ergänzt, insbesondere durch Ausführungen zu Sonderregelungen für kontemplative Frauenklöster, die sich durch die Apostolische Konstitution Vultum Dei quaerere und die Instruktion Cor Orans ergeben haben. Es folgt ein Abschnitt zur Zusammenlegung von Ordensprovinzen und ein Abschnitt zur Insolvenz kirchlicher Rechtsträger. Diese beiden Themen wurden auch schon in der vorherigen Auflage behandelt und für die dritte Auflage aktualisiert. Neu ist der letzte Abschnitt des dritten Kapitels, der sich ausführlich mit den durch die Apostolische Konstitution Pascite gregem Dei erneuerten Strafbestimmungen mit vermögensrechtlichem Bezug befasst.

Da gerade im Bereich des kirchlichen Vermögensrechts vielfach Personen tätig sind, die keine Theologen sind, ist das neu eingefügte Glossar eine wichtige Hilfe für die Praxis zur Klärung zentraler Begriffe aus dem Bereich der kirchlichen Vermögensverwaltung.

Das ausführliche Literaturverzeichnis wurde um die einschlägigen Publikationen der letzten zehn Jahre, die seit der vorherigen Auflage vergangen sind, ergänzt.

Neu eingefügt wurde ein Anhang, in dem Allgemeindekrete der Österreichischen Bischofskonferenz zu Fragen des kirchlichen Vermögensrechts abgedruckt sind. Bei Drucklegung des Werkes waren die diesbezüglichen Normen der Deutschen Bischofskonferenz noch in Überarbeitung, sodass diese nicht mit abgedruckt wurden.

Verwalter kirchlichen Vermögens sind gehalten, „ihr Amt mit der Sorgfalt eines guten Hausvaters zu erfüllen“ (c. 1284 § 1 CIC) und müssen dazu die Vorschriften sowohl des kanonischen als auch des weltlichen Rechts genau beachten (vgl. c. 1284 § 2 Nr. 3 CIC). Zur Erfüllung dieser anspruchsvollen Aufgabe haben sich bereits die vorherigen beiden Auflagen des vorliegenden Werks als wertvolle Hilfe für die Praxis erwiesen. Auch die neu erschienene dritte Auflage verspricht, diesem Anspruch weiterhin gerecht zu werden. Dazu wurden nicht nur die rechtlichen Neuerungen seit der vorherigen Auflage aktualisiert, sondern das Werk wurde auch wesentlich erweitert, insbesondere hinsichtlich des Ordensvermögensrechts sowie des kirchlichen Strafrechts.

Titelbild: Daniel Tibi
DOI: 10.25365/phaidra.317

„Aufhören. Aufhören. Schluss jetzt (…)“

Am 25.08.2021 veröffentlichte der ORF auf seinem Instagram-Auftritt die Nachricht, dass der Name „des ,Patriachats von Babylon der Chaldäer‘ in ,Chaldäisches Patriachat‘“ geändert wird. Er verwies dabei auf den dazugehörigen Artikel von orf.religion. Der Instagram-Beitrag verlinkte den Artikel zweifelhaft launig mit dem Hashtag #daslebendesbrian. Scherze über Monti Python’s Life of Brian ließen nicht auf sich warten: Das Chaldäische Patriachat wurde mit der Volksfront von Judäa verglichen. Oder war es doch die judäische Volksfront? Der Titel dieses Beitrags ist ein genauso unpassendes Zitat aus dem genannten Film wie der erste Hashtag des ORF dazu. Lenken wir unseren Blick jedoch nun auf das Wesentliche:

Synode beschließt neuen Namen für Patriarchat und neue Titelformulierung für dessen Patriarchaten

Einstimmig hat die Synode der chaldäischen Bischöfe unter Louis Raphaël I. Kardinal Sako diesen beiden Änderungen im August 2021 zugestimmt. Er selbst wird sich nicht mehr Patriarch von Babylon nennen (Vatican.news).

#wasistdenneinpatriachat

Ein Patriarchat wird wörtlich aus den altgriechischen Wörtern für Vater und Herrschaft gebildet. Es meint seit vorreformatorischer Zeit einen Jurisdiktionsbereich. Patriarchate werden aus Diözesen/Eparchien gebildet. Übergeordneter Diözesanbischof ist dabei der Patriarch, der die Rechts-, Verwaltungs- und Lehrhoheit für sein Patriarchat in sich vereint. Dennoch darf nun nicht der Eindruck entstehen, dass die Kirche aus verschiedenen Stäben oder Abteilungen besteht, die alle gleichrangige Vorsitzende einer Gruppe sind. Hierarchisch bleibt Ihnen der Diener der Diener Gottes vorangestellt. Der Papst ist dabei gemäß c. 331 CIC bzw. 43 CCEO Träger der höchsten, vollen, unmittelbaren, universalen und ordentlichen Gewalt, die er immer frei ausüben kann. Können Sie diese Artikel aufzählen? Für Theologiestudierende stellt diese Frage eine beliebte Prüfungsfrage im Fach Kirchenrecht dar.

#wasunsdennochverbindet

Ausschlaggebend für die Lehre der Zusammengehörigkeit in der Kirche und die Kirchengliedschaft ist die Lehre der tria vincula, also dreier Bänder, die Christinnen und Christen, Kleriker, Laiinnen und Laien im Volk Gottes zusammenbinden: Sie bindet erstens das Band des Glaubensbekenntnisses (vinculum symbolicum), zweitens das Band der Sakramente (vinculum liturgicum) und drittens das Band der kirchlichen Leitung (vinculum hierarchicum), was letztlich den Bischof von Rom meint. Es ist zugleich eine Ausdeutung der Sendung der Kirche, die von Christus in die Welt gesandt wurde. Das prophetische Wirken Christi ist ein munus docendi, was sich im Glaubensbekenntnis zeigt. Das priesterliche Wirken Christi ist ein munus sanctificandi, was sich in den Sakramenten widerspiegelt. Das königliche Wirken Christi ist ein munus regendi, was sich in der kirchlichen Leitung abzeichnet. Der Petrusnachfolger ist zugleich Successor Principis Apostolorum. „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen (…). Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 16,18–19 EU).

#kirchebestehtinundausdenteilkirchen

Und wieder einmal lohnt sich ein Blick in die Dogmatische Konstitution der Verfassung der Kirche: Lumen gentium. Im achten Kapitel entfaltet sich die Ekklesiologie, also die Lehre von der Kirche wie folgt: „Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens (…) hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfaßt (…). Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit (…). [So] dient (…) das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi (…).“
Folglich darauf aufbauend kann c. 368 CIC rechtlich bestimmen: Die Kirche setzt sich aus „Teilkirchen [zusammen], in denen und aus denen die eine und einzige katholische Kirche“ besteht. Diese Kirche ist eine communio Ecclesiarum. Nicht nur das. Diese Gemeinschaft ist eine Gesellschaft; eine societas (vgl. LG 8). Sie besteht in den Teilkirchen und sie besteht aus den Teilkirchen. Und zu diesen Teilkirchen gehören unter anderem Patriarchate, Eparchien, Diözesen, Erzdiözesen, Kirchenprovinzen, Militärdiözesen, Personaladministraturen, Territorialabteien und vor allem Pfarren. Das Chaldäische Patriarchat ist somit eine Teilkirche der katholischen Kirche. Ihr teleologischer Zweck findet sich wiederum in Lumen Gentium 8: Sie zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen [und] ihm und den übrigen Aposteln hat er ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut “ (Vgl. Joh 20,17; Mt 2818ff und 1 Tim 3,15).
Die chaldäisch-katholische Kirche besteht im Jahr 2013 aus rund 540.000 Gläubigen, wovon die eine Hälfte im Irak, die andere Hälfte in der Diaspora und hier vorrangig in den USA lebt. Sie ist mit Rom uniert und erkennt daher den Papst als Inhaber der Primitialgewalt an. Ihr Oberhaupt ist seit 2013 Luis Raphaël I. Kardinal Sako. Er gehört damit als Patriarch zu den Papstwählern im Falle eines Konklaves. Näheres ist auch im Artikel von orf.religion zu finden.

#hatdiekirchenurdieseprobleme

In Folge der zynischen und launigen Kommentare stellte eine Person die Frage, ob kirchenintern keine wichtigeren Probleme vorhanden wären, als über Titulaturen zu diskutieren. Ein Blick auf vatican.news oder in den bollettino.vaticano können dazu einen guten Überblick geben, was sich „in der Kirche“ tut. Warum diese Benennungen dennoch von Wichtigkeit sind, zeigt folgendes:
2006 verzichtete der damalige Bischof von Rom auf den Titel des „Patriarchen des Abendlandes“. Wem aus Kindheitstagen Aladdins Wunderlampe ein Begriff ist, der hat auch etwas über die Märchen des Morgenlandes erfahren. Wenn im Osten die Sonne aufgeht, geht sie im Westen unter. Infolgedessen wurde Europa als das Abendland bezeichnet. Wer wie ein Wächter auf den Morgen wartet, wird bemerken, dass es im Morgenland zuerst hell wird. Der Titel Patriarch des Abendlandes wurde 642 erstmals von Papst Theodorus I. verwendet.
Auch der gegenwärtige Hl. Vater Franziskus hat bereits symbolisch eine Veränderung bei seinen Titeln herbeigeführt. Im Annuario Pontificio, dem Who’s Who der hierarchisch verfassten Kirche, ließ er eine Kategorie „historische Titel“ des Papstes vermerken, sie aber nicht formell ablegte. Von religionsrechtlicher und damit verbundener völkerrechtlicher Bedeutung ist der Titel Souverän des Vatikanstaates. Er kennzeichnet ihn als wahlmonarchisches Oberhaupt des Kleinstaates. Zu diesem originär staatlichen Völkerrechtssubjekt des Staates der Vatikanstadt tritt das originär nichtstaatliche Völkerrechtssubjekt des Hl. Stuhles hinzu. Von theologischer Bedeutung sind im Unterschied dazu die Worte des neugewählten obersten Brückenbauers nach seiner Wahl: „Und jetzt beginnen wir diesen Weg, Bischof und Volk. Dieser Weg der Kirche Roms, der jener ist, der in der Barmherzigkeit allen Kirchen vorsteht“. Der Papst hat also den Vorsitz in der Liebe. Er mahnt und leitet, er korrigiert und regelt in der brüderlichen Liebe.
In der lateinischen Kirche und ihren 23 unierten Schwesterkirchen finden sich im Laufe der Geschichte mehrere Patriarchate. Von ihnen bestehen das Koptisch-katholisches Patriarchat von Alexandria, das Maronitisches Patriarchat von Antiochien und des ganzen Orients, das Syrisch-katholisches Patriarchat von Antiochia, das Melkitisches Patriarchat von Antiochien, das Armenisch-katholische Patriarchat von Kilikien und eben das Chaldäisches Patriachat. Jedes dieser Patriarchate beruft sich auf eine eigene Geschichte, die aber immer in einer Tradition und Verbindung zur Urkirche und in Verbindung zu Rom steht. Sie alle sind unierte Schwesterkirchen und unterliegen dem CCEO. Historische Erkenntnisse haben gezeigt, dass Babylon als Hauptstadt Mesopotamiens bereits zerstört war, als das Christentum dort eingezogen ist. Folglich wäre eine namentliche Nennung der Stadt im Titel des Patriarchats historisch nicht haltbar. Er ist 1742 in den Namen aufgenommen worden, als der Patriarch zudem im Osmanischen Reich auf dem Gebiet der heutigen Türkei residierte. Kritik erfährt diese Titulaturänderung beispielsweise durch Kritiker und Kritikerinnen, die eine Theorie babylonischen Erbes und einer damit verbunden Verantwortung vertreten.
Die Veränderung des Namens hat also den historischen Anspruch keine namentlichen Irreführungen oder falschen Ansprüche zu stellen. Historische Forschungen und Erkenntnisse sind in diese Entscheidung eingeflossen. Es ist kein aberwitziges Geplänkel zwischen einer Volksfront von Judäa oder einer judäischen Volksfront, die noch dazu selbst in Monti Python’s Film nicht in Babylon im Irak tätig ist. Parallel dazu lohnt es sich, sein historisches Wissen zu vertiefen, warum es bis 1918 „Der deutsche Kaiser“, aber „Der Kaiser von Österreich“ hieß. Titel sind bis heute mit Traditionen, Abstammungen und Ansprüchen verbunden. Tradition und Apostolische Sukzession sind dabei gerade beim Leitungsamt in der Kirche von immanenter Bedeutung. Geschichtsvergessenheit oder historische Unwahrheiten lassen sich mit Theologie und kirchlicher Tradition nicht unter einen Hut bringen.

Der Autor hat den ORF via Instagram gebeten, den eingangs erwähnten Hashtag zu entfernen. Die schriftliche Bitte erhielt weder Lesebestätigung noch Antwort der Redaktion.

#imratderweisen

Wer noch mehr über Patriarchate und Ehrentitel wissen möchte, kann sich über das Patriarchat von Lissabon, von Ostindien, Westindien, das Patriarchat von Aquileia, von Grado, von Venedig, von Antiochien, von Konstantinopel und von Alexandrien informieren.

DOI: 10.25365/phaidra.294

Titelbild: pcdazero/Pixabay

Ende für die „außerordentliche Form“ des Römischen Ritus? Anmerkungen zu einer ersten Lektüre des MP Traditionis Custodes

Das Apostolische Schreiben in Form eines Motu Proprio Traditionis Custodes (=TC) wurde am 16. Juli 2021, am Gedenktag Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel, durch Papst Franziskus promulgiert, zusammen mit einem einleitenden Brief, der die Gründe und die Motivation des Papstes für die Änderungen, die er einführt, erklären.

Die darin zum Ausdruck kommende Haltung des Papstes dreht effektiv die Uhr zurück auf die Zeit vor 2007, als Papst Benedikt XVI. sein eigenes Motu Proprio Summorum Pontificum (=SP), herausgab und jedem Priester die Möglichkeit eröffnete, die Messe nach dem Römischen Messbuch von 1962 zu feiern, ohne die Erlaubnis seines Bischofs einzuholen. Noch ist die Unterschrift des Papstes frisch unter dem Dokument, aber hier sind ein paar Entwicklungen auszumachen, die ich nach einer ersten Lektüre bemerkenswert finde.

Das Apostolische Schreiben in Form eines Motu Proprio Traditionis Custodes (=TC) wurde am 16. Juli 2021, am Gedenktag Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel, durch Papst Franziskus promulgiert, zusammen mit einem einleitenden Brief, der die Gründe und die Motivation des Papstes für die Änderungen, die er einführt, erklären. Die darin zum Ausdruck kommende Haltung des Papstes dreht effektiv die Uhr zurück auf die Zeit vor 2007, als Papst Benedikt XVI. sein eigenes Motu Proprio Summorum Pontificum (=SP), herausgab und jedem Priester die Möglichkeit eröffnete, die Messe nach dem Römischen Messbuch von 1962 zu feiern, ohne die Erlaubnis seines Bischofs einzuholen. Noch ist die Unterschrift des Papstes frisch unter dem Dokument, aber hier sind ein paar Entwicklungen auszumachen, die ich nach einer ersten Lektüre bemerkenswert finde.

Sorge um die Einheit der Kirche

In der Liturgie kommt gemäß der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils wesenhaft die Einheit der Kirche zum Ausdruck. Die Liturgie ist davon geprägt, dass Jesus selbst in der Mitte der Gemeinde gegenwärtig wird. Die Liturgie ist immer eingebunden in den Gesamtkontext der Kirche. Sie ist das „Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der Kirche“. Deshalb schreibt auch die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium: „Die liturgischen Handlungen sind nicht privater Natur, sondern Feiern der Kirche, die das „Sakrament der Einheit“ ist, sie ist nämlich das heilige Volk, geeint und geordnet unter den Bischöfen.“ (SC 26).

Für Papst Franziskus war diese Einheit im Leben der Kirche, wohl oder übel mancherorts nicht mehr spürbar. In der Tat ist das ein Hauptgrund, den Papst Franziskus für sein jüngstes Motu Proprio angibt. Was sich mit dem neuen Motu Proprio in concreto im liturgischen Leben der Kirche tatsächlich ändern wird, bleibt abzuwarten.

Ein einziger Ausdruck der Lex orandi des Römischen Ritus

Art. 1 TC besagt, dass die liturgischen Bücher, die vom Heiligen Paul VI. und vom Heiligen Johannes Paul II. in Übereinstimmung mit den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils promulgiert wurden, der einzige Ausdruck der lex orandi des Römischen Ritus wären. Es scheint mir, dass damit die Bezeichnungen „ordentliche Form“ und „außerordentliche Form“, die von Papst Benedikt XVI. in SP eingeführt wurden, effektiv beseitigt werden. Papst Franziskus scheint zu sagen, dass es nur eine richtige Form des Römischen Ritus gibt, und das ist der Novus Ordo. In seinem Brief an die Bischöfe bezieht sich Franziskus zudem auf die Befragung des Episkopates aus 2020 und schafft damit alle Normen, Instruktionen, Gewohnheiten und Zugeständnisse seiner Vorgänger im Blick auf den einzigen Ausdruck der lex orandi des Römischen Ritus ab.

Die Zuständigkeit des Diözesanbischofs

Wenn man eine typische römisch-katholische Gemeinde besucht, die ausschließlich die „ordentliche Form“ der Messe feiert, dann wird sich überhaupt nichts ändern. Wenn Menschen häufig die „außerordentliche Form“ der Messe besuchen, liegt es wahrscheinlich an ihrem Diözesanbischof, wie viel sich ändern wird oder auch nicht.

Dem Diözesanbischof obliegt es gemäß Art. 2 TC als „Moderator, Förderer und Hüter des gesamten liturgischen Lebens der ihm anvertrauten Teilkirche, die liturgischen Feiern seiner Diözese zu regeln“. Daher ist ausschließlich seine Kompetenz, den Gebrauch des Missale von 1962 in seiner Diözese gemäß den Richtlinien des Apostolischen Stuhls zu genehmigen. Damit wird das Prinzip zum Ausdruck gebracht, dass der Bischof als oberster Seelsorger und Hohepriester seiner Partikularkirche auch der oberste Liturge ist und daher die Autorität über die liturgischen Feiern innerhalb seiner Diözese innehat. Daher ist es Sache des Bischofs und nicht einzelner Priester (wie bislang jedem Priester durch SP freigestellt), die Messe nach dem Messbuch von 1962 zu feiern. Zu beachten wäre hier, dass Papst Franziskus den Begriff „außerordentliche Form“ nicht verwendet.

Aber der Bischof ist nach TC nicht frei, den Gebrauch des Missale von 1962 zu regeln, wie er es für richtig hält. Er muss dies gemäß den vom Apostolischen Stuhl festgelegten Richtlinien tun. Nähere Richtlinien werden in der Tat in Art. 3 TC gegeben: Gruppen, die für die Feier der Messe nach dem Missale von 1962 eingerichtet werden, dürfen „die Gültigkeit und die Legitimität der Liturgiereform, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Lehramt der Päpste diktiert wurde, nicht leugnen“. Damit ist verbunden, dass Sie keine praktischen Schismatiker sein dürfen. Papst Franziskus spricht auch vom Zweifel dieser Gruppierungen an der Bedeutung des Konzils: „Das Konzil anzuzweifeln bedeutet, an den Absichten der Väter selbst zu zweifeln, die auf dem Ökumenischen Konzil feierlich ihre kollegiale Vollmacht cum Petro et sub Petro ausgeübt haben, und letztlich am Heiligen Geist selbst zu zweifeln, der die Kirche leitet.“

Ambivalente Haltung im Blick auf die Rolle der Bischöfe

Es stellt sich hier die Frage, wie sehr Papst Franziskus in Bezug auf die Autorität der Bischöfe über die Liturgie in deren eigenen Diözesen eine ambivalente Haltung prägt. Er beginnt damit, dass er die Rolle des Bischofs als Hüter des liturgischen Lebens der Kirche anerkennt, mit der „ausschließlichen Zuständigkeit“, den Gebrauch des Missale Romanum von 1962 zu regeln. Eine der Beschwerden, die er zweifellos von der Befragung seiner Mitbrüder im Bischofsamt – die Ergebnisse wurden auch nie wirklich publik gemacht – hörte, war die mangelnde Kontrolle, die sie über die Priester in ihrer Diözese hatten. Offenkundig gab es Priester, die SP ausnutzten, um nach dem Missale von 1962 in den Pfarreien auf eigene Initiative zu feiern. Papst Franziskus legt diese Kontrolle zurück in die Kompetenz der Bischöfe, aber bindet ihnen dann die Hände, indem er verschiedene Beschränkungen auferlegt, wie und wo solche Feiern stattfinden können, und verlangt sogar, dass die Bischöfe die Zustimmung des Vatikans einholen, bevor sie den Priestern in ihrer Diözese erlauben, das Missale von 1962 zu verwenden. In den meisten anderen Belangen hat der Heilige Vater es vorgezogen, einen kollegialeren Ansatz zu wählen. Die Tatsache, dass er nicht bereit ist, den Bischöfen die vollständige Kontrolle darüber zu geben, wie das Missale von 1962 in ihren eigenen Diözesen gefeiert wird, ist daher bemerkenswert.

Es liegt nun an den Bischöfen, dieses jüngste Dekret nach ihrem Augenmaß in ihren eigenen Einzelkirchen umzusetzen. Zweifellos wird der Vatikan verschiedene Klarstellungen herausgeben müssen, wenn Fragen auftauchen.

Keine neuen Personalpfarreien und veränderte kuriale Zuständigkeiten

Es folgen nun einige pastorale Anweisungen: Die Messe nach dem Missale von 1962 kann gemäß Art. 3 § 2 TC nicht in Pfarrkirchen gefeiert werden. Es können keine neuen Personalpfarreien für die Zelebration des Messbuchs von 1962 errichtet werden. Die Schriftlesungen bei diesen Messen sollen in der Volkssprache gemäß den genehmigten Übersetzungen erfolgen (Art 3 § 3 TC). Priester, die mit diesen Feiern betraut werden, „sollen für diese Aufgabe geeignet sein, den Gebrauch des Missale Romanum vor der Reform von 1970 beherrschen, ausreichende Kenntnisse der lateinischen Sprache besitzen, um die Rubriken und liturgischen Texte gründlich zu verstehen, und von einer lebendigen pastoralen Liebe und einem Sinn für die kirchliche Gemeinschaft beseelt sein. Diesem Priester sollte nicht nur die korrekte Feier der Liturgie am Herzen liegen, sondern auch die pastorale und geistliche Betreuung der Gläubigen.“ (Art. 3 §4 TC) Dem Papst geht es hier nicht bloß um die rituelle Vollziehung der Liturgie, vielmehr hat die Liturgie auch eine Bedeutung für das pastorale Leben der Gemeinschaften und die Spiritualität der Gläubigen.

Was mir hier rätselhaft erscheint, ist die Einschränkung gegen die Verwendung von Pfarrkirchen. Die meisten katholischen Kirchen sind Pfarrkirchen. Wenn also der Bischof einer Gruppe von Gläubigen die Erlaubnis erteilt, die Messe nach dem Messbuch von 1962 für sich lesen zu lassen, wo soll das dann stattfinden? Dieses Motu proprio verbietet den Bischöfen auch, zu diesem Zweck eigene Pfarreien zu errichten (Art 3 §6 TC). Wo genau stellt sich Papst Franziskus also vor, dass diese Zelebrationen stattfinden werden? Ich gehe davon aus, dass der Vatikan dazu irgendwann eine weitere Klarstellung vornehmen wird.

Art. 5 TC besagt, dass Priester, die gegenwärtig die Messe nach dem Missale von 1962 feiern und dies weiterhin tun wollen, ihren Bischof um Erlaubnis bitten müssen, während Art. 4 TC besagt, dass jeder Priester, der nach dem 16. Juli 2021 geweiht wird, nicht nur seinen Bischof um Erlaubnis bitten muss, sondern der Bischof sich mit dem Heiligen Stuhl beraten muss, bevor er eine solche Erlaubnis erteilt. Die Ordensgemeinschaften, die durch die Päpstliche Kommission Ecclesia Dei errichtet wurden, werden der Zuständigkeit der Kongregation für die Ordensleute und die Gesellschaften des apostolischen Lebens unterstellt (Art. 6 TC).

Allgemeine Kritik an liturgischen Missbräuchen

Papst Franziskus selbst kritisiert die liturgischen Missbräuche im Novus Ordo, legt aber sehr besorgt dar, dass der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht bezweifelt werden darf. Offenkundig haben manche Gruppierungen, die der „außerordentlichen Form“ anhängen, durch falsche Auffassungen und mangelnde theologische Überzeugungen die Einheit der Kirche schwer auf die Probe gestellt. Nichts in TC sagt jedoch irgendetwas, das Priester daran hindern würde, die Novus-Ordo-Messe in einer Weise zu zelebrieren, die von den Traditionen der älteren Form geprägt ist, wie es viele Priester in den letzten Jahren, die für die Zelebration beider Formen ausgebildet wurden, tatsächlich getan haben. Nicht wenige Mitfeiernde am Gottesdienst im Novus ordo fragen sich vor und während der Liturgie in manchen Pfarren, welche nicht nur überraschenden, sondern oft auch peinlichen Innovationen und Improvisationen ihnen bevorstünden gerade dort, wo sie Festgelegtes erwarten durften und geistlich wohnen wollten.

Can. 214 CIC 1983 spricht vom Recht auf den eigenen Ritus und die eigene Form des geistlichen Lebens durch die Gläubigen. Diese Rechtsnorm geht auf das Zweite Vatikanische Konzil zurück, das die Gleichstellung der verschiedenen Rituskirchen als Teilkirchen betont (vgl. OE 2-3). Alle Gläubigen haben das Recht, einer eigenen Form des geistlichen Lebens zu folgen, sofern diese nur mit der Lehre der Kirche übereinstimmt. Das Grundrecht auf den eigenen Ritus wird gestützt durch Can. 383 § 2 CIC, wobei dem Diözesanbischof die Sorge um Priester und Pfarreien eines bestimmten Ritus zukommt. Den Diözesanbischöfen wird durch TC wohl mehr als bisher die Aufgabe gestellt sein zu sehen, ob die Liturgie gemäß den Vorgaben gefeiert wird und auch gegen Erfindungen im rituellen Bereich einzuschreiten.

Es bleibt daher zu wünschen, dass TC vielleicht auch eine wenn auch nur indirekt angesprochene Aufforderung an die Verantwortung der einzelnen Diözesanbischöfe sein kann, dass der Novus Ordo durch die Priester mit so viel Ehrfurcht wie möglich und gemäß den Anordnungen des Messbuches gefeiert werden kann. Das sind m. E. erlaubte Optionen, die ein Teil dessen sind, was Papst Franziskus den „einzigartigen Ausdruck des römischen Ritus“ nennt. In der Tat bezieht sich Papst Franziskus genau auf diesen Punkt in seinem Einführungsschreiben, wenn er darauf hinweist, dass „wer mit Hingabe nach früheren Formen der Liturgie feiern möchte, im reformierten Römischen Messbuch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil alle Elemente des Römischen Ritus finden kann, insbesondere den Römischen Kanon, der eines seiner charakteristischsten Elemente darstellt“.

Darunter ist im Blick auf den Novus ordo eine Reintegration vergessener oder verdrängter Perspektiven und Elemente der Liturgie zu verstehen. Ich denke dabei besonders um eine verstärkte Wiederentdeckung des Heiligen, dann auch um eine Ausgewogenheit im Verständnis von Eucharistie sowohl als Opfer wie als Mahl, ebenso eine Ausgewogenheit zwischen den unersetzbaren Aufgaben der Träger des Weihesakraments und den Aufgaben der zum allgemeinen Priestertum gerufenen Getauften und schließlich um die Wiedergewinnung einer Kunst des Feierns, welche die Liturgie vor Banalisierung sowie vor dem Verlust von Gestalt und Schönheit bewahren hilft.

Zusammenfassend darf festgehalten werden: Papst Franziskus hat den Gebrauch der „außerordentlichen Form“ durch TC massiv eingeschränkt, das Missale aus 1962 aber nicht gänzlich abgeschafft. Er spricht von den liturgischen Büchern, die von den Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. gemäß den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils promulgiert wurden als dem „einzigen Ausdruck der lex orandi des Römischen Ritus“. Damit scheint die Unterscheidung von SP in „ordentliche“ und „außerordentliche Form“ des Römischen Ritus, für die sich Papst Benedikt XVI. aus theologischen und liturgiegeschichtlichen Überzeugungen stark gemacht hatte, an ihr Ende gekommen zu sein. In den letzten 14 Jahren seit Inkrafttreten der Regelungen von Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI. ging es zunächst um Beseitigung des Schismas und Stärkung der Einheit der Kirche mit der Bewegung um Erzbischof Marcel Lefebvre. Durch SP haben sich Gemeinschaften dieser „außerordentlichen Form“ gebildet. Papst Franziskus spricht im Brief an die Bischöfe von Gruppen, die durch Ihre Überzeugungen, Haltungen und Einstellungen der Einheit der Kirche zusehends Schaden zufügen würden, und hofft durch die Neuordnung in TC Distanzierungen, Unterschiede und Gegensätze sowie Spaltungen zu überwinden.

Es gibt aber zahlreiche Gemeinschaften, die in den letzten Jahren aus einer legitimen und gesunden Liebe zur Geschichte und Tradition unserer Kirche erwachsen sind, und die sich von dieser älteren Form des Gebets inspirieren lassen wollten. Für sie werden die Nachrichten dieser Tage sehr schwer zu empfangen sein, die Möglichkeit zu ihrer Zurückdrängung und ihr Ausschluss aus dem Leben der Pfarreien hat mit TC unwiderruflich begonnen. Auf welche Weise deren Wiedereingliederung in der „einen Form der lex orandi des Römischen Ritus“ geschehen soll, wird durch TC nicht näher ausgeführt.

Zu befürchten sind daher große Verunsicherung und auch unkontrollierbare Ausgrenzung sowie Abkapselung und Radikalisierung, zumal Papst Franziskus den Priestergemeinschaften, die ab nunmehr der Kongregation für die Orden und die Gemeinschaften des Apostolischen Lebens sowie der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramente unterstellt werden, in ein rituelles Nirwana manövriert hat.

Es bleibt aber abzuwarten, was genau sich mit diesem Motu Proprio ändern wird. Vieles wird vom jeweiligen Diözesanbischof abhängen.

Wenn dieses Dokument rigoros umgesetzt wird, ist anzunehmen, dass die gläubigen Katholiken, die sich nichts sehnlicher wünschen, als die Liturgie in der „außerordentlichen Form“ in Gemeinschaft mit ihren Bischöfen und dem Heiligen Vater zu feiern, zur Teilnahme an Zelebrationen außerhalb der Strukturen der Kirche, insbesondere der Priesterbruderschaft Pius X., bewegen könnte. Ob dies dann der kirchlichen Einheit, die Papst Franziskus so sehr erhofft dienlich sein kann, wird sich zeigen.

Der Inhalt von TC erinnert uns jedenfalls erneut daran, dass Gehorsam eine Tugend ist ebenso wie Geduld und dass die Liturgie nicht irgendjemandem von uns gehört, sondern der Kirche. Vor allem können wir alle hoffen, dass die eucharistische Liturgie auch in Zukunft für uns die Quelle der Einheit ist, die Papst Franziskus, das Zweite Vatikanische Konzil und Christus selbst wünschen, dass sie es ist.

DOI: 10.25365/phaidra.281