„Lernt aber auch, das Kirchenrecht in seiner inneren Notwendigkeit und in seinen praktischen Anwendungsformen zu verstehen und – ich wage es zu sagen – zu lieben: Eine Gesellschaft ohne Recht wäre eine rechtlose Gesellschaft. Recht ist die Bedingung der Liebe“, schreibt Papst Benedikt XVI. in einem Brief an die Seminaristen vom 18. Oktober 2010. Kirchenrecht lässt sich in der universitären Fächerstruktur unterschiedlich zuordnen. Es gibt Hochschulen mit einer eigenen kanonistischen Fakultät. Kirchenrecht lässt sich als Rechtswissenschaft aber auch der juristischen Fakultät zuordnen, wie es insbesondere an italienischen staatlichen Universitäten der Fall ist. Im deutschsprachigen Raum ist das Fach Kirchenrecht in aller Regel an der theologischen Fakultät angesiedelt, und in der Tat ist Kirchenrecht ein wesentlicher Bestandteil des Theologiestudiums (vgl. c. 252 § 3 CIC) und des theologischen Fächerkanons. Ein Theologiestudent begegnet dem Kirchenrecht allerdings mit „erfahrungsgemäß besonderen sachlichen Schwierigkeiten, wenn er kanonistisch denken und arbeiten soll. Die Welt des Rechts, auch des Kirchenrechts, besitzt ihre Eigenart, die sie mit keinem anderen Gegenstand der Theologie teilt.“1 Diese Eigenheit muss von Dozenten des Kirchenrechts berücksichtigt werden und erfordert entsprechendes didaktisches Geschick. Die Bedeutung, Kirchenrecht im Rahmen des Theologiestudiums zu unterrichten, wird in den einschlägigen kirchlichen Dokumenten stets angeführt.
In Österreich ist ein theologisches Vollstudium nicht nur an kirchlichen Hochschulen (Katholische Privatuniversität Linz, Philosophisch-Theologische Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz, Katholische Hochschule ITI), sondern auch an katholisch-theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten (Universität Graz, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Paris-Lodron-Universität Salzburg, Universität Wien) möglich. Für das Theologiestudium an staatlichen Universitäten gilt neben dem kirchlichen Recht auch staatliches Recht.
Der Codex Iuris Canonici behandelt die katholischen Universitäten und anderen Hochschuleinrichtungen in den cc. 807–814 CIC und die kirchlichen Universitäten und Fakultäten in den cc. 815–821 CIC. Die geltende Ordnung des Apostolischen Stuhls über die kirchlichen Universitäten und Fakultäten ist die Apostolische Konstitution Veritatis Gaudium Papst Franziskus‘ vom 8. Dezember 2017 sowie die Ordinationes (Ausführungsbestimmungen) der Kongregation für das Katholische Bildungswesen dazu desselben Datums. Kirchenrecht soll nach der Apostolischen Konstitution „im Lichte des Gesetzes des Evangeliums“ behandelt werden, wobei Studenten sowohl für „Forschung und Lehrtätigkeit ausgebildet“ wie auch auf die „Übernahme besonderer kirchlicher Aufgaben vorbereitet“ werden sollen (Art. 77 VG). Wie alle theologischen Disziplinen soll auch Kirchenrecht so gelehrt werden, dass „die Einheit der ganzen theologischen Lehre klar hervortritt und alle Disziplinen auf eine intensive Kenntnis des Geheimnisses Christi ausgerichtet“ sind (Art. 70 § 2 VG). Hinzu kommen die einschlägigen Bestimmungen des Österreichischen Konkordats. Darin ist festgelegt, dass die wissenschaftliche Ausbildung der Priesteramtskandidaten „an den vom Staate erhaltenen katholisch-theologischen Fakultäten oder an den von den zuständigen kirchlichen Stellen errichteten theologischen Lehranstalten“ erfolgt, und für die innere Einrichtung sowie den Lehrbetrieb von katholisch-theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten werden die kirchlichen Bestimmungen anerkannt (Art. V § 1 Ö.K). Die Geltung der einschlägigen Bestimmungen des Konkordats ist in § 38 Abs. 1 Universitätsgesetz ausdrücklich bestätigt. Um das kirchliche mit dem staatlichen Recht in Einklang zu bringen, erlässt der Apostolische Stuhl ein sog. Akkommodationsdekret. Das für Österreich geltende Akkommodationsdekret stammt aus dem Jahr 1983 und wird zurzeit überarbeitet.
Nähere Bestimmungen für Deutschland das Kirchenrechtsstudium innerhalb des Theologiestudiums betreffend, enthält die Rahmenordnung für die Priesterbildung der Deutschen Bischofskonferenz vom 12. März 2003. Danach ist Studienziel für das Fach Kirchenrecht die „Einführung in die rechtlichen Normen, die Verfassung und Leben der Kirche bestimmen“ (Nr. 121). Die angehenden Priester sollen ein „theologisch fundiertes und rechtlich orientiertes Verständnis der Kirche erhalten“, damit sie ihren priesterlichen Dienst „in Wahrung der Rechtsordnung und in Kenntnis der rechtlichen Möglichkeiten zu vollziehen“ (ebd.), was dem Fach Kirchenrecht innerhalb des Theologiestudiums eine praktische Ausrichtung gibt. Rechtsgeschichtliche Zusammenhänge sollen lediglich aufgezeigt werden, und auf verfahrensrechtliche Normen und das Disziplinar- und Strafrecht soll lediglich hingewiesen werden, wobei diese Bereiche in dem praktisch orientierten Studium in aller Regel nicht in eigenen Vorlesungen vorgetragen werden und daher nur am Rande oder im Rahmen spezieller Seminare in das Studium einfließen. Die Rahmenordnung für die Ausbildung der Priester der Österreichischen Bischofskonferenz vom 15. März 2007 ist kürzer als die der Deutschen Bischofskonferenz und geht nicht explizit auf die einzelnen Fächer und damit auch nicht auf das Kirchenrecht ein. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Ausbildung legt die Rahmenordnung fest, dass sich die Priesteramtskandidaten ein „gediegenes und umfassendes Grundwissen in den theologischen Disziplinen“ aneignen und dies in der wissenschaftlichen Reflexion auch für ihren „pastoralen Dienst fruchtbar“ machen sollen (Kap. 3.1.1), was auf eine praktische Ausrichtung des Studiums des Kirchenrechts hinweist.
Für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz legt die Rahmenordnung für die Priesterbildung Kirchenrecht als Pflichtfach im Theologiestudium im Umfang von 10 Semesterwochenstunden (SWS) fest (vgl. Nr. 132). Die Kirchlichen Anforderungen an die Modularisierung des Studiums der Katholischen Theologie (Theologisches Vollstudium) im Rahmen des Bologna-Prozesses der Deutschen Bischofskonferenz vom 21. Juni 2016 verweisen auf die Rahmenordnung für die Priesterbildung und bestimmen für das theologische Vollstudium (Magister Theologiae, Kirchliches Examen) Kirchenrecht im Umfang von 10 SWS als Pflichtfach. Die Kirchliche Rahmenordnung für das Studium der Katholischen Fachtheologie in Österreich der Österreichischen Bischofskonferenz, die zum 1. September 2008 in Kraft getreten ist, sieht als Studienziel des Fachs Kirchenrecht „die Kenntnis der Grundlagen und wesentlichen Inhalte der Rechtsordnung der katholischen Kirche unter Berücksichtigung ihres theologischen Ortes und ihrer ekklesiologischen Funktion“ vor, die die Studenten befähigen soll, „die kirchenrechtliche Relevanz konkreter Sachverhalte zu erkennen und verantwortet und selbstständig mit diesen umzugehen“ (§ 2). Die Rahmenordnung regelt den Anteil der einzelnen Fächer nicht mehr in SWS, sondern in Credit-Points (CP), die sich an ECTS-Punkten orientieren (vgl. § 1 Nr. 5). Für das Fach Kirchenrecht sind insgesamt 11 CP vorgesehen (vgl. § 2), wobei die Fakultäten um maximal zehn Prozent von der Rahmenordnung abweichen dürfen, pro Fach jedoch maximal um 2 CP (vgl. § 1 Nr. 5). Eine Umrechnung von CP bzw. ECTS-Punkten in SWS ist nicht ohne Weiteres möglich, da CP bzw. ECTS-Punkte den durchschnittlichen Arbeitsaufwand für eine Lehrveranstaltung zugrunde legen und SWS die durchschnittliche Unterrichszeit für eine Lehrveranstaltung pro Woche und Semester. Die Verteilung der CP auf Lehrveranstaltungen und deren SWS fällt in die Zuständigkeit der Fakultäten, was diesen einen gewissen Gestaltungsspielraum zugesteht. Die Universität Wien beispielsweise legt den Umfang des Fachs Kirchenrecht im theologischen Vollstudium (Diplomstudium Katholische Fachtheologie) auf insgesamt 12 ECTS in 8 SWS fest. Das neue Curriculum der Universität Graz (gültig ab Oktober 2023) sieht im theologischen Vollstudium (Diplomstudium Katholische Fachtheologie) für das Fach Kirchenrecht insgesamt 11 ECTS in lediglich 6 SWS (im Curriculum „Kontaktstunden“ genannt) vor.
Eine besondere Bedeutung kommt dem Studium des Kirchenrechts aufgrund der jüngsten Reform des Eheprozessrechts durch Papst Franziskus durch das Apostolische Schreiben Mitis Iudex Dominus Iesus vom 15. August 2015 zu. Ziel der Reform war die Verbesserung der „Geschwindigkeit der Prozesse und nicht minder eine gerechte Einfachheit, damit nicht wegen der verspäteten Urteilsfindung das Herz der Gläubigen, welche die Klärung des eigenen Standes erwarten, lange von den Dunkeln des Zweifels bedrückt werden“. Eheprozesse zu beschleunigen und leichter zugänglich zu machen, erfordert auch gut ausgebildetes Gerichtspersonal. Um vor diesem Hintergrund zu Studien des kanonischen Rechts zu ermutigen und hierfür Orientierungshilfen zu geben, hat die Kongregation für das Katholische Bildungswesen die Instruktion Die Studien des Kirchenrechts im Lichte der Reform des Eheprozesses vom 29. April 2018 erlassen. Die Ausbildung des kirchlichen Gerichtspersonals erfolgt in der Regel im Rahmen eines kanonistischen Aufbaustudiums, das an das Theologiestudium anschließt, weshalb sich die Instruktion größtenteils diesem Aufbaustudium widmet. Aber auch die Bedeutung des Fachs Kirchenrecht im Rahmen des Theologiestudiums wird betont. Geschiedene, die sich um eine kirchliche Klärung ihres Personenstands bemühen, wenden sich erfahrungsgemäß zuerst an einen Seelsorger, der im Theologiestudium zumindest die Grundlagen des kirchlichen Ehe- und Eheprozessrechtes erlernt haben sollte, um den Anfragen der Gläubigen angemessen begegnen zu können. Dieser wichtige pastorale Dienst kann von Seelsorgern aber nur geleistet werden, wenn Kirchenrecht im Allgemeinen und Eherecht im Besonderen im Rahmen ihres Theologiestudiums angemessen behandelt wurde. Um diesen angemessenen Platz sicherzustellen, legt die Instruktion fest: „Im ersten Studienabschnitt einer Theologischen Fakultät muss es wenigstens einen festangestellten Dozenten für Lehre und Forschung des kanonischen Rechts geben“ (Art. 7).
Seit Erlass des für Österreich geltenden Akkommodationsdekrets im Jahr 1983 hat sich mit dem Inkrafttreten der Apostolischen Konstitution Veritatis Gaudium nicht nur das kirchliche Hochschulrecht geändert. Auch die Verhältnisse im Theologiestudium sind heute andere als vor vierzig Jahren. In jener Zeit gab es nur ein theologisches Vollstudium und ein Lehramtsstudium der Theologie. Durch den Bologna-Prozess sind weitere Studiengänge hinzugekommen. Außerdem fanden sich vor vierzig Jahren unter den Dozenten und Studenten der Theologie mehr Priester bzw. Priesteramtskandidaten als heute, sodass die Normen das Theologiestudium betreffend mehr auf die Priesterausbildung ausgerichtet waren als es der heutigen Realität entspricht. Ein neues Akkommodationsdekret für Österreich wird zurzeit erarbeitet, um den veränderten Verhältnissen gerecht zu werden. Aber auch die Curricula der katholisch-theologischen Fakultäten sollten den dem Kirchenrecht im Fächerkanon der Theologie und im Leben der Kirchen angemessenen Platz widerspiegeln, denn „Kirchenrecht und der Auftrag, das Evangelium zu verbreiten, sind keine zwei getrennten Wirklichkeiten. Stattdessen ist es entscheidend, die Gemeinsamkeit zu entdecken, die sie innerhalb der einzigen Mission der Kirche verbindet“, wie Papst Franziskus zu Recht anmerkt.
Anmerkungen
1 Georg May / Anna Egler: Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, 11.
Titelbild: Daniel Tibi