Rechtliche Konsequenzen aus der illegalen Abwesenheit von Ordensleuten im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zu einem kanonischen Lebensverband

Von Stefan Würges.

In den letzten Jahren stellten Ordensobere und das römische Dikasterium für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens fest, dass Angehörige von Ordensinstituten sowie Gesellschaften apostolischen Lebens spurlos verschwinden, obwohl sie durch das kanonische Recht verpflichtet sind, ein gewisses Maß gemeinschaftlicher Verpflichtungen zu übernehmen. Diese Verpflichtung resultiert aus dem spezifischen rechtlichen Charakter dieser Institute und Gesellschaften und wird durch eigenrechtliche Konkretisierungen (Konstitutionen) näherhin gefasst.

Das gemeinsame Leben als Prinzip des geweihten Lebens

Die Pflicht zur gemeinschaftlichen Lebensform wird vom Gesetzgeber durch die Anwesenheitspflicht in einem mit bischöflicher Zustimmung errichteten Ordenshaus (domus religiosa) ausdrücklich gefordert. So verlangt der kirchliche Gesetzgeber, dass Ordensleute in einer eigenen Niederlassung wohnen müssen und diese nur mit Erlaubnis des jeweiligen Oberen verlassen dürfen. Wenn auch allgemeine Erlaubnisse für tägliche Aufgaben außerhalb der Niederlassung erteilt werden können, so muss doch für eine längere Abwesenheit ein höherer Oberer zustimmen. Als höherer Oberer sind Provinziale und Generalobere zu verstehen. Wenn die Mitglieder seines Rates mehrheitlich zustimmen, kann er Ordensleuten die Erlaubnis erteilen, sich maximal ein Jahr lang außerhalb einer Niederlassung aufhalten zu dürfen. Ausnahmsweise, und zwar im Fall von Krankheit, zu Studienaufenthalten und zur Ausübung des ordensspezifischen Apostolats, kann ein Mitglied die Erlaubnis erhalten, sich länger als ein Jahr außerhalb eines ordenseigenen Hauses aufhalten zu können. So kann es sich beispielsweise um ein Mitglied handeln, das für die Dauer seines Studiums einem Studienhaus zugeordnet ist, aber mehrere Jahre außerhalb einer domus religiosa lebt.

Der Gesetzgeber des Codex Iuris Canonici von 1983 (CIC) äußerte sich auch über die unerlaubte Abwesenheit von einer Ordensniederlassung. Wenn sich also ein Mitglied der Vollmacht des Oberen entziehen möchte, soll diesem sorgsam nachgegangen und geholfen werden, zurückzukehren und ein Leben gemäß dem universalen Recht sowie den Konstitutionen zu führen (vgl. c. 665 § 2 CIC). Es ist demnach anzustreben, dass das Mitglied wieder in das Ordenshaus zurückkehrt und in seiner Berufung ausharrt. Dem Gesetzgeber geht es darum, die Berufung des einzelnen zu schützen, denn wenn sich ein Mitglied außerhalb einer Niederlassung aufhält, scheint es in einer gewissen Gefahr zu leben, diese Berufung zu verlieren. Diese Vermutung lässt sich durch die Erfahrung der Kirche im Umgang mit dem Ordensleben bestätigen. Denn das Ordenshaus bietet einen geistlichen Rahmen und somit die Voraussetzung, der ordenseigenen Berufung und dem jeweiligen Charisma zu folgen, während das Leben „in der Welt“ dazu in einem gewissen Kontrast steht. Zu diesem, das geistliche Leben fördernden und erhaltenden Rahmen zählt auch das Gemeinschaftsleben. Die Erfahrung des gemeinsamen Lebens von gleichgesinnten Menschen lehrt, dass das gemeinsame Leben Einheit schafft und in Zeiten von Unsicherheit und persönlichen Krisen trägt und hilft, diese Phasen im Sinn der Berufung zum Ordensleben zu meistern. Soweit wurde hier die Regelung dargelegt, die sich aus den allgemeinen Rechten und Pflichten von Ordensleuten ergibt.

Folgen der unerlaubten Abwesenheit

Der Gesetzgeber führt an anderer Stelle, und zwar unter dem Titel „Entlassung von Mitgliedern“, seine Ausführungen über die Entlassung von Ordensleuten aus dem kanonischen Lebensverband fort. Hierbei werden zwei Kategorien von Tatbeständen unterschieden, die zur Vornahme einer Entlassung führen. Die beiden Kategorien sind die Entlassung von Rechts wegen und die Entlassung durch ein kanonisches Verfahren. Die Entlassung von Rechts wegen erfolgt, wenn ein bestimmter Tatbestand eintritt. Das Ordensmitglied wird dann als Folge der Tat durch die von selbst eintretende Entlassung aus dem Verband ausgeschlossen. Der Entlassung von Rechts wegen (ipso facto) werden zwei Tatbestände zugeordnet. So gilt der Ordensmann oder die Ordensfrau als ohne Weiteres entlassen, wenn er oder sie offenkundig vom katholischen Glauben abgefallen ist oder versucht hat, eine Ehe zu schließen. Neben diesen Formen, die zur Ipso-facto-Entlassung führen, kennt der Codex auch die Entlassung durch ein kanonisches Entlassungsverfahren. An dieser Stelle soll allerdings das kanonische Verfahren nicht weiter expliziert werden, weil der durch das Motu Proprio Communis vita vom 19. März 2019 neu hinzugekommene Tatbestand in die Kategorie der Entlassung von Rechts wegen eingeordnet wurde.

Ein neuer Tatbestand zur Entlassung bei unerlaubter Abwesenheit

Zu den zwei genannten Tatbeständen, die zur von Rechts wegen eintretenden Entlassung führen, nämlich wenn ein Mitglied den katholischen Glauben notorisch leugnet und wenn ein Mitglied versucht, eine Ehe zu schließen, kommt durch das Motu Proprio Communis vita ein dritter Tatbestand hinzu. Dieser dritte Tatbestand wird beschrieben als Abwesenheit eines Ordensmitglieds für zwölf ununterbrochene Monate. Wie der Gesetzgeber Abwesenheit hier versteht, erklärt er mit den Worten der Abwesenheit „in Ansehung der Unauffindbarkeit“ des Mitglieds, und zwar im Sinn des c. 665 § 2 CIC. Hier werden also gewisse Bedingungen beschrieben, die erfüllt sein müssen, damit der Tatbestand von c. 694 § 1, 3° CIC vorliegt. Erst dann tritt die Entlassung ein.

Zunächst verweist der Gesetzgeber auf die Konditionen, die in c. 665 § 2 CIC expliziert werden. Damit wird deutlich, dass es sich um den Begriff der Abwesenheit handelt, den der Gesetzgeber des Codex Iuris Canonici vor der Publikation des Motu Proprio bereits festgelegt hatte. In diesem Canon ist nicht nur die Rede von Abwesenheit, sondern von unrechtmäßiger Abwesenheit, und zwar mit der Absicht, „sich der Vollmacht der Oberen zu entziehen“. Der Fall wäre also denkbar, dass ein Ordensmitglied im Rahmen der Unerlaubtheit zwar abwesend ist, sich aber nicht der Vollmacht der Oberen entziehen will. Es könnte sich um ein Mitglied handeln, dem eine längere Abwesenheit nicht gewährt wurde, das aber zur Vollendung seines Studiums über die ihm gewährte Zeit hinaus abwesend bleibt. Die Intention dabei wäre also nicht durch Ungehorsam begründet, sondern damit, dass ein persönliches Interesse, das grundsätzlich im Einklang mit der Anordnung des durch den Oberen gegebenen Auftrags steht, aber in der konkreten Ausführung eine breitere Interpretation erfährt. Vermutlich würde man sich durch ausreichende Kommunikation und Erklärung auf eine Lösung einigen können, aber an diesem Beispiel zeigt sich der Grenzbereich für den die Bedingung einer Abwesenheit gemäß c. 665 § 2 CIC nicht erfüllt wäre. In manchen Fällen kann es also einer gewissen Beweisführung bedürfen, um diesen Canon anwenden zu können.

Kehrt man zurück zur Anwendung des neuen Canons, in dem der Tatbestand der Abwesenheit in spezifischer Weise geregelt wurde, so wäre die erste Bedingung zur Erfüllung des Tatbestandes, die Intention zu haben, sich der Vollmacht des Oberen zu entziehen. Ebenso fordert c. 665 § 2 CIC, dass das Mitglied unrechtmäßig abwesend ist. Wendet man diese Bedingung wiederum auf die neue Rechtslage an, muss für den Fall der Anwendung des neuen c. 694 § 1, 3° CIC der Tatbestand erfüllt sein, dass das Mitglied eindeutig unerlaubt abwesend ist. Dies kann also als die zweite Bedingung festgehalten werden. Anzumerken bleibt, dass diese Konditionen auf dem Hintergrund des gemeinschaftlichen Lebens verstanden werden, dessentwegen die Abwesenheit als ein Straftatbestand überhaupt angesehen werden kann.

Vorgehensweise bei Unauffindbarkeit des Abwesenden

Im Fall des neuen c. 694 § 1, 3° CIC, der durch das Motu Proprio Communis vita an den CIC hinzugefügt wurde, fordert der Gesetzgeber eine bestimmte Qualität der Abwesenheit zur Erfüllung des Tatbestandes, nämlich neben der unerlaubten Abwesenheit über einen ununterbrochenen Zeitraum von zwölf Monaten und der Feststellung, dass sich der Abwesende der Autorität des Oberen entziehen will, dass selbiger unauffindbar abwesend ist. Das Charakteristikum der „Unauffindbarkeit“ (irreperibilitas) des Abwesenden wirft allerdings gewisse Rechtszweifel auf, die zur Beseitigung der Rechtsunsicherheit beantwortet werden müssen. Diese Problemstellung erkannten auch die Verantwortlichen im Dikasterium für die Institute des geweihten Lebens und die Gemeinschaften des apostolischen Lebens, die mit dem Rundschreiben „Litterae circulares de Litteris Apostolicis Motu Proprio datis ‚Communis vita‘“ vom 8. September 2019 darauf reagierten. In diesem Schreiben wird verdeutlicht, wie das Motu Proprio anzuwenden ist. Vor allem tritt das Problem der Unerreichbarkeit auf, das zugleich eine Bedingung ist, die erfüllt sein muss, um die neue Regelung der Ipso-facto-Entlassung anwenden zu können. Befindet sich nämlich ein Mitglied außerhalb eines Ordenshauses, soll es zunächst durch die üblichen Kommunikationsmittel aufgesucht werden. Sodann wird man versuchen, zunächst auf zwischenmenschlicher Ebene, das Mitglied zur Rückkehr zu bewegen. Bereits hier zeigt sich die Schwierigkeit, die bei einer Abwesenheit eintritt, bei der der Abwesende unauffindbar ist. Im nächsten Schritt würde eine Ermahnung an denjenigen erfolgen, der entlassen werden soll. Auch hier liegt die Problematik auf der Hand, nämlich die Rechtsunsicherheit, ob die entsprechende Person diese Mahnung erhalten hat. Schließlich muss dem Entlassenen das Entlassungsdekret übersendet werden, mit dem ihm seine Entlassung schriftlich mitgeteilt wird.

Der rechtlich unsichere Punkt ist also die Unauffindbarkeit. Denn die Feststellung der Unauffindbarkeit muss auf dem Weg der Negation erfolgen. Die Beurteilung, ob es sich um Abwesenheit in der Weise von Unauffindbarkeit handelt, muss der zuständige Obere unabhängig von den Gründen und eventuellen vorausgehenden Regelungen (erlaubte Abwesenheit, Flucht, Exklaustration) vornehmen. Die bereits im CIC verankerte Regelung, dass ein Mitglied, das über ein halbes Jahr abwesend ist, um sich der Autorität des Oberen zu entziehen (vgl. c. 696 CIC), entlassen werden kann, wurde durch die neue Regelung nicht aufgehoben, sondern bleibt weiterhin eine Möglichkeit, ein Mitglied wegen unerlaubter Abwesenheit entlassen zu können. Mit dem Motu Proprio Communis vita will der Gesetzgeber das Entlassungsverfahren aber vereinfachen, indem kein Verfahren geführt werden muss, sondern nur der objektiv feststellbare Tatbestand auf eine dem Recht genügende Weise konstatiert wird. Sobald ein Ordensangehöriger unerlaubt und unauffindbar abwesend ist, kann die neue Regelung angewendet werden. Im genannten Schreiben der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens legten die Autoren fest, dass, wenn die gewöhnlichen Kontaktmöglichkeiten wie Telefonnummer, E-Mail-Adresse, eine fiktive Adresse usw. ausgeschöpft wurden, die Person noch nicht ohne Weiteres als „unauffindbar“ gilt. Alles Versuche über diese Kanäle, Kontakt aufnehmen zu können, müssen also unternommen werden, so dass schließlich eine aktive Verweigerung des Betreffenden vermutet werden muss. Erst wenn ein Ordensmitglied nach allen Versuchen, es ausfindig zu machen, nicht gefunden werden kann, weil es sich offensichtlich versteckt hält und keinerlei Kontaktmöglichkeit zulässt sowie kein Lebenszeichen von sich gibt, kann das Kriterium der Unauffindbarkeit als erfüllt angesehen werden. Dann muss das Ergebnis aller erfolgloser Bemühungen, die Person zu finden, in einer sogenannten „Unauffindbarkeitserklärung“ dokumentiert werden.

Von dem Moment an, wann diese Erklärung datiert wurde, sollte das Mitglied auch von allen Ämtern suspendiert werden. Wenn auch das Auffinden des abwesenden Mitglieds weiterhin intendiert werden muss, kann mit der Suspension eine gewisse Rechtssicherheit erreicht werden. Von diesem Tag an beginnt die Frist von zwölf Monaten abzulaufen. Bleibt dieser Zustand während dieser Zeit ununterbrochen erhalten, gilt der Tatbestand als erfüllt und die Ipso-facto-Entlassung tritt ein.

Für das Rechtsverständnis bleibt anzumerken, dass, auch wenn die Entlassung mit der Vollendung der Straftat bereits vollzogen wird, zur Wahrung der Rechtssicherheit die Pflicht zur Dokumentation des Falls bestehen bleibt. Daher muss der höhere Obere mit seinem Rat unverzüglich den Tatbestand feststellen, so dass auch der Straftatbestand auch im äußeren Rechtsbereich konfirmiert wird. Dies soll auf der Grundlage von Beweisen geschehen, die gesammelt werden müssen. Damit ist der Formalität der Feststellung einer Tatstrafe, woraus die Ipso-facto-Entlassung folgt, normalerweise genüge getan. Im Fall der Entlassung wegen unerlaubter Abwesenheit bei gleichzeitiger Unauffindbarkeit reicht das allerdings nicht aus. Der Gesetzgeber fordert in diesem Fall nicht nur, dass eine Erklärung (declaratio) verfasst wird, sondern dass diese auch vom Heiligen Stuhl bestätigt werden muss (vgl. c. 694 § 3 CIC). Handelt es sich aber um eine Ordensgemeinschaft, die durch die bischöfliche Autorität errichtet wurde, so kommt es dem Bischof zu, die Entlassungserklärung zu bestätigen. Die Entscheidung über die Bestätigung der Entlassung per Dekret wird also nicht dem höheren Oberen überlassen, denn dieser hat sowieso seinen Rat zu konsultieren (cum suo consilio). Diese Entlassungserklärung muss freilich als eine Konfirmation der Entlassung verstanden werden, die bereits zum Zeitpunkt rechtlich geltend war, wann alle Bedingungen erfüllt waren. In diesem Sinn wäre hier auch der Begriff „Feststellungsdekret“ zutreffend, weil damit festgestellt wird, dass die Entlassung ipso facto erfolgte. Wird die Entlassung bestätigt, gilt das Mitglied als von Rechts wegen entlassen. Es wird aus dem Institut bzw. der Gesellschaft apostolischen Lebens ausgeschlossen und verliert alle Rechte und Pflichten, die mit der Mitgliedschaft zusammenhängen.

Fazit

Insgesamt entlastet das neue Gesetz die kirchlichen Oberen, indem es Grenzen aufweist, die durch die neue Regelung feststehen und eingehalten werden müssen. Somit sind Zweifel im Hinblick auf die korrekte Beurteilung der Situation weitgehend ausgeräumt. Das Motu Proprio Communis vita bietet daher einen Beitrag zur Rechtssicherheit kirchlicher Rechtshandlungen.

Weiterführende Literatur

Stefan Würges: Das Motu Proprio Communis vita. Hintergrund und Bedeutung im Licht der Würde von Ordengelübden (Young Academics Rechtswissenschaft 9). Baden-Baden: Tectum 2024. ISBN 978-3-8288-5142-9