von fr. Mag. iur. Elias (Alexander) Krexner OSB – Studierender der katholischen Fachtheologie und des Masterlehrgangs für kanonisches Recht an der Universität Wien
1. Pfarrinkorporation – die vertraute Unbekannte
Trotz der relativen Unbekanntheit der Inkorporation, selbst im Fachpublikum, stößt man in Österreich noch auf eine große Anzahl an inkorporierten Pfarren. Aktuelle Zahlen sind leider nicht verfügbar. Ein Überblick lässt sich jedoch durch das bisher veröffentlichte Zahlenmaterial gewinnen.
Laut einer Umfrage, der Superiorenkonferenz bestanden im Jahr 1986 auf dem Gebiet der Republik Österreich noch 436 derartige Pfarren. Seitdem wurden keine zuverlässigen Statistiken mehr veröffentlicht. Eine Umfrage unter den österreichischen Benediktinerklöstern legt nahe, dass sich die 1986 für Gesamtösterreich eruierte Zahl nur geringfügig verändert hat. Wurden 1986 noch 179 den Benediktinerklöstern inkorporierte Pfarren gezählt, so waren es im Jahr 2022 noch 161.1 Auf italienischem Staatsgebiet existieren in der Diözese Bozen-Brixen noch Pfarren, die als „inkorporiert“ bezeichnet werden.2
Angesichts der großen Anzahl der noch bestehenden Pfarrinkorporationen kann die Pfarrinkorporation als „vertraute Unbekannte“ bezeichnet werden. Während ihr rechtlicher Hintergrund und die Tatsache, dass eine bestimmte Pfarre inkorporiert ist, selbst in Fachkreisen oft unbekannt ist, sind die inkorporierten Pfarren aufgrund ihres zahlenmäßig hohen Vorkommens doch vertraut. Man denke etwa an die „Schottenpfarre“, die dem Benediktinerstift Unserer Lieben Frau zu den Schotten in Wien inkorporiert ist und der Herkunft der ersten Benediktinermönche in Wien damit sogar ihren „Spitznamen“ verdankt. Als Schotten wurden im Wien des Mittelalters die heutigen Iren bezeichnet.3 Dass es sich hier um eine Pfarrinkorporation handelt, ist den Kirchenflaneuren meist unbekannt. Die benediktinische Prägung der Pfarre, durch die bauliche Integration der „Schottenkirche“ in das angrenzende Kloster augenscheinlich gemacht, ist dem Wienkenner und der Wienkennerin dennoch vertraut.
1.1 Was ist die „Pfarrinkorporation“?
Inkorporation ist die Einverleibung einer juristischen Person kirchlichen Rechts in eine andere.4 Der CIC/1917 kennt den Begriff „incorporatio“ nicht und bezeichnet sie stattdessen als „unio“ (cann. 1419 – 1430 CIC/1917). Der CIC/1983 erwähnt das Rechtsinstitut nicht.
Was ist also die „Pfarrinkorporation“? Sie ist die Einverleibung einer Pfarre bzw. eines Pfarrbenefiziums sowie eventuell der Pfarrkirche in ein Kloster bzw. einen anderen ordensrechtlichen Rechtsträger, einen bischöflichen Stuhl, Dom- oder Stiftskapitel etc.5 Das Benefizium (Pfarr-Pfründe) ist dabei das „mit einem Kirchenamt verbundene Recht, aus einer bestimmten Vermögensmasse od. bestimmten Gaben ein festes Einkommen zu beziehen, das dem Inhaber eines Kirchenamts zum Lebensunterhalt dient“6. Heute sind in den Diözesen Österreichs und der Diözese Bozen-Brixen Pfarren nur mehr Ordensgemeinschaften Inkorporationsträger von Pfarren. Pfarren, die anderen kirchlichen Rechtsträgern inkorporiert sind, bestehen nicht mehr.
1.2 Inkorcoratio pleno iure – heutiger „Normalfall“
Historisch zu unterscheiden sind v.a. die Halbinkorporation und die Vollinkorporation. Bei der Halbinkorporation (incorporatio ad temporalia tantum / non pleno iure) betrifft die Inkorporation nur das Benefizium. Der Inkorporationsträger hat das Fruchtgenussrecht. Hier steht der wirtschaftliche Aspekt im Vordergrund.
Bei der Vollinkorporation (incorporatio pleno iure) wurde der Inkorporationsträger nach dem CIC/1917 Pfarrer (parochus habitualis). Der Pfarrer war also eine juristische Person. Daher musste ein Pfarrvikar (parochus actualis) bestellt werden, der die tatsächliche Seelsorge wahrnahm. 7 Dieser wurde und wird auch heute noch von der Ordensgemeinschaft dem Bischof präsentiert, der den in Aussicht genommenen in das Pfarramt einzusetzen hat. Er kann Weltpriester, Ordenspriester des Inkorporationsträgers oder einer anderen Gemeinschaft sein. Zu unterstreichen ist, dass der Pfarrvikar auch nach dem CIC/1917 die Verantwortung für die gesamte Seelsorge in der Pfarre trug und sich auch sonst mutatis mutandis dieselben Rechte und Pflichten wie ein weltgeistlicher Pfarrer hatte. In den Diözesen Österreichs ist spätestens seit dem 20. Jahrhundert die pleno iure inkorporierte Pfarre, die gebräuchliche Form der Inkorporation. Pfarren, die halbinkorporiert sind, sind hier nicht anzutreffen.
1.3 Inkorporation und CIC/1983
Der CIC/1983 beseitigte die Rechtsfigur des parochus habitualis (c. 520 § 1 CIC/1983). Im Gegensatz zur Inkorporation von Pfarren in Kanonikerkapitel, werden die Inkorporationen in Ordensgemeinschaften nicht ausdrücklich verboten. Daher ist ihre Behandlung nach dem CIC/1983 umstritten. Mit der herrschenden Lehre ist allerdings davon auszugehen, dass die Pfarrinkorporationen der Orden weiterbestehen.8 Der Orden als Inkorporationsträger ist nicht mehr Pfarrer, aber die übrigen Rechtsbeziehungen (insb. das Präsentationsrecht) bestehen als Privilegien oder wohlerworbene Rechte (c. 4 CIC/1983) weiter. Die Pflicht zur Tragung (eines Teils der Baulast) ist Konkordatsmaterie und besteht daher ebenfalls weiter (c. 3 CIC/1983). Das Benefizialrecht wurde von der Österreichischen Bischofskonferenz perpetuiert.9 Die vermögensrechtliche Seite der Inkorporation wurde daher an sich nicht verändert. Geändert hat sich die ämterrechtliche Komponente, da nun eine Vakanz des Pfarramts eintreten kann, was früher nicht möglich war, weil der parochus habitualis als juristische Person nicht sterben konnte. Die Seelsorge wurde aber immer schon von einem Pfarrer aus „Fleisch und Blut“ ausgeübt. Dies hat sich auch heute nicht geändert. Geändert hat sich lediglich die formale Seite. Außerdem wurde dem ehemaligen parochus actualis auch im Deutschen nun zur Klarstellung der Titel „Pfarrer“ durch die Bischofskonferenz zuerkannt.10 Das traditionelle Rechtsinstitut der Vollinkorporation besteht daher in veränderter Form in den Diözesen Österreichs fort.
1.4 Dialog – Zukunft der Pfarrinkorporation
Da es sich bei der Pfarrinkorporation um ein sehr altes Rechtsinstitut handelt, bei dem sich viele Rechtsschichten überlagern und zudem punktuelle Privilegien häufig sind, ist eine allgemeine Regelung der Materie kaum möglich. Das hohe Alter der Pfarrinkorporationen und die Erfahrungen aus der Pfarrseelsorge in den inkorporierten Pfarren zeigen jedoch, dass es sich um ein Rechtsinstitut handelt, das heute weiterhin trägt. Für die Lösung von Konfliktfällen ist aber der Dialog zwischen den Betroffenen essentiell. Dies gilt schon allgemein für Apostolatswerke bei denen Ordensobere und Bischöfe in einvernehmlicher Beratung vorzugehen haben (c. 678 § 3 CIC/1983). Aufgrund der Nähe der Pfarrinkorporation zum Patronat, lässt sich aus der Patronatsjudikatur schließen, dass der Dialog hier allerdings verstärkt gefordert ist. So wurden in zwei Rechtsachen keine inhaltlichen Entscheidungen von den zuständigen Stellen getroffen, sondern die Parteien aufgefordert, ihre rechtlichen Konflikte im Verhandlungsweg zu lösen.11 Dies wird vor allem bei Pfarrstrukturveränderungen zu beachten sein. Immer gilt jedoch: „salus anima-rum suprema lex“. („Das Heil der Seelen ist das oberste Gesetz“).
Anmerkungen
1 Vgl. BIRNBACHER, Korbinian, Wie kamen die österreichischen Klöster zu ihren Pfarreien?, EuA 98 (2022) 394–402, hier: 398, 399.
2 Vgl. MITTERHOFER, Michael, Inkorporierte Pfarreien in der Diözese Bozen-Brixen, Bozen 1992.
3 https://www.schotten.wien/schottenpfarre/schottenpfarre/.
4 Vgl. etwa LEDERHILGER, Severin J., Die inkorporierten Pfarren der Klöster. Nostalgische Besitzstandswahrung im Kontext aktueller Seelsorgestrukturen?, in: Brigitte SCHINKELE u.a. (Hg.): Recht – Religion – Kultur [FS Richard POTZ], Wien: 2014, 369–400, hier: 374; PREE, Helmuth – HECKEL, Noach, Das Kirchliche Vermögen, seine Verwaltung und Vertretung. Handreichung für die Praxis, Wien 32021, 239.
5 Vgl. GRADAUER, Peter, Patronat und Inkorporation – einst und jetzt, in: Hans PAARHAMMER (Hg.), Administrator bonorum. Oeconomus tamquam paterfamilias [FS Sebastian RITTER], Thaur 1987, 193–207, hier: 203.
6 HOMMENS, Maximilian, Benefizium, in: LKStKR 1, 236f., hier: 237.
7 Vgl. GAUTHIER, Albert, L’affidamento della parrocchia ad un gruppo di sacerdoti in solidum o a fedeli non sacerdoti nonché ad un istituto religioso, in: Piero Antonio BONNET, u.a. (Hg.), La parrocchia (ADGC XLIII), Vatikanstadt 1997, 37-60, hier: 58.
8 Vgl. PREE, Helmuth, Die pleno iure inkorporierte Pfarre, in: ÖARR 61/1 (2014), 125–141, hier: 127.
9 ÖSTERREICHISCHES BISCHOFSKONFERENZ, Dekret über das bisherige Benefizialrecht, ABl ÖBK (25. Jänner 1984) Nr. 1, 5. i. d. F. ABl ÖBK (15. April 1989), Nr. 34, 25.
10 ÖSTERREICHISCHE BISCHOFSKONFERENZ, Dekret über die einheitliche Denomination der Pfarrseelsorger, ABl ÖBK (25. Jänner 1984) Nr. 1, 8.
11 Vgl. APOSTOLISCHE SIGNATUR, Urteil [2. Juni 1990] coram Stickler, Prot. N. 19391/87 C.A., in: AMBROS, Matthias, Verwaltungsbeschwerde und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Effizienz des kirchlichen Rechtsschutzes gemessen an einem Passauer Patronatsstreit, Paderborn 2016, 465–479; HEILIGE KONGREGATION FÜR DIE ANGELEGENHEITEN DES KLERUS, Dekret [12. November 1971], in: Willibald M. PLÖCHL, Patronatsverzicht – Annahmebedürftig, in: ÖAK 23 (1972), 107f.