Rezension zu: Judith Hahn / Adrian Loretan, Kanonistik – Rechtswissenschaft oder Theologie? (Quaestiones disputatae 336), Freiburg i. Br. / Basel / Wien: Herder 2024. ISBN 978-3-451-02336-1. Brosch., 144 S.

Von Daniel Tibi. ORCID logo

DOI: 10.25365/phaidra.522

Dass bei einer Tagung der informelle Austausch am Rande wie „das gemeinsame Frühstück – oder auch das Feierabendbier – aufschlussreicher als manche Konferenzbeiträge“ (11) sein kann, ist allgemein bekannt. Die Grundlage für das vorliegende Buch ist bei einem solchen gemeinsamen Frühstück der beiden Autoren bei einer Konferenz entstanden. Es widmet sich der Frage: Ist Kirchenrecht eine juristische oder eine theologische Disziplin? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten, denn die Kanonistik lässt sich sowohl der Rechtswissenschaft als auch der Theologie zuordnen. Eine Klärung des eigenen wissenschaftstheoretischen Standpunkts ist jedoch für jeden Kanonisten wichtig, da er Auswirkungen auf die Methodik und auf die Auswahl der Dialogwissenschaften hat. Adrian Loretan, Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Universität Luzern, und Judith Hahn, Professorin für Kirchenrecht an der Universität Bonn, legen in dem vorliegenden Buch ihre verschiedenen Standpunkte dar und treten darüber in einen Dialog miteinander. Das ist wörtlich gemeint, denn jeder der beiden Teile des Buches beginnt vor den wissenschaftstheoretischen Grundlagenbeiträgen mit einem Dialog in Form eines Interviews der beiden Autoren über ihren jeweiligen Standpunkt. Dieses passend gewählte Stilmittel lockert die Lektüre des Buches nicht nur auf, sondern verleiht ihm den Charakter eines wirklichen Austausches der beiden Autoren über ihre jeweiligen Positionen.

Im ersten Teil des Buches erläutert Adrian Loretan, warum er von der „kanonistischen Rechtswissenschaft“ (13) spricht. Diskurspartner ist für ihn in erster Linie die staatliche Rechtswissenschaft. Einen maßgeblichen Beitrag für die Rechtswissenschaft leistet die Kanonistik seiner Meinung nach durch ihren naturrechtlichen Ansatz, der insbesondere die Unhintergehbarkeit von Grund- und Menschenrechten zur Folge hat. Die Kanonistik ihrerseits kann aber „auch von den westlichen Rechtsstaaten lernen“ (42), denn „Rechtskultur, die von der kanonistischen Rechtswissenschaft in die Rechtsstaaten des Westens ausstrahlte, hat leider noch nicht bewirkt, dass innerhalb der Kirche einklagbare Grundrechte anerkannt werden“ (42). Loretan sieht desweiteren einen „Mehrwert der kanonisitschen Rechtswissenschaft für die Theologie und die Kirche“ (38). Eine eigenständige kanonisitsche Rechtswissenschaft fördert die Freiheit der Kirche, die ihrerseits in der Verantwortung ist, ihren naturrechtlichen Ansatz auch innerkirchlich umzusetzen: „Was nach außen mit voller Überzeugung als Stand der menschenrechtlichen Gerechtigkeitsdiskussion gepredigt wird, muss nach innen umgesetzt werden“ (39). Insofern besteht auch ein Bezug zur Theologie, innerhalb derer für Loretan die theologische Ethik wichtigster Gesprächspartner ist.

Im zweiten Teil des Buches legt Judith Hahn dar, dass „die Kanonistik, in der ich sozialisiert wurde, eine in einem theologischen Umfeld entwickelte Disziplin ist“ (79), möchte dabei aber „überhaupt nicht behaupten, dass mein Verständnis Kanonistik als Theologie irgendeinen Richtigkeitswert hätte“ (79). Es gebe „viele Gründe, die Kanonistik als Rechtswissenschaft zu sehen und daraus entsprechende wissenschaftstheoretische Schlüsse zu ziehen“ (79). Sie lehnt allerdings die Auffassung ab, Kirchenrecht sei Theologie, was eine „‚Spiritualisierung‘ von Recht“ (81) zur Folge hätte und bedeuten würde, kirchliches „Recht in seiner Rechtlichkeit nicht ernst zu nehmen“ (81). Hahn sieht Kanonistik als „Disziplin, die die Rechtsordnung einer Gruppe untersucht, die sich im Licht des Glaubens als eine Gemeinschaft versteht, die göttlichem Willen entspringt und diesen Willen zu verwirklichen sucht – auch mithilfe von Recht“ (109–110). In diesem Sinne lässt sich Kanonistik – genauso wie alle Fächer der praktischen Theologie – als „applied ecclesiology“ (110) verstehen. Das macht Kanonistik aber nicht primär zur Anwendungswissenschaft, vielmehr „befasst sie sich mit der Frage, wie sich ekklesiologische Vorstellungen mithilfe des Rechts konkretisieren, sodass die Kirche als theologische Größe begriffen werden kann, die mithilfe menschlicher Ordnungsvorstellungen Realität gewinnt“ (111). Das macht Kanonistik allerdings nicht zur „Wissenschaftsdienstleisterin der Kirche“ (113), auch wenn sie in der Praxis nicht selten rechtliche Perspektiven zur Kirchenentwicklung beisteuert. Die Bedeutung der Kanonistik liegt vielmehr „in ihrer systemimmanenten Leistung“ (113), Kirchenrecht aus einer Innenperspektive wissenschaftlich-kritisch zu erforschen und im Hinblick auf den Nutzen für die Gemeinschaft weiterzuentwickeln. Dies ermöglicht es, „vertiefte, nämlich auf die Innenwahrnehmung und die eigene Erfahrung gestützte Erkenntnisse über Überzeugungsgemeinschaften und ihre Normordnungen zu gewinnen“ sowie „Wechselwirkungen von Recht und sozialer Wirklichkeit zu untersuchen, die denen, die nicht selbst Anteil an der sozialen Realität einer Gemeinschaft haben, üblicherweise verborgen“ bleiben (136). Methodisch greift die Kanonistik, so führt Hahn weiter aus, auf die Rechtswissenschaft zurück. Die Methoden sind dabei vielfältig, denn sie „widmen sich der Rechtsgeschichte, Rechtsbegründung, Rechtsphilosophie, Rechtsdogmatik, Rechtsvergleichung, Rechtslinguistik und Rechtssoziologie“ (118). „Dieser Methodenplural verdeutlicht”, so Hahn, „dass die Kanonistik in sich ein interdisziplinäres Unterfangen ist, das nicht nur Theologie und Rechtswissenschaften verbindet, sondern hierüber hinaus – wie jede moderne Geisteswissenschaft – diverse interdisziplinäre Brückenschläge vornehmen muss, um erkenntnisträchtig zu sein“ (119).

Am Schluss des Buches steht nicht der Versuch, beide Standpunkte zu harmonisieren oder eine Synthese herauszuarbeiten. Vielmehr bietet das Buch zwei mögliche Ansätze, Kanonistik wissenschaftstheoretisch zu verorten und ihre Bedeutung für die Gegenwart herauszuarbeiten. Andere Kanonisten könnten weitere mögliche Blickwinkel auf ihr Fach beisteuern. Gerade darin liegt die Stärke des vorliegenden Buches. Es versucht nicht, allgemeingültige Antworten zu liefern, sondern bietet zwei fundierte Sichtweisen auf die Kanonistik. Dies lädt andere Kanonisten wie auch Studenten des Kirchenrechts ein, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur eigenen Position herauszuarbeiten und dadurch ihre eigene Verortung ihres Faches zu schärfen.

Für den Frieden der ganzen Welt

Rezension zu: Florian Schwetz, Der Souveräne Malteser-Ritter-Orden. Eine kirchen- und staatsrechtliche Betrachtung nach der Reform. Wien: Sramek 2. erweiterte und aktualisierte Aufl. 2023. ISBN 978-3-7097-0351-9

Von Florian Pichler. ORCID logo

DOI: 10.25365/phaidra.460

Zum Jahresende 2023 erschien in der kirchenrechtlichen Abteilung des Jan Sramek Verlags Florian Schwetz‘ religions- und kirchenrechtliches Werk zum Souveränen Malteser-Ritter-Orden in seiner zweiten Auflage. Anlass dafür war die 2022 vollendete Ordensverfassungsreform durch Papst Franziskus.

Schwetz ergänzt seine rechtlichen Studien um die novellierten Rechtstexte. Neben seinen Erläuterungen zum kirchlichen Recht und den zusammenhängenden Materien (S. 3–98) finden sich das Ordensgebet (S. 99), die Verfassung vom 03.09.2022 (Seite 101–133), das kirchenrechtliche Gesetzeswerk, genannt der Codex (S. 135–218) und der Akt des Großmagisteriums (S. 219f) im zweiten Teil des Buches. Dem Kommentar schließt damit ein aktualisiertes Rechtsquellenverzeichnis an.

Florian Schwetz ist Verwaltungsjurist bei der Tiroler Landesregierung. Er ist weiters Autor des Werkes Grenzüberschreitende Verwaltungsakte (2021), erschienen im Mohr Siebeck Verlag. Schwetz engagiert sich im Malteser Hilfsdienst ehrenamtlich.

Kommentar zum Recht des Malteser-Ritter-Ordens (S. 3–98)

Der Verfasser leitet logisch und strukturiert nach einer kurzen historischen Einführung und Rechtsquellenkunde in das Personenrecht des Ordens ein und beschreibt dabei die drei Stände. Professritter bilden den ersten, Promessritter den zweiten Stand. Ein dritter Stand für Laien und Kleriker mit besonderem Näheverhältnis zum Orden regeln gem Art 9 §§ 1–3 Ordensverfassung (OV) die Bestimmungen Art. 35–105 des Codex.

Seinen Erläuterungen um die personale Gliederung des Malteser-Ritter-Ordens fügt er die Erläuterungen zur territorialen Gliederung an. Es handelt sich dabei um Zusammenschlüsse von Personen der jeweiligen Stände zu den Großprioraten. Diese sind die einzelnen von Böhmen, England, von der Lombardei/Venetien, von Neapel/Sizilien, von Österreich und von Rom (S. 41f).

Der Malteser-Ritter-Orden ist ein eigenes Völkerrechtssubjekt. Neben einer eigenen Währung und völkerrechtlich anerkannten diplomatischen Vertretungen verfügt er über ein eigenes Territorium im Palazzo di Malta  (Via dei Condotti 68) und der Villa del Priorato di Malta (am Aventin an der Piazza dei Cavalieri di Malta 4).

Von besonderer wissenschaftlicher Bedeutung sind die Abgrenzungen (S. 54–56). Hier definiert der Autor die Kriterien eines päpstlichen Ritter-Ordens und grenzt diesen von „Pseudo-Orden“ (S. 54f) ab. Dieser Beitrag ist für die systematische Kanonistik und die kirchliche Gesellschaft für die rechtliche Ein- und Zuordnung anderer Vereinigungen von hoher Bedeutung.

Der Souveräne Malteser-Ritter-Orden im Kirchenrecht

Im zweiten Hauptteil seines Kommentars erläutert Schwetz die Einbettung des Ordensrechts in das kanonische Recht der Katholischen Kirche. Er führt das Ordensrecht des Malteser-Ritter-Ordens an das Ordensrecht der Katholischen Kirche heran (S. 62–67).

Neben dem Malteser-Ritter-Orden ist heute der Ritterorden vom Heiligen Grab in Jerusalem der einzig weitere anerkannte päpstliche Ritterorden. Auf Recht und Religion findet sich hierzu ein eigener Themenschwerpunkt.

Der Souveräne Malteser-Ritter-Orden als Völkerrechtssubjekt im internationalen Recht

Schwetz ordnet in seinem dritten Hauptteil den Orden den geborenen (ursprünglichen) Völkerrechtssubjekten zu, die ohne erfolgte Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft als abgeleitete und zur Souveränität erhobene Subjekte geworden sind (S. 77). Anschließend zeigt er die vielfachen internationalen und völkerrechtlichen Verbindungen des Ordens und zu internationalen Organisationen auf.

Der Orden im staatlichen Recht der Republik Österreich

In seinem letzten Hauptteil geht der Verfasser auf die einschlägigen religionsrechtlichen Gesetze der Republik Österreich ein, die die Beziehung zum päpstlichen Ritter-Orden und seinem Hilfswerk regeln. Die Anerkennung des Ordens erfolgt implizit durch Art. II des Österreichischen Konkordats von 1933/34 (StF: BGBl. II Nr. 2/1934). Da der Orden der vom Staat vorgefundenen Katholischen Kirche, die historisch als immer schon anerkannt gilt, zuzuordnen ist, ist kein Anerkennungsgesetz oder -bescheid notwendig. Im Speziellen unterliegen die rechtsbefugten Vertreter des Ordens nicht der Ordinariatsklausel, da sie nicht der diözesanen Jurisdiktion unterstehen (S. 93 bzw. Art. 5 § 3 OV).

Für das dem Orden angegliederte Hilfswerk wurde durch Bescheid 1984 die volle Handlungs- und Rechtsfähigkeit durch die Kultusbehörde zugesichert (S. 95 inkl. Geschäftszahl des Bescheids). Es ermöglicht dem Hilfswerk für ihn vorteilhafte steuerrechtliche Begünstigungen, wie sie in Österreich für eine Vielzahl an karitativen Einrichtungen seitens des Staates ermöglicht werden.

Das Malteser-Hilfswerk in Österreich. Seine Aufgaben beschreibt das Hilfswerk der MALTESER mit den Worten: „Die MALTESER haben in Österreich mehr als 2.200 ehrenamtliche Mitglieder. Diese kümmern sich um die Betreuung behinderter Menschen, sie leisten Besuchsdienste bei kranken und einsamen Menschen […] und begleiten sterbenskranke Menschen […]. Jungen Menschen geben sie […] Halt durch gemeinsame spirituelle und karitative Aktivitäten. Zusätzlich bieten die MALTESER in einigen Bundesländern Rettungs- und Krankentransportdienste, Ambulanzen und Erste-Hilfe-Kurse an.“

Die Rechtsquellensammlung (ab S. 101)

Rund 50% des Werkumfangs enthalten die Texte der Ordensverfassung, des Kodex und des Durchführungsbestimmungen des Großmeisters. Sie alle sind in deutscher Sprache abgedruckt, wobei trotz offizieller Übersetzung im Streitfall gem. Art. 61 § 3 OV die ursprüngliche italienische Fassung heranzuziehen ist (S. 101). Leider finden sich die Verweise zu den ordensrechtlichen Gesetzesstellen nur im Kommentar und nicht als Verweise im Rechtstext zu den jeweiligen Erläuterungen im ersten Teil. Dies könnte bei Bedarf für eine dritte Auflage gegebenenfalls eingearbeitet werden.

Fazit

Insgesamt ist das Werk von Florian Schwetz als wertvoller Beitrag zur kanonistischen Legistik und Kurzkommentar zum Recht des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens wertzuschätzen. Möglichkeit zum Erwerb besteht direkt beim Jan-Sramek-Verlag.


Titelbild: Jan-Sramek-Verlag

Rezension zu: Tilman Schmeller, EuGH und Religionsfreiheit. Zu Grund und Grenzen eines konstitutionellen Momentums in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (= Untersuchungen über Recht und Religion 4), Tübingen: Mohr Siebeck 2023. XIV, 298 Seiten. ISBN 978-3-16-162201-4

Von Harald Tripp.

Tilman Schmeller nimmt sich in seinen Ausführungen – mehr als siebzig Jahre nach Errichtung des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg – vor, die Rechtsprechung dieses Gerichtshofes im Blick auf das Grundrecht der Religionsfreiheit auszuloten. Dabei geht er in drei einzelnen Untersuchungen vor, zeichnet in einem ersten Schritt den Hintergrund der Rechtsprechungslinie des Luxemburger Gerichtshofes auf und beschäftigt sich dabei intensiv mit dem Wesen und dem Selbstbild des Gerichts. Im zweiten Schritt analysiert er Urteile umfassend und leitet aus ihnen Muster ab, die eine Befassung des EuGH mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit prägen. In einer dritten Untersuchung vermisst Schmeller die allgemeinen Grenzen der EuGH-Judikatur neu und versteht das nationale Religionsrecht als Ausdruck soziokultureller Wahrnehmungen.

Konstitutionelles Momentum

Der Begriff des „konstitutionellen Momentums“ dient dem Autor bei seinen Ausführungen, auf einen wichtigen Umstand in der Entwicklung des EuGH im Blick auf die Religionsfreiheit hinzuweisen. Die Phase ab 2017 stellt dabei eine Bewegungskraft mit einer neuen dynamischen Dimension auf, die für den Autor den Beginn einer neuen Phase in der konstitutionellen Judikatur des EuGH einleitet. Für Schmeller sei in der Geschichte der Europäischen Union feststellbar, dass der europäische Kostitutionalismus in der Rechtsprechung des EuGH seit einigen Jahren in eine neue Phase eingetreten sei, die dadurch gekennzeichnet wäre, dass der Gerichtshof offensiv konstitutionell argumentiere, indem er die Werte des Art. 2 S.1 EUV als verfassungsrechtliche Leitprinzipien immer stärker durch seine Judikatur greifbar mache und dabei zudem eine deutlich wahrnehmbare Grundrechtsprechung ausbilde.

Wertekonstitution

Im ersten Kapitel untersucht Schmeller folglich die Grundrechtsprechung der letzten Jahre in der Judikatur des EuGH und befasst sich vornehmlich mit der Werteordnung der EU als Metaprinzipien ihrer Verfassung sowie der gegenwärtigen Krise der Rechtsstaatlichkeit, die dazu geführt habe, dass es in der Judikatur jüngst eine Zunahme an Werterechtsprechung gegeben hat. Hierbei differenziert der Autor zwischen staatsstrukturellen (Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, mitgliedstaatliche Gleichheit) und grundrechtlichen Werten (Menschenwürde, Menschenrechte, Freiheit, unionsbürgerliche Gleichheit). Nach Meinung des Autors erodiere die Rechtsstaatlichkeit in einigen Ländern der EU, wobei gerade die Werterechtsprechung des EuGH als Übersetzung von Werten in konkrete Ableitungen eine schützende Dimension erhalten würde. Wichtig sei dabei jedoch die Feststellung, dass erst wenn eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts nicht nur auf die, sondern auch in den Mitgliedsstaaten sichergestellt ist, von Gleichheit ausgegangen werden kann. Nach Meinung des Autors ginge mit den jüngsten Judikaten des EuGH eine Veränderung einher, wobei die Autonomie des Unionsrechts vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen von EuGH und anderen Gerichten diskutiert wird. An zwei Beispielen zeigt Schmeller auf, dass sich die Einheit und Autonomie des Unionsrechts in sich konsequent gegen verschiedenartig gestaltete Heteronomie von außen abschirme. Demokratiestaatlichkeit sei ein besonderer Wert der EU, daher befasse sich der EuGH bei der Ausgestaltung der Werte mit einzelnen Verfassungsnormen (Rechtsstaatlichkeit), verfassungstheorethischen Figuren (mitgliedstaatliche Gleichheit) sowie mit den Fragen nach den Grundrechten (Demokratie).

Modi der Grundrechtsprechung des EuGH

Im zweiten Kapitel befasst sich Schmeller zunächst mit der stärker als bisher wahrnehmbaren Grundrechtsprechung des EuGH, die nach dem verbindlichen Inkrafttreten der Charta der europäischen Grundrechte im Dezember 2009 erst und gerade in den letzten Jahren eine enorme Entwicklung genommen und einen deutlich höheren Raum in der Judikatur des EuGH eingenommen habe. Für unseren Autor zeige sich hier sehr deutlich, dass die Grundrechtsprechung des EuGH nicht von dem verfassungsrechtlichen Momentum der übrigen Werterechtsprechung losgelöst, sondern mit ihr vielmehr inhaltlich verwandt sei. Historisch habe sich der EuGH hier zu einem Akteur der proaktiven Ausgestaltung grundrechtlicher Dogmatik entwickelt.

Im Folgenden differenziert Schmeller die Grundrechtsprechung des Gerichtshofes anhand der beiden zentralen Modi unionaler Judikatur, der Charta der Grundrechte sowie dem Sekundärrecht bevor er thematische Felder der neueren Grundrechtsprechung sowie eine Bewertung der thematischen Schwerpunktsetzung der neuen unionalen Befassung mit Grundrechten vornimmt. Dabei betont unser Autor die Herausforderung des EuGH auf 27 Rechtssysteme einzugehen und für sich eine komplexe akkulturierende dogmatische Linie schaffen zu müssen. Anlehnen würde sich der EuGH dabei sehr stark an die deutsche Rechtsprechung und an die Tätigkeit des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog als vormaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, auch im Blick auf das Urteilsschema im Umgang mit den Garantien der Grundrechtecharta in die Prüfungspunkte „Schutzbereich“, „Einschränkung“ und „Rechtfertigung“, wobei dieser letzte Punkt sich wieder in die drei Schritte „Legitimer Zweck“, „Geeignetheit“, „Erforderlichkeit“ und „Verhältnismäßigkeit“ unterteilen lässt. Mit ihrem Sekundärrecht bestimme die EU laut Schmeller weltweite Rechtsstandards, die Ausgestaltung von grundrechtlichen Garantien über dieses Sekundärrecht führe zu einer Verwirklichung und erlebbaren Geltung der Grundrechte weltweit, die laut Feststellung unseres Autors mit der Auseinandersetzung nur über die Grundrechtecharta so nicht möglich wären. Schmeller lotet hier einzelne thematische Felder der EuGH-Judikatur aus, unter denen er vor allem den Bereichen Justizgrundrechte, Antidiskriminierung, Recht auf gute Verwaltung, Datenschutz sowie Berufs- und Unternehmensfreiheit als häufigste Grundrechtsfelder große Bedeutung beimisst und diese entsprechend umfassend analysiert. Im Blick auf das Religionsverfassungsrecht wäre dieses laut Schmeller mittelbar über das Antidiskriminierungs- und Datenschutzrecht sowie über den Zugang zu staatlichen Gerichten als Ausprägung der Justizgrundrechte berührt.

Religionsrechtliche Kompetenz des EuGH

Die wachsenden Spannungen im Verhältnis von Europa- und staatlichem Religionsgemeinschaftsrecht übersteige eine erhöhte Grundrechtsprechung, vielmehr könne laut unserem Autor in Bezugnahme auf Art. 10 Grundrechtecharta eine bemerkenswerte Entwicklung wahrgenommen werden: Von 2017 bis 2021 sind neun Urteile ergangen, in denen sich der EuGH mit Art. 10 Grundrechtecharta befasst, hinzu kommen noch weitere Urteile mit religiösem Hintergrund, die sich im Bereich des Sekundärrechts ohne Bezug auf die Grundrechtecharta entfalten. Somit diagnostiziert Schmeller einen spektakulären Anstieg während der letzten Jahre im Blick auf Urteile, die sich auf die Religionsfreiheit beziehen und er spricht deshalb von einer neuen Phase der EuGH-Grundrechtsprechung seit 2009. Die Religionsfreiheit ist ein komplexer Begriff, der durch die Religionsfreiheit als Individualrecht, einschließlich des forum internum und externum, geschützt wird. Darüber hinaus beinhaltet diese Religionsfreiheit auch eine kollektive Dimension, also ein Recht auf Selbstbestimmung für Religionsgemeinschaften. Dieses Recht ist auch in einigen nationalen Verfassungen ausdrücklich verankert. Und schließlich trägt auch das Antidiskriminierungsrecht zur Religionsfreiheit bei. Die Auslegung und Umsetzung bestehender Gesetze zu den Religionsfreiheiten wird stark von historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst, die in jedem Mitgliedstaat anders sind, ist die EU in dieser Hinsicht eine sehr heterogene Gemeinschaft.

EuGH als „Grundrechtegericht“

Der EuGH entwickle sich laut Darstellung unseres Autors immer mehr zum „Grundrechtegericht“ auf dem Weg von der Wirtschafts- zur Werteunion, vom Wirtschafts- zum Verfassungsgericht. Die Grundrechtsprechung des EuGH setze nach Schmöller Schwerpunkte, nach denen ein bestimmtes Kultur-, ein Wertesystem der EU auszumachen sei, das der Sinn des von dieser Verfassung konstituierten Staatslebens sein soll. Religionsfreiheit umfasse nach Schmeller die Freiheit der Religionsausübung individuell und in Gemeinschaft sowie der Zusammenschluss zu einer dauerhaften Gemeinschaft, die um die korporative Religionsfreiheit (Beschränkung und Förderung religionsrechtlicher Belange) erweitert werden. Das staatliche Religionsgemeinschaftsrecht behandle somit das Recht der korporativen Religionsfreiheit nach unserem Autor als einem von insgesamt vier Teilen des Grundrechts der Religionsfreiheit insgesamt und daraus resultiere, dass sich die Rechtsprechung des EuGH zur Religionsfreiheit als solche zum staatlichen Religionsgemeinschaftsrecht begreifen und analysieren lässt. Nach Schmeller werde die Materie des Religionsgemeinschaftsrechts damit sowohl über mitgliedstaatliche wie auch über unionale Normen als Substrat gebildet und laut unserem Autor über die hierzu ergehende mitgliedstaatliche wie unionale Rechtsprechung als weitere Form der Kompetenzwahrnehmung geprägt. Religionsfreiheit vereine damit rechtlich nicht hierarchisierbare, mithin parallele Kompetenzen, die sich nicht einseitig als national oder unional prägen ließen.

Vier religionsrechtliche Grundsätze der EU

Religionsrecht und Religionspolitik der EU lassen sich grundsätzlich auf vier Grundsätze zurückführen: Achtung mitgliedstaatlicher Systemgestaltung, Dialog mit den Religionsgemeinschaften, Garantie korporativer Religionsfreiheit und die Nichtdiskriminierung aus religiösen Gründen. Schmeller verweist hier in seiner gelungenen Analyse auf die Notwendigkeit der Ausübung unional-legislativer Kompetenz auf dem Gebiet des staatlichen Religionsrechts, dies insbesondere in den Bereichen des Steuerrechts, Baurechts sowie bei Markenschutzbestimmungen, Datenschutz und Wettbewerbsrecht und Antidiskriminierungsrecht (Kirchl. Arbeitsrecht). Diese Bereiche bilden hier wichtige Themenfelder der Reflexion unseres Autors, der sodann einzelne Urteile auf dem Gebiet der individuellen Religionsfreiheit und des staatlichen Religionsrechts durch den EuGH untersucht. Schmeller analysiert einige formale und methodische Zugänge zu den Urteilen und dem Stil der Argumentation sowie einer Gewichtung der Auslegungsmethoden durch den EuGH.

Individuelle Religionsfreiheit

Breiten Raum widmet die Darstellung unseres Autors den tierschutzrechtlichen, migrationsrechtlichen sowie antidiskriminierungsrechtlichen Themenfeldern, welche sich auf die individuelle Sphäre der Religionsgemeinschaft beziehen. Durch Analyse und Vergleich ordnet Schmeller die Materie praktisch, sodass dem Leser durch den Inhalt die einzelnen Urteile veranschaulicht dargestellt und kommentiert werden. Beim Tierschutzrecht sowie beim Migrationsrecht, dem Antidiskriminierungsrecht in den Bereichen Kopftuch am Arbeitsplatz sowie Wahrnehmung der religiösen Feiertage betont der EuGH den gesellschaftlichen Pluralismus und das Erfordernis, ein angemessenes Gleichgewicht und ein Ausgleich herzustellen, wenn die in mehreren Verträgen verankerte Grundrechte und Grundsätze betroffen sind. Hier ließen sich nach Schmeller eben Muster der Rechtsprechung des EuGH ausmachen, indem er der Position individueller Religionsfreiheit insgesamt ein sehr hohes Gewicht zuweist. Dies zeige sich vor allem dabei, dass der EuGH sich bisweilen über das einen schwächeren Schutz forcierende Vorbringen von Verfahrensbeteiligten, Mitgliedstaaten oder Generalanwälten hinwegsetze, nur scheinbar neutrale Regelungen sensibel als Ausstrahlung auf Gehalte individueller Religionsfreiheit reflektiere und das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers als Ausgangspunkt seiner Prüfung betonte. Insgesamt zeigt sich aus dem von Schmeller analysierten Material der Urteile neben dem kooperativen Umgang mit den mitgliedstaatlichen religionsrechtlichen Ordnungen und den Gerichten auch eine konsequente Einbindung der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

Korporative Religionsfreiheit

Schmeller setzt sich in einem weiteren Schritt nun nach der Befassung mit der individuellen Religionsfreiheit mit dem korporativen staatlichen Religionsgemeinschaftsrecht auseinander, wobei er sich in seinen Ausführungen im Detail vor allem auf die Bereiche Wettbewerbsrecht, Datenschutzrecht und Antidiskriminierungsrecht bezieht. Dabei wird Art. 10 Gundrechtecharta hier gar regelmäßig nicht in die Prüfung aufgenommen, es zeigt sich aber im Handeln des EuGH eine hohe Responsativität des Gerichtshofes gerade in den Argumentationen gegenüber den mitgliedsstaatlichen Gerichten und dem EGMR. Der EuGH erfülle damit nach Schmeller nicht nur seine Rolle im europäischen Rechtsprechungsverbund (vgl. Art. 52 Abs 3 Grundrechtecharta), sondern nehme auch auf mitgliedsstaatliche Besonderheiten und das dort individuell austarierte Niveau der korporativen Religionsgemeinschaft Rücksicht.

Grenzbestimmungen und Schranken

Im dritten großen Kapitel befasst sich unser Autor mit dem Verhältnis von mitgliedstaatlichem und Unionsrecht als „Mehrebenenrecht“, wobei unionalem Recht hier auch die Funktion von Grenzbestimmungen zukomme. Aus den Mustern der Urteilsanalysen ergibt sich darüber hinaus, dass der Gerichtshof den Wertungen durch die Mitgliedsstaaten im Rahmen seiner Verpflichtung auf Rechtseinheit, Vorrang und Autonomie des Unionsrechts materiell Rechnung trägt. Grundsätzlich gilt Art 17 Abs. 1 AEUV als Basis zur Achtung des Status, „den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.“ Der EuGH behandle diese Norm nach Schmeller kritikwürdig und undurchsichtig, wenngleich sein Umgang mit religionsgemeinschaftlichen Strukturen als Ausdruck mitgliedstaatlicher Eigenheit vor dem Hintergrund des umfassenden unionalen Kontextes verschiedener Positionen, in den jene eingebettet sind, beurteilt werden müsse. Die Schranken der Grundrechtecharta ließen sich dabei in Bezug auf die weitgehend sekundärrechtlich operierende Rechtsprechung des Gerichtshofs nach Meinung Schmöllers kaum aktivieren. In diesem Zusammenhang könne die Klausel des Art. 17 Abs 1. AEUV für sich im komplexen Unionsverfassungssystem keinen Primat beanspruchen und wirke heute bereits im Sinne einer Abwägung in der Rechtsprechung des EuGH.

Grenzen durch die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts

Es sei zweifellos eine Herausforderung, eine kohärente Rechtsprechung zu entwickeln, die kollidierende Rechte gerecht ausbalanciert und schützt und dabei die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Auffassungen der Mitgliedstaaten von Religionsfreiheit berücksichtigt. Da die Grundrechte von Einzelpersonen, Organisationen und Unternehmen miteinander kollidieren, gebe es zudem keine ideale, perfekte Lösung. Ziel der Arbeit Schmellers war es offensichtlich auch, herauszuarbeiten, wo Spannungen und Konflikte mit den nationalen Rechtsordnungen (hier besonders Deutschland und die Situation des Bundesverfassungsgerichts) grundlegend sind, wo also ein offener Verfassungskonflikt droht und wo umgekehrt nicht. Würde der EuGH dort einen Ermessensspielraum belassen, wo eine nationale Besonderheit einer einheitlichen Auslegung entgegensteht, würde die Stärke der europäischen Rechtsordnung erheblich untergraben. Dies würde nicht nur die Einheitlichkeit, sondern auch die Wirksamkeit der europäischen Rechtsordnung beeinträchtigen. Die Analyse hat gezeigt, dass bei religiösen Symbolen am Arbeitsplatz der margin of appreciation-Ansatz erfolgreich grundlegende Konflikte vermeidet. Aus der Perspektive der europäischen Verfassungsordnung hätte der EuGH sogar eine strengere Prüfung vornehmen können. Obwohl es an einem Konsens zwischen den Mitgliedstaaten mangelt, sei nicht erkennbar, dass ein etwas strengerer Ansatz zu grundlegenden Konflikten geführt hätte. Hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfung religiöser Arbeitgeber und ihrer beruflichen Anforderungen wurde deutlich, dass ein wesentlich liberalerer und zurückhaltenderer Ansatz aus Sicht der europäischen Verfassungsordnung wünschenswerter gewesen wäre. Mit seinen Egenberger- und IR/JQ-Urteilen habe der EuGH das Recht auf Rechtsschutz und die individuelle negative Religionsfreiheit gestärkt. Damit hat er jedoch die Verfassungswirklichkeit Deutschlands, Zyperns und letztlich der EU insgesamt verkannt, die nach wie vor auf dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung beruht.

Im Lichte dieser Feststellungen ist zu folgern, dass der EuGH in Fällen, in denen es um religiöse Symbole am Arbeitsplatz geht, eine strengere Kontrolle hätte vornehmen müssen, beispielsweise einen höheren Rechtfertigungsstandard für das Bedürfnis nach Neutralität oder das Bedürfnis des Einzelnen, ein bestimmtes Symbol aufgrund seiner religiösen Überzeugungen zu tragen. Dies würde zu mehr Religionsfreiheit in der EU führen, ohne dass es zu verfassungsrechtlichen Konflikten kommt. In Bezug auf berufliche Anforderungen durch religiöse Arbeitgeber hätte der EuGH mehr Selbstbeschränkung üben und der Justiz der Mitgliedstaaten mehr Spielraum lassen sollen, um einen Verfassungskonflikt zu vermeiden. Dies sei zwar im Hinblick auf die Einheitlichkeit des EU-Rechts und im Hinblick auf den Schutz der negativen Religionsfreiheit und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz nicht wünschenswert, trage aber der Komplexität einer supranationalen Rechtsordnung und der darin enthaltenen Rechtsprechung Rechnung.

Ausblick

Tilman Schmellers Untersuchung zeigt uns: Die Religionsfreiheit ist ein wesentliches Merkmal liberaler Demokratien und damit aller Mitgliedstaaten der EU. Einen aktuellen Überblick und eine Einordnung sowie Analyse durchzuführen gelingt dem Autor Tilman Schmeller bei aller gebotenen inhaltlichen Breite. Das Werk ist ansprechend gegliedert und besticht den Leser in den vielen Einzeldetails und Verknüpfungen der Materie und setzt sich damit zum Ziel dieser Monographie, eine jüngere neue dynamische Dimension der Judikatur ausführlich zu analysieren und einzuordnen . Ein umfassend aktualisiertes Literaturverzeichnis lädt den aufmerksamen Leser noch zusätzlich zur Vertiefung der Materie ein. Insgesamt gesehen ist diese Monographie ein sehr nützliches Hilfsmittel für Wissenschaft und Praxis, um das Verständnis der Judikatur und die Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH wahrzunehmen und einzuschätzen.

Die prägnante Analyse und sprachliche Raffinesse Schmellers hat jedoch herausgearbeitet, wie der Ausgleich zwischen diesen widerstreitenden Rechten aus der Perspektive der europäischen Verfassungsordnung gefunden werden kann. Die Sensibilität des Themas macht die Rechtsprechung zur Religionsfreiheit in einer supranationalen Gemeinschaft schwierig. Der EuGH sollte jedoch seine Rechtsprechung überdenken; er sollte das Risiko eines Verfassungskonflikts und seiner Folgen ernst nehmen und versuchen, den nationalen Lehrmeinungen entgegenzukommen. Einheitlichkeit ist kein Selbstzweck, vielmehr kann es sich die Europäische Union leisten, kulturelle und historische Unterschiede zu wahren und nationale Verfassungsidentitäten zu respektieren.

Rezension zu: Enes Karić, Richard Potz, Denise Quistrop (eds.), State and Religions in Bosnia and Herzegovina and Austria: A Legal Framework for Islam in a European Context (Wien: Verlag Österreich, 2019, 141+xvi pp.). ISBN: 978-3-7046-7985-7

Die Publikation geht als Sammelband auf eine Konferenz zurück, welche bereits vor sechs Jahren am 28. und 29. September 2016 in Sarajevo stattgefunden hat. Die Tagung knüpft an die Diskussionen über islamische Glaubensgemeinschaften an, die nach der Veröffentlichung des novellierten Islamgesetzes in Österreich im Jahr 2015 entstanden sind und die auch in der religionsrechtlichen Auseinandersetzung und der gesellschaftlichen Diskussion an Bedeutung gewonnen haben.

An Aktualität hat dieser Sammelband nichts verloren, zumal er erst 2019, drei Jahre nach dem Symposium, publiziert worden ist. Das Buch, das aus vier Hauptkapiteln besteht, ist eine Sammlung von 14 Vorträgen, die auf der Konferenz gehalten wurden.

Bosnien-Herzegowina, das als Land seine multikulturelle Struktur über Jahrhunderte hinweg beibehalten hat, war nach dem Zerfall Jugoslawiens Schauplatz eines blutigen Krieges zwischen den religiösen und ethnischen Gruppen. Das mit dem Dayton-Abkommen von 1995 eingeführte System, das den Krieg beendete, spiegelt die scharfe Trennung zwischen religiösen und ethnischen Gruppen in der Verwaltungsstruktur des Landes wider.

Das vorliegende Buch versucht, die Probleme der islamischen Glaubensgemeinschaft im Kontext der Beziehungen zwischen Religion und Staat im Rahmen der strukturellen Merkmale von Bosnien-Herzegowina und Österreich darzustellen und Lösungsvorschläge für diese Herausforderungen zu präsentieren.

Nach den Vorworten der Herausgeber und den Einleitungsworten religiöser Autoritäten beim Symposium werden in den ersten beiden Kapiteln die historische Entwicklung und die strukturellen Merkmale der islamischen Gesellschaften im Rahmen der jeweiligen Situation in beiden Ländern erörtert. Im dritten und vierten Teil werden die Situation der Muslime und der Religionsgemeinschaften im europäischen Kontext und die Prognosen für die Zukunft der islamischen Glaubensgemeinschaften in den europäischen Ländern unter einem eher allgemeinen Gesichtspunkt erörtert.

Die bosnische Historikerin Amila Kasumovic konzentriert sich in ihrem Beitrag auf die Fragen und Probleme, die durch die erste Begegnung zwischen den beiden Ländern aufgeworfen wurden. Nach dem Osmanisch-Russischen Krieg, der für das Osmanische Reich eine der größten Niederlagen des 19. Jahrhunderts darstellte, ermächtigte der 1878 unterzeichnete Vertrag von Berlin Österreich-Ungarn, Bosnien-Herzegowina zu annektieren und zu verwalten. Die Übergabe der jahrhundertelangen osmanischen Verwaltung an Österreich-Ungarn leitete einen soziokulturellen und wirtschaftlichen Transformationsprozess ein, der die gesamte bosnische Gesellschaft betraf. Die Politik der neuen Regierung in der Region führte zu einer Veränderung der Organisationsstruktur aller religiösen Gruppen. Im Einklang mit dieser Politik wurden die administrativen und religiösen Angelegenheiten der orthodoxen Kirche und der islamischen Gemeinschaft nach dem Vorbild der katholischen Kirche umstrukturiert. Für Österreich-Ungarn war die Besetzung Bosnien-Herzegowinas das erste Mal, dass es mit einer großen muslimischen Gruppe konfrontiert wurde. Das erste Islamgesetz vom 15. Juli 1912 betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft (1912) ist das Ergebnis dieses Prozesses. Obwohl es in den folgenden Jahren viele Veränderungen in den Staaten und Verwaltungsstrukturen gab, vertritt Kasumovic die Ansicht, dass die Entwicklungen, die die rechtliche und administrative Infrastruktur der islamischen Glaubensgemeinschaften in beiden Regionen bildeten, im Wesentlichen das Ergebnis dieser Zeit waren. Kasumovićs Einschätzungen zeigen, dass es eine große Meinungsvielfalt unter den Intellektuellen mit positiven und negativen Überzeugungen gab und seine Ausführungen beschränken sich auf den Zusammenhang im Blick auf territoriale Fragen, die Sprache sowie die Verwaltungsdisziplin und Bildung, da gerade diese Elemente bei der Bildung der nationalen Identität wirksam sind.

Der Wiener Rechtshistoriker Thomas Simon analysiert in seinem eher kurz gefassten Textbeitrag die Umwandlung Österreichs in einen Rechtsstaat im 19. Jahrhundert, wobei er sich besonders auf die Regierungszeit von Kaiser Franz Joseph I. (1848-1916) konzentriert, und argumentiert, dass der Konstitutionalismus dieser Zeit als eine unterentwickelte Form des parlamentarischen Systems zu betrachten wäre. Erst als das Debakel der Kriegsniederlage 1859 und die außenpolitischen Auswirkungen ihn zwangen, zumindest Teilen des Bürgertums einige Zugeständnisse zu machen, erlaubte er, wenn auch sehr zögerlich und allmählich, Ansätze zu konstitutionellem Denken. Zudem kam von Anfang an nur eine vom Kaiser selbst verordnete Verfassung in Frage, um jede Annäherung an die Idee der Volkssouveränität zu vermeiden. Franz Josef lehnte es auch entschieden ab, in irgendeiner Weise an die Tradition der Revolution von 1848 anzuknüpfen – die vom Kaiser selbst auferlegte so genannte „Märzverfassung“ von 1849 wurde nach Meinung Simons als Ausgangspunkt verworfen. Und auch in der Krise von 1859 wäre der Kaiser nicht bereit gewesen, eine Verfassung zu erlassen, die umfassend und abschließend in einer einheitlichen Verfassungsurkunde enthalten gewesen wäre, wie es bei den Verfassungen im Zusammenhang mit der Revolution von 1848/49 der Fall war. Vielmehr hätte er mit äußerster Vorsicht, ja Ängstlichkeit, den Weg der Verabschiedung einzelner Gesetze beschritten.

Dzevada Šuško, tätig in der islamischen Glaubensgemeinschaft in Sarajevo, befasst sich wider Erwarten eher mit der Zeit nach dem Vertrag von Dayton als mit der Entstehung der islamischen Community während der österreichisch-ungarischen Zeit. Šuško erörtert zunächst das „Gesetz über die Religionsfreiheit und die Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften in Bosnien und Herzegowina“ vom 28. Januar 2004, das den grundlegenden rechtlichen Rahmen für die Regelung der Beziehungen zwischen Religionsgemeinschaften und Staat im heutigen Bosnien und Herzegowina bildet, sowie die nachfolgenden gesetzlichen Regelungen. In diesem Zusammenhang verweist sie auf die zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche und dem Staat Bosnien und Herzegowina unterzeichneten Abkommen zur Religionsfreiheit. Sie geht davon aus, dass die in der Region lebenden Katholiken, Orthodoxen und Muslime mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind und dass die einzige Möglichkeit, Lösungen für die aufgetretenen Probleme zu finden, darin besteht, die religiösen Freiheiten aller drei Gemeinschaften auf ähnliche Weise zu garantieren. Es wäre nach Šuško auch wichtig, dass die Rechtsvorschriften mit der EMRK in Einklang gebracht und entsprechend angewendet würden, um die Religionsfreiheit angemessen zu gewährleisten. Projekte und Bildungsprogramme, die darauf abzielten, das Bewusstsein für die islamische Religionsausübung zu schärfen und verbale und physische Angriffe gegen Muslime und das Eigentum der islamischen Gemeinschaft zu verurteilen und zu verhindern, sollten nützlich sein, um der schwerwiegenden Diskriminierung von Muslimen, die im Alltag vorkommt, zu begegnen. Deshalb sollten alle beteiligten Parteien entschlossen und im Geiste der Gleichheit aller Bürger und des Schutzes ihrer Menschenrechte alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um den Frieden in Bosnien und Herzegowina zu stabilisieren.

Der zweite Teil des Sammelbandes ist der Organisationsstruktur des Islam in Bosnien-Herzegowina und Österreich heute gewidmet. Enes Karić, Professor für Koranstudien an der Universität in Sarajevo, versucht eine Antwort auf die Frage zu finden, wie der Islam einen Platz in pluralistischen Gesellschaften und säkularen Staaten im Sinne der Europäischen Union finden kann, und zwar zunächst anhand der Ansichten berühmter Persönlichkeiten aus der islamischen Gemeinschaft, die zu diesem Thema veröffentlicht haben (z. B. Ali Abduraziq, Taha Hussein). Dann stellt er die Frage, wie der Islam in einer solchen Welt interpretiert werden kann, in der die wichtigsten Faktoren, die die Machtbeziehungen und Entscheidungsprozesse in den Gesellschaften beeinflussen, zu nicht-religiösen Bereichen gehören. Karić argumentiert, dass Muslime in Europa heute dazu erzogen werden müssten, zu akzeptieren, dass alle Menschen unabhängig von ihrer religiösen, weltanschaulichen oder ideologischen Zugehörigkeit an den Gesellschafts- und Lebensbereichen teilhaben, die vom säkularen Staat und der säkularen Gesellschaft geregelt werden. Glaubens- und Religionsgemeinschaften in säkularen Gesellschaften und Staaten könnten seiner Auffassung nach viele Entwicklungen in „säkularen Bereichen des Seins“ kritisieren. Da sie sich jedoch in einer säkularen und pluralistischen Gesellschaft bewegten, müssten die Religionsgemeinschaften in ihrer Reaktion auf den Frieden und die Würde des öffentlichen Diskurses Rücksicht nehmen. Karic betont, dass die Muslime in Europa wissen und lernen sollten, dass in säkularen und pluralistischen Gesellschaften religiöse Grundsätze nur für diejenigen Menschen moralische Gültigkeit hätten, die sie als moralische Grundsätze akzeptierten. Mit anderen Worten: Das Festhalten an religiösen Grundsätzen als moralische Prinzipien ist eine der Stimmen eines gläubigen Gewissens.

Nach dieser theoretischen Grundlegung folgen drei kürzere Beiträge über das österreichische Islamgesetz und die Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich und Bosnien-Herzegowina. Im ersten Text hebt Professorin Katharina Pabel von der WU Wien, den Ursprung, den Hintergrund und den Inhalt des Islamgesetzes aus 2015 hervor. Aufgrund der globalen Entwicklung zu Beginn des Jahres 2015 stieß laut Meinung Pabels die Fertigstellung des Gesetzgebungsverfahrens auf Hindernisse, und die Beziehungen zwischen den muslimischen Glaubensgemeinschaften und den europäischen Ländern wurden allgemein schwieriger. Auch in Österreich gab es einige Spannungen zwischen den bestehenden muslimischen Gemeinschaften, was zu Kritik an Details des novellierten Gesetzes führte. Die Autorin weist darauf hin, dass der Schwerpunkt des Islamgesetzes nicht auf der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit liegt. Vielmehr ziele es darauf ab, einen Rahmen für die Beziehungen zwischen den verschiedenen muslimischen Gemeinschaften und dem Staat zu schaffen, sowohl in rechtlicher Hinsicht als auch durch einen kooperativen Ansatz.

Der Jurist und Universitätslektor in Wien, Metin Akyürek, handelt über Bekanntes, wenn er den Inhalt der Verfassung, Struktur und Institutionen der IGGÖ, nachdem er eine kurze Information über ihren rechtlichen Status vom Blickpunkt des österreichischen Religionsrechts gegeben hat, darlegt. Hilmo Neimarlija, Soziologe und Jurist der islamischen Glaubensgemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, geht in seinem Beitrag kurz auf die Entwicklung der Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Bosnien und Herzegowina seit der ersten vom Königreich Jugoslawien im Jahr 1930 veröffentlichten Verfassung ein und gibt allgemeine Informationen über die Verfassung aus 1997. Von außen betrachtet wäre seiner Meinung nach die Islamische Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina ein Nebenschauplatz, ein ausgeklügelter Prozess geregelter religiöser Praxis, religiöser Aktivitäten und vom Glauben inspirierter Beziehungen und Meinungen, in denen die bosnischen Muslime ihre Zugehörigkeit zum Islam auf organisierte Weise zum Ausdruck brächten.

Der dritte Teil der Publikation mit dem Titel „Der europäische Kontext“ befasst sich mit dem allgemeinen Kontext des Umfelds der Muslime in Europa im Allgemeinen und in Bosnien im Besonderen. Die Texte behandeln das Thema im Allgemeinen im Rahmen der gesetzlichen Regelungen in der Europäischen Union. Im ersten Text erörtert David Friggieri, zum Zeitpunkt des Symposiums bei der EU als Koordinator tätig, die Art und Weise, wie die Religion in den grundlegenden Rechtstexten der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte behandelt wird. Friggeri stellt sich die Frage, wie Ereignisse, die direkt mit Religion und Politik zu tun haben (Karikaturenkrise in Dänemark, der Arabische Frühling usw.), den Wandel der Außenpolitik der Europäischen Union beeinflussen können. Ziel wäre es dabei nach Meinung Friggeries, die politisch-religiöse Landschaft in Ländern und Szenarien zu beherrschen, in denen eine religiöse Komponente eine Rolle spielt. Das außenpolitische Ziel der EU sei es nicht, die Rolle der Religion zu erleichtern oder zu verstärken, sondern die Welt, wie sie ist, besser zu verstehen und einem Schlüsselfaktor der großen Veränderungen, die um uns herum stattfinden, nicht zuletzt in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen.

Die beiden anderen Texte des Kapitels, Hanna Suchockas Erörterung der Religion in einem säkularen Staat und Stefan Hammers Erörterung der Werte der europäischen politischen Ordnung und der Rolle der Religionsgemeinschaften, bieten einen theoretischen Rahmen für die Art und Weise, in der religiöse Angelegenheiten im individuellen und öffentlichen Bereich im Kontext der Religionsfreiheit und der verfassungsrechtlichen und zivilgesellschaftlichen Werte durchgeführt werden können.

Es lohne sich nach Meinung Suchokas vom Rat der Europäischen Union, sich bewusst zu machen, wie wichtig es für das heutige Europa, das sich oft im Griff des Laizismus befände, wäre, nicht auf das Prinzip der Laizität zu verzichten. Nur das Prinzip der Laizität ebne seiner Meinung nach den Weg für den interreligiösen Dialog und schaffe die Voraussetzungen für das Zusammenleben der Religionen. Was die Religionsgemeinschaften selbst betrifft, so zeige in diesem Sinne nach Meinung Hammers, Religionsphilosoph an der Universität Wien, die Geschichte, dass die Konfrontation mit einem säkularen institutionellen und gesellschaftlichen Umfeld längerfristig religiöse Reflexionsprozesse auslösen könne, die schließlich zur Anerkennung säkularer Grundsätze führten. Eines der besten Beispiele in dieser Hinsicht wäre die theologische Entwicklung, die innerhalb der katholischen Kirche stattgefunden habe. Noch vor wenigen Jahrzehnten wären die Werte, die jetzt in Artikel 2 EUV verankert sind, für die offizielle katholische Lehre größtenteils inakzeptabel gewesen. Die epochale Wende, die durch das Vatikanische Konzil in den sechziger Jahren herbeigeführt wurde, führte nicht zu einer bloßen Anpassung an die säkularen Prinzipien der individuellen Religions- und Meinungsfreiheit, sondern zu einer genuin religiösen, theologischen Fundierung dieser Grundfreiheiten.

Beim Lesen des letzten Kapitels unter dem Titel „The future of Islam in Europe“ gewinnt man den Eindruck, dass es sich um den wichtigsten Beitrag im Buch handeln würde. Dina El Omari vom Zentrum für islamische Theologie der Universität in Münster stellt darin die Ergebnisse ihrer Untersuchung über die Ansichten der Muslime in Deutschland über die Demokratie und die Konfliktbereiche zwischen den Muslimen und der deutschen Gesellschaft vor. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime ein Islam- und Koranverständnis hat, das mit den Werten und der Struktur der deutschen Demokratie vereinbar wäre, dass aber eine kleine Minderheit, die als radikal bezeichnet werden kann, nicht in der Lage sei, eine ähnliche Harmonie im Lebensalltag herzustellen. Die einzige Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, wäre ihrer Meinung nach die flächendeckende Einführung des Religionsunterrichts, die Ausbildung von Klerikern an deutschen Universitäten sowie ein erfolgreiches Integrationsprogramm.

Der Text von Khalid El-Abdoui, der islamische Theologie an der Universität Innsbruck lehrt, stellt hingegen Initiativen für die Ausbildung von Lehrkräften für islamische Theologie und islamische Religionsstudien an europäischen Universitäten vor. Die Debatte um die Einrichtung von Zentren für das Studium der islamischen Theologie in Österreich und in Europa im Allgemeinen im letzten Jahrzehnt habe einige Dinge deutlich und transparent gemacht. Eine wesentliche Tatsache, auf die El-Abdoui hinweisen möchte, ist die Vielfalt der Definitionen und Vorstellungen muslimischer Akteure, wenn es um folgende Fragen geht: Was ist mit islamischer Theologie gemeint, was kann sie leisten und was kann sie den modernen europäischen Universitäten bieten? Angesichts der Tatsache, dass die Frage der Ausbildung lokaler islamischer Theologen in den kommenden Jahren vor allem in Europa einen größeren Platz auf der Tagesordnung einnehmen sollte, hätte man erwartet, dass der Autor in diesem Kapitel die Bildungspolitik im Detail analysiert, hingegen werden bloß Empfehlungen ausgesprochen, dass sich die in diesen Einrichtungen zu vermittelnde Bildung vom traditionellen Unterricht in den Koranschulen unterscheiden und von kritischem Denken sowie modernen und wissenschaftlichen Bildungsparadigmen gespeist werden sollte.

Fikret Karcićs Text am Ende des Kapitels, in dem der Jurist an der Universität in Sarajevo seine persönlichen Ansichten über die Anwendbarkeit des islamischen Rechts im europäischen Kontext zum Ausdruck bringt, ist zwar kurz, aber vielleicht der wertvollste Teil des Buches, da er zur wichtigsten Frage führt. Bekanntlich führten die zunehmende Arbeitsmigration in europäische Staaten, darunter auch Österreich, nach dem Zweiten Weltkrieg und die bei dieser Gelegenheit gebildeten Minderheitengruppen, von denen die meisten Muslime waren, die sich im Laufe der Zeit niederließen, dazu, dass sich neben den Bosniern eine wachsende muslimische Gruppe herausbildete, die als die einheimischen Muslime Europas betrachtet werden kann. Diese Situation bringt die Notwendigkeit einer Umstrukturierung der rechtlichen, administrativen und sogar sozialen Regelungen in der Region unter Berücksichtigung des Islam auf die Tagesordnung. Es ist zweifellos nicht einfach, diese Prozesse zu verfolgen, die von vielen Faktoren beeinflusst werden. Mit dem Dayton-Abkommen von 1995 habe sich die Region, die in kurzen Zeiträumen starke Veränderungen in der Regierungsführung erfahren hat, schließlich zu einer Struktur entwickelt, die aus zwei Entitäten besteht, der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska. Diese Situation in Verbindung mit der Möglichkeit, dass religiöse und ethnische Gruppen, die seit Jahrhunderten in der Region leben und manchmal in Konflikt miteinander stehen, unvorhersehbare Rollen einnehmen könnten, die sich auf die Dynamik des gesellschaftlichen Lebens auswirkten, mache Bosnien-Herzegowina zu einer sehr schwierig zu untersuchenden Fallstudie. Im Einklang mit der Definition des Islam als Religion und der Scharia als islamisches Normensystem sowie dem Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit als legitimem Rahmen für das Bekenntnis zum Islam sollten die Muslime in Europa folgende Einrichtungen aufbauen: religiöse Gebäude (Moscheen, Schulen und Stiftungen); islamische Gelehrte (ulama); Einrichtungen für die islamische Rechtsauslegung (ifta) und Einrichtungen für die außergerichtliche Streitbeilegung (tahkim), sofern die Religionsgemeinschaften nach den Gesetzen der europäischen Länder in der Lage sind, diese Funktion auszuüben. Die Frage nach der Relevanz der Scharia für Muslime in Europa lasse sich nach Meinung Karcics lösen, indem man den Islam als Religion und die Bereiche seiner Anwendbarkeit als akzeptierte Bestandteile dieser Freiheit – Anbetung, Lehre, Praxis und Befolgung – definierte. Die Grundlage für ein solches Verständnis könne in historischen Präzedenzfällen für die Stellung religiöser Minderheiten in Europa gefunden werden. Darüber hinaus könnten die Erfahrungen muslimischer Gemeinschaften im Laufe der Geschichte (Abessinier, Tataren und Bosnier) als wichtige Inspirationsquelle genutzt werden.

Im Ergebnis: Die Lektüre dieses Sammelbandes zeigt auf, dass die europäischen Gesellschaften vielfältig geworden sind und in Zukunft noch vielfältiger werden. Menschliche Mobilität, in unterschiedlichem Ausmaß und aus verschiedenen Gründen, wird ein inhärentes Merkmal des 21. Jahrhunderts sein, sowohl auf europäischer als auch auf globaler Ebene. Die Staaten sind aufgerufen, vielfältige Gesellschaften zu organisieren, um Frieden und den vollen Genuss der individuellen Rechte für alle Bürger zu gewährleisten. Dem Leser wird ein Abriss der rechtlichen Rahmenbedingungen und Strukturen geboten, die sich für die interkulturelle und interreligiöse Harmonie als nützlich erwiesen haben. Bosnien und Herzegowina und Österreich haben eine gemeinsame Geschichte der säkularen Neutralität des Staates gegenüber der Religion, wobei sie gleichermaßen gute Beziehungen zu allen im Staat vertretenen Religionen unterhalten. Innerhalb der Europäischen Union werden derzeit wichtige Fragen im Zusammenhang mit Werten und kultureller und religiöser Vielfalt diskutiert. Die vorliegende Publikation leistet einen unverzichtbaren Beitrag zu diesem europäischen Gespräch und kann sich dabei auf die gemeinsame Geschichte unserer beiden Länder stützen. Die Beiträge in dem Tagungsband verdeutlichen, dass integrative Gesellschaften auf der Grundlage von Grundwerten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Grundrechte aufgebaut werden müssen. Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung sind dabei wichtige Elemente in diesem Zusammenhang. Er geht im Speziellen der Frage nach, ob Bosnien und Herzegowina und Österreich als Modelle für einen rechtlichen Rahmen für den Islam in einem europäischen Kontext dienen könnten. Der Leser wird durch die vielfältigen Beiträge angeleitet, diese Frage nach eingehender Lektüre wohl selbst beantworten zu können. Jedenfalls bietet der Sammelband ein unverzichtbares Sammelwerk zum Verstehen des Islam in einem europäischen Umfeld.


Titelbild: Verlag Österreich

Rezension zu: Helmuth Pree / Noach Heckel, Das kirchliche Vermögen, seine Verwaltung und Vertretung. Handreichung für die Praxis, Wien: Verlag Österreich 3. Aufl. 2021. ISBN 978-3-7046-8855-2

Dass die dritte Auflage Neues zu bieten hat, ist bereits auf den ersten Blick zu erkennen: Sie ist deutlich dicker als die zweite Auflage. Von 224 Seiten in der zweiten Auflage ist das Werk auf 436 Seiten in der dritten Auflage gewachsen. Auch bei den Autoren gibt es eine Veränderung. Während Helmuth Pree wie schon in den beiden vorherigen Auflagen auch in der dritten Auflage Mitautor ist, konnte der im Jahr 2014 verstorbene Bruno Primetshofer an der dritten Auflage nicht mehr mitarbeiten. An seine Stelle hätte P. Stephan Haering OSB treten sollen, der jedoch im Jahr 2020 völlig überraschend verstorben ist. Mitautor der dritten Auflage ist nunmehr P. Noach Heckel OSB, der sowohl promovierter staatlicher wie auch promovierter kirchlicher Jurist ist und damit als Mitautor für ein Werk zu einem Thema, das an der Schnittstelle zwischen diesen beiden Rechtssphären steht, bestens geeignet ist. Inhaltlich baut das Werk, das sich wie schon die zweite Auflage als Handreichung für Rechtspraktiker versteht, auf Bewährtem auf, das aktualisiert wurde, ergänzt aber auch Neues.

Das erste Kapitel widmet sich den Grundfragen kirchlichen Vermögensrecht und geht auf die Arten von Vermögen kirchlicher Träger, die Quellen kirchlichen Vermögensrechts, die Rechtsträger kirchlichen Vermögens sowie die Grundbegriffe und Grundsätze kirchlicher Vermögensverwaltung ein.

Das zweite Kapitel thematisiert die Gebarung mit kirchlichem Vermögen. Behandelt werden in diesem umfangreichen Kapitel das Haushalts- und Rechnungswesen, der Vermögensverwalter, die hierarchische Aufsicht, Rechtsgeschäfte über das Kirchenvermögen, Haftungsfragen sowie die Ausgründungen in staatlicher Rechtsform.

Die meisten Neuerungen bietet das dritte Kapitel, das sich mit Spezialproblemen beschäftigt. Wie auch in der vorherigen Auflage wendet sich dieses Kapitel als erstes den vermögensrechtlichen Implikationen bei Inkorporationen zu, wobei speziell für Österreich relevante Ausführungen zur Pfarrkirche einer inkorporierten Pfarrei sowie zur Beendigung des Inkorporationsverhältnisses ergänzt wurden. Die folgenden beiden Abschnitte des dritten Kapitels thematisieren, wie auch in der zweiten Auflage, die vermögensrechtlichen Aspekte des Patronatsrechts sowie die vermögensrechtlichen Aspekte der Vereinigung von Pfarreien. Der vierte Abschnitt geht auf die Rechtsnachfolge nach Ordensinstituten und Klöstern ein. Dieser Abschnitt wurde im Vergleich zur vorherigen Auflage ergänzt, insbesondere durch Ausführungen zu Sonderregelungen für kontemplative Frauenklöster, die sich durch die Apostolische Konstitution Vultum Dei quaerere und die Instruktion Cor Orans ergeben haben. Es folgt ein Abschnitt zur Zusammenlegung von Ordensprovinzen und ein Abschnitt zur Insolvenz kirchlicher Rechtsträger. Diese beiden Themen wurden auch schon in der vorherigen Auflage behandelt und für die dritte Auflage aktualisiert. Neu ist der letzte Abschnitt des dritten Kapitels, der sich ausführlich mit den durch die Apostolische Konstitution Pascite gregem Dei erneuerten Strafbestimmungen mit vermögensrechtlichem Bezug befasst.

Da gerade im Bereich des kirchlichen Vermögensrechts vielfach Personen tätig sind, die keine Theologen sind, ist das neu eingefügte Glossar eine wichtige Hilfe für die Praxis zur Klärung zentraler Begriffe aus dem Bereich der kirchlichen Vermögensverwaltung.

Das ausführliche Literaturverzeichnis wurde um die einschlägigen Publikationen der letzten zehn Jahre, die seit der vorherigen Auflage vergangen sind, ergänzt.

Neu eingefügt wurde ein Anhang, in dem Allgemeindekrete der Österreichischen Bischofskonferenz zu Fragen des kirchlichen Vermögensrechts abgedruckt sind. Bei Drucklegung des Werkes waren die diesbezüglichen Normen der Deutschen Bischofskonferenz noch in Überarbeitung, sodass diese nicht mit abgedruckt wurden.

Verwalter kirchlichen Vermögens sind gehalten, „ihr Amt mit der Sorgfalt eines guten Hausvaters zu erfüllen“ (c. 1284 § 1 CIC) und müssen dazu die Vorschriften sowohl des kanonischen als auch des weltlichen Rechts genau beachten (vgl. c. 1284 § 2 Nr. 3 CIC). Zur Erfüllung dieser anspruchsvollen Aufgabe haben sich bereits die vorherigen beiden Auflagen des vorliegenden Werks als wertvolle Hilfe für die Praxis erwiesen. Auch die neu erschienene dritte Auflage verspricht, diesem Anspruch weiterhin gerecht zu werden. Dazu wurden nicht nur die rechtlichen Neuerungen seit der vorherigen Auflage aktualisiert, sondern das Werk wurde auch wesentlich erweitert, insbesondere hinsichtlich des Ordensvermögensrechts sowie des kirchlichen Strafrechts.

Titelbild: Daniel Tibi
DOI: 10.25365/phaidra.317

Das kanonistische Buch

Rezension zu:
Andrea Michl, Die Sühnestrafen des kanonischen Rechts. (Dissertationen Kanonistische Reihe 32.) St. Ottilien: EOS 2021. ISBN 978-3-8306-8095-6

Punire per salvare – strafen, um zu retten. So beginnt die Autorin Andrea Michl ihr Buch über die Sühnestrafen des kanonischen Rechts, die neben den Besserungs- oder Beugestrafen zu den Strafmitteln der katholischen Kirche gehören, und deren Zweck die Wiedergutmachung, die Umkehr des Delinquenten und die Wiederherstellung der Gerechtigkeit ist. Das Buch ist in seinem Grundbestand die kanonistische Lizentiatsarbeit der Autorin, die sie 2015 am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht hat. Da zu jener Zeit die 2007 eingeleitete Revision des Buches VI des CIC noch im Gange war, hat die Autorin mit der Veröffentlichung bis zum Abschluss der Reform gewartet, um die Ergebnisse der Reform mit aufnehmen zu können. So legt die Autorin bereits wenige Monate nach der Abschluss der Reform und rechtzeitig vor Inkrafttreten des neuen kirchlichen Strafrechts ein aktuelles und lesenswertes Werk über die kirchlichen Sühnestrafen vor. Ein Überblick über den Verlauf der Reform des kirchlichen Strafrechts rundet das Buch ab.

Das erste Kapitel richtet den Blick auf die Sühnestrafen im Codex Iuris Canonici von 1917, die dort als poenae vindicativae bezeichnet wurden und deren Zweck als Wiedergutmachung in Form einer sühnenden Strafe verstanden wurde. Die Autorin ordnet die Sühnestrafen im CIC/1917 zunächst in die Systematik des kirchlichen Gesetzesbuches ein, geht danach auf Begriffsbestimmung und Intention ein, erläutert Rechtsmittel, thematisiert Strafaufschub und Aufhören einer Sühnestrafe und geht zum Schluss des Kapitels auf die Sühnestrafen im Einzelnen ein. Da die strafrechtlichen Normen im CIC/1917 umfangreich und komplex waren, nimmt das erste Kapitel, obwohl ein historischer Rückblick, einen breiten Raum ein.

    Das zweite Kapitel ist den Sühnestrafen im Codex Iuris Canonici von 1983 gewidmet und thematisiert das zum 7. Dezember 2021 geltende Strafrecht der lateinischen Kirche. Dieses Kapitel fällt kürzer aus, da nur Aspekte behandelt werden, die sich im Vergleich zum CIC/1917 verändert haben. So arbeitet die Autorin im ersten Schritt die Modifikationen und Unterschiede zum CIC/1917 heraus und behandelt anschließend die Sühnestrafen im Einzelnen.

    Im dritten Kapitel thematisiert die Autorin die Sühnestrafen im Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, dem Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen. Der CCEO kennt keine Sühnestrafen, wie es sie im Strafrecht der lateinischen Kirche gibt, doch legt die Autorin dar, welche den Sühnestrafen ähnliche Strafen das Gesetzbuch verzeichnet.

    Das vierte Kapitel ist der jüngsten, im Jahr 2007 von Papst Benedikt XVI. angestoßenen und mit der Apostolischen Konstitution Pascite Gregem Dei Papst Franziskus’ vom 23. Mai 2021 abgeschlossenen Reform des kirchlichen Strafrechts gewidmet. Die Autorin legt Anlass und Verlauf der Strafrechtsreform dar und geht anschließend auf die Sühnestrafen nach dem neuen, ab dem 8. Dezember 2021 gültigen kirchlichen Strafrecht ein.

    Insgesamt legt die Autorin in ihrem Buch ein aktuelles und komplexes Thema wissenschaftlich fundiert und in einer gut verständlichen Weise dar. Sie gibt nicht nur einen umfangreichen historischen Überblick, sondern trägt zum Verständnis von Zweck und Anwendung der kirchlichen Sühnestrafen bei.
    So eignet sich das Buch als wissenschaftliches Grundlagenwerk zum Thema wie auch als praktischer Leitfaden zur Anwendung kirchlicher Sühnestrafen.

    DOI: 10.25365/phaidra.296

    Rezension zu: Matthias Pulte: Vermögensrecht der katholischen Kirche. Ein Handbuch für Studium und Praxis. Würzburg: Echter 2019. 239 S. (Mainzer Beiträge zu Kirchen- und Religionsrecht, 6), broschiert, ISBN: 978-3-429-05421-2.

    Grundsätzlich haben die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt, dass es notwendig ist, sich mit Fragen der kirchlichen Vermögensverwaltung eingehend zu befassen, denn Umgang der Kirche mit Geld und Vermögen ist seit jeher eines der großen Herausforderungen für nicht nur ungerechtfertigte Kritik an der Kirche. Nebst der Tagung unseres Institutes Anfang Mai dieses Jahres stellt sich auch die Frage nach aktueller kanonistischer Literatur zu diesem Thema. Eine jüngere Publikation aus dem Jahre 2019 kam mir dabei in die Hände. Für viele Theologen und in den Ordinariaten Verantwortung tragende Personen ist diese Rechtsmaterie vom kirchlichen Vermögen, wie Pulte es definiert, ein „oftmals unbekanntes und schwer verständliches Rechtsgebiet dar“. Umso mehr ist dem Verfasser zuerst einmal dafür zu danken, ein überschaubares und leistbares Handbuch für Studium und Praxis vorgelegt zu haben.

    Im ersten Kapitel werden die „Prinzipien des kirchlichen Vermögensrechts“ behandelt. Neben den einleitenden Bestimmungen der cc. 1254-1258 CIC 1983 sind dazu auch die Normen über den Vermögenserwerb zu zählen (vgl. cc. 1259-1272). Sehr eingehend befasst sich Pulte mit der Vermögensfähigkeit der Kirche, welche er auch durch Anmerkungen der historischen Kanonistik zu untermauern weiß.

    Im zweiten Kapitel geht es um die Verwaltung des kirchlichen Vermögens. Dabei versucht unser Autor in seinen Ausführungen grundlegende Begriffe und Eignungskriterien zu erklären und zu erörtern, insbesondere diskutiert er, ob VermögensverwalterInnnen ein Kirchenamt im Sinne des c. 145 CIC bekleiden. Pulte differenziert wie im Gesetzbuch der Kirche vorgesehen zwischen ordentlicher und außerordentlicher Vermögensverwaltung. Dem deutschen Partikularrecht widmet er sich im Blick auf die diözesane Vermögensverwaltung und dem bestehenden Konkurrenzfeldern von Diözesanvermögensverwaltungsrat und Kirchensteuerrat. Hinzu erörtert der Verfasser die Rechtsstellung pfarrlicher Vermögensverwaltungsräte.

    In einem kürzeren dritten Kapitel zum Thema „Rechtsgeschäfte über das Kirchenvermögen“ versucht Pulte wichtige Begriffe zu erklären, der Leser bleibt aber etwas im Unklaren über Begriffe wie „Stammvermögen“, aber eine detaillierte Analyse auch im Blick auf das Veräußerungsverbot wird vom Autor nicht vorgenommen.

    Im vierten Kapitel befasst sich unser Autor mit den „frommen Verfügungen und Stiftungen“. Im Blick auf Schenkungen und Vermächtnissen versucht er anhand auch konkreter Beispiele die das Recht für ein Verstehen praxisrelevant zu erklären, hinzu analysiert er die verschiedenen Arten kirchlicher Stiftungen.

    In Europa aber auch auf anderen Kontinenten mehren sich die Fälle, wo Pfarreien oder Diözesen in die Situation der Zahlungsunfähigkeit geraten. Daher benennt Pulte in einem fünften Kapitel „Was tun, wenn das Geld ausgeht?“ die daraus erwachsenden Probleme und Schwierigkeiten und stellt Bezüge zur Fachliteratur und deren Antworten her.

    Trotz Mängel in manchen Einzelpunkten der Darlegung, worauf bereits Georg Bier in einer Besprechung (Theologische Revue, 116. Jahrgang, September 2020) verwiesen hat, meine ich, dass diese Publikation trotz einiger Lücken und ungeklärter offener Fragen sowie dem Unterbleiben problemorientierter Erörterung Studierenden dabei helfen kann, einen Erstüberblick über die Materie des fünften Buches des Codex Iuris Canonici 1983 über das Kirchenvermögen zu erhalten. Man wird aber bei sinnvoller Vertiefung in Einzelfragen nicht umhinkommen, die viel detailliertere Grundlagenliteratur in den uns bekannten Werken zusätzlich zu konsultieren. Alles in allem ist das Werk als Erstinformation für einen Überblick über den universalkirchlichen und diözesanen Rahmen sowie in die aktuelle Literatur gut geeignet, für die fachspezifische Vertiefung in der Praxis ist es wohl kaum relevant.

    DOI: 10.25365/phaidra.276


    Titelbild: Daniel Tibi / Pixabay