Norwegen – Das Land mit dem weltweit großzügigsten Finanzierungsmodell für Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften

Von Iris Robinigg.

Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 82.832 USD (76.557,48 €)1 pro Kopf zählte Norwegen nicht nur im Jahr 2024, sondern auch in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu den vermögendsten Ländern der Erde. Neben dem seit den 1970er Jahren andauernden und auf Basis von Erdöl, Gas und Fonds basierendem Reichtum ist auch die liberale und glaubens- und weltanschauungsoffene Religionsgesetzgebung Grund für das Anwachsen der äußerst üppigen Anzahl von über 700 Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, die eine äußerst großzügige Finanzierung genießen.2

Historische Grundlage der Finanzierung

Die Entwicklung des heutigen Finanzierungsmodells der Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften steht in enger Verbindung mit der historischen Entwicklung der evangelisch-lutherischen Kirche (Den norske kirke „DNK“), die seit 1537 die religiöse Identität des Landes prägt. Auch heute noch ist sie die Majoritätskirche des Landes, welcher etwa 62 % der norwegischen Bevölkerung angehören. Das Ende des als „veraltet“ angesehenen Modells der evangelisch-lutherischen Staatskirche (20123) hatte naturgemäß eine Weiterentwicklung des bereits etablierten Finanzierungsmodells für Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften zur Folge. Das ursprüngliche und erste Finanzierungsmodell wurde durch die Einführung des Dissentergesetzes von 1845 ermöglicht und erfolgte in Form einer individuellen Steuererleichterung. Personen außerhalb der Staatskirche (Dissenter) konnten die Möglichkeit ergreifen, sich von der evangelisch-lutherischen Kirchensteuer befreien zu lassen. 1969 ermöglichte der norwegische Staat mit der Einführung des Gesetzes über die Glaubensgemeinschaften zuerst den eingetragenen Glaubensgemeinschaften und ab 1984 auch den eingetragenen Weltanschauungsgemeinschaften eine jährliche finanzielle Unterstützung zu beantragen, die an die Anzahl der Mitglieder gebunden war.

In Rahmen des Prozesses der Trennung von Staat und evangelisch-lutherischer Kirche (2012) stellte sich erneut die Frage der Gestaltung und eines zeitgemäßen Finanzierungsmodells, das sowohl die DNK als auch die anderen Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften in ein ebenbürtiges Modell einbinden konnte. Dieser Prozess mündete in einer grundlegenden Frage: Fortsetzung und Novellierung der Finanzierung für alle oder Beendigung der Finanzierung der DNK und der anderen Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften. Die Zustimmung zur Beibehaltung einer Finanzierung von sowohl der DNK und den anderen Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften führte zu einem Finanzierungsmodell, in welchem die jährliche Grundfinanzierung der DNK als Richtwert für die Finanzierung der anderen Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften dient. Als Richtwert dient somit der jährlich neu zwischen der norwegischen Regierung und der DNK ausgehandelte Betrag, den die DNK zur Aufrechterhaltung ihrer kirchlichen Basisstrukturen benötigt und der anschließend in selbst Höhe den Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften – gerechnet an der Anzahl der Mitglieder – zu Gute kommen soll. Auf diese Weise soll die gleichberechtigte Finanzierung der DNK und der Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet werden, aber auch das in der Gesellschaft mehrheitlich positiv wahrgenommene Wirken der DNK in einer wertschätzenden Kontinuität bewahrt werden. Zugleich werden jedoch auch die anderen Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften als gleichwertige Partner im Verhältnis zwischen Staat und Religionen aufgewertet, indem der Staat gem. § 2 der Verfassung auf Basis der „evangelisch-lutherischen Wurzeln und der humanistischen Werte“ agiert.4 Im Jahr 2024 bedeutete diese großzügige Geste für die registrierten Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften die Möglichkeit der Ausbezahlung von ca. 120 € (ca. 114 NOK) finanzieller Unterstützung pro Mitglied. Zusammengerechnet konnten im Jahr 2024 somit 708 Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften für ihre insgesamt 713.208 Mitglieder eine Gesamtsumme von 1.066.959.168 NOK – umgerechnet 92.665.442,20 € empfangen. Neben der DNK gehörten die Katholische Kirche mit ca. 166.000 Mitgliedern, der Human-Ethische Verband mit 132.000 Mitgliedern und die Evangelisch-Lutherische Freikirche mit 19.000 Mitgliedern zu den zahlenmäßig größten Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften in Norwegen.5

Finanzierung der Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften

Die Grundlagen der Finanzierung der Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften sind in der norwegischen Verfassung von 1814 (Grl.), dem Gesetz und der Vorschrift über die Registrierung und finanzielle Unterstützung der Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften von 2020 verankert. Gemäß § 16 Grl. ist der norwegische Staat zur Unterstützung der Norwegischen Kirche und der anderen Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften verpflichtet. Im Gegenzug müssen die staatlich registrierten Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften vor dem Erhalt der finanziellen Unterstützung die vom Staat geforderten Bedingungen zur Registrierung erfüllen, damit sie um eine jährliche finanzielle Unterstützung ansuchen können. Der Gesetzgeber verpflichtet die Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften zu der rein zweckgebundenen Verwendung der ausbezahlten Summen. Der rein zweckgebundene Gebrauch der Finanzmittel ist im jährlich einzureichenden Rechnungsbericht hinreichend zu dokumentieren. Bei einem Verstoß der Registrierungs- oder Finanzierungsbedingungen kann der Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft die finanzielle Unterstützung entzogen und eine Rückzahlung der Summe gefordert werden.6

Neben der zuvor genannten jährlichen finanziellen Unterstützung können die Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften zusätzlich noch um staatliche und wiederum rein zweckgebundene Zuschüsse für den Erhalt religiöser (möglicherweise denkmalgeschützter) Gebäude und den Ausbau von Kinder- oder Jugendorganisationen, den Studentenverbänden, und zusätzlicher Aus- und Fortbildung je nach Zuordnung beim Ministerium für Familie und Bildung, dem Ministerium für Kultur, den Kommunen und anderen Einrichtungen beantragen. Zusätzlich ermöglicht der norwegische Staat den Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften eine indirekte Finanzierung in Form von Steuer- und Gebührenbefreiungen wie der Kompensation der Mehrwertsteuerabgabe für freiwillige Organisationen oder der Subventionen für Spenden, Schenkungen und Lotterien. Eine weitere mögliche Einnahmequelle stellt die Möglichkeit der Erhebung von jährlichen Mitgliederbeiträgen durch die Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften dar.7 Diese Möglichkeit wählen vor allem kleinere Gemeinschaften, wie z. B. die Mosaische Glaubensgemeinschaft in Oslo.8 Auch wenn die religiöse Bildung an öffentlichen Schulen in Form des breitflächig ausgestalteten Unterrichts im Fach „Christentum, Religion, Weltanschauung und Ethik“ geschieht, können private Kindergärten und Schulen, die auf Basis einer bestimmten Lehre einer Religionsgemeinschaft agieren und sich größtenteils durch die Erhebung von Schulgeld finanzieren, zusätzlich noch finanzielle Unterstützung beim Ministerium für Familie und Kinder beantragen.9

Die Sondierung neuer und zukunftsfähiger Finanzierungsmodelle (2024–2025)

Vor allem Kritiker betrachten das aktuelle Finanzierungsmodell als veraltet und nicht mehr tragfähig und sprechen sich für die Etablierung eines zukunftsträchtigen Modells aus. Deswegen beauftragte die norwegische Regierung im Dezember 2024 ein Expertenkomitee mit der Ausarbeitung von möglichen zukünftigen Finanzierungsmodelle für die Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften und die Norwegische Kirche, die im August 2025 zu präsentieren sind. Sofern sich der Staat für die Weiterfinanzierung aller Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften ausspricht, ist damit zu rechnen, dass diese wieder an die Anzahl der Mitglieder gebunden werden wird. Diese war in den vergangenen Jahrzehnten beträchtlichen Umbrüchen unterworfen. Während die ehemalige evangelisch-lutherische Majoritätskirche DNK in den Jahren 2019 bis 2023 bis zu 210.000 Mitglieder verlor, konnten sich andere Glaubens– und Weltanschauungsgemeinschaften im selben Zeitraum über eine steigende Zahl von etwa 60.000 Mitgliedern sowie dem damit einhergehenden ökonomischen Zuwachs von 210. Mill. NOK (10 Mill. €) erfreuen. Eine beachtenswerte Entwicklung, da immer noch acht von zehn Norwegern einer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaft angehören. Zwar betrachtet auch der von der Regierung beauftragte Expertenausschuss die Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften als wichtige Werteinstanz der Gesellschaft, doch da diese von der finanziellen Wohltätigkeit des Staates nutznießen, gälte es, die Grundwerte der norwegischen Gesellschaft, wie sie in § 2 Grl. verankert sind, mit jener der Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften abzuwägen und dementsprechende Bedingungen für die Finanzierung an diese stellen.10 Eine solche denkbare Bedingung könnte die Etablierung einer Mindestquote von Frauen in Leitungspositionen sein, die bereits 2003 für börsennotierte Unternehmen verpflichtend festgelegt wurde.11 In der Praxis ist für die meisten Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften und abgesehen von der DNK eine solche Quote schwer zu erreichen. Neben der Fixierung einer Mindestquote wäre auch die Anhebung der Mindestanzahl der Mitglieder oder aber ein breitflächiger Um- und Abbau des bisherigen Finanzierungsmodells denkbar. Dieser könnte mitunter die Einstellung der Beihilfen und die Einführung einer „Glaubens- und Weltanschauungssteuer“ mit sich bringen.12

Weiterführende Literatur

Folkestad, Breistein Ingunn, Statlig tilskudd til tros- og livssynssamfunn – et historisk riss, in: Kirke & Kultur 121/4 (2016), 325-334.

Folkestad, Breistein Ingunn, Ingen sunn ordning at staten fullfinansierer tros- og livsynssamfunn, in: https://www.vl.no/meninger/kommentar/2025/03/03/ingen-sunn-ordning-at-staten-fullfinansierer-tros-og-livsynssamfunn/?cx_testId=11&cx_testVariant=cx_1&cx_artPos=0&cx_experienceId=EX5NBVDF55VB&cx_experienceActionId=showRecommendationsT5A1UT59L6DD57#cxrecs_s [letzter Zugriff: 18.3.2025].

Robinigg, Iris, Das Verhältnis von Staat und Religionen. Unter besonderer Beachtung der Katholischen Kirche in Norwegen, Berlin 2025.

  1. Währungsrechner, USD in EUR (Kursdatum: 31.03.2025), in: https://www.finanzen.net/waehrungsrechner/us-dollar_euro?amount=1&date=2025-04-01&interbankrate=0 [letzter Zugriff: 1.4.2025]. ↩︎
  2. Vgl. Ventura, Luca, Richest Countries in the World 2024, in: https://gfmag.com/data/richest-countries-in-the-world/ [letzter Zugriff: 28.3.2025]. ↩︎
  3. Eine Änderung des § 2 der Verfassung von 1814 (Mai 2012) beendete das enge Band zwischen Staat und Kirche. Die evangelisch-lutherische Religion wurde nicht mehr als offizielle Staatsreligion des Landes betrachtet. Im Rahmen des Trennungsprozesses wurden auch Änderungen am Kirchengesetz v. 1996 vorgenommen, welche der DNK eine eigene, vom Staat getrennte Rechtspersönlichkeit verliehen (2017). Das Kirchengesetz v. 1996 wurde durch das Gesetz über die Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften v. 2020 ersetzt. ↩︎
  4. Vgl. Kongeriket Noregs grunnlov (17. Mai 1814), idF. 21. Mai. 2024 (Grl.). ↩︎
  5. Vgl. Statsforfalter, Utbetalte statstilskudd til tros- og livssynssamfunn, in: https://truoglivssyn.statsforvalteren.no/public/tilskudd [letzter Zugriff: 28.3.2025]. ↩︎
  6. Vgl. § 5 u. § 7 Lov 24. april 2020 nr. 31 om tros- og livssynssamfunn, idF. 25.6.2024 nr. 58; § 7 Forskrift 18. desember nr. 2825 om registrering av og tilskudd til tros- og livssynssamfunn, idF. 8.1.2024 nr. 52. ↩︎
  7. Vgl. § 3 Abs. 1 b. Forskrift 23. oktober 2018 nr. 1600 om merverdiavgiftskompensasjon for frivillige organisasjoner, idF. 23.3.2021 nr. 960; Skatteetaten, Gaver til frivillige organisasjoner, in: https://www.skatteetaten.no/satser/gaver-til-frivillige-organisasjoner/ [letzter Zugriff: 28.3.2025]. ↩︎
  8. Vgl. DMT, Bli Medlem, in: https://www.dmt.oslo.no/bli-medlem/ [abgerufen 28.3.2025]. ↩︎
  9. Vgl. § 6-1 u. 6-2 Lov 7. juli 2003 nr. 84 om private skolar med rett til statstilskot, idF. 14.6.2024 nr.36. ↩︎
  10. Vgl. Folkestad, Breistein Ingunn, Ingen sunn ordning at staten fullfinansierer tros- og livsynssamfunn, in: https://www.vl.no/meninger/kommentar/2025/03/03/ingen-sunn-ordning-at-staten-fullfinansierer-tros-og-livsynssamfunn/?cx_testId=11&cx_testVariant=cx_1&cx_artPos=0&cx_experienceId=EX5NBVDF55VB&cx_experienceActionId=showRecommendationsT5A1UT59L6DD57#cxrecs_s [letzter Zugriff: 18.3.2025]; Den Norske Kirke, Store forventningar til nytt utval, in: https://www.kirken.no/nb-NO/om-kirken/aktuelt/store-forventningar-til-nytt-utval/ [letzter Zugriff: 24.3.2025].   ↩︎
  11. Vgl. Stranden, Anne Lise, Lønner det seg å kvotere inn kvinner i styrer?, in: https://www.forskning.no/finans-okonomi/lonner-det-seg-a-kvotere-inn-kvinner-i-styrer/1999042 [letzter Zugriff: 24.3.2025]. ↩︎
  12. Vgl. Hoel, Anders Per/ Lindvag, W. H. Andreas, Erna klar for å rydde i livssynsstøtten – sender varsko mot dødshjelp, in: https://www.vl.no/nyheter/2025/03/20/erna-klar-for-a-rydde-i-livssynsstotten-sender-varsko-mot-dodshjelp/ [letzter Zugriff:  24.3.2025]. ↩︎

Wir bedanken und bei Dr. Iris Robinigg für diesen Beitrag zu unserer Serie über die Finanzierung von Kirchen und Religionsgemeinschaften in Europa. Iris Robinigg arbeitet als Universitätsassistentin am Institut für Praktische Theologie (Fachbereich Kirchenrecht) der Katholisch-Theologischen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.