Von Koloman Roiger-Simek.1
DOI: 10.25365/phaidra.729
Das Verfahren
Mitten im sommerbedingten Nachrichtenloch entdeckten österreichische Tageszeitungen[i] eine bereits vor dem Sommer veröffentlichte Entscheidung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, die Berichte wurden rasch auch von anderen österreichischen Medien aufgegriffen. Obwohl dieses Urteil aus rechtlicher Sicht weitgehend unbeachtlich ist, traf es einen gesellschaftlichen Nerv, den österreichische Medien gerne unverhältnismäßig viel besprechen: Die Ausbreitung des Islams in Österreich.
Zwei Parteien, A und Dr. C, hatten einen Vertrag geschlossen, der eine Schiedsvereinbarung umfasste. Diese stellte Folgendes fest: „Das Schiedsgericht entscheidet anhand der islamischen Rechtsvorschriften (Ahlus-Sunnah wal-Jamaah) nach Billigkeit in der Sache nach bestem Wissen und Gewissen“.[ii] Nachdem es zwischen A und Dr. C tatsächlich zu einer Streitigkeit aus dem Vertrag kam, endete das Schiedsverfahren mit einer Entscheidung, dass Dr. C € 1.182.816,10 binnen 14 Tagen an den Kläger, A, zu zahlen habe. A stellte aufgrund der Schiedsentscheidung einen Exekutionsantrag, um einen Teil des geschuldeten Betrags zu erhalten. Dieser wurde am 29. und 30. November 2024 vom Wiener Bezirksgerichtes Fünfhaus bewilligt. Gegen diese Entscheidungen erhob Dr. C Rekurs. Der Rekurswerber brachte vor, dass der Schiedsspruch durch die Anwendung der Scharia gegen die ordre public verstöße und daher nicht vollstreckbar sei. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien hat den Rekurs abgelehnt.
Schiedsgerichte und Rechtswahl
In der österreichischen Rechtsordnung können Vertragsparteien Schiedsvereinbarungen treffen und Schiedsgerichte, d.h. unabhängige Gremien anstatt von staatlichen Gerichten, verbindlich über ihre Ansprüche entscheiden lassen. Wie aus den Debatten um CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement, dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Canada) und TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership, dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und der USA) hat ein Großteil der österreichischen Bevölkerung ein negatives Bild von und ablehnende Haltung zu Schiedsgerichten. Die beiden internationalen Abkommen hätten es Unternehmen ermöglicht Staaten vor Schiedsgerichten zu klagen. Dabei wurde dieser Zugang zu Schiedsgerichten als Ausdruck einer zwei-Klassen Justiz wahrgenommen, die vor allem ausländische Unternehmen begünstige. Obwohl die Schiedsgerichtbarkeit in Österreich rechtlich unproblematisch ist, hat sie wohl zur medialen Aufmerksamkeit im vorliegenden Fall beigetragen.
Die Parteien eines privatrechtlichen Vertrags können grundsätzlich eine Rechtswahl treffen und somit vereinbaren, dass auf Streitigkeiten aus einem Vertrag das Recht eines anderen Staates angewandt wird, zB deutsches oder kalifornisches Recht. Gemäß § 603 Abs. 1 ZPO gilt dies auch für Schiedsvereinbarungen. Dabei darf der daraus resultierende Schiedsspruch jedoch nicht die „Grundwertung der österreichischen Rechtsordnung (ordre public)“ widersprechen (§ 611 Abs. 2 Z. 8 ZPO). Dies würde zutreffen, wenn das Gesamtergebnis der Entscheidung des Schiedsgerichts eine „unerträgliche Verletzung tragender Grundwertungen“[iii] wäre. Einzelne rechtliche Fehlentscheidungen reichen dafür nicht aus. Ebenso unbeachtlich ist es, wenn einzelne Normen oder Konzepte des anzuwendenden Rechtssystems nicht im österreichischen Rechtssystem existieren.
Eine Anwendung von islamischem Recht gegen den Willen der Vertragsparteien würde zweifelslos gegen die Grundwertung der österreichischen Rechtsordnung verstoßen.[iv] Im vorliegenden Fall scheinen die Bedenken des Rekurswerbers jedoch erst von dem zweitinstanzlichen Gericht aufzutauchen und nicht bereits in zeitlicher Nähe zum Vertragsabschluss.
Religionsinterne Rechtsysteme und Grundrechtschutz
Scharia ist ein komplexer und weit gefasster Rechtsbegriff, der nicht kodifizierte, historisch entwickelte religiöse und gesellschaftliche Normen umfasst, die auf den Koran und den Lehren des Propheten Muhammad beruhen.[v] Dementsprechend umfasst dieses Rechtssystem eine Fülle an unterschiedlichen Lehren und Interpretationen. In der erwähnten Schiedsentscheidung wird nicht auf die Scharia allgemein, sondern auf die islamischen Rechtsvorschriften der Ahlus-Sunnah wal-Jamaah verwiesen, wodurch eine gewisse Konkretisierung stattgefunden hat. Ob diese Präzisierung hinreichend bestimmt ist, ist jedoch fraglich. Auch das Landesgericht hat scheinbar „Ahlus-Sunnah wal-Jamaah“ nicht problemlos zuordnen können. Die Quellen, auf die das Gericht verweist, beruhen auf Einträge in Wikipedia oder Blogeinträge auf der Plattform Tumblr, einem sozialen Medium, auf dem Benützer öffentliche Einträge verfassen können. Vor allem bei Letzterem kann die Richtigkeit der Informationen nicht überprüft werden. Für den vorliegenden Fall sind solche Schwierigkeiten jedoch nicht von Bedeutung, da die Parteien in der Schiedsklausel zusätzlich dem Schiedsgericht die Möglichkeit der Entscheidung „nach Billigkeit“ zusprachen. Das Landesgericht für Zivilsachen hat sich in seiner Entscheidung vor allem auf diese Vereinbarung gestützt sowie auf der Tatsache, dass ein Verstoß gegen die ordre public nur im Ergebnis geprüft wird. Da im vorliegenden Fall das Schiedsverfahren unter Beteiligung beider Parteien erfolgte und der „Schiedsspruch nachvollziehbare und begründete Feststellungen“ enthielt, gab es keine Indikationen, dass die Entscheidung gegen die Grundwertung der österreichischen Rechtordnung verstieß.[vi]
Soweit das Recht einer Kirche oder Religionsgesellschaft ihre inneren Angelegenheiten betrifft, sind diese durch Art. 15 StGG vor staatlichen Überprüfungen verfassungsrechtlich geschützt. Privatrechtliche Themen, die vom Recht dieser gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften geregelt werden, sind aber nicht der staatlichen Kontrolle entzogen und unterliegen dem grundrechtlichen Schutz der österreichischen Gerichte. In Gerichtsverfahren spielt der Schutz der Verfahrensrechte der Parteien, d.h. jenen Prinzipien in einer Streitigkeit, die die Fairness zwischen den Parteien wahren sollen, eine zentrale Rolle. Dies ändert sich nicht, wenn das anzuwendende Rechtssystem jenes einer Kirche oder Religionsgesellschaft ist. Selbst dann ist das Schiedsverfahren in einer Weise durchzuführen, die nicht den „Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspricht“.[vii] Dabei sind die „tragenden Grundwertungen des österreichischen Prozessrechts“ von der ordre public mitumfasst.[viii] Darin kommt den Prozessrechten der Parteien eine zentrale Rolle zu. Auch der EGMR hat bestätigt, dass staatliche Gerichte prüfen müssen, ob die Verfahrensrechte der Parteien gewahrt wurden, bevor sie die Exekution von Entscheidungen von kirchlichen Gerichten bewilligen.[ix] Dies gilt wohl ebenso für Schiedssprüche, die entsprechende Normen anwenden. Im vorliegenden Fall war dies jedoch unproblematisch.
Anmerkungen
Der mediale Aufruhr im Sommer 2025 ähnelt jenem von 2011, in dem zwei Fälle der Anwendung der Sharia iVm internationalem Familienrecht zu Schlagzeilen führten. Die damaligen Rechtsfragen betrafen das Kollisionsrecht, während jene von 2025 in der Privatautonomie des Zivilrechts verankert war. Seit 2011 ist die Anwendung von Rechtsnormen im Familienrecht, die auf Scharia beruhen, aufgrund von europarechtlichen Bestimmungen zur Ausnahme geworden.[x] Eine Änderung der ZPO, um die Anwendung der Scharia auf zivilrechtliche Verträge einzuschränken, wäre ein ungerechtfertigter und rein politisch motivierter Eingriff in die Privatautonomie, die geeignet wäre den Ruf Österreichs als Wirtschaftsstandort zu beeinträchtigen. Ein Verbot von Schiedsvereinbarungen, die die Anwendung der Scharia beschließen, und die Nichtigkeit solcher Bestimmungen würde Rechtsmissbrauch durch die unterlegene Partei begünstigen. Trotz der wachsenden Zahl von Muslime in Österreich bleibt die Anzahl an Fällen, in denen österreichische Gerichte mit der Scharia in Berührung kommen, sehr gering. Darüber hinaus sollte auch davon Abstand genommen werden, das Zivilrecht bzw. das Prozessrecht zum politischen Spielball in einer integrations- oder migrationspolitischen Debatte zu machen.
[i] Scheinbar als erstes wurde folgender Artikel veröffentlicht: Philipp Aichinger, Schiedsspruch nach Scharia in Österreich gültig Die Presse 18.08.2025.
[ii] Zitiert nach LG für ZRS Wien 02.05.2025, 47R65/25v.
[iii] OGH 18OCg3/15p, JBl 2016, 462.
[iv] Siehe dazu etwa EGMR 19.12.2018, 20452/14, Molla Sali / Griechenland, Rz 156f.
[v] Mouez Khalfaoui, Islamisches Recht, Scharia und Ethik. Eine europäische Perspektive (Nomos 2022) 23-26; Mathias Rohe, Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart (3. akt. und erw. Aufl. C.H. Beck 2011) 6-17.
[vi] LG für ZRS Wien 47R65/25v
[vii] § 611 Abs. 2 Z 5 ZPO.
[viii] Rechberger/Melis in Rechberger, ZPO4 § 611 Rz 8.
[ix] EGMR 20.07.2001, 30882/96, Pellegrini / Italien, Rz 44-48.
[x] Willibald Posch, Die Anwendung islamischen Rechts in Österreich heute – und morgen? ZfRV 2012/9, 76f.
- Diese Forschung wurde gänzlich oder teilweise durch den Wissenschaftsfonds FWF finanziert 10.55776/PAT1667223. ↩︎



