Seelsorge ist auf „Verörtlichung“ angewiesen, um Menschen vor Ort – unabhängig von persönlicher Neigung, von Stand und Stellung – erreichen zu können und sie in den Glauben und das Leben der Kirche einzuführen. Hierin liegt der tiefere Sinn der Pfarrstruktur … Andererseits ist auch eine „Entörtlichung“ notwendig, wenn es darum geht, Menschen in besonderen Lebenssituationen zu erreichen und Projekte gemeinsam in Angriff zu nehmen, die die einzelne Pfarrei überschreiten oder auch überfordern würden. (vgl. dazu Peter KRÄMER, Krise und Kritik der Pfarrstruktur. Kirchenrechtliche Überlegungen zur Notwendigkeit einer Reform, in: AfkKR 175 (2006), S. 531 ff.)
Eine große Zahl von Menschen, vor allem Menschen am Beginn des Erwachsenenalters, haben heute, trotz des Empfangs der Taufe, keine Bindung mehr an ihre Pfarrei. Im Bundesheer finden sich getaufte und ungetaufte Menschen unter besonderen Umständen zusammen, sei es in den einzelnen Standorten, sei es vor allem bei Einsätzen im Ausland oder in Krisensituationen und Katastrophen (Notfallseelsorge). In diesen Situationen können tiefergehende, d. h. religiöse und ethische Fragen relevant und aktuell werden und kann sich ein (neuer) Zugang zu Religion und Glaube eröffnen. Diese Chance gilt es zu nutzen. Anbei hören Sie dazu die Meinungen von Militärseelsorgern aus verschiedenen Kirchen und Religionsgesellschaften zu ihren Aufgaben und aktuellen Fragestellungen.
Militärbischof Werner FREISTETTER studierte in Wien und Rom Theologie und promovierte in Sozialethik. Priesterweihe 1979 in Rom, danach Seelsorger in Pfarren der Erzdiözese Wien sowie Assistent an der Universität Wien am Institut für Ethik und Sozialwissenschaften. Nach Jahren am Päpstlichen Rat für die Kultur an der Römischen Kurie, übernahm er 1997 mit der Leitung des in Wien gegründeten Instituts für Religion und Frieden beim Militärbischofsamt. Ab 2006 Bischofsvikar für Wissenschaft und Forschung, theologische Grundsatzfragen und internationale Beziehungen war Freistetter war Mitglied der Ständigen Vertretung des Heiligen Stuhls bei den Internationalen Organisationen in Wien und geistlicher Assistent der internationalen katholischen Soldatenorganisation Apostolat Militaire International. 2015 erfolgte die Ernennung zum Militärbischof für Österreich. Im Interview spricht er über das umfassende Aufgabenspektrum der Militärseelsorge, über die rechtlichen Grundlagen sowie die Bedeutung der Religionsfreiheit und die besonderen Herausforderungen der prophetischen Verkündigung über den Frieden von Papst Franziskus im Verhältnis zur Lehre über den gerechten Krieg.
Erzpriester Alexander LAPIN ist Chemiker, Mediziner, Theologe, Universitätsdozent und seit 2011 der erste orthodoxe Militärseelsorger des Österreichischen Bundesheeres. 1992 habilitierte er auf dem Gebiet der Proteindiagnostik in der klinischen Nephrologie und übernahm 1994 die Leitung des chemischen Labors der Semmelweis-Frauenklinik. 1998 wurde er schließlich zum Leiter des Labors im Sozialmedizinischen Zentrum Sophienspital bestellt. Lapin unterrichtete unter anderem an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems die angehenden orthodoxen Religionslehrer. Er berichtet von seinen Unterrichten über Migration und Transkulturalität, die Vereinbarung über die Militärseelsorge mit dem Bundesministerium für Landesverteidigung und formuliert Wünsche für die Zukunft insbesondere im Blick auf eine Ermöglichung der Seelsorge in den Bundesländern und die ökumenische und interreligiöse Kooperation.
Militärsuperintendent Karl Reinhart TRAUNER, seit 1995 Militärseelsorger, 2003 neben der Tätigkeit als Lehrbeauftragter an der Theresianischen Militärakademie (Wiener Neustadt) auch Leiter des Instituts für Militärethische Studien (IMS) der Evangelischen Militärsuperintendentur, 2013 Bestellung zum Militärsuperintendenten, 2016 Habilitation und Ernennung zum Privatdozenten für das Fach Kirchengeschichte an der Universität Wien spricht über die Struktur der Evangelischen Militärseelsorge, die drei Grundlagenbereiche der seelsorglichen Tätigkeit sowie über die Rechtsgrundlagen in § 17 Protestantengesetz 1961 und worin Chancen und Möglichkeiten bei geänderten Rahmenbedingungen bestehen.
Militärimam Kenan CORBIC seit Dezember 2021 islamischer Militärseelsorger im Osten Österreichs spricht über seine vielfältigen Aufgaben, die historische Entwicklung der Feldseelsorge seit 1882 in Österreich und die Neuordnung in § 11 Islamgesetz 2015 sowie die Priorität der ökumenischen und multireligiösen Situation sowie das Desiderat im Blick auf einen ebenbürtigen Status der islamischen Militärseelsorge.
Oberrabbiner Schlomo HOFMEISTER, seit 2008 der Gemeinderabbiner von Wien, ab 2016 bekleidet er zudem das Amt des Landesrabbiners von Niederösterreich, dem Burgenland, der Steiermark und Kärnten sowie ab 2017 die Aufgabe als jüdischer Militärseelsorger im Österreichischen Bundesheer. Hofmeister studierte in München und in England. 2004 zog er von London nach Jerusalem, um seine Rabbinatsstudien fortzusetzen. Im Interview betont er die religiösen Bedürfnisse jüdischer Gläubigen, die Speisevorschriften im Dienstbetrieb sowie über die Seelsorge als Katalysator beim Abbau von Spannungen und Konfliktpotenzial im Blick auf das Gemeinsame am Gemeinwohl der Gesellschaft.
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