Ordensleben und Ehe – zwei Lebensformen, die sich grundsätzlich gegenseitig ausschließen. Mit der Entscheidung, in ein Kloster einzutreten, wählt man ein eheloses Leben. In diesem Sinne regelt c. 643 § 1 CIC, dass eine bestehende Ehe ein Zulassungshindernis zum Noviziat darstellt. In der Praxis kommt es jedoch gar nicht so selten vor, dass Menschen, die staatlich geschieden sind, kirchlich aber noch als verheiratet gelten, den Wunsch äußern, Mitglied eines Religioseninstituts zu werden und in diesem auch Gelübde ablegen möchten. Der folgende Artikel präsentiert zwei Wege, die beschritten werden können, um einer geschiedenen Person die Aufnahme zu ermöglichen.
Ehenichtigkeitsverfahren
Der einfachere und verbreitetere Weg ist der Versuch, die Ehe kirchlich auflösen zu lassen oder die Nichtigkeit der Ehe kirchlich feststellen zu lassen, wofür es folgende Formen von kirchlichen Eheverfahren gibt:
Feststellung der Nichtigkeit der Ehe auf dem Verwaltungsweg bei rein standesamtlicher Eheschließung: Wurde die Ehe nur standesamtlich geschlossen ohne kirchliche Trauung, ist die Ehe aus kirchlicher Sicht nie gültig zustandegekommen. In diesem Fall kann die Nichtigkeit der Ehe vom bischöflichen Ordinariat in einem Verwaltungsverfahren festgestellt werden.
Nichtigkeitserklärung im Dokumentenverfahren bei Formmangel oder nicht dispensiertem trennenden Ehehindernis: Hat bei der Eheschließung ein Geistlicher assistiert, der keine Trauvollmacht hatte, liegt ein Formfehler vor. Bestand ein Ehehindernis, von dem keine Dispens erteilt wurde (z. B. nahe Verwandtschaft), wurde die Ehe ungültig geschlossen. In beiden Fällen kann die Ehe in einem Dokumentenverfahren für nichtig erklärt werden.
Verfahren zur Auflösung einer nicht vollzogenen Ehe (Inkonsummationsverfahren): Unauflöslich ist eine gültige und vollzogene Ehe. Wurde eine Ehe zwar gültig geschlossen, aber nie vollzogen, kann über ein beim päpstlichen Gerichtshof, der Römischen Rota, eingerichtetes Büro beim Papst die Auflösung der Ehe beantragt werden.
Privilegium Paulinum: Das Privilegium Paulinum ermöglicht bei bestimmten nichtsakramentalen Ehen die Trennung vom Ehegatten und die erneute Heirat. Bei einem Eintritt ins Noviziat kann es allerdings nicht angewendet werden.
Verfahren zur Auflösung einer nichtsakramentalen Ehe nach dem Privilegium Petrinum: Für eine nichtsakramentale Ehe (Ehe mit einer nicht getauften Person) kann beim Papst um die Auflösung der Ehe angesucht werden. Wichtige Voraussetzung ist, dass derjenige, der die Auflösung beantragt, nicht die Schuld am Scheitern der Ehe trägt.
Gerichtliches Ehenichtigkeitsverfahren: Kommt keine der oben aufgeführten Möglichkeiten in Betracht, bleibt noch die Möglichkeit eines gerichtlichen Ehenichtigkeitsverfahrens vor dem Diözesangericht, wo es Beratungsstellen gibt, die Auskunft darüber erteilen, ob und aus welchem Grund ein Ehenichtigkeitsverfahren möglich ist.
Im Fall eines negativen Ausgangs des Verfahrens, kann man versuchen, die Dispens vom Hindernis der bestehenden Ehe zu beantragen.
Die Möglichkeit der Dispens
Die Möglichkeit, eine Dispens vom Zulassungshindernis der bestehenden Ehe zu beantragen, ist in der Praxis wenig bekannt, wodurch eventuell ein Weg nicht genutzt wird, um einem Geschiedenen den Eintritt in ein Religioseninstitut zu ermöglichen. Beantragt wird die Dispens von dem höheren Oberen des Religioseninstituts, der für die Aufnahme in das Noviziat zuständig ist, beim Dikasterium für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens. Für eine Antragsstellung werden folgende Dokumente benötigt:
ein vom Kandidaten geschriebener Antrag um Dispens mit ausreichender Begründung
sein Lebenslauf
ein Bericht, der Informationen darüber enthält, weshalb die Ehe gescheitert ist und welcher der beiden Ehepartner daran schuld ist
ein Bericht, der Auskunft über die während der Ehe geborenen Kinder sowie über die eventuell noch bestehenden Verpflichtungen unterschiedlicher Art ihnen gegenüber gibt
eine Bescheinigung des Ortsbischofs oder des Kanzlers der Kurie, die zum Ausdruck bringt, dass der andere Ehepartner dem Eintritt zustimmt und alle die Ehe betreffenden Rechte für immer aufgibt
ein Dokument, dass die unwiderrufliche, einvernehmliche und rechtmäßige Trennung der Partner notariell bescheinigt, sowie den gegenseitigen Verzicht auf jegliche ehelichen Ansprüche
weitere Dokumente, die die kirchliche wie auch die standesamtliche Eheschließung sowie die Trennung beziehungsweise Scheidung bezeugen
eine Empfehlung über die Reife, die Freiheit und die Motivation des Eintrittswilligen, verfasst vom Ortsbischof oder einem Priester, der die Person gut kennt
ein Brief des Institutsoberen, der Aufschluss über die Konsultationen den Kandidaten betreffend innerhalb des Religioseninstituts gibt und dessen Aufnahme positiv beurteilt
Möglicherweise verlangt das Dikasterium außerdem ein Verfahren zur Trennung von Ehegatten bei bleibendem Eheband vor dem Diözesanbischof (cc. 1151–1155 und 1692–1696 CIC). Maßgeblich für die Gewährung der Dispens ist, dass keine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem anderen Ehegatten und den Kindern bestehen, was bedeutet, dass die Kinder volljährig sein und ihre Ausbildung abgeschlossen haben müssen.
Die Verantwortung des Institutsoberen
Gemäß c. 641 CIC ist es die Aufgabe des Institutsoberen darüber zu entscheiden, ob eine Person zum Noviziat zugelassen werden kann. In diesem Sinne obliegt es ihm zu prüfen, ob ein Kandidat geeignet ist und welche Motive ihn dazu bewegen, den Eintritt in das Institut zu beantragen.
In unserem konkreten Beispiel des Aufnahmewunsches einer verheirateten und geschiedenen Person in die Gemeinschaft, scheint es notwendig, dass sich der zuständige Obere über gewisse Punkte informiert. Zunächst sollte er versuchen, Auskunft darüber zu erhalten, wie die Ehe gelebt wurde und was schließlich zur Trennung geführt hatte. In diesem Zusammenhang ist die Tatsache von Bedeutung, welchem der beiden Ehepartner die Schuld an der Scheidung zukommt. Im Falle einer bereits vorhandenen Nichtigkeitserklärung der Ehe sollte er der Frage nachgehen, was der Grund oder die Gründe waren, dass die Eheschließung für nichtig erklärt wurde. Besondere Vorsicht sollte geboten sein, wenn psychische Gründe dahinter liegen, da das Ordensleben eine gewisse geistige Gesundheit wie auch eine gefestigte Persönlichkeit verlangt.
Es besteht die Möglichkeit für den Oberen psychologische Hilfsmittel in Anspruch zu nehmen, um eine Vorstellung über die Eignung einer Person aus diesem Blickwinkel heraus zu bekommen. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass die tatsächliche Berufung eines Menschen dadurch letztlich wohl nicht festgestellt werden kann.
Wenn der Weg der Anfrage um Dispens beschritten wird, sollte der Obere diesen Punkten ebenfalls mit großer Sorgfalt nachgehen, bevor er den Antrag mit den notwendigen bereits genannten Dokumenten an das Dikasterium in Rom weiterleitet.
Auch wenn all diese Dinge vor der Zulassung berücksichtigt werden müssen, darf man nicht vergessen, dass die Aufnahme nur der erste Schritt ist. Die Zeit des Noviziats dient in weiterer Folge dazu, die Berufung des Kandidaten zu vertiefen und das Leben des Instituts von innen her kennenzulernen, um daraus zu schließen, ob der gemeinsame Weg weiter gegangen werden kann (vgl. c. 646 CIC).
Eine Alternative
Tatsche ist, dass beide vorgestellten Verfahren negativ ausgehen können, was zur Konsequenz hat, dass der Kandidat nicht wie gewünscht ins Noviziat zugelassen werden kann mit dem Ziel in Folge Profess abzulegen. In diesem Fall könnte noch ein anderer Weg beschritten werden, um der Person ein Leben in einem Religioseninstitut zu ermöglichen. Man kann darum bitten, als Regular- oder Klaustraloblate aufgenommen zu werden, insofern das Eigenrecht des Instituts diese Alternative bietet. Konkret bedeutet dies, dass zwar keine Gelübde abgelegt werden können, auf der anderen Seite erlaubt es aber das Leben der Gemeinschaft zu teilen.
Weiterführende Literatur
Yasmin Kainer / Daniel Tibi: „Die Aufnahme Geschiedener in das Noviziat. Kirchenrechtliche Grenzen und Möglichkeiten“, in: Erbe und Auftrag 100 (2024), S. 311–321, DOI: 10.15496/publikation-109760.
In den letzten Jahren stellten Ordensobere und das römische Dikasterium für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens fest, dass Angehörige von Ordensinstituten sowie Gesellschaften apostolischen Lebens spurlos verschwinden, obwohl sie durch das kanonische Recht verpflichtet sind, ein gewisses Maß gemeinschaftlicher Verpflichtungen zu übernehmen. Diese Verpflichtung resultiert aus dem spezifischen rechtlichen Charakter dieser Institute und Gesellschaften und wird durch eigenrechtliche Konkretisierungen (Konstitutionen) näherhin gefasst.
Das gemeinsame Leben als Prinzip des geweihten Lebens
Die Pflicht zur gemeinschaftlichen Lebensform wird vom Gesetzgeber durch die Anwesenheitspflicht in einem mit bischöflicher Zustimmung errichteten Ordenshaus (domus religiosa) ausdrücklich gefordert. So verlangt der kirchliche Gesetzgeber, dass Ordensleute in einer eigenen Niederlassung wohnen müssen und diese nur mit Erlaubnis des jeweiligen Oberen verlassen dürfen. Wenn auch allgemeine Erlaubnisse für tägliche Aufgaben außerhalb der Niederlassung erteilt werden können, so muss doch für eine längere Abwesenheit ein höherer Oberer zustimmen. Als höherer Oberer sind Provinziale und Generalobere zu verstehen. Wenn die Mitglieder seines Rates mehrheitlich zustimmen, kann er Ordensleuten die Erlaubnis erteilen, sich maximal ein Jahr lang außerhalb einer Niederlassung aufhalten zu dürfen. Ausnahmsweise, und zwar im Fall von Krankheit, zu Studienaufenthalten und zur Ausübung des ordensspezifischen Apostolats, kann ein Mitglied die Erlaubnis erhalten, sich länger als ein Jahr außerhalb eines ordenseigenen Hauses aufhalten zu können. So kann es sich beispielsweise um ein Mitglied handeln, das für die Dauer seines Studiums einem Studienhaus zugeordnet ist, aber mehrere Jahre außerhalb einer domus religiosa lebt.
Der Gesetzgeber des Codex Iuris Canonici von 1983 (CIC) äußerte sich auch über die unerlaubte Abwesenheit von einer Ordensniederlassung. Wenn sich also ein Mitglied der Vollmacht des Oberen entziehen möchte, soll diesem sorgsam nachgegangen und geholfen werden, zurückzukehren und ein Leben gemäß dem universalen Recht sowie den Konstitutionen zu führen (vgl. c. 665 § 2 CIC). Es ist demnach anzustreben, dass das Mitglied wieder in das Ordenshaus zurückkehrt und in seiner Berufung ausharrt. Dem Gesetzgeber geht es darum, die Berufung des einzelnen zu schützen, denn wenn sich ein Mitglied außerhalb einer Niederlassung aufhält, scheint es in einer gewissen Gefahr zu leben, diese Berufung zu verlieren. Diese Vermutung lässt sich durch die Erfahrung der Kirche im Umgang mit dem Ordensleben bestätigen. Denn das Ordenshaus bietet einen geistlichen Rahmen und somit die Voraussetzung, der ordenseigenen Berufung und dem jeweiligen Charisma zu folgen, während das Leben „in der Welt“ dazu in einem gewissen Kontrast steht. Zu diesem, das geistliche Leben fördernden und erhaltenden Rahmen zählt auch das Gemeinschaftsleben. Die Erfahrung des gemeinsamen Lebens von gleichgesinnten Menschen lehrt, dass das gemeinsame Leben Einheit schafft und in Zeiten von Unsicherheit und persönlichen Krisen trägt und hilft, diese Phasen im Sinn der Berufung zum Ordensleben zu meistern. Soweit wurde hier die Regelung dargelegt, die sich aus den allgemeinen Rechten und Pflichten von Ordensleuten ergibt.
Folgen der unerlaubten Abwesenheit
Der Gesetzgeber führt an anderer Stelle, und zwar unter dem Titel „Entlassung von Mitgliedern“, seine Ausführungen über die Entlassung von Ordensleuten aus dem kanonischen Lebensverband fort. Hierbei werden zwei Kategorien von Tatbeständen unterschieden, die zur Vornahme einer Entlassung führen. Die beiden Kategorien sind die Entlassung von Rechts wegen und die Entlassung durch ein kanonisches Verfahren. Die Entlassung von Rechts wegen erfolgt, wenn ein bestimmter Tatbestand eintritt. Das Ordensmitglied wird dann als Folge der Tat durch die von selbst eintretende Entlassung aus dem Verband ausgeschlossen. Der Entlassung von Rechts wegen (ipso facto) werden zwei Tatbestände zugeordnet. So gilt der Ordensmann oder die Ordensfrau als ohne Weiteres entlassen, wenn er oder sie offenkundig vom katholischen Glauben abgefallen ist oder versucht hat, eine Ehe zu schließen. Neben diesen Formen, die zur Ipso-facto-Entlassung führen, kennt der Codex auch die Entlassung durch ein kanonisches Entlassungsverfahren. An dieser Stelle soll allerdings das kanonische Verfahren nicht weiter expliziert werden, weil der durch das Motu Proprio Communis vita vom 19. März 2019 neu hinzugekommene Tatbestand in die Kategorie der Entlassung von Rechts wegen eingeordnet wurde.
Ein neuer Tatbestand zur Entlassung bei unerlaubter Abwesenheit
Zu den zwei genannten Tatbeständen, die zur von Rechts wegen eintretenden Entlassung führen, nämlich wenn ein Mitglied den katholischen Glauben notorisch leugnet und wenn ein Mitglied versucht, eine Ehe zu schließen, kommt durch das Motu Proprio Communis vita ein dritter Tatbestand hinzu. Dieser dritte Tatbestand wird beschrieben als Abwesenheit eines Ordensmitglieds für zwölf ununterbrochene Monate. Wie der Gesetzgeber Abwesenheit hier versteht, erklärt er mit den Worten der Abwesenheit „in Ansehung der Unauffindbarkeit“ des Mitglieds, und zwar im Sinn des c. 665 § 2 CIC. Hier werden also gewisse Bedingungen beschrieben, die erfüllt sein müssen, damit der Tatbestand von c. 694 § 1, 3° CIC vorliegt. Erst dann tritt die Entlassung ein.
Zunächst verweist der Gesetzgeber auf die Konditionen, die in c. 665 § 2 CIC expliziert werden. Damit wird deutlich, dass es sich um den Begriff der Abwesenheit handelt, den der Gesetzgeber des Codex Iuris Canonici vor der Publikation des Motu Proprio bereits festgelegt hatte. In diesem Canon ist nicht nur die Rede von Abwesenheit, sondern von unrechtmäßiger Abwesenheit, und zwar mit der Absicht, „sich der Vollmacht der Oberen zu entziehen“. Der Fall wäre also denkbar, dass ein Ordensmitglied im Rahmen der Unerlaubtheit zwar abwesend ist, sich aber nicht der Vollmacht der Oberen entziehen will. Es könnte sich um ein Mitglied handeln, dem eine längere Abwesenheit nicht gewährt wurde, das aber zur Vollendung seines Studiums über die ihm gewährte Zeit hinaus abwesend bleibt. Die Intention dabei wäre also nicht durch Ungehorsam begründet, sondern damit, dass ein persönliches Interesse, das grundsätzlich im Einklang mit der Anordnung des durch den Oberen gegebenen Auftrags steht, aber in der konkreten Ausführung eine breitere Interpretation erfährt. Vermutlich würde man sich durch ausreichende Kommunikation und Erklärung auf eine Lösung einigen können, aber an diesem Beispiel zeigt sich der Grenzbereich für den die Bedingung einer Abwesenheit gemäß c. 665 § 2 CIC nicht erfüllt wäre. In manchen Fällen kann es also einer gewissen Beweisführung bedürfen, um diesen Canon anwenden zu können.
Kehrt man zurück zur Anwendung des neuen Canons, in dem der Tatbestand der Abwesenheit in spezifischer Weise geregelt wurde, so wäre die erste Bedingung zur Erfüllung des Tatbestandes, die Intention zu haben, sich der Vollmacht des Oberen zu entziehen. Ebenso fordert c. 665 § 2 CIC, dass das Mitglied unrechtmäßig abwesend ist. Wendet man diese Bedingung wiederum auf die neue Rechtslage an, muss für den Fall der Anwendung des neuen c. 694 § 1, 3° CIC der Tatbestand erfüllt sein, dass das Mitglied eindeutig unerlaubt abwesend ist. Dies kann also als die zweite Bedingung festgehalten werden. Anzumerken bleibt, dass diese Konditionen auf dem Hintergrund des gemeinschaftlichen Lebens verstanden werden, dessentwegen die Abwesenheit als ein Straftatbestand überhaupt angesehen werden kann.
Vorgehensweise bei Unauffindbarkeit des Abwesenden
Im Fall des neuen c. 694 § 1, 3° CIC, der durch das Motu Proprio Communis vita an den CIC hinzugefügt wurde, fordert der Gesetzgeber eine bestimmte Qualität der Abwesenheit zur Erfüllung des Tatbestandes, nämlich neben der unerlaubten Abwesenheit über einen ununterbrochenen Zeitraum von zwölf Monaten und der Feststellung, dass sich der Abwesende der Autorität des Oberen entziehen will, dass selbiger unauffindbar abwesend ist. Das Charakteristikum der „Unauffindbarkeit“ (irreperibilitas) des Abwesenden wirft allerdings gewisse Rechtszweifel auf, die zur Beseitigung der Rechtsunsicherheit beantwortet werden müssen. Diese Problemstellung erkannten auch die Verantwortlichen im Dikasterium für die Institute des geweihten Lebens und die Gemeinschaften des apostolischen Lebens, die mit dem Rundschreiben „Litterae circulares de Litteris Apostolicis Motu Proprio datis ‚Communis vita‘“ vom 8. September 2019 darauf reagierten. In diesem Schreiben wird verdeutlicht, wie das Motu Proprio anzuwenden ist. Vor allem tritt das Problem der Unerreichbarkeit auf, das zugleich eine Bedingung ist, die erfüllt sein muss, um die neue Regelung der Ipso-facto-Entlassung anwenden zu können. Befindet sich nämlich ein Mitglied außerhalb eines Ordenshauses, soll es zunächst durch die üblichen Kommunikationsmittel aufgesucht werden. Sodann wird man versuchen, zunächst auf zwischenmenschlicher Ebene, das Mitglied zur Rückkehr zu bewegen. Bereits hier zeigt sich die Schwierigkeit, die bei einer Abwesenheit eintritt, bei der der Abwesende unauffindbar ist. Im nächsten Schritt würde eine Ermahnung an denjenigen erfolgen, der entlassen werden soll. Auch hier liegt die Problematik auf der Hand, nämlich die Rechtsunsicherheit, ob die entsprechende Person diese Mahnung erhalten hat. Schließlich muss dem Entlassenen das Entlassungsdekret übersendet werden, mit dem ihm seine Entlassung schriftlich mitgeteilt wird.
Der rechtlich unsichere Punkt ist also die Unauffindbarkeit. Denn die Feststellung der Unauffindbarkeit muss auf dem Weg der Negation erfolgen. Die Beurteilung, ob es sich um Abwesenheit in der Weise von Unauffindbarkeit handelt, muss der zuständige Obere unabhängig von den Gründen und eventuellen vorausgehenden Regelungen (erlaubte Abwesenheit, Flucht, Exklaustration) vornehmen. Die bereits im CIC verankerte Regelung, dass ein Mitglied, das über ein halbes Jahr abwesend ist, um sich der Autorität des Oberen zu entziehen (vgl. c. 696 CIC), entlassen werden kann, wurde durch die neue Regelung nicht aufgehoben, sondern bleibt weiterhin eine Möglichkeit, ein Mitglied wegen unerlaubter Abwesenheit entlassen zu können. Mit dem Motu Proprio Communis vita will der Gesetzgeber das Entlassungsverfahren aber vereinfachen, indem kein Verfahren geführt werden muss, sondern nur der objektiv feststellbare Tatbestand auf eine dem Recht genügende Weise konstatiert wird. Sobald ein Ordensangehöriger unerlaubt und unauffindbar abwesend ist, kann die neue Regelung angewendet werden. Im genannten Schreiben der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens legten die Autoren fest, dass, wenn die gewöhnlichen Kontaktmöglichkeiten wie Telefonnummer, E-Mail-Adresse, eine fiktive Adresse usw. ausgeschöpft wurden, die Person noch nicht ohne Weiteres als „unauffindbar“ gilt. Alles Versuche über diese Kanäle, Kontakt aufnehmen zu können, müssen also unternommen werden, so dass schließlich eine aktive Verweigerung des Betreffenden vermutet werden muss. Erst wenn ein Ordensmitglied nach allen Versuchen, es ausfindig zu machen, nicht gefunden werden kann, weil es sich offensichtlich versteckt hält und keinerlei Kontaktmöglichkeit zulässt sowie kein Lebenszeichen von sich gibt, kann das Kriterium der Unauffindbarkeit als erfüllt angesehen werden. Dann muss das Ergebnis aller erfolgloser Bemühungen, die Person zu finden, in einer sogenannten „Unauffindbarkeitserklärung“ dokumentiert werden.
Von dem Moment an, wann diese Erklärung datiert wurde, sollte das Mitglied auch von allen Ämtern suspendiert werden. Wenn auch das Auffinden des abwesenden Mitglieds weiterhin intendiert werden muss, kann mit der Suspension eine gewisse Rechtssicherheit erreicht werden. Von diesem Tag an beginnt die Frist von zwölf Monaten abzulaufen. Bleibt dieser Zustand während dieser Zeit ununterbrochen erhalten, gilt der Tatbestand als erfüllt und die Ipso-facto-Entlassung tritt ein.
Für das Rechtsverständnis bleibt anzumerken, dass, auch wenn die Entlassung mit der Vollendung der Straftat bereits vollzogen wird, zur Wahrung der Rechtssicherheit die Pflicht zur Dokumentation des Falls bestehen bleibt. Daher muss der höhere Obere mit seinem Rat unverzüglich den Tatbestand feststellen, so dass auch der Straftatbestand auch im äußeren Rechtsbereich konfirmiert wird. Dies soll auf der Grundlage von Beweisen geschehen, die gesammelt werden müssen. Damit ist der Formalität der Feststellung einer Tatstrafe, woraus die Ipso-facto-Entlassung folgt, normalerweise genüge getan. Im Fall der Entlassung wegen unerlaubter Abwesenheit bei gleichzeitiger Unauffindbarkeit reicht das allerdings nicht aus. Der Gesetzgeber fordert in diesem Fall nicht nur, dass eine Erklärung (declaratio) verfasst wird, sondern dass diese auch vom Heiligen Stuhl bestätigt werden muss (vgl. c. 694 § 3 CIC). Handelt es sich aber um eine Ordensgemeinschaft, die durch die bischöfliche Autorität errichtet wurde, so kommt es dem Bischof zu, die Entlassungserklärung zu bestätigen. Die Entscheidung über die Bestätigung der Entlassung per Dekret wird also nicht dem höheren Oberen überlassen, denn dieser hat sowieso seinen Rat zu konsultieren (cum suo consilio). Diese Entlassungserklärung muss freilich als eine Konfirmation der Entlassung verstanden werden, die bereits zum Zeitpunkt rechtlich geltend war, wann alle Bedingungen erfüllt waren. In diesem Sinn wäre hier auch der Begriff „Feststellungsdekret“ zutreffend, weil damit festgestellt wird, dass die Entlassung ipso facto erfolgte. Wird die Entlassung bestätigt, gilt das Mitglied als von Rechts wegen entlassen. Es wird aus dem Institut bzw. der Gesellschaft apostolischen Lebens ausgeschlossen und verliert alle Rechte und Pflichten, die mit der Mitgliedschaft zusammenhängen.
Fazit
Insgesamt entlastet das neue Gesetz die kirchlichen Oberen, indem es Grenzen aufweist, die durch die neue Regelung feststehen und eingehalten werden müssen. Somit sind Zweifel im Hinblick auf die korrekte Beurteilung der Situation weitgehend ausgeräumt. Das Motu Proprio Communis vita bietet daher einen Beitrag zur Rechtssicherheit kirchlicher Rechtshandlungen.
Weiterführende Literatur
Stefan Würges: Das Motu Proprio Communis vita. Hintergrund und Bedeutung im Licht der Würde von Ordengelübden (Young Academics Rechtswissenschaft 9). Baden-Baden: Tectum 2024. ISBN 978-3-8288-5142-9
Eigentlich ist es eine Sensation, in der Öffentlichkeit aber kaum rezipiert: Am 18. Mai 2022 hat Papst Franziskus die Möglichkeit geschaffen, dass Laien Obere in klerikalen Religioseninstituten werden können. Ein Merkmal klerikaler Institute ist nach c. 588 § 2 CIC, dass sie unter der Leitung von Klerikern stehen. Laien war damit bisher das Amt eines Oberen in diesen Instituten verwehrt. Zwar gab es auch vorher schon in begründeten Ausnahmefällen mit päpstlicher Genehmigung Laien im Amt eines Oberen in klerikalen Instituten. Das Neue ist, dass nunmehr keine Dispens durch den Papst selbst erforderlich ist. Soll ein Laie Lokaloberer, d. h. Oberer einer unselbstständigen Niederlassung werden, kann der zuständige höhere Obere des Instituts mit Zustimmung seines Rates diesen Religiosen selbst in das Amt einsetzen. Soll ein Laie höherer Oberer, d. h. Oberer einer rechtlich selbstständigen Niederlassung, einer Provinz oder eines ganzen Instituts werden, kann das Dikasterium für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens von der Bestimmung des c. 588 § 2 CIC dispensieren, dass der Obere Kleriker sein muss. In der Praxis sind solche Dispensen bereits erteilt worden. So wurde beispielsweise im Juli 2022, also wenige Wochen nach Erlass des Reskripts, ein Laienmitglied der Kongregation vom Heiligen Kreuz zum Generaloberen des Instituts gewählt. Die erforderliche Genehmigung für die Übernahme des Amtes hat das Dikasterium für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens erteilt. Die Forderung, dass auch Laien in klerikalen Instituten Obere werden können, kam bereits vor etwa sechs Jahrzehnten auf, insbesondere von benediktinischen Instituten und aus der franziskanischen Ordensfamilie, die von ihrem Ursprung her Laienbewegungen waren und erst im Laufe ihrer Geschichte klerikalisiert wurden. Mit seinem Reskript hat Papst Franziskus einen wichtigen Schritt zur Gleichstellung der Laien- und Klerikermitglieder in klerikalen Religioseninstituten getan. Ein letzter Schritt fehlt allerdings noch: Laien im Amt eines höheren Oberen sind, im Gegensatz zu Klerikern, keine Ordinarien, so hat es das Dikasterium für die Gesetzestexte in einem Schreiben vom 10. August 2022 klargestellt. Ordinarien kommen gegenüber den Mitgliedern eines Instituts bestimmte Vollmachten zu, wie beispielsweise die Beauftragung zum Lektor und Akolyth, die Erteilung bestimmter Dispensen sowie bestimmte Zuständigkeiten im Bereich des Vermögens- und Strafrechts. Im Falle eines Laien im Oberenamt ist die Funktion des Ordinarius einem Klerikermitglied des Instituts den Bestimmungen des Eigenrechts entsprechend zu übertragen, beispielsweise dem Stellvertreter. Dieses Beispiel aus dem Ordensrecht ist nur ein Bereich, in dem Papst Franziskus die Ausübung von kirchlicher Leitungsgewalt durch Laien in einem gewissen Umfang ermöglicht hat.
Durch diverse Rechtsänderungen hat Papst Franziskus die Ausübung kirchlicher Leitungsgewalt durch Laien in verschiedenen Bereichen ermöglicht.
Ausübung kirchlicher Leitungsgewalt durch Laien
Was ist die grundsätzliche Problematik hinter der Ausübung von Leitungsgewalt durch Laien? Ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt, dass in der Vergangenheit auch Laien kirchliche Leitungsgewalt ausgeübt haben. Äbtissinnen beispielsweise konnten auch ohne Weihegewalt zu besitzen Leitungsgewalt ausüben. Ein weniger rühmliches Beispiel aus der Kirchengeschichte sind weltliche Fürsten im Amt eines Bischofs, die dieses Amt bekleideten, ohne eine sakramentale Weihe empfangen zu haben, und so in ihrer Diözese Leitungsgewalt ausübten ohne Weihegewalt zu haben, die sie durch Weihbischöfe ausüben ließen. Nach dem Codex Iuris Canonici von 1917 konnten nur Kleriker kirchliche Leitungsgewalt erhalten: „Soli clerici possunt potestatem sive ordinis sive iurisdictionis ecclesiasticae […] obtinere“ (c. 118 CIC/1917), wobei im Vorgängercodex der Klerikerbegriff weiter gefasst war als im geltenden allgemeinen Kirchenrecht. Nach c. 108 CIC/1917 führte bereits der Empfang der Tonsur zur Zugehörigkeit zum Klerikerstand. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Frage thematisiert, ob und in welchem Umfang Laien kirchliche Leitungsgewalt ausüben können. Die Ansichten zu dieser Frage lassen sich in zwei Modelle einteilen: Das erste Modell gründet in der Lehre von der sacra potestas, die das Zweite Vatikanische Konzil grundsätzlich übernommen (vgl. insb. Lumen gentium 18), jedoch theologisch nicht vollständig ausgearbeitet hat. Diese Lehre geht von der Einheit der Weihegewalt und der Leitungsgewalt aus: „In Lumen Gentium wird der gesamte Dienst der geweihten Amtsträger unter sakramentalen Vorzeichen gesehen und die scharfe Differenzierung zwischen der potestas ordinis und der potestas iurisdictionis wird hinfällig. […] Die veränderte theologische Gewichtung in Lumen Gentium lässt somit zu, von einer heiligen Vollmacht zu sprechen“ (Bihl 2018, S. 290). Weihegewalt wird mit der sakramentalen Weihe übertragen und beinhaltet insbesondere geistliche Vollmachten wie die Sakramentenspendung. Leitungsgewalt wird mit der Einsetzung in ein Amt übertragen und beinhaltet kirchliche gesetzgebende, ausführende und/oder richterliche Gewalt. Aufgrund des geistlichen Wesens der Kirche, so das erste Modell, bedeutet Übertragung kirchlicher Leitungsgewalt nicht einfach die Übertragung von Leitungsgewalt durch die Gemeinschaft an eine qualifizierte Person, wie es im Staat der Fall ist. Vielmehr ist kirchliche Leitungsgewalt Ausübung der Gewalt, die Christus der Kirche übertragen hat. Wer Leitungsgewalt ausübt, handelt im Namen Christi und der Kirche – und das können nur geweihte Personen. Das zweite Modell sieht Weihegewalt und Leitungsgewalt als grundsätzlich getrennt an und insbesondere beim Papst und bei den Bischöfen in einer Person vereint. Papst und Bischöfe können Leitungsgewalt für Ämter, die nicht zwangsläufig Weihegewalt erfordern, an eine persönlich und fachlich qualifizierte Person ihrer Wahl übertragen, die nicht zwangsläufig geweiht sein muss. Nach diesem Modell stünden Laien Leitungsämter im kirchlichen Verwaltungs- und Gerichtsbereich offen.
Das geltende allgemeine Kirchenrecht spiegelt das erste Modell wider. Als Grundsatz legt c. 129 § 1 CIC fest: „Zur Übernahme von Leitungsgewalt, die es aufgrund göttlicher Einsetzung in der Kirche gibt und die auch Jurisdiktionsgewalt genannt wird, sind nach Maßgabe der Rechtsvorschriften diejenigen befähigt, die die heilige Weihe empfangen haben.“ Danach sind nur Diakone, Priester und Bischöfe (vgl. c. 1009 § 1 CIC) für die Leitungsgewalt in der Kirche befähigt, und nach c. 274 § 1 CIC können allein Kleriker Ämter erhalten, zu deren Ausübung Weihegewalt oder kirchliche Leitungsgewalt erforderlich ist. Darin zeigt sich eine gewisse Inkonsistenz im geltenden Kirchenrecht. Dass allein Kleriker kirchliche Leitungsgewalt ausüben können, liegt in der Verfassung der Kirche begründet. Ausübung kirchlicher Leitungsgewalt ist die Ausübung von Leitungsgewalt im Namen Christi und der Kirche, die Christus den Aposteln übertragen hat. In der Person Christi des Hauptes handeln nach c. 1009 § 3 CIC aber nur Bischöfe und Priester, nicht jedoch Diakone. Die ungeklärte Frage ist: Warum kann ein Diakon, der Kleriker ist, aber nicht in der Person Christi des Hauptes handelt, kirchliche Leitungsgewalt ausüben, während Laien, die ebenfalls nicht in der Person Christi des Hauptes handeln, diese nicht ausüben können? Laien können, so legt es c. 129 § 2 CIC fest, bei der Ausübung kirchlicher Leitungsgewalt nach Maßgabe des Rechtes mitwirken. Was diese Mitwirkungsmöglichkeit genau bedeutet, „bleibt im Dunkeln. Geht es um ideelle Unterstützung, um Zu- und Assistenzarbeiten bei klerikaler Gewaltausübung oder um selbständige und eigenverantwortete Mitarbeit an kirchlichen Zielen?“ (Hahn 2020, S. 266). Da die sacra-potestas-Lehre weiterer theologischer Reflexion bedarf, ist verständlich, dass eine darauf aufbauende rechtliche Norm unscharf bleibt. Jedenfalls sind geeignete Laien rechtlich befähigt, „von den geistlichen Hirten für jene kirchlichen Ämter und Aufgaben herangezogen zu werden, die sie gemäß den Rechtsvorschriften wahrzunehmen vermögen“ (c. 228 § 1 CIC). Eine genauere Bestimmung, um welche Ämter es sich dabei handelt, findet sich im geltenden allgemeinen Kirchenrecht nicht, was dem Partikularrecht Möglichkeiten eröffnet, solche Ämter zu schaffen. Grundlage ist stets eine Beauftragung eines Laien durch Papst oder Bischof, sei es im Einzelfall oder sei es durch allgemeines oder partikulares Kirchenrecht. „Da Laien immer im Rahmen einer kirchlichen Sendung (missio canonica) aufgrund der Beauftragung durch die zuständige kirchliche Autorität (Papst oder Bischof) an der kirchlichen Leitungsvollmacht teilhaben, wird man die Position einnehmen können, dass die Verbindung zur Sacra potestas-Lehre durch eben diese kirchenamtliche Beauftragung immer gewahrt bleibt“ (Pulte 2022, S. 2–3). Nach dieser Sichtweise ist der eigentliche Inhaber der Leitungsgewalt der Papst oder der Bischof, der einen Laien bevollmächtigt, diese Gewalt in seinem Namen auszuüben. Theologisch zu überdenken bleibt, ob ein Laie in einem solchen Fall auch Anteil an der Leitungsgewalt erhält.
Das geltende Kirchenrecht sieht verschiedene Bereiche vor, in denen Laien kirchliche Leitungsgewalt ausüben können.
Laien als kirchliche Richter
Konsequent setzt der Codex Iuris Canonici von 1983 die sacra-potestas-Lehre nicht um. Bereits seit Inkrafttreten dieses kirchlichen Gesetzbuches können Laien in bestimmten Fällen als kirchliche Richter tätig werden. Nach c. 1421 § 2 CIC kann mit Erlaubnis der Bischofskonferenz in einem Dreierkollegium eines kirchlichen Gerichts einer der drei Richter ein fachkundiger Laie sein. Die Österreichische Bischofskonferenz hat diese Erlaubnis mit ihrem Dekret über Laienrichter (in: Abl. ÖBK 1/1984, S. 7) erteilt, die Deutsche Bischofskonferenz mit ihrer Partikularnorm Nr. 20 vom 05.10.1995. Ein Laie im Richteramt übt kirchliche Leitungsgewalt aus. Zur Rechtfertigung dieser Regelung wird angeführt, dass der Laienrichter die Kleriker nicht überstimmen kann. Das ist richtig, doch kann umgekehrt betrachtet das Votum des Laien den Ausschlag gegen, wenn die beiden Kleriker verschiedener Meinung sind.
„Ausübung kirchlicher Leitungsgewalt ist die Ausübung von Leitungsgewalt im Namen Christi und der Kirche, die Christus den Aposteln übertragen hat.“
Rechtsänderungen durch Papst Franziskus
Papst Franziskus hat im Jahr 2015 durch das Apostolische Schreiben Mitis Iudex speziell für kirchliche Ehenichtigkeitsverfahren, die den mit Abstand größten Teil der kirchlichen Gerichtsverfahren ausmachen, aus praktischer Notwendigkeit die Möglichkeit geschaffen, dass sogar zwei der drei Richter Laien sein dürfen. Lediglich der vorsitzende Richter muss Kleriker sein. So kann bei der gerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit einer Ehe das Votum eines Laien nicht nur den Ausschlag geben, die zwei Laienrichter können den Kleriker nunmehr sogar überstimmen.
Eine weitere Möglichkeit, Laien kirchliche Leitungsämter zu übertragen, hat Papst Franziskus in der Apostolischen Konstitution Praedicate Evangelium über die Römische Kurie vom 19. März 2022 geschaffen. In den Grundsätzen und Kriterien für den Dienst an der Römischen Kurie wird darin festgehalten: „Jede kuriale Einrichtung erfüllt ihren eigenen Auftrag kraft der Vollmacht, die sie vom Papst erhalten hat, in dessen Namen sie mit stellvertretender Gewalt in der Ausübung des primazialen Amtes handelt“ (Nr. II,5 PE). Ämter mit Leitungsgewalt an der Römischen Kurie sind die Präfekten (Leiter) der Einrichtungen sowie die Sekretäre und Untersekretäre. Die Offiziale bereiten Entscheidungen vor, ihnen kommt aber selbst keine Leitungsgewalt zu. Da die Leitungsgewalt, die die Mitarbeiter der Römischen Kurie ausüben, vom Papst übertragene stellvertretende Leitungsgewalt ist, können auch Laien diese Leitungsgewalt ausüben – und damit sogar, wenn im Einzelfall wie für die Apostolische Signatur (vgl. Art. 195 § 1 PE) und den Wirtschaftsrat (vgl. Art. 206 § 2 PE) nichts anderes bestimmt ist, das Amt eines Präfekten bekleiden: „Aus diesem Grund kann jeder Gläubige einem Dikasterium oder einem Organ abhängig von deren besonderer Zuständigkeit, Leitungsgewalt und Aufgabe vorstehen“ (Nr. II,5 PE). Die Apostolische Konstitution Pastor Bonus über die Römische Kurie aus dem Jahr 1988, die bis zum Inkrafttreten von Predicate Evangelium in Geltung war, hatte hingegen bestimmt, „daß alles, was die Ausübung von Leitungsvollmacht erfordert, denjenigen vorbehalten ist, welche die heilige Weihe empfangen haben“ (Art. 7 PB). Predicate Evangelium eröffnet Laien somit den Zugang zu Leitungsämtern, der ihnen bisher verwehrt war. Ob Päpste künftig Laien in Leitungsfunktionen einsetzen werden, bleibt abzuwarten.
Papst Franziskus hat Leitungsämter an Einrichtungen der römischen Kurie für Laien geöffnet.
Laien in Leitungsämtern auf diözesaner Ebene
Die Regelungen in Predicate Evangelium können Vorbild sein für die Organisation der bischöflichen Kurie. Der Generalvikar als Leiter der bischöflichen Verwaltung und der Offizial als Vorsteher des bischöflichen Gerichts müssen nach den Bestimmungen des allgemeinen Kirchenrechts Priester sein (vgl. c. 478 § 1 und c. 1420 § 4 CIC). Im Rahmen, den das allgemeine Recht vorgibt, steht es den Bischöfen frei, ihre bischöfliche Kurie nach eigenem Ermessen zu organisieren. So können sie Leitungsämter schaffen, die auch mit Laien besetzt werden können, die Leitungsgewalt im Auftrag des Bischofs ausüben. In Deutschland haben beispielsweise das Erzbistum München-Freising und das Bistum Eichstätt in je unterschiedlicher Ausgestaltung das Amt eines Amtschefs geschaffen, der zusammen mit dem Generalvikar die bischöfliche Verwaltung leitet. In beiden Bistümern sind die Ämter des Amtschefs seit 2020 mit Laien besetzt. Weitere deutsche Bistümer haben in teilweise unterschiedlicher Ausgestaltung ähnliche Ämter geschaffen. In Österreich hat bisher keine Diözese einen solchen Weg beschritten.
Die Erzdiözese München-Freising hat das Amt eines Amtschefs geschaffen, der zusammen mit dem Generalvikar die bischöfliche Verwaltung leitet. Das Amt des Amtschefs ist dort seit 2020 mit einem Laien besetzt.
Ausblick
Die Möglichkeiten, die Papst Franziskus eröffnet hat, Laien kirchliche Leitungsgewalt zu übertragen, sind beachtlich. Bei Ehenichtigkeitsverfahren können zwei der drei Richter eines Richterkollegiums Laien sein. Leitungsämter an der Römischen Kurie, das Amt des Präfekten eines Dikasteriums grundsätzlich nicht ausgenommen, können mit Laien besetzt werden. In klerikalen Religioseninstituten können mit Genehmigung des Dikasteriums für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens auch Laien Oberenämter bekleiden. Dabei ist Papst Franziskus den Weg der Praxis gegangen, d. h. er hat die kirchenrechtlichen Bestimmungen angepasst, ohne die Änderungen jedoch theologisch zu untermauern. Ausübung von Leitungsgewalt in der Kirche ist etwas qualitativ anderes als Ausübung von Leitungsgewalt im Staat. Was noch aussteht, ist eine tiefergehende theologische Reflexion der Thematik, um die Möglichkeit der Übertragung von kirchlicher Leitungsgewalt an Laien auf ein sicheres Fundament zu stellen und möglicherweise noch auszuweiten.
Literatur
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