Religiöse Konversion in Österreich als Asylgrund. Zum Urteil EuGH, 29. Februar 2024, C-222/22 (Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen gegen JF)

Von Andreas KowatschORCID logo

DOI: 10.25365/phaidra.462

1. Zum Gang des Verfahrens

Am 29. Februar 2024 beantwortete der EuGH durch ein Urteil in einem Vorabentscheidungsverfahren eine Frage, die im Rahmen eines Asylrechtsstreites in Österreich durch den VwGH als oberstes Verwaltungsgericht an den Gerichtshof herangetragen worden war. Konkret ging es um die Frage, wie § 3 Abs. 3 des österreichischen AsylG 2005 im Licht der unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 5 Abs. 3 RL 2011/951) richtig zu interpretieren und zu vollziehen ist. Während diese Entscheidungen im konkreten Verfahren durch den VwGH noch ausstehen, war es Aufgabe des EuGH, über die korrekte Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmung zu urteilen.

JF, ein iranischer Staatsbürger, hatte 2015 beim Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen (BFA), der für die Entscheidung über Asylanträge zuständigen österreichischen Behörde, einen Antrag auf „internationalen Schutz“ gestellt. Er sei im Iran als Fahrschullehrer vom iranischen Geheimdienst befragt und auch bereits als Student verfolgt worden, weil er einen islamischen Prediger kritisiert hätte. 2017 wurde dieser Antrag rechtskräftig abgewiesen und die Rückkehr in den Iran angeordnet. 2019 stellte JF einen „Folgeantrag“. Er sei zwischenzeitlich zum Christentum konvertiert und würde daher im Falle einer Rückkehr in den Iran wegen seiner Religion verfolgt werden. Das BFA wies auch diesen Antrag ab, stellte aber fest, dass die Konversion zum Christentum aufgrund einer inneren Überzeugung erfolgt sei. Da die Verfolgung aufgrund der Religion im Iran zu befürchten sei, wurde JF daher zwar nicht als Flüchtling anerkannt, ihm jedoch der Status eines „subsidiär Schutzberechtigten“ verliehen. Da dieser Status im Vergleich zur Rechtsstellung von Flüchtlingen weniger umfassende Rechte verbürgt, erhob JF Beschwerde vor dem BVwG. Dieses entschied 2020 zu seinen Gunsten. Das Urteil wurde jedoch durch das BFA mittels ordentlicher Amtsrevision vor dem VwGH angefochten. Dieser setzte das Verfahren aus und ersuchte den EuGH um die Durchführung des Vorlageverfahrens.

2. Der asylrechtliche Rahmen der Entscheidung

Das österreichische Asylrecht ist inhaltlich geprägt durch völkerrechtliche Verträge und Rechtsakte der Europäischen Union. Völkerrechtlich bildet nach wie vor das allgemein als „Genfer Flüchtlings-Konvention“ bekannte „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ (GFK) aus dem Jahr 1951 samt der Zusatzprotokolle die Grundlage für die Gewährung „internationalen Schutzes“ vor Verfolgung im Herkunftsland. Als Flüchtling im Sinn von Art. 1 A2 GFK gilt, „wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.“

Die hier angesprochenen „Fluchtgründe“ sind ein Ausdruck dafür, dass in diesem Teilgebiet des Fremdenrechts mehr als in vielen anderen Rechtsgebieten unmittelbar jene Grundrechte, die für die menschliche Existenz von fundamentaler Wichtigkeit sind und in welche daher entweder gar nicht oder nur im Rahmen sehr enger rechtlicher Schranken staatlich eingegriffen werden darf, im Fokus stehen. Es liegt nahe, dass das Recht auf Leben und das (ausnahmslose) Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung besondere asylrechtliche Relevanz haben. Neben diesen fundamentalen Rechten sind aber auch das Menschenrecht auf Privat- und Familienleben gem. Art. 8 EMRK und auch das Recht auf religiöse Freiheit gem. Art. 9 EMRK von besonderer Bedeutung.

Richtlinien der EU, so Art. 288 AEUV, sind für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Die Wahl der Form und der Mittel für die Umsetzung bleibt jedoch den innerstaatlichen Stellen überlassen. Für die Frage der Zuerkennung internationalen Schutzes als anerkannter Flüchtling bzw., sollte dieses Begehren scheitern und dennoch die Gefahr der Verfolgung im Herkunftsland bestehen, für die Entscheidung über die Gewährung „subsidiären Schutzes“, zentral ist die sog. „Status-Richtlinie“2. Ihre Umsetzung ins österreichische Recht erfolgte hauptsächlich durch Novellierungen des AsylG 2005, wobei in der Richtlinie nicht alle Details, sondern lediglich Mindeststandards normiert sind.

Jeder Antrag auf internationalen Schutz muss individuell geprüft werden. Um die Gefahr einer Verfolgung einschätzen zu können, ist die individuelle Situation des Antragstellers zu eruieren. Die individuelle Situation kann aber nicht losgelöst von der objektiven politischen und gesellschaftlichen Situation im Heimatland beurteilt werden.

Wenn das Asylverfahren nicht missbraucht wird, um aus anderen (vor allem rein wirtschaftlichen) Gründen ein Bleiberecht in Österreich zu erlangen, haben Asylwerber bereits in ihrem Herkunftsland Unrecht, Verfolgung bzw. erniedrigende Behandlungen erfahren müssen. So ist Flucht wegen einer Verfolgung aus religiösen Gründen kein seltenes Ausnahmephänomen, sondern der bedrückende Alltag von Menschen in sehr unterschiedlichen Staaten. Verfolgung aufgrund der Religion trifft Anhänger aller Religionen. Weltweit betrachtet, überragt die Zahl der verfolgten Christen jedoch alle anderen Religionen um ein trauriges Vielfaches.3

Die (begründete) Furcht vor Verfolgung kann aber auch erst nach dem Verlassen des Heimatlandes entstehen. So kann sich während eines Auslandsstudienjahres die politische Situation zu Hause so verändern, dass eine Heimkehr nicht mehr ohne Gefahr möglich ist. In diesem Fall spricht man von einem „objektiven“ Nachfluchtgrund, der ohne ein spezielles Zutun des Antragstellers auf Asyl entstanden sein muss. Davon zu unterscheiden sind die für den weiteren Gedankengang wichtigen „subjektiven“ Nachfluchtgründe (vgl. zu beidem § 3 Abs. 2 AsylG 2005). Die Gefahr, im Herkunftsland verfolgt zu werden, hat hier ihre Ursache im Verhalten des Antragstellers. Unabhängig von der Frage des Motivs wird der Fluchtgrund in Österreich durch den Asylsuchenden selbst hergestellt. Subjektive Nachfluchtgründe können Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sein. Sie können aber auch ohne Kontinuität zu einer schon bestehenden Gesinnung neu entstehen.

Die GFK unterscheidet nicht zwischen Fluchtgründen im Herkunftsstaat und „sur place“ ausgelösten Gründen. Entscheidend ist nur die Frage, wie glaubhaft bzw. wahrscheinlich die Verfolgung im Fall der (u. U. erzwungenen) Rückkehr ist. Damit betont die GFK sehr stark das subjektive Schutzbedürfnis potenziell verfolgter Menschen. Der Staat ist daran gebunden, muss aber zugleich verhindern, dass das Asylrecht missbraucht wird, indem Fluchtgründe bewusst geschaffen werden, um in den Genuss der Rechte zu kommen, die nur anerkannte Flüchtlinge genießen. Dieser Schutz vor Missbrauch ist essenziell für die Verfolgten selbst, da das asylrechtliche System politisch von der Akzeptanz der Gesamtbevölkerung abhängt, die zu kippen droht, wenn politisch oder faktisch die rechtlich vorgesehene Unterscheidung von Flüchtlingen, subsidiär Schutzberechtigten und sonstigen Migranten verwischt wird.

§ 3 Abs. 2 AslyG 2005 normiert, dass die Verfolgung (im Herkunftsland) auch auf Aktivitäten des Fremden beruhen kann, „die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.“

Durch die Verwendung des Wortes „insbesondere“ ergibt sich bereits eine gewisse Einschränkung. Eine besondere Einschränkung enthält diese Norm aber für subjektive Nachfluchtgründe, die erst in einem „Folgeantrag“4 geltend gemacht werden. Ein Folgeantrag ist ein neuerlicher Asylantrag, der gestellt wird, nachdem bereits ein Asylverfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen worden ist. Das Vorbringen neuer Gründe ist in bestimmten Grenzen möglich, da über diese noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist. Es liegt hier aber auf der Hand, dass Folgeanträge besonders missbrauchsanfällig sind und eine Verzögerungstaktik für den Vollzug einer Ausweisungsentscheidung sein können. Ganz besonders gilt dies für den Fall, dass nach dem abgelehnten ersten Verfahren der Antragsteller selbst den Fluchtgrund schafft, auf den er sich dann im Folgeantrag beruft. § 3 Abs. 2 AsylG 2005 normiert daher: „Einem Fremden, der einen Folgeantrag … stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.“

Diese Bestimmung des AsylG erging in Umsetzung von Art. 5 Abs. 2 und 3 der Status-RL, deren Wortlaut für das gegenständliche Verfahren ausschlaggebend ist.5 Vergleicht man die Texte, so erkennt man, dass die Formulierung im österreichischen AsylG enger ist.

3. Konversion als Asylgrund?

Die Religionsfreiheit schützt nicht nur die Ausübung der Religion im Rahmen der verfassungsrechtlich zulässigen Grenzen, sondern auch die Freiheit, die eigene Religion zu wechseln. Das Recht auf Apostasie (Glaubensabfall) – ohne oder mit einer einhergehenden Zuwendung zu einer anderen Religion oder Weltanschauung – steht im Zentrum des staatsgerichteten Grundrechts auf Religionsfreiheit.

Ob die Hinwendung zu einer neuen Religion bzw. die damit oftmals verbundene Abwendung von der ursprünglichen Religion, eine taugliche Grundlage für die Zuerkennung internationalen Schutzes als Flüchtling ist, hängt wie bei allen anderen Asylgründen vom individuellen Fall ab. Im Normalfall muss die Konversion in Österreich mit dem inneren Entschluss verbunden sein, die neue Religion im Herkunftsland auch ausüben zu wollen. Die Entscheidung darüber wirft aber schwierige Fragen der Kompetenz des Staates auf. Wie weit dürfen, können oder müssen staatliche Behörden die persönliche Ernsthaftigkeit des Religionsbekenntnisses beurteilen? Auch erfolgen im Rahmen der Konversion zwar einige feststehende Schritte (z. B. der Empfang der Taufe), zugleich ist die Konversion religionspsychologisch aber schwer an einem bestimmten Punkt festzumachen. Eine staatliche Beurteilung dieser Frage bewegt sich an der Grenze der weltanschaulich-religiösen Neutralität des säkularen Staates.6 Schließlich können auch weniger ernsthafte „Konversionen“ und selbst bloße Scheinkonversionen Auslöser für Verfolgung sein, wenn etwa das Foto eines Taufscheins in den sozialen Medien verbreitet wurde.

4. Zum Urteil des EuGH

Der EuGH musste die Frage klären, ob Art. 5 Abs. 2 und 3 der Status-RL7 so zu verstehen ist, dass einem Folgeantrag wegen subjektiver Nachfluchtgründe nur stattgegeben werden darf, wenn die vom Antragsteller nach seiner Flucht ausgeübten Aktivitäten in diesem Mitgliedstaat zulässig sowie nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung sind.

Die Konversion zu einer neuen Religion ist in Österreich wie in allen anderen Mitgliedstaaten der EU zweifellos eine zulässige Handlung. Die Religionsfreiheit gilt als Menschenrecht für jedermann und unterliegt keinen Einschränkungen für Drittstaatsangehörige. Die Hinwendung zur neuen Religion kann die Fortsetzung eines Prozesses sein, der bereits im Heimatland begonnen hat. So kann jemand bereits zu Hause mit dem Christentum bzw. der Kirche in Kontakt gekommen sein, etwa in Form der Entwicklungshilfe im Rahmen christlicher Mission und Caritas. Erst in Österreich erfolgte dann aber eine Intensivierung des Kontakts und eine persönliche religiöse Neuorientierung. Das Konversionsgeschehen kann aber auch erst in Österreich ausgelöst worden sein, etwa, weil ein Fremder in einer kirchlichen Gemeinde soziale Kontakte gefunden hat. Eine Ungleichbehandlung der einen und der anderen Konversion wirft erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken im Blick auf die in Österreich in Art. 63 Abs. 2 StV St. Germain und Art. 9 EMRK jedermann garantierte Religionsfreiheit auf. Da zudem eine Umsetzung von Unionsrecht vorliegt, ist auch Art. 10 GRC zu beachten.

Auch wenn man den Blick auf die Religionsfreiheit außer Acht lässt, musste der EuGH prüfen, ob die entsprechende Norm in der Status-RL so ausgelegt werden muss, dass ein Staat einem Fremden „die Anerkennung als Flüchtling nur verweigern darf, wenn feststeht, dass dieser Antrag eindeutig auf einer Verfolgungsgefahr beruht, die der Antragsteller nach der bestandskräftigen Entscheidung über seinen früheren Antrag vorsätzlich durch unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen allein deshalb herbeigeführt hat, um die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen.“8

Art. 5 Abs. 3 der Status-RL, an dem § 3 Abs. 3 AsylG zu messen ist, sieht vor, dass die dort genannten Einschränkungen von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden können. Es handelt sich demnach nicht um eine Verpflichtung (EuGH, Nr. 26). Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft soll auch nicht automatisch in jedem Fall, sondern nur „in der Regel“ erfolgen (EuGH, ebd.). Soweit der Nachfluchtgrund „nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung“ ist, ist ein Missbrauch prima facie weniger wahrscheinlich. Eine generelle Tatbestandsvoraussetzung ist diese Kontinuität jedoch nicht, da Abs. 2 nicht nur von einer Möglichkeit der Umsetzung spricht, sondern diese Anknüpfung durch die Wendung „insbesondere“ relativiert.

Die Status-RL steht im Kontext des internationalen Asylrechts, dessen zentrale Normierung die GFK darstellt. Alle Mitgliedstaaten haben die GFK ratifiziert. Daher kann die RL auch nur im Licht der GFK ausgelegt werden (EuGH, Nr. 27). Der EuGH weist darauf hin, dass Art. 5 Abs. 3 Status-RL keinen Automatismus legitimiert. Die staatliche Pflicht, jeden Fall individuell zu prüfen bleibt unberührt (EuGH, Nr. 34). Auch wird keine rechtliche Vermutung aufgestellt, „wonach jeder Folgeantrag, der auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslands selbst geschaffen hat, a priori auf eine Missbrauchsabsicht und die Absicht zurückzuführen ist, das Verfahren für die Zuerkennung internationalen Schutzes zu instrumentalisieren“ (EuGH, Nr. 36).

Im Ergebnis kommt der EuGH zum Urteil, dass Art. 5 Abs. 3 der Status-RL einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund eines Folgeantrags, der auf eine Verfolgungsgefahr gestützt wird, die auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslands selbst geschaffen hat, von der Voraussetzung abhängig macht, dass diese Umstände Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung des Antragstellers sind.

Sollten die staatlichen Organe nach einem individuellen Verfahren feststellen, dass die Umstände, die die Verfolgungsgefahr begründen, gesetzt wurden, um das Asylverfahren zu missbrauchen, dann ermöglicht die Status-RL die Verweigerung der Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn im Heimatland tatsächlich die Gefahr der Verfolgung besteht. Schutzlos ist der Fremde indes dennoch nicht, da aufgrund der Wortfolge „unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention“ eine Zurückweisung ins Herkunftsland dennoch verboten sein kann. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der EuGH den unionsrechtlichen vom völkerrechtlichen Flüchtlingsstatus unterscheidet, sodass ein Fremder Flüchtling im Sinn der GFK sein kann, ohne dass er immer auch zugleich Flüchtling im Sinn des Unionsrechts und seiner nationalen Umsetzungen sein müsste (EuGH, Nr. 40f.).

Durch dieses Urteil ist die Rechtslage für konvertierte Flüchtlinge entscheidend verbessert, da Konversionen, die erst in Österreich ausgelöst und existentiell vollzogen wurden, nicht mehr unter dem Generalverdacht der missbräuchlichen Erschleichung der Flüchtlingseigenschaft durch einen Folgeantrag stehen

Für das gegenständliche Verfahren ausschlaggebend war die Feststellung, dass die Konversion des Iraners JF auf einer inneren Überzeugung beruht, welche durch das BFA auch festgestellt wurde. Damit freilich ist für zukünftige Verfahren die Frage verbunden, ob die Feststellung der Ernsthaftigkeit durch die staatliche Behörde nicht als technischer Fehler im Verfahren erscheinen kann, bei dessen Vermeidung eine Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft auch vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils bestandsfest bleibt. Damit ist aber letztlich nur ein weiteres Mal die Frage aufgerissen, nach welchen Kriterien Organe des weltanschaulich-religiös neutralen Staates die Ernsthaftigkeit eines religiösen Bekenntnisses beurteilen sollen.

Anmerkungen

1 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung). Verbreitet sind auch die Kurzbezeichnungen „Anerkennungs-RL“ bzw. „Qualifikations-RL“.

2 Siehe vorige FN.

3 Vgl. u. a. die Länderberichte zu Christenverfolgungen und den „Weltverfolgungsindex“, URL: https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex.

4 Vgl. Art. 2 lit. q RL 2013/32/EU bzw. § 2 Abs. 1 Z. 23 AsylG 2005.

5 Abs. 2: „Die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, kann auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen des Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.“
Abs. 3: „Unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention können die Mitgliedstaaten festlegen, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat.“

6 Die prinzipielle Kompetenz des Staates, asylrechtliche Fragen zu entscheiden, kann nicht mit dem Hinweis, es handle sich um eine „innere Angelegenheit“ der Kirchen und Religionsgesellschaften i. S. v. Art. 15 StGG infrage gestellt werden. Für die Beurteilung der Konversion durch staatliche Organe ist jedoch die Aussage von mit dem Fall vertrauten offiziellen Vertretern der jeweiligen Religionsgesellschaft von besonderer Bedeutung. Vgl. dazu meinen ausführlichen Beitrag: „Gerichtliche Überprüfung von Konversion als religionsrechtliche Herausforderung für den säkularen Staat“, in: Österreichisches Archiv für Recht und Religion 69 (2022), 1–48.

7 Siehe FN 5.

8 So Generalanwalt de la Tour im Schlussantrag vom 15. Juni 2023 (Nr. 4).